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Donnerstag, 25. März 2021

Das Museum als aktiver Moderator sozialer Demokratie

 Das Museum als aktiver Moderator sozialer Demokratie

 

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Dieser Text basiert auf Notizen, die einem Beitrag zu einer Veranstaltung zu Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie zugrunde lagen. Die von der Hans Böckler Stiftung veranstaltete Zusammenkunft hatte den Untertitel Soziale Demokratie im Kulturhistorischen Museum. Wege zum partizipativen Museum. Meine für fünfzehn Minuten Redezeit vorbereiteten Überlegungen waren eher fragmentarisch und sind es mit ein paar Glättungen und Ergänzungen auch geblieben.

 

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Was wäre das - ein Museum der sozialen Demokratie?

Welche Erwartungen knüpfen sich an ein solches Museum?

Kann es so etwas geben, ein Museum, in dem die sozialen Bürgerrechte repräsentiert werden?

 

Soziale Demokratie, so lege ich es mir zurecht, ist eine gesellschaftliche Ordnung, in der nicht nur die verschiedene Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte gesichert sind, sondern auch die materiellen Bedingungen und soziale Rechte, die den Genuss dieser Grund- und Freiheitsrechte überhaupt erst ermöglichen.

Für mich ergeben sich daraus drei Fragen: Wie weit wird das Museum als Organisation diesem Anspruch gerecht? Wie spiegeln die Sammlungspolitik, die Sammlung und die und die Ausstellungen diesen Anspruch? Und schließlich: Welches Verhältnis pflegt das Museum zu seinem Publikum und generell zur Öffentlichkeit. Wie bestimmt es seinen Platz und seine Aufgabe innerhalb Gesellschaft.

 

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Ich möchte zuerst kurz skizzieren, wie ich die drei Anforderungen in der derzeitigen Museumspraxis realisiert bzw. nicht realisiert sehe.

Zur ersten Frage: Ist das Museum eine Organisation, die man demokratisch nennen kann, in der soziale Demokratie selbst verankert ist? In welchen Museumsorganisationen ist Demokratie eine zentrale Handlungsorientierung und etwas, was die innerbetrieblichen Machtverhältnisse, Abläufe und Entscheidungen prägt?

Ich kann dazu nur beispielhaft und anekdotisch etwas beitragen, ich kenne keine empirischen Untersuchungen zu musealen Organisationsformen.

Was mir sofort eingefallen ist, ist der einzige mir bekannte Versuch, gewerkschaftliche Mitbestimmung in Museen einzuführen. Das sogenannte Hamburger Modell vom Anfang der 70er-Jahre, das von MItarbeiterInnen der kommunalen Hamburger Museen gefordert und von den Museumsleitern heftig bekämpft wurde. Der von mir geschätzte Leiter der Hamburger Kunsthalle entsetzte sich mit der Vorstellung Da könne ja nun jede Putzfrau bei den Ausstellungen mitbestimmen.

 

Keine gewerkschaftliche aber überhaupt Mitsprache forderten jüngst die Leiter der Museen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz ein, um sich in einen Evaluationsprozess einzuklinken, der zunächst ohne ihr Wissen und zutun von der Kulturstaatssekretärin begonnen worden war und im dem eine Zeit lang die Zerschlagung der Stiftung im Raum stand. Die mir völlig sinnvoll und selbstverständliche Beteiligung der Museumsdirektoren wurde von einer großen überregionalen Zeitung gar als basisdemokratische Revolution bezeichnet.

 

Ein anderes Beispiel für Implementierung sozialer Demokratie ist der Versuch, an den österreichischen Bundesmuseen einen Kollektivvertrag durchzusetzen. In erster Linie wird das zur Verbesserung der Anstellungsbedingungen und Entlohnung der Vermittlerinnen führen - die weibliche Form ist hier angebracht, es ist überwiegend ein Frauenberuf, nicht gut bezahlt und mit prekären Bedingungen. Für die Realisierung dieses Vorhabens, so höre ich, gibt es gute Aussichten.

