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Dienstag, 29. Mai 2018

Das "Alte Zeiten - Museum" in Hohenems

Die kleine Vorarlberger Stadt Hohenems ist eine Museumsstadt wie keine zweite. Ein Nibelungenmuseum gibt es da, ein Schubertmuseum, ein "Museum auf Zeit", ein Irmgard-Seefried-Museum und nicht zu vergessen natürlich das Jüdische Museum. Das ist eine sehr unvollständige Aufzählung. Statistisch ist Hohenems vermutlich die Gemeinde mit den meisten Museen pro Bewohner in Österreich.
Und jetzt das "Alte Zeiten - Museum". 2016 wurde es gegründet. Und das kam so.
Da wo der Emsbach aus den Bergen kommend langsam flacher wird und sich durch unregelmäßig stehende Häuser schlängelt, verläuft etwa dem Bach entlang die Sägerstraße. Und da steht ein altes Haus. Das verfiel zusehends und niemand war an Kauf und Erhalt interessiert und da kann man ja so was auch gleich ganz abreissen und den Autos Gelegenheit geben etwas rasanter die Kurve zu kratzen.
Also erließ die Gemeinde einen Abruchbescheid. Das störte aber Viele, die in der Umgebung des Haus wohnten, schließlich war das ein über 400 Jahre altes Gebäude.
Wie bringt man einen Bürgermeister davon ab, ein Haus abzubrechen, einen Bescheid zurückzuziehen? In einer kleinen Gemeinde redet man direkt mit ihm. Und wo findet man ihn mit Sicherheit? In der Kirche. So wurde mir die Geschichte jedenfalls erzählt. Und der Bürgermeister meinte, wenn ihr mir ein schlüssiges Konzept bringt, hebe ich den Bescheid auf.
Und die Anrainer brachten ihm ein Konzept und schlossen sich zu einem Trägerverein zusammen und begannen in ehrenamtlicher Arbeit mit dem Rückbau und der Sanierung des Baues. Auf die Art, wie man das an vielen Orten in Vorarlberg sehen kann - in sehr subtiler, zurückhaltender Bastelei, die das Neue kenntlich läßt und das Alte nicht unbedingt vollständig rekonstruiert oder auch halb beschädigt stehen lassen kann.
Und was macht man un mit einem alten Haus, in dem ja niemend wohnen will oder wohnen solll? Man richtet ein Museum ein. Also schon ein Alibi für etwas anderes. Ein Museum, um das Haus erhalten zu können. Da hätte vieles schief gehen können. Zu amateurhaft, zu ehrgeizig, zu unpassend das Thema.


Aber so kams nicht. Das kleine Museum (im Erdgeschoss) wurde gestalterisch ebenso klug errichtet, wie die Sanierung des Hauses erfolgte. Mit großer Zurückhaltung, Sparsamkeit, Einfachheit. Erzählt wird die Geschichte der Stadt, und wenn man wenig Platz hat für Grafiken, Fotografien oder Texte, dann konzentriert man sich auf strukturelle Fragen. Zum Beispiel auf "Herrschaft und Untertanen".
Die gestalterische Schlichtheit und die inhaltliche Knappheit sind in diesen Räumen sehr angenehm zu konsumieren, es macht Spaß, sich mal nicht mit 3000 Objekten ermüdend herumschlagen zu müssen, sondern in kurzer Zeit dichte Informationen zu bekommen.

Nun hat ja Hohenems schon ein Museum, das von der Gemeinde und ihrer Geschichte handelt - das Jüdische. Aber dort liegt der Schwerpunkt auf der Jüdischen Gemeinde, ihrer Gründung, ihrer Geschichte, ihrer Vertreibung. Man kann das "Alte Zeiten - Museum" also als eine Art von Ergänzung lesen, als eine Erweiterung. Beide Museen zusammen ergeben nun auch so etwas wie ein Stadtmuseum.
An diesem kleinen Museum sieht man, wie wenig es auf Geld und Ressourcen, auf Größe und Repräsentation ankommt, sondern auf Engagement, Ideen, Konzepte. Es ist ein schönes Beispiel, daß ehrenamtliche Museumsarbeit nicht von der Hypothek der Amateurhaftigekeit beschädigt oder erdrückt werden muß.
Ich weiß nicht, ob an einen weiteren Ausbau des Hauses und des Museums gedacht ist, wenn ja, dann würde das sich als kleines, feines Stadtmuseum weiter entwickeln. Vielleicht auch als Ort, wo man über den Ort und seine Entwicklung redet.




