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Sonntag, 19. Juni 2016

Cosmos Caixa und eine Kritik am Science Center

Cosmos Caixa, Barcelona. Hauptgeschoss mit Ausstellungen
Sogenannte Wissenschaftsmuseen sind ein - nicht mehr ganz neuer - Typ von Museum, der zwei ältere beerbt hat - das Naturmuseum und das Technikmuseum. Wissenschaftsmuseen haben es mit der Popularisierung jener naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu tun, die einerseits tief in unsere Lebenswelt eingedrungen sind, andrerseits in den genannten älteren Museumstypen nicht mehr repräsentiert wurden und konnten. Dabei gibt es ein breites Feld von stark popularisierenden, auf spielerisches Probehandeln und Hands-on-Installationen setzende Häuser auf der einen Seite und harte Wissenschaftsfakten in allgemeines Bildungswissen umsetzend Institutionen.
Dass dabei die Bezeichnung Museum abhanden kommt, ist nachvollziehbar, zumal dieser Typ von Museum meist mit der historischen Dimension von Wissen nichts oder kaum mehr was zu schaffen hat und die Bevorzugung der Interaktion, des Erlebnisses, das Probieren und Experimentieren als Modi der Erfahrung auch nicht zum herkömmlichen Verständnis von Museum passen.

Wissenschaftsmuseum, oder Science Center sind ausnahmslos affirmativ. Ich habe noch keins gesehen, das auch nur ansatzweise gesellschaftskritisches Potential hatte. Sie vermitteln mechanistisch Funktionsweisen, aber ganz unter Ausklammerung der Anwendung, das heißt unter Ausklammerung von Nutzen und Nachteil von (Natur)Wissenschaft. Sie setzen auf Staunen und Überraschung, und selbst wo in sich stimmige Erläuterungen gegeben werden, bleiben diese innerhalb der fachlichen Logik der Beschreibung. Wissenschaftsmuseen sind Agenturen des Vertrautmachens mit dem Fortschritt des naturwissenschaftlichen und technischen Wissens unter Ausklammerung problematischer Fragen etwa der Ressourcen erschöpfenden Energiegewinnung, der Reproduktionsmedizin, der Waffentechnik, des Verkehrswesens, der Kommunikationstechnologien usw.

Cosmos Caixa, Barcelona. Über das Großartige von "Research"
Wissenschaftsmuseen bedienen einen unendlich sich dehnenden Erwartungshorizont einander ablösender Problemlösungskompetenz: was immer sich uns in den Weg stellen könnte, es gibt oder es wird eine Lösung geben. Der medizinische Fortschritt etwa ist ein Fortschritt in der Bekämpfung von Krankheiten. Unerwähnt und nicht dargestellt bleibt, dass er neue, sozial unerwünschte Kollateralschäden nach sich zieht. Mit anderen Worten, wie das Casino gewinnt der naturwissenschaftlich-technische Fortschritt immer. Wo, was meiner Beobachtung selten geschieht, vergangene Technologien thematisiert werden, bestätigen sie ebenfalls diesen Befund. Die Dampfmaschine hat uns die Lokomotive gebracht - aber auch das Schlachtschiff? Der erfüllte Traum vom Fliegen hat uns die Welt erschlossen, aber auch die Bombardements von Coventry, Guernica oder Dresden?
Wer also in ein Wissenschaftsmuseums geht, kann das mit gutem Gewissen tun, in dem er bestätigt werden wird.

Noch nie habe ich ein „technisches“ Museum gesehen, das nur annähernd, wenigstens in einem Teilbereich der verdichteten Formulierung Walter Benjamins (aus: Bucklige Männlein) gerecht zu werden versucht. „Weil aber die Profitgier der herrschenden Klasse an ihr [der Technik] ihren Willen zu büßen gedachte,“ schreibt Benjamin, „hat die Technik die Menschheit verraten und das Brautlager in ein Blutmeer verwandelt. Naturbeherrschung, so lehren die Imperialisten, ist Sinn aller Technik. Wer möchte aber einem Prügelmeister trauen, der Beherrschung der Kinder durch die Erwachsenen für den Sinn der Erziehung erklären würde? Ist nicht Erziehung vor allem die unerläßliche Ordnung des Verhältnisses zwischen den Generationen und also, wenn man von Beherrschung reden will, Beherrschung der Generationsverhältnisse und nicht der Kinder? Und so auch Technik nicht Naturbeherrschung: Beherrschung vom Verhältnis von Natur und Menschheit.“
Stattdessen im Verkehrsmuseum kein Verkehr, aber Fahrzeuge und andere boys toys. Gerätekunde und Gebrauchsanweisungen statt Analyse von sozialer wie kultureller Funktion und Nachhaltigkeit. Statt Problematisieren Heroisieren. Statt Dialektik der Entwicklung Fortschrittsglaube bis zum Abwinken.

Wenn eine riesige Bank, wie die spanische Caixa, die sich massiv im kulturellen Bereich angagiert und einige spektakuläre Museen und Ausstellungszentren errichtet hat, ein Wissenschaftsmuseum einrichtet und dabei sichtlich nicht knauserig vorgeht, wird man nicht erwarten, dass sie vom ideologischen Mantra des Museumstyps „Wissenschaftsmuseum“ abweichen wird. Ohne darüber jetzt weiter zu tüfteln, als zu vermuten, daß das Schmiermittel des gewaltigen Fortschritts ebenso gewaltige kreditfinanzierte Investitionen sind, sage ich mal, das passt also dann schon zusammen, das Interesse der Bank und die Botschaft des "Museums".

"Evolution" im Cosmos Caixa, Barcelona
Caixa Kosmos in Barcelona war aber trotzdem - was heißt hier trotzdem - eine Enttäuschung. Denn der Anspruch ist hoch und die Vermittlung schaffte es, jedenfalls bei mir nicht, mir die diversen Infostationen schmackhaft zu machen. Das Entrée soll nicht mehr und nicht weniger als die Evolution anschaulich machen. Das wird mit einer aufwendigem architektonischen Inszenierung versucht, die einem einen spiralförmig sich nach oben windenden Weg (Fortschritt!) aufzwingt. Irgendwo beim die Spirale nach oben trotten habe ich die Ursuppe passiert. Eine Box mit Sichtfenster. Ursuppe! Schon das Wort wäre einiger Überlegungen Wert. Die Flüssigkeit, aus der alles entstand, auch wir, die Menschen und ich, der Besucher 809.355... Die Ursuppe hatte in etwa die Konsistenz jener Tümpel, die zwar durch das Grundwasser der Donau gespeist wurden aber durch Schlamm, Laub, Samenflug, Sonnenöl, faulendes Holz usw. reichlich trüb geworden war. Na so könnte es ja gewesen sein. Vielleicht bin ich ja aus dem Tümpel entstanden, in dem ich als Kind schwimmen gelernt habe.

Aber ansonst? So viel Aufwand, so viel architektonische Kubatur, so wenig Effekt, nicht mal ein so wenig Schaulust. Das Hauptgeschoß der Information wurde überwiegend durch in sich geschlossen Info-Einheiten bestritten, die wie Inseln im flutenden rum schwammen, verankert in einem ordnenden Rastersystem. Hier hatte ich die größten Schwierigkeiten. Viele der Infos ermüdeten mich oder waren derart unsinnlich und kompliziert, daß ich wenig Lust verspürte, mich wirklich einzulassen. Also wirklich, ich war da so gar nicht das Ideal des forschenden, neugierig, eigenständig sich verhaltenden Besuchers.

Der "Regenwald" im Museum
Die Bank, ihr Logo und ihre Guten Werke - "Obra Social"
Dann gabs aber dann doch noch was. Einen Regenwald. Jetzt mal aber: sensationell! Man stelle sich eine Vitrine in der Größe eines kleinen Häuserblocks vor, vier, fünf Meter hoch, der Grund mit reichlich Wasser bedeckt, jedenfalls so viel, daß da Pflanzen, ganze Bäume wurzeln konnten und allerlei Getier schwimmen konnte - groß, fremd, unheimlich. Periodisch rauschte Wasser auf das ganze Museumsbiotop runter, als hätten sich grade fünf Schlechtwetterprognosen zu einer Protestveranstaltung zusammengefunden.
Man darf um den Regenwald rundrumgehen und ein paar Strandstellen unterirdisch erkunden, wo auch Landtiere hausen. Gleichmütig ziehen die Wassertiere ihre Bahn und die Kinder pressen ihre Hände ans Glas und die Nasen und die Erwachsenen möglicherweise auch.
Die mitgebrachte vierjährige Testperson war nach den diversen komplett überfordernden Wissensstationen von Fischen, Wald, Regen durchaus angetan, letztlich aber von allem Übrigen schon so ermüdet, dass sie nach etwa einer Stunde in Richtung Eisbecher oder Spielplatz geleitet werden musste. Größtes Erlebnis war für sie die historische Straßenbahn, die vor dem Museum, mit der man aus der Stadt zum Museum hochgeliftet wird.

Eigentlich sind Wissenschaftsmuseen eher für Kinder und Jugendliche gedacht. Im Wolfsburger Phaeno habe ich Erwachsene allenfalls als Lehrer und Museumspädagogen getroffen, kaum als Publikum. Das gehört wohl auch zu diesem Typ von Museum. Denn Kinder und Jugendliche eignen sich die avanciertesten Technologien schnell und spielerisch an und Nutzen sie gleichsam unschuldig. Sie wollen nicht behelligt werden mit den sozialen oder ökologischen Implikationen von Wissenschaft und Technik, sie konsumieren deren kurzweilige, Spaß machende Resultate. Und sie sind die Verbraucher, Käufer und Anwender der Zukunft, der Zukunftsmarkt.

Und genau so funktionieren diese Häuser auch. Ich habe die Jugendlichen dort überwiegend als zerstreute, rasch die Stationen wechselnde, am Spiel und Probieren interessierte Nutzer kennengelernt und ich habe mich genauso verhalten. Phaeno bedient das - Caixa Cosmos ist paradoxerweise, so schien mir, zu ernst, zu penibel, zu umständlich. Es muss ja möglichst alles einfach gehen, unterhaltsam ablaufen und schnell Bestätigung bringen. Falsch machen kann man eigentlich nie etwas. Die Experimente funktionieren, nur wenn man sich ganz patschert stellt, funktioniert etwas nicht. Und das Resultat darf nicht 0,74 lauten, es darf keine abstrakten Resultate geben sondern Erlebnisse: ein sich kräuselndes Wasser sein, eine fliegende Metallkugel, eine aufsteigende Wolke, ein heller Blitz…

Caixa scheint für ihre Projekte historische Industrie-Bauten zu bevorzugen, und macht sich dadurch auch Verdienste um die historische Architektur. Der Aufwand, der getrieben wird, ist enorm. Das Caixa Forum, ebenfalls in Barcelona, am Fuße des Hausberges gelegen, von dem das gewaltige Nationalmuseum Katalanischer Kunst herab einschüchtert, nutz eine aufgelassene Textilfabrik, die eine für Barcelona typische historistisch-synkretistische Architektur hat mit eigenem Reiz. Hier geht es nur um Kunst, von avantgardistischen Ausstellungsexperimenten bis zu kunst- und kulturhistorischen Ausstellungen in Kooperation mit großen Museen. Hier gibt es entsprechende und ansprechende Räume für unterschiedlichste Ausstellungsformate und für Veranstaltungen. Ich habe hier eindrucksvolle, interessant gestaltete Ausstellungen gesehen und die neue Erschliessung des Komplexes mit direktem Zugang zur Metro, neue Räume für Empfang, Gastronomie usw. machen diesen Komplex zu einem angenehmen Aufenthaltsort.

Auf der Webseite der Caixa ist den Namen der Institutionen wie ein Namensteil „Obra social“ vorangestellt, wörtlich „soziales/gesellschaftliches Werk“. Die unübersehbar breite und diversifizierte Aktivität der Caixa geht weit in den Sozialbereich hinein oder verbindet Sozialpolitisches mit Kulturellem. Mit ihrer Stiftung, der weltweit größten im Kulturbereich, agiert die Caixa wie ein Sozialstaat. New brave world, Zukunft kapitalistischen Politikersatzes und oder eine beachtliche private Verantwortung?

Donnerstag, 21. November 2013

Phaeno


Meine zweite Gelegenheit, das Phaeno in Wolfsburg zu sehen, war kurz und enttäuschend. In der "Erlebnislandschaft", wie das die Dame an der Kassa nannte, um meinen ICOM-Ausweis für nutzlos zu erklären und mir 12 Euro abzuknöpfen, war ich vor allem generationell deplatziert. Abgesehen von Aufsichtspersonen und Schülergruppen begleitenden Lehrern lag das Höchstalter der Besucher um etwa zwei Drittel unter meinem.
Mich haben interaktive Technik- oder Science Museen nie besonders angezogen. Der Informationswert ist sehr begrenzt, der gesellschaftliche und historische Kontext ist nahezu lückenlos ausgeblendet, der Spaßfaktor für mich nicht wahnsinnig groß und die praktische Bedeutung gering - meinen Fernseher verstehe ich ja doch nicht, und nicht nur den.


Anders als bedeutungsoffene Museumsarrangements bildet die Aneinanderreihung von Experimentierstationen weder einen durch Verknüpfungen generierten oder gar übergreifenden Sinn noch lassen die Erläuterungen Spielraum fürs Entdecken und Erfahren. Meist bestanden die erklärenden Texte aus drei oder vier, jeweils numerierten, Schritten. Der Text weist einen an etwas zu tun, dann zu beobachten, was passiert, um dann zu erklären warum es passiert und um welches physikalische usw. Phänomen es sich handelt. Es fehlen nicht nur Hinweise auf gesellschaftliche Anwendbarkeit oder gar deren positive und negative Effekte, es fehlt interessantwerweise auch die Iformation über immanent-technische Brauchbarkeit und Nützlichkeit. Letztlich bleibt die pure Affirmation von Technik und technischer Machbarkeit.
Als Besucher ist man hier der Pawlowsche Hund, der nach einem Reiz-Reaktions-Schema etwas in Gang setzt, was streng genommen nur im Text stattfindet. Denn Anziehungskraft oder elektrische Energie kann man nun mal nicht "sehen".
So bleibt ein mehr oder minder unterhaltender spielerischer Effekt mit Verblüffüngs- oder Überraschungsqualität. Dem scheint man auch nicht mehr so ganz zu trauen, denn mir schienen gegenüber dem ersten Besuch die rein spielerischen Installationen, wie diverse Kugelbahnen zum selberbauen, wesentlich mehr geworden zu sein.



Das Haus war voll, um 10 Uhr Vormittag, und nach einer Zeit des ziellosen Flanierens, Entdeckens und Beobachtens - nicht nur der Installationen, sondern der Atmospähre im Haus -, machte ich mich in die karge Cafeteria auf. Da gabs keinen Kaffee, technisches Gebrechen an beiden Maschinen. Wie empfohlen, kam ich eine viertel Stunde, dann noch mal eine halbe Stunde später. Vergeblich. Kein Kaffee. Eine Experimentieranordnung?
Vielleicht liegt meine Unlust am Phaeno auch an der Architektur. Die wurde bei Eröffnung hoch gelobt einschließlich der städetbaulichen Funktion als eine Art Tor zur Stadt. Gerade als das nehme ich den schwebenden Betonkörper nicht wahr, denn er steht als solitär und ohne Verbindung zu benachbarter Verbauung auf einem Un-Ort, zwischen Bahngeleisen und zwei Straßenzügen, die man überquert, wenn man in die Fußgängerzone will. Unter dem Bau durchzugehen ist weder nötig noch einladend, vor allem in der Dämmerung oder Nacht. Das Bauwerk stellt einen fließenden, unregelmäßigen, höhlenartigen Raum dar, der sich aus verschieden großen Volumina zusammensetzt und durch farbiges Licht zusätzlich gegliedert wird.
Museumsspezifische Qualitäten (in diesem Fall: das Phano-Erlebnis codierende und formierende) gibt es kaum, dafür viel an manieristischer Selbstverliebtheit im Detail (etwea ein Panoramafenster, bei dem es aber in beiden Blickrichtungen nichts zu sehen gibt). Was sich aufdrängt ist die Atmosphäre aus weitgehend im Dunkeln liegenden Sichtbeton und deren Brutalismus überspielendem Licht. Geht das zu weit, wenn ich vermute, daß es darum geht, eine immersiv-regressive Atmosphäre herzustellen, eine "kindgerechte" Spielhöhle bereitzustellen, in der es nicht um kognitives Lernen oder gar diskursive Erfahrung, sondern um Wohlfühlen und Spass haben geht?
Den Kaffee bekam ich dann in der Fußgängerzone.