 

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Ich komme zur zweiten Frage: Wie spiegeln die Sammlungspolitik, die Sammlung und die Ausstellungen den Anspruch soziale Demokratie im Museum zu repräsentieren? Das heißt, wie wird die Geschichte der Arbeit, der der Arbeiterbewegung und ihrer Organisation, der sozialen Kämpfe und Reformen, der Organisation der Arbeiterschaft und vieles andere mehr durch Museen repräsentiert.

Da kann ich mich auf eine umfangreiche Recherche von Wolfgang Jäger berufen, der sich in einer Reihe deutscher kulturhistorischer Museen auf die Suche nach sozialer Demokratie in Ausstellungen gemacht hat. (Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum. Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen. Bielefeld 2000. Mir stand ein umfangreiches Manuskript von Wolfgang Jäger zu diesem Thema zur Verfügung). Sein Befund ist ernüchternd, aber nicht überraschend. In vielen (kultur)historischen Museen ist er kaum bis gar nicht fündig geworden. Soziale Demokratie spielt in den Erzählungen der einschlägigen Museen, nicht jene Rolle, die ihr in der Wirklichkeit zugekommen ist und zukommt. (*)

Ich denke, in Österreich würde eine ähnliche Recherche ebenso ernüchternd ausfallen und die Existenz des Museums Industrielle Arbeitswelt Steyr, auf Initiative der Gewerkschaftsjugend gegründet, das verdienstvolle Ausstellungen macht, muß man ebenso als eine Ausnahme aus der Regel ansehen wie das wunderbare Museum Das Rote Wien im Waschsalon des Karl Marx-Hofes in Wien, das die Kommunalpolitik des sozialistisch regierten Wien in der Ersten Republik zeigt aber auch den hohen Grad und die Qualität der Selbstorganisation der Arbeiterschaft.

 

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Die dritte Frage ist die nach der Beziehung des Museums zu seinem Publikum und zur Gesellschaft insgesamt.

Wie sattsam bekannt, gibt es eine inzwischen universale Kennzahl, die über den Wert und Wirkung von Museen - vermeintlich - Auskunft gibt. Die Anzahl der Besuche(r).

Jüngst las ich, daß eine englische Tageszeitung eine Bezahlung der MitarbeiterInnen nach der Zahl der Klicks ihrer Artikel einführen will. Noch ist es am Museum nicht so weit, aber die Bindung von „Erfolg“ und „Wert“ der Institution ist schon lange eng mit der Besucherstatistik gekoppelt. Damit einher hat sich eine Art neoliberaler Wettlauf entwickelt – in Österreich zwischen den großen Kunstmuseen -, um mediale Aufmerksamkeit innerhalb der Konkurrenz der vielfältigen (hoch)kulturellen Angebote.

Was aber noch nachhaltiger zu wirken begonnen hat ist die Gleichsetzung dieser Zahlen mit der Vorstellung allgemeiner Zugänglichkeit und Akzeptanz des Museums. Die bei einzelnen Museen in die Hunderttausende gehenden statistischen Zahlen (der Louvre als einsamer Spitzenreiter übertraf die 10-Millionen-Marke) legen nahe, daß Museen universal zugängliche Bildungsinstitutionen sind – und daher demokratisch.

Diese irreführende Gleichsetzung ist alt. 1919 formulierte der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Gustav Pauli, den Satz, daß das Museum zu den "demokratischesten aller Bildungsinstitute“ gehört, das "jedermann ohne Legitimationsprüfung den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“

Das verrät nicht nur eine paternalistische pädagogische Haltung, Pauli legt uns nahe, das Museum als im sozialen Sinn völlig barrierefrei wahrzunehmen.

Spätestens seit den 80er-Jahren weiß man, dass das ganz und gar nicht stimmt. Etwa 50% einer Bevölkerung sind keine Museumsbesucher. Sie haben nicht die materiellen Voraussetzungen und verfügen nicht über die nötige Vorbildung.

Das Museum ist ein Ort der sozialen Distinktion

Und weil das Museum dennoch allgemeine Geltung seiner Werte vertritt, ist es auch ein Ort der kulturellen Hegemonie.

 

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Ich möchte nun meine drei Fragen noch einmal durchgehen, und überlegen, wie denn das Museum zu einem Ort der sozialen Demokratie, ein aktiver Moderator von Demokratie überhaupt werden kann.

