Auf der Suche nach dem kaum existenten Genre "Ausstellungskritik" bin ich auf etwas gestoßen, was schon dadurch interessant ist, weil mal öffentlich ein Disput um eine Kritik ausgetragen wurde, was ja eher auch selten ist.
Isabelle Graw hatte in der
taz vom 24.1.2011 die von Klaus Herding kuratierte Courbet-Ausstellung kritisiert. In ihrem Text "Der Traum des Realisten" wirft sie dem Kunsthistoriker vor, die politische Rolle Courbets und seiner Malerei hinter einer Stilisierung des Malers zum "Träumer der Geschichte" zum Verschwinden zu bringen.
|
"Die Begegnung oder Bonjour, Monsieur Courbet" (1854), (ist) ein Bild, das sich glücklicherweise in der Frankfurter Ausstellung befindet und das im Volksmund damals bezeichnenderweise "Reichtum grüßt Genie" geheißen haben soll. Hier hat Courbet das Zusammentreffen zwischen seinem Mäzen Alfred Bruyas, dessen Diener und sich selbst wie auf einer grell beleuchteten Bühne als Versuchsanordnung aufgeführt. Anders als seine in Erdfarben und Brauntönen gehaltenen Bilder, ist dieses in helles Licht getaucht und wirkt auch in seiner Malweise geradezu grafisch. Der Künstler stellt sich seinem Patron als freier Vagabund entgegen, vital und unabhängig zugleich, während der im Vergleich schwächlich wirkende Mäzen und sein Diener zuerst vor ihm den Hut ziehen. Die Stärke dieses Gemäldes ist in seinem marktreflexiven Potenzial zu sehen. Courbet thematisiert die neue Abhängigkeit des freien Künstlers vom Privatsammler, zumal es sich hier um ein Auftragsbild handelt, um auf der Basis dieser Abhängigkeit jedoch symbolisch Unabhängigkeit zu behaupten" Isabelle Graw "Versenkung als Potenzial - das ist ein wesentliches, bisher unterdrücktes Element, auf das die Ausstellung hinweist. Die berühmte "Begegnung" ist tatsächlich ein Tagtraum, ein Wunschbild, ein Lebensentwurf, der nach Realisierung drängt. Zu "wenig" ist das nur, wenn man den Grund und das Ziel dieser Tagträumerei außer Acht lässt: Dargestellt ist eine Vision voller Tatendrang, voller Zukunft. Der Maler träumt davon, als Avantgardist das Verhältnis zwischen Künstler und Auftraggeber zu seinen Gunsten umzukehren und den Platz an der Spitze der Gesellschaft einzunehmen, wie es in der Französischen Revolution schon propagiert, aber nicht realisiert wurde." Klaus Herding |
Auf die spezifischen Möglichkeiten einer Ausstellung, eine These durch anschauliche Disposition und Kontextualisierung zu entwickeln, läßt sich Graw, wie viele andere Kritiker von Ausstellungen nicht ein. Das ist schade, weil sie gleich eingangs lobt, daß die These Herdings "...mit einem sorgfältig choreografierten Ausstellungsparcours vorgetragen und entwickelt (wird), was zunächst einmal extrem aufschlussreich ist."
Ihre Argumente zieht sie fast ausschließlich aus den Bildern selbst und dem Katalogtext des Kurators, genauso wie Klaus Herding, der im Rückgriff auf Bildinterpretationen erwidert (Wirksamer als hundert Flugschriften;
taz 2.2.2011). An der Debatte ist interessant, daß eine Ausstellung überhaupt noch jenseits ihres kulinarischen Schauwertes diskutiert wird und von Graw explizit als 'rar gewordene programmatische Thesenausstellung' zur Diskussion gestellt wird. Das impliziert, daß die Kritik selbst sich dieser These annimmt und programmatisch wird, zumal wenn es um den "politisch radikalsten Maler des 19. Jahrhunderts geht" (Graw).
Und wenn Klaus Herding das "Erträumen anderer Verhältnisse" bei Courbet nicht als Eskapismus verstanden wissen will, hinter dem das Politische verschwindet, sondern als Komplement der politischen Haltung, als Potential eines über die Verhältnisse hinausweisenden Träumens, das seine eigene Sprengkraft hat - wird da nicht auch die Rolle des Ausstellens und des Museums befragt? Als der Ort der Vermittlung einer Haltung, einer Idee oder eines Traums, der durch seine Gestaltung und Disposition, Auswahl und Erzählweise mit entscheidet über die Geltung oder das Verschwinden historischer Utopien.
Da wird in Umrissen etwas von den Möglichkeiten der Ausstellungs- (Museumskritik) sichtbar, das gesellschaftliche potential nicht nur des Gegenstandes einer Ausstellung, sondern des Ausstellens (des Museums) zu debattieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen