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Stadtmuseen leisten sich kleine Identitätskrisen. Das zeigten zwei Tagungen, die in jüngerer Zeit in Berlin und in Graz stattgefunden haben. Das Selbstwertgefühl dieser Museen schrumpft, wenn sie sich mit anderen, von Medien und Publikum verwöhnteren Museumstypen vergleichen und auch angesichts der schwindenden finanziellen Mittel der öffentlichen Hand. Davon sind nun gewiss nicht nur Stadtmuseen betroffen, aber es ist vielleicht kein Zufall, daß das erste bedeutendere Museum, das in Deutschland geschlossen werden sollte, ein Stadtmuseum war. Das Altonaer Museum in Hamburg war eins jener typischen lokalhistorischen Museen, die sehr heterogene Sammlungen haben und die sich chancenlos glauben im Wettbewerb gegen neue Gründungen und Konzepte.
Hamburg etwa forciert das Stadtmarketing, und das mit beträchtlicher Auswirkung auf traditionelle Institutionen (Museen, Theater, Bibliotheken, Kinderkultur), denen Einsparungen bis an den Rand des Verkraftbaren zugemutet werden, während spektakuläre, zum Teil private Initiativen, sehr hohe Summen von der Stadt bekamen. Das betraf und betrifft auch weit über Hamburg hinaus bekannte und wirkende Einrichtungen, wie das Deutsche Schauspielhaus oder die Kunsthalle. Am Beispiel Hamburg wird auch klar, daß es nicht ums Sparen geht, sondern um ein anderes Verteilen der Mittel als bisher. Die prestigeträchtige „Elphilahrmonie“, die eine neue kulturelle Identität Hamburgs als ‚Musikstadt’ beschaffen soll, wird Unsummen bis zur Fertigstellung verschlingen. Die privaten Museen, Schiffahrtsmuseum und Ballin-Stadt, haben sehr hohe Anschubfinanzierungen bekommen und jetzt dürfte die Stadt große Mittel zum Ankauf einer privaten Sammlung zeitgenössischer Kunst locker machen. An traditionellen Institutionen wird der Rotstift angesetzt.
Hamburg ist sicherlich ein besonderer Fall – noch. Man kann an ihm lernen, wie gleichgültig und rücksichtslos eine komplett von wirtschaftlichen Imperativen beherrschte Politik werden kann. Und wie sich Hand in Hand damit ein ideologischer Wandel vollzieht, weniger aufmerksam beobachtet, weniger scharf analysiert als medienträchtige ‚skandalisierbare’ Einsparungsbeschlüsse. Lange aufgebaute kulturelle Vereinbarungen brechen weg oder werden mit einem Handstrich weggewischt und neue etabliert: der ideologisch fragwürdigen Schifffahrtssammlung einen prominenten Platz in der boomenden Speicherstadt einzuräumen und gleichzeitig die traditionellen historischen Museen auf Hungerration zu setzen, ist mehr als nur als ‚Sparsamkeit’, sondern eine zur ökonomischen parallel laufende ideologische Umverteilung.
In einer solchen Situation sind die Institutionen gezwungen, ihre Daseinsberechtigung zu überprüfen, unter Umständen neu zu formulieren und ihre Bedeutung für ihr Publikum praktisch zu beweisen. In Hamburg ist immerhin eine anhaltende Mobilisierung gelungen, die zu einer Lockerung der Sparauflagen – nicht zu deren Aufhebung – geführt hat. Noch interessanter war, daß sich jener ‚Bürgersinn’ formiert hat, dem ja die meisten der erwähnten Einrichtungen ihre Gründung verdanken. Mehr noch und weitaus freier als die der Administration unterstellten Einrichtungen selbst, können Bürgerforen zu herausfordernden Kontrahenten der Politik werden. Das zeigte sich grade an der Entwicklung der Stiftung historischer Museen (zu der das Altonaer Museum gehört und auf das der Sparimperativ ‚verteilt’ wurde, um das Altonaer Museum – vorerst – zu ‚retten’), wo sich ein offenbar nachhaltiger ziviler Ungehorsam etabliert hat. Daß nun die Koalition aus CDU und Grünen in der Stadtregierung gescheitert ist, hat mehrere Gründe, aber das Desaster der Kulturpolitik dieser Koalition hat eine Rolle gespielt. Grund zur Hoffnung?
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Aus der Hamburger Entwicklung lassen sich eine Reihe von Lehren ziehen, keine aber, wie mir scheint, die eine Antwort auf die eingangs benannte ‚Krise’ der Stadtmuseen bietet. Das Altonaer Museum war um 1900 eine inhaltlich, medial und methodisch hochinnovative (ideologisch dagegen problematisch durchwachsene) Gründung, die weit über die Region und Deutschland hinaus Modellcharakter hatte. Von der Resonanz, die das Museum damals hatte, kann man sich kaum eine Vorstellung machen, der enorme Anfangserfolg ermöglichte sogar eine erhebliche, der Gründung rasch folgende bauliche und sammlungspolitische Erweiterung. Das Museum der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts muß ein vitaler sozialer und kultureller Umschlagplatz gewesen sein. Auf Kongressen wurde es als nachahmenswertes Beispiel herumgereicht und sein Leiter und ‚Erfinder’ wurde von weit her eingeladen, um das Museumskonzept zu erläutern.
Was es heute im Altonaer Museum zu sehen gibt (ich war erst vor wenigen Monaten und zufällig wenige Wochen vor dem politischen Entscheid, es mit Jahresende zu schließen, dort), erinnerte an diese Vitalität nicht mehr. Das war ein spärlich besuchtes Haus, durch dessen vielfältige Sammlungen kein rechter Zusammenhang, keine rechte Haltung mehr erkennbar war. Manche der Sammlungen der Museums-Gründungszeit hatten sich wie Denkmäler ihrer selbst erhalten, interessant anzuschauen für jemanden wie mich, der an der Geschichte von Museen interessiert ist. Sperrige, unklare Übergänge, offensichtlich fragmentierte Ausstellungsteile vermittelten den Eindruck, daß das Museum ein Notprogramm fuhr, was dann auch durch eine kleine Ausstellung bestätigt wurde, in der der politische Umgang mit dem Museum direkt thematisiert wurde.
Einerseits war das eine schon recht verzweifelte Aktion, in die die Ohnmacht des Museums eingeschrieben war, direkt aus dem Museum heraus gegen die Förderpolitik zu polemisieren. Andrerseits warf der in Form einer Ausstellung erhobene Notschrei der Kuratoren die Frage auf, warum das Museum offenbar alleine war oder sich alleingelassen fühlte und (bis dahin) keine öffentliche Mobilisierung angestoßen hatte.
Diese setzte ein, als es ernst wurde und der alle überraschende Schließungsauftrag erteilt wurde - jetzt mobilisierten das Museum u n d die Bevölkerung. Und mit Erfolg. Jetzt entstand jene zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit, die auf die Bedeutung des Museums hinwies, zum Beispiel auf die Funktion des Museums als lokal bedeutsamer kultureller und sozialer Raum, wo die Erinnerung an Altonas kommunale Selbständigkeit (zur Zeit der Museumsgründung) in Form eines wiedererwachenden lokalen Geschichtsbewußtseins erneuert wurde. Mit welcher Nachhaltigkeit das alles ausgestattet ist, das wird man sehen.
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Wenn ich über Stadtmuseen nachdenke und über Ihre Besonderheit, also auch darüber, worin ihre ‚besondere’ Krise denn liegen könnte, dann denke ich am ehesten genau an diese Wechselbeziehung von Museum und gesellschaftlichem Umfeld. Jedes Museum hat sein Publikum, hat es vielleicht organisiert, in Museumsvereinen, hat möglicherweise Veranstaltungen, Events usw., um es an sich zu binden, seine Loyalität zu pflegen. Aber bei keinem Museumstyp ist diese Wechselbeziehung so zwingend, wie bei den Stadtmuseen.
Einer meiner kunsthistorischen Lehrer hat das Wiener Kunsthistorische Museum (und er meinte es sicher nicht herablassend), ein „gutes zweitklassiges“ genannt. Gemeint war damit die Sammlung, ihre Bedeutung im Kanon der kulturellen Werte. Da hat dieses Museum nun mal nicht jene Dichte an erstrangigen Gemälden und nicht jene Repräsentativität der diversen Epochen und Schulen wie etwa die National Gallery in London oder der Madrider Prado.
Was ich damit sagen will, dieser Museumstyp hat ein Bezugssystem, das außerhalb jeder politischen Topografie liegt und das allein seine Situierung im Feld der kulturellen Werte bestimmt. Selbstverständlich ist es (auf eine widersprüchliche Weise) das ‚österreichische’ (und damit eine Art ‚nationales’) Museum, aber es könnte seinen ‚Platz’ wechseln, ohne daß dessen Bedeutung Schaden nimmt. So wie es ja auch neuerdings geschieht und der Louvre (Teile davon) nach Dubai geht oder die Eremitage nach Amsterdam. Das ist denkbar. (Das wäre auch bei einem technischen Museum denkbar, bei einem naturhistorischen usw.).
Sich das Musée Carnavalet nach Stockholm oder das Amsterdams Historisch Museum nach Dresden versetzt zu denken, wäre blanker Unsinn. Diese Museen sind mit dem ‚Ort’, an dem sie sich befinden in einer so vielfältigen Weise verbunden, daß sie auch nur an diesem Ort Sinn machen.
Umgekehrt kann man sich fragen, ob man es dem ‚Ort anmerken würde’, wenn diese Museen einfach verschwinden würde – würde man es Paris oder Amsterdam anmerken, oder Altona? Oder Wien? Andersrum gefragt: spiegeln diese Museen etwas von den für ihre Existenz notwenigen sozialen, topografischen, historischen, politischen usw. Kontexten dem Ort zurück, der Bevölkerung, ihrem Publikum?
Wenn ich in Paris bin, versäume ich es möglichst nie, ins Musée Carnavalet zu gehen. Das hat sehr viel mit einer besonderen Art von Nostalgie zu tun, mit der einem Geschichte hier entgegentritt. Das von einem Massenpublikum verschonte, ein wenig verträumte, ausstellungstechnisch altmodische Museum, habe ich als ein Puppenhaus der Vergangenheit in Erinnerung. Es ist ein Gang durch die bekannte Enfilade der kulturgeschichtlichen Epochen, die mit der für viele Stadtmuseen typischen Exponatklasse instrumentiert wird, die aber auch eine ihrer Hypotheken ist. Möbel und Kleider, Kandelaber und Degen, Tafelsilber und Memorabilia, Gemälde und Stiche, Rüstungen und Porzellan, Ansichtskarten und Schreibtische, Geräte und Uhren...
Der leise Ton der vergangenen und beruhigten Zeiten liegt auch über jener Epoche, die so ganz und gar das Gegenteil von ruhig und beherrschbar war. Die wenigen Räume, die der Großen Revolution gewidmet sind, erzählen sie aus der Perspektive der kleinen Dinge. Die Aktentasche Bareres, die Bastille als Nippes, der Abbruch einer Kirche als Kabinettstück. Die Revolution – ein kunstgewerbliches Arrangement mit nostalgischem Charme.
Nicht viel anders ging es mir kürzlich in Amsterdam. Auch dieses Stadtmuseum besuche ich immer und immer wieder. Und jedesmal bin ich von der komplizierten Wegführung veblüfft und eingeschüchtert, die einen durch vier (oder mehr?) Geschosse führt, auf und ab, bis man jede Orientierung verwirrt hat und sich mit eiserner Entschlossenheit dem Leitsystem ausliefern muss, will man nicht verloren gehen zwischen den Gruppenporträts des ‚Goldenen Zeitalters’, der Darstellung der langsamen ‚Landnahme’ der Stadt an der Amstel oder der bemerkenswert ausführlichen Dokumentation der sozialfürsorglichen Institutionen der historischen Zeit.
Für hartnäckige Museumskunden läßt sich, wenn man zwischen den Zeilen liest und die fordernde Qualität der Gemälde gegen den Strich liest, manches erfahren über die sozialen und politischen Grundlagen des Goldenen Zeitalters, darüber, daß etwa fünf Familien die Niederlande ‚regierten’, oder daß in Amsterdam die größte Schiffswerft der Welt stand, die potenter war als das Arsenal in Venedig wo man immerhin zeitweilig ein Schiff pro Tag fertigstellen konnte. Da kann man, wenn man scharf aufpasst, weit auseinanderliegende Informationen zusammenfügen, etwa, daß die mindersten, gesundheitsschädlichen Arbeiten in der Werft von Waisen verrichtet wurden, die gegen Geld vermietet wurden. Das relativiert dann ein wenig den Glanz der Münzen, die den Altruismus des Bürgertums auf großformatigen Gemälden feiern.
Nur – was hat das mit Amsterdam zu tun?
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Ist das die Stadt, die ich besuche? Ist das die Stadt, in der die Amsterdamer leben. Schön, ganz am Schluß des Rundganges (wenn man sich bis dahin nicht im Labyrinth der Räume verheddert hat), da kommen die vor, die Amsterdamer, in ihrer ethnischen, dem Kolonialismus geschuldeten Buntheit, mit ihren Geschichten, ihren Ansichten, ihren Sorgen. Gleich daneben geht’s dann auch (ein ganz klein wenig) um Drogen, um den Verkehr, die Stadtplanung und – Ajax Amsterdam. Ich lerne (in einem Kurzfilm, der zugleich ein schönes Stück Kulturgeschichte des Fußballs darstellt), daß das ‚niederländische System’ den Spitzen-Weltfußball prägt. As you may know: Bayern München, FC Barcelona...
Das wahre Stadtmuseum finde ich (diesmal) in einem ganz anderen Museum, das allerdings auch ‚Stadt’museum heißt, aber eigentlich ein (eins der bedeutendsten) Museum Moderner Kunst ist. Die nagelneue Direktorin hat sich entschlossen, die wegen Umbau und neuem Zubau jahrelange Schließzeit des Stedelijk Museum kurzfristig zu unterbrechen. Es gibt im Haus eine Reihe von Installationen, den großen Saal im Stockwerk hat Barbara Kruger mit einer ihrer monumentalen Textinterventionen erobert. In ihrer Nachbarschaft gibt es einige interessante, witzige, bemühte Reflexionen des Museums als solches. Roman Ondrak läßt die Besucher vermessen, Luise Lawler hat aus den Namen ihrer männlichen Künstlerkollegen ein irrwitziges Vogelgezwitscher collagiert und Willem de Rooij hat, nachdem er das 1993 schon mal gemacht hat, 2010 noch einmal die leeren Ecken der Ausstellungssäle fotografiert...
Im Erdgeschoß aber sind unter dem Titel
Monumetalism Arbeiten von in Amsterdam lebenden, jungen Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Was für eine Ausstellung! Keines der großen und brennenden Zeitthemen wird ausgespart, Nationalismus, die Ökonomie des Kleptokapitalismus, Alterität und Identität, die Traumata der Kolonialzeit, postkommunistische Erinnerung. Und all das in ästhetisch wie intellektuell fordernden, vielschichtigen Arbeiten. Eine Ausstellung, die derart dicht an der Zeit, so ermutigend reflexiv agiert, habe ich noch nie gesehen.
Sicher, die Ausstellung könnte auch in München oder in Mailand gezeigt werden, aber es ist, jedenfalls war es das für mich, auch eine Ausstellung, die etwas über die Stadt Amsterdam (vielleicht über Stadt überhaupt) aussagte: über die Kraft und das (künstlerische) Potential, Gegenwart analytisch zu erfassen und zur Diskussion zu stellen.
Das hier
war das Amsterdamer Stadtmuseum. So stelle ich mir ein Stadtmuseum (auch) vor.
Und noch in einer anderen Hinsicht war die Ausstellung bemerkenswert.
Monumentalism verhandelte, wie ihr Untertitel bedeutete, Geschichte und nationale Identität in der zeitgenössichen Kunst und – sie bestand (als ein jährlich wiederkehrendes Ausstellungsritual) aus den „Proposals for Municipial Art Acquisitions 2010“, war also die Ausstellung, die, von der Stadt Amsterdam gefördert, die – öffentlich sichtbare und zur Diskussion gestellte – Grundlage der Erwerbungen des Stedelijk Museum 2010 bildete.
Die Ausstellung realisierte also ein Stück weit jene einzigartige Beziehung von Museum, Ort und Öffentlichkeit, die Stadtmuseen womöglich ausmacht – und das
aktiv und von sich aus und auf den Ebenen Werk, Zeitbezug und Kommunikation zugleich.
So einfach / schwierig kann’s sein...