Es liegt auf der Hand, dass sich die Organisation selbst verändern müsste, sowohl nach innen. als auch was ihre Einbettung in politisch-administrative Prozesse betrifft. Es muss in der Organisation veränderte Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe geben; keinem Museum sollte erlaubt werden, von Partizipation sprechen dürfen, wenn es nicht Partizipation im weitesten Sinn in der Organisation selbst zulässt.

Und ohne kultur- und museumspolitischen Rahmen kann es kaum so etwas wie eine Vermittlung zwischen gesellschaftlichen Interessen und Bedürfnissen und institutionellem Handeln geben.

Man wird drittens nach Wegen suchen müssen, das Museum zur Gesellschaft hin durchlässiger zu machen, über Partizipation hinaus Teilhabe zu ermöglichen, in der in die Regeln der Institution eingegriffen werden darf. Denn Partizipation heißt, wenn sie mehr sein soll als ein von der Institution veranstaltetes und kontrolliertes Mitmachen, zuzulassen, dass sie die Institution selbst verändert.

Betriebe man das konsequent, dann hieße das, daß Museen Macht abgeben und Kontrolle mindestens lockern müssen. Dazu würden Museen bereit sein?

 

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Nun zur Frage nach der Öffentlichkeit des Museums. Diese Frage ist eine nach den Grundlagen unseres Verständnisses von Museen. Um mich verständlich zu machen, schiebe ich einen kurzen Exkurs zur Entstehung jenes Modells Museum ein, das wir immer noch gebrauchen. Es wird sich zeigen, wie verarmt das heute gebräuchliche Reden von der Öffentlichkeit des Museums geworden. Und ich möchte eine Grundlage gewinnen dafür, wie eine öffentliches Museum neu gedacht werden könnte.

Die Entstehung des Museums der Moderne hat ein präzises Datum. Am 10. August 1793 findet in Paris ein Fest, ein Umzug statt, ein Gründungsakt der Nation. Es wird am selben Tag eine neue Verfassung deklariert, die erste republikanische Frankreichs. Und am selben Tag wird das Museum im Louvre eröffnet.

Das Museum steht im Zentrum der Formierung einer Nation. Das Museum ist ein Ort eines zivilisierenden Rituals. Seine Rolle ist die, der Gemeinschaft zu ermöglichen, sich um das kulturelle Erbe zu scharen. Um Dinge, die ihre Funktion, ihren Sitz im Leben verloren haben, die aus der Warenzirkulation als unveräußerlich herausgehalten werden und darum so etwas wie einen heiligen Schatz bilden.

Dieses Erbe, die musealen Sammlungen repräsentieren die res publica, das Ding, das etymologisch als Thing in ein- und demselben Wort sowohl auf Sache und Sammlung als auch auf Versammlung (das Sich-Versammeln im Museumsraum) verweist. Es ist jene, im Grunde unidentifizierbare gemeinsame Sache, um derentwillen sich Gemeinschaften bilden, und die im Museum repräsentierbar scheint.

Das Museum (der Französischen Revolution) wirkt dabei auch kompensierend. Es kompensiert den Verlust von die Gemeinschaft zentrierenden, zusammenhaltenden transzendentalen Prinzipien und deren irdische Repräsentation, in Frankreich den des Königs und seiner zwei Körper, des göttlichen und des irdischen. Der wird angeklagt und wenige Monate nach der Museumseröffnung hingerichtet. Das Wegbrechen einer transzendentalen Identifikation hat die Suche nach neuen, nun innerweltlichen Formen der Identifikation zur Folge. Eine Antwort ist das Museum.

 

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Das Museum ist ab nun ein zivilisierendes Ritual. Aber es ist ab nun auch ein Ort der Vermittlung von Sach- und Orientierungswissen, von Geschichtserfahrung an – im Idealfall – für alle Staatsbürger.

Als Ort der Zivilisierung ist es einer, an der sich Bürger zu Staatsbürgern bilden, indem sie sich um ihre gemeinsamen und insofern öffentlichen Angelegenheiten kümmern. Die Öffentlichkeit der Institution Museum enthält also ein Versprechen von Gleichheit und Freiheit wie von Verantwortung aller Bürger für das Gemeinwohl.

Das Museum ist also beides zugleich: der Ort an dem Zivilisierung dargestellt und an der sie hergestellt wird.

Damit das geleistet werden kann, bedarf es einer bestimmten Struktur des Museums, eine, die in aus vier Merkmalen besteht.

 

Garantiertes Recht auf Bildung und der materiellen Voraussetzungen dazu

 

Allgemeine Zugänglichkeit

 

Gemeinschaftlicher Besitz der Kulturgüter

 

Und gemeinschaftliche Finanzierung, das heißt, aus Steuermitteln

 

Das ist die Grundlage des Verständnisses vom Museum als einer Instanz, die das gesellschaftliche Ziel, den Auftrag des Wohlfahrtstaates, das maximale Glück einer maximalen Zahl zu erreichen, verwirklicht.

 

Für unsere Frage nach dem Museum der sozialen Demokratie ist die rechtliche Regelung interessant, auf die am Beginn der Museumsentwicklung, diese Struktur ruht. In der Verfassung von 1793 heißt es im Artikel 22: „Der Unterricht ist für alle ein Bedürfnis. Die Gesellschaft soll mit aller Macht die Fortschritte der öffentlichen Aufklärung fördern und den Unterricht allen Bürgern zugänglich machen.“

Im unmittelbar vorangehenden Artikel 21 findet sich das: „Die öffentliche Unterstützung ist eine heilige Schuld. Die Gesellschaft schuldet ihren unglücklichen Mitbürgern den Unterhalt, indem sie ihnen entweder Arbeit verschafft oder denen, die außerstande sind, zu arbeiten, die Mittel für ihr Dasein sichert.“  

 

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Dieses Museumsmodell ist ein Ort liberaler, bürgerlicher Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit hatte das Aushandeln von Konflikten unter Gleichen und damit die Harmonisierung von Konflikten zum Ziel. Tendenz zur Harmonisierung ist aber auch eine Eigenschaft des Museums. Seine Erzählweisen und Darstellungsmethoden neigten lange Zeit dazu, uns Unschuldskomödien vorzuspielen, alles in eine Geschichte der fortschreitenden Zivilisierung zu verwandeln unter Aussparung der traumatisierenden und gewaltförmigen Aspekte.

 

Dieses Modell scheint erschöpft. Und das Museum hat sich auch gewandelt, die Triumpherzählungen werden seltener, die Einbeziehung von Schuld und Trauma selbstverständlicher. Und inzwischen fordern immer mehr Gruppen ihren Einschluß in die musealen Erzählungen und das macht Museen diverser. Die aktuelle Debatte um den Umgang mit kolonialem Erbe zeigt indes, wie schwer die Umstellung fällt, welcher Widerstand sichtbar wird.

 

Museen müssen fähig gemacht werden, Konflikte anzusprechen und auszutragen, Interessen, Ideologien, Machtverhältnisse offenzulegen. Vermittlungs- und Diskursformen müssen geeignet sein, dem Rechnung zu tragen. Eine sehr schwierige Anforderung angesichts der wachsenden Polarisierungen und der Zerfallserscheinungen bürgerlicher Öffentlichkeit unter dem vieldiskutierten Druck der sogenannten sozialen Medien.

 

Zuallererst muss sich aber das Museum selbstreflexiv seiner Mechanismen des Erzählens und Bedeutens vergewissern – und seiner problematischen Sublimierungsleistung. Ein grundlegender Wandel müsste sich auch auf organisatorischer Ebene vollziehen, die Arbeitsaufgaben und Rollenverständnisse würden sich drastisch ändern, KuratorInnen wären dann nicht im Wortsinn „Sorgenträger“ ums Objekt, sondern Moderatoren politischer Auseinandersetzungen.

 

Es ist ja nicht so, dass die Museen bislang nicht schon Grundfragen unserer Zivilisation repräsentiert hätten, die wachsender Naturbeherrschung und Naturzerstörung, die Naturbeherrschung am Menschen, die Eroberung und Vernichtung fremder und vergangener Kulturen, die Gewaltförmigkeit in der Geschlechterbeziehung und anderes mehr.

 

Aber das Museum kann angesichts der Klima- und Coronakrise, der Bedrohung der Demokratie, der wachsenden Ungleichheiten, der grassierenden Zukunftslosigkeit der Politik nicht an der bloßen Ästhetisierung und Sublimierung der Probleme und Konflikte festhalten. Es kann sich auch nicht als neutraler Beobachter verstehen, der selbst aus den Konflikten ausgenommen ist. Gerade die Coronakrise zeigt ja, daß das Museum nicht einfach nur sammlungspolitisch reagieren kann wie ein Sammler, der Indizien zusammenträgt. Denn es ist ja selbst vielfach betroffen, finanziell, hinsichtlich seiner Besucher und hinsichtlich seiner Legitimation angesichts der Zweifel an seiner „Systemrelevanz“.

 

Das Museum muß sich als politischer Akteur verstehen, der sich den genannten und von mir nur fragmentarisch aufgezählten Problemen annimmt. Sonst verfehlt es seine Aufgabe, nervöses Auffangsorgan (Aby Warburg) zu sein. Als solches muss das Museum Ort agonaler, also konfliktfähiger, streitbarer Öffentlichkeit sein.

 

Agonistische Öffentlichkeit (Chantal Mouffe) deklariert die Interessen, benennt die Probleme, macht sie kenntlich und lässt sie aufeinandertreffen. Agonale Öffentlichkeit ist vielfältig und vielgestaltig. Konflikte zu bearbeiten geht nur im Medium des Konflikts selbst, weil nur so Differenzen, Standpunkte und Interessen sichtbar gemacht und bearbeitet werden können. Das Museum wäre dann ein Ort der streitbaren und pluralen Gegenöffentlichkeiten, wo herkömmliche Werte und Normen infrage gestellt und auch angegriffen werden könnten. Das Museum müsste sich vom affirmativen hegemonialen zum Raum der Unruhe und des Dissens wandeln. Um dieser Vorstellung etwas die Schwere der sozialpolitischen Bürde zu nehmen, die man dem Museum auflastet, greife ich zwei Worte auf, die kürzlich die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz gebaucht hat: Kritikübungsräume. Solidaritätsversicherungsversuche.

 

Der Zweck demokratischer Institutionen“ besteht, schreibt der australische Aktivist Simon Sheik „nicht in der Herstellung eines rationalen Konsenses in der Öffentlichkeit, sondern in der Entschärfung des Potenzials für Feindseligkeiten, das in menschlichen Gesellschaften existiert, indem die Transformation von Antagonismus in 'Agonismus' ermöglicht wird."

 

Erst wenn Museen sich selbstreflexiv zu verhalten lernen, wenn sie sich gegenüber der Öffentlichkeit öffnen, wenn sie sich reorganisieren kann das Museum zu dem Ort werden, als der er von Anfang an gedacht war: einer der Selbstauslegung, einer der Aufklärung der Gesellschaft über sich.

 

(*) Im Beitrag von Sabine Kritter, Imaginationskrise der Arbeit und die Kulturalisierung der Gegenwart im Museum, fand dieser Befund insofern eine Ergänzung und Vertiefung als dort von einer Kulturalisierung der Darstellung der Arbeit gesprochen wurde, die aber im gegenwärtigen Ausstellen kaum noch vorkomme. Es gibt eine Krise des Vorstellungsvermögens von Arbeit, viele Tätigkeiten würden entweder gar nicht als Arbeit angesehen oder es sei zweifelhaft, ob es sich um Arbeit handle.

 

 

März 2021

 

 

Montag, 25. Juli 2016

Agnes Husslein 1, 2 und 3

1. In der Presse übertrifft Almuth Spiegler alles, was ich an Kulturjournalismus bislang so zu Lesen bekommen habe: "Die Rufe aber hören nicht auf, „Kopf ab!“ kreischt ein links-elitistischer Mob wie bei Marie Antoinette. (...) Die Kunst interessiert die „Kritiker“, vor allem geifernde Künstler übrigens, aber weniger als die Buchhaltung." Höchstes Qualifikationserfordernis für MuseumsleiterInnen: "Narrentum", und das um was zu bewirken? Museen zu "Paradiesen" zu machen. Die Qualifikationen in bezug auf Umgang mit dem Personal fallen bescheidener aus: "Dass sie jetzt ihre Feindinnen also nicht in irgendwelchen Belvedere-Verliesen foltern lässt, u. a. dafür hat der vom Kulturminister eingesetzte kaufmännische Ko-Direktor Dieter Bogner zu sorgen...". Guter Hinweis. In österreichischen Kellern passiert ja gerne mal was. (Hier: Die Presse, 20.07.2016)

2. Der Rechtsanwalt der "beurlaubten" Prokuristin des Belvedere-Museum hat Strafanzeige gegen Husslein erstattet. Der Rechtsanwalt ist der Meinung, daß man "von Amtswegen" aus tätig hätte werden müssen und daß das auch für den Minister und das Kuratorium gelte. (Der Standard 24.07.2016)

3. Kaum habe ich gelernt, was Comliance ist, lerne ich auch, daß es Compliance-Experten gibt. Ein solcher sagt im Standard zum "Fall Husslein" ein paar wohltuend einfache Worte. Z.B. daß die "Verdienste" einer Person (worin die auch immer bestehen, und wer immer die festgestellt haben mag) nicht mit rechtlich relevanten Verfehlungen "aufgerechnet" bzw. "entschuldet" werden können. (hier nachzulesen).
3. Die Causa Husslein geht in die nächste Etappe. Am Freitag wurde bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Verdachts der Untreue gegen die amtierende Belvedere-Direktorin erstattet, wie Rechtsanwalt Georg Schima namens seiner Mandantin, der beurlaubten Prokuristin Ulrike Gruber-Mikulcik, auf Standard-Anfrage bestätigt. Ein Tätigwerden hätte laut Schima auch von Amtswegen erfolgen können, war jedoch ausgeblieben. - derstandard.at/2000041713244/Belvedere-Strafanzeige-gegen-Agnes-HussleinDie Causa Husslein geht in die nächste Etappe. Am Freitag wurde bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Verdachts der Untreue gegen die amtierende Belvedere-Direktorin erstattet, wie Rechtsanwalt Georg Schima namens seiner Mandantin, der beurlaubten Prokuristin Ulrike Gruber-Mikulcik, auf Standard-Anfrage bestätigt. Ein Tätigwerden hätte laut Schima auch von Amtswegen erfolgen können, war jedoch ausgeblieben. - derstandard.at/2000041713244/Belvedere-Strafanzeige-gegen-Agnes-Husslein

Mittwoch, 27. Januar 2016

Das "Haus der Geschichte Österreich". Ein ideologischer Staatsapparat

Um ein "Haus der Geschichte" in der Neuen Burg zu realisieren, ist eine Änderung des Bundesmuseen-Gesetzes notwendig. Das Begutachtungsverfahren hat zu neuerlicher Kritik an dem Projekt geführt. Diese Kritik nimmt die offizielle Kostenberechnung in den Blick und mit dem vorgeschlagenen Namen der neuen Institution, auch deren ideologisch-politische Funktion.

Die Rektorin der Akademie der Bildenden Künste Eva Blimlinger schätzt, daß das Gesamtprojekt nahezu das Doppelte (bis 2019) der derzeit genannten Kosten beanspruchen würde und überrascht mit dem Hinweis, daß in der vorliegenden "unrichtigen und fehlerhaften" Berechnung die Umsatzsteuer, die Bauzinsen und die Valorisierung der Kosten fehle. (Hier der vollständige Wortlaut der Stellungnahme). Sie kommt auf über 80 Millionen Euro, wer es nachlesen will, findet ursprünglich 16 Millionen genannt.

Dem Rechnungshof erscheint die ministerielle Kostenberechnung ebenfalls nicht geheuer - schlicht nicht "plausibel nachvollziehbar" und er entdeckt, daß z.B. die Kosten für die Umsiedlung und Neugestaltung der Sammlung Alter Musikinstrumente fehlt. (Vgl. etwa die Berichterstattung in der Tageszeitung Die Presse vom 20.1.2016)

Zur Erinnerung: als Minister Ostermayer überraschend die Realisierung des Hauses der Geschichte ankündigte und den Standort Neue Hofburg festlegte, legte er der Öffentlichkeit nahe, daß der Kostenaufwand für das neue Museum durch die "Redimensionierung" all jener Pläne möglich sein würde, die das Völkerkundemuseum, (heute: Weltmuseum) zur Modernisierung vorangetrieben hatte. Damals wurde sofort nicht nur die Beschädigung des Projekts der Weiterentwicklung eines wichtigen Bundesmuseums kritisiert, sondern auch bezweifelt, daß sich diese simple Rechnung - "aus der Einsparung finanzieren wir einen neues Museum" -, aufgehen könne. Also waren nicht nur die gerade genannten 16 Millionen eine Irreführung, auch das Argument, durch die Verkleinerung einer Ausbaustufe eines Museums ließe sich ein anderes, völlig neues finanzieren, war Trickserei.

Jetzt ist definitiv klar, daß das Planspiel und die Finanzierungs'konstruktion' als Täuschungsmanöver gelten müssen. In Summe kann die Errichtung eines Museums, für das umfangreiche bauliche Adaptionen notwendig sind, die Umsiedlung einer bestehenden Schausammlung, eine lange Planungsphase, Kosten für Personal und für Sammlungsobjekte uam., nicht dadurch finanziert werden, daß man einer anderen Sammlung Teile ihrer Expansion wegnimmt.

Die politische Unredlichkeit ist eine Sache. Eine andere ist das Konzept, oder wenn man so will die "Ausrichtung" des Hauses. Trotz des inzwischen vorliegenden "Papiers" des wissenschaftlichen Beirats, trotz der Veranstaltung von Tagungen, trotz mancher öffentlicher Äußerungen von Politikern oder HistorikerInnen, trotz medial-öffentlicher Debatte ist der identistätspolitische "Auftrag" des zukünftigen Museums noch immer unklar.

Thomas Winkelbauer, Historiker und Leiter des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung sowie Initiator einer Tagung zum Haus der Geschichte, kritisiert in seinem Gutachten (hier im Wortlaut) zum Gesetzesentwurf den Namen, den die Institution erhalten soll, nämlich "Haus der Geschichte Österreich". Einwände liegen auf der Hand. Es war nämlich bisher immer von einem Zeitgeschichtemuseum bzw. Republikmuseum die Rede bei dem man allenfalls aus einsichtigen Gründen (offen blieb, in welchem Umfang und mit welchen Darstellungs-Methoden; das Lieblingswort während der Tagung zum Haus der Geschichte lautete dazu "Tiefenbohrungen") auf die Zeit vor 1918 zurückgreifen müsse. Der nun gesetzlich festgeschriebene Titel macht aber das Projekt zu einem historischen Museum 'Gesamt'-Österreichs und das ist nun mal, so Prof. Winkelbauer wörtlich "Etikettenschwindel".

Ich unterstelle, daß die Wahl dieser Namensgebung der von Anfang an angestrebten Formierung einer - selbstredend positiv erzählten - national-identitären Großerzählung geschuldet ist. Vom Haus der Geschichte Österreich als "Stätte der geistig-kulturellen Identität Österreichs" spricht der Gesetzesentwurf (der gesamte Entwurf hier). Österreich soll ein Museum bekommen, dessen Name eine umfassende Repräsentation seiner Geschichte verspricht. Was anderes als ein Nationalmuseum ist so etwas?

Deshalb ist es doppelt interessant, wie das Verfahren aussieht, in  dem dieses Projekt realisiert wird - von der dezisionistischen ministeriellen Entscheidung daß und wo es realisiert wird und wer dem Beirat vorsitzt, der das Konzept verfasst, über diese Auswahl des wiederum Experten auswählenden Beiratsleiters bis zur nun im Gesetzesentwurf festgeschriebenen sehr bürokratischen, verschachtelten und hierarchischen Organisationsform. Anders gesagt, es geht darum, wer denn nun gleichsam durch diese Institution zur und über "Nation" spricht, sprechen darf, wer seine geschichtspolitischen Vorstellung artikulieren darf, wer kulturelle Hegemonie über das historisch fundierte Selbstbild der Gesellschaft ausüben darf und kann.

Was das in bürokratisch-politische Pragmatik gegossen heißt, kann man im Gesetzesentwurf nachlesen. Der ist in diesem Punkt beispiellos. Mehrere ineinander verschachtelte, aber alle top down besetzte und kontrollierte Gremien binden das Museum - nicht nur jetzt, während der Planung, sondern langfristig - an das Bundeskanzleramt. (Nebenbei: welche(r) seriöse  Historiker(in) oder Museumsfachmann oder -frau wird sich unter diesen Umständen um die Leitung bewerben?). Thomas Winkelbauer dazu: "Der im Entwurf vorgesehene Einfluss des Bundeskanzleramtes auf die Zusammensetzung des vorgesehenen sechsköpfigen Wissenschaftlichen Beirates des Hauses der Geschichte und damit indirekt auf die Nominierung des wissenschaftlichen Direktors bzw. der wissenschaftlichen Direktorin des Hauses der Geschichte erscheint übermächtig: Zwei der sechs Mitglieder sollen vom Bundeskanzler bestellt werden, von denen eines zum bzw. zur Vorsitzenden gewählt werden muss. Der qua Amt dem Wissenschaftlichen Beirat angehörende Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs ist bekanntlich der Leiter einer nachgeordneten Dienststelle des Bundeskanzleramtes, sodass die vom Bundeskanzler bestellten Mitglieder im Wissenschaftlichen Beirat aller Voraussicht nach eine dominierende Rolle spielen werden können."

Damit nicht genug sieht die organisatorische Konstruktion ja vor, daß das künftige Museum Teil der Österreichischen Nationalbibliothek sein soll (etwas was in den hier genannten Gutachten und auch anderswo schon kritisiert wurde. Nachdem schon beim Leopold-Museum die fragwürdige Form einer Stiftung gewählt wurde und damit die relative organisatorische Einheitlichkeit der Bundesmuseen durchlöchert wurde, wird nun eine weitere Form etabliert.

Wie denn eine "fachliche Selbständigkeit" der Leitung (wieso nur fachlich?) des Hauses möglich sein soll, wenn doch budgetär oder etwa personell auch die - übergeordnete? - Leiterin der Nationalbibliothek zu entscheiden oder mindestens gewichtig mitzureden hat, das habe ich entweder noch nicht verstanden oder es ist noch immer nicht geklärt.

Ich habe früher schon das Fehlen einer in der Zivilgesellschaft verankerten Debatte um das Haus der Geschichte bemängelt. Ich finde es ziemlich unerträglich, daß die Verantwortlichen, allen voran der wissenschaftliche Beirat und ihr Vorsitzender keinerlei Bemühen erkennen lassen, bereits jetzt, wo es aus vielen Gründen sinnvoll wäre, sich um die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Erfahrungen zu bemühen. Schon jetzt war das Versprechen, daß es irgendwann, sicher aber erst nach Abschluss aller Vorbereitungen, ein "Partizipationswinkerl" geben werde, der blanke Hohn. Was aber der Gesetzesentwurf dazu vorsieht, spottet jeder Beschreibung. Das sogenannte Publikumsforum wird nämlich vom Bundeskanzler ernannt werden (sic!) wobei fünf (von zwanzig) Mitgliedern einstimmig (!) vom wissenschaftlichen Beirat nominiert werden sollen.

Partizipation ist ein museologisches Modewort der letzten Jahre. Aber nicht nur ein Modewort. Was an Partizipation inzwischen theoretisch entwickelt und praktiziert wird, scheint jedoch an allen Verantwortlichen vorbeigerauscht zu sein. Wie auch sonst bei museologischen und inszenatorischen Schlüsselfragen, zeigen sich Konzept, Beirat, Gesetzesentwurf und Debatte erschreckend unbedarft, schweigsam - oder auch einfach nur kopmplett ignorant.