Donnerstag, 8. November 2012

Das Herzl-Museum in Jerusalem

Im August 1949 wurde der 1904 verstorbene und auf dem Döblinger Friedhof in Wien bestattete Theodor Herzl nach Israel überführt und in Jerusalem auf einem nach ihm benannten Hügel beerdigt. Etwas mehr als ein Jahr nach der Gründung des Staates Israel wurde dieser "Founding Father" der Israelischen Nation im Zentrum des jungen Staates beerdigt (gemeinsam mit Golda Meir und Ytzhak Rabin, inmitten eines Militärfriedhofs) und monumental gewürdigt, mit einer öffentlichen Grabanlage in einem Park von dem aus man auf die Stadt sieht. Herzl war nicht der einzige und nicht der erste, der die Idee eines jüdischen Staates propagierte, aber er verfolgte die Idee erfolgreich und hartnäckig, trotz unzähliger diplomatischer Abfuhren. Und so gilt er als der Vater des Zionismus. Denn er löste eine Bewegung aus, die die Idee mit ihm trug und wirkungsvoll verbreitete - bis die Gründung eines Staates Israel tatsächlich 1948 gelang.

Am Fuß des Hügels und am Rand des Parks, in dem Herzl bestattet ist, liegt ein kleines, in dieser Form 2005 errichtetes Museum, das ihm und seinem Lebenswerk gewidmet ist. Es besteht aus einer Abfolge Lebensstationen Herzls szenisch andeutender Räume, die man nacheinander betritt und die chronologisch die Biografie der Person und der Idee "erzählen". In jedem dieser Räume sitzt man wie in einem Kino oder Theater, z.B. inmitten von Teilnehmern des ersten Zionistischen Kongresses, der in Basel stattfand, in einem im Architekturstil des späten 19. Jahrhunderts angedeuteten Raum mit sichtlich fiktionalem Personal - die stummen Zeitzeugen, unter die man sich gesellt, des Kongresses sind aus von innen erleuchtetem Kunststoff.




Die dreidimensionale Geschichtskulisse, die, wie gesagt, nicht abbildungsrealistisch Authentizität erzeugt oder gar die illisionistische (und gespenstische "Lebens-Echtheit" eines Wachsfigurenkabinetts anstrebt, sondern ihr Theatralisches klar zu erkennen gibt, ist tatsächlich Bühne. Aufgeführt werden für das auf Stühlen sitzendem "Museums"Publikum Theater und Film. Genauer gesagt, ein Film, der die Vorbereitung und dann die Aufführung (ausschnittsweise, versteht sich) eines Theaterstückes zeigt, in dem Herzl auftritt. Ein Regisseur, der Herzl-Darsteller und eine Herzl-Expertin diskutieren über ihn, seine Idee und sein Leben, über die Darstellbarkeit seiner Lebensgeschichte, über die theatralische Umsetzung seiner Idee. Die Darstellung springt immer wieder zwischen Probe und Diskussion hin und her um schließlich zur tatsächlichen Aufführung zu kommen.



Während der Beginn der Raumabfolge mit seiner klischeehaften Darstellung eines Café- und Operetten-Wien - man sitzt auf Kaffehausstühlen an den typischen runden Tischchen mit anderen "Gästen" (aus Plastik) -  läppisch wirkte, wurde mit dem Auftakt der (dann alle Räume wie ein roter Faden durchziehend) Filmzuspielung die trickreich gebrochene Repräsentationstechnik immer deutlicher. Die schöne Idee, das Museum einmal wirklich als Theater zu begreifen, womit das Gemachte der Geschichte und die Protagonisten und Autoren der Erzählung sichtbar wurden, allein ist schon sehr intelligent. Theater im Film, noch einmal gespalten in Probe und Aufführung und vorgeführt in "historischen Schauplätzen", auf denen man in der Rolle des Theaterzuschauers und Teilnehmers am Ereignis ebenfalls "doppelt anwesend" war, machen das Herzl-Museum zu einem trickreichen Spiegelkabinett. Damit nicht genug. Einige Feingriffe spitzten das Spiel der oszillierenden Repräsentationesebenen noch zu. Es wurde die Rolle der Bühnentechnik bei der Erzeugung von Bildern, Affekten und Illusionen eingebaut, die "Spaltung" des Schauspielers, der plötzlich aus der ernsthaften Rolle heraustrat, um sich über seinen kratzenden Kunstbart zu beschweren oder die Erzeugung von ethnischen und sozialen Konventionen, als das Leading Team nach einer Szene sich auf den Tausch eines viel zu klischeehaften Darstellers zu einigen.

Dabei war das alles auch noch ziemlich informativ - für mich, sage ich gleich, der sehr wenig über Herzl wusste - und alles andere als hagiografisch. Von Personalmuseen erwartet man die Würdigung einer Person. Über Tote nichts Schlechtes ist das Motto all dieser Stätten. Mit Aufwand hat man den Geburts-oder Sterbeort, den Ort der Entstehung eines bedeutenden Werkes, Ereignisses etc. ja nur deswegen erhalten und mit einer einschlägigen Tafel "Hier...!" versehen, weil der Verblichene längst ins patriotische Pantheon einer Nation eingegangen war, und ein Museum diese Würdigung verpflichtend machen und aufrecht erhalten kann. Doch hier, an der Herzl-Weihestätte, seinem Grabhügel in Jerusalem, der Hauptstadt einer Nation, war der Ton respektvoll und anerkenned aber der Text ließ auch sich auch klar über Widersprüche der Idee und Schwächen der Person aus. Auch im allerletzten Teil, wo das moderne Israel, also der Staat wie er sich seit 1949 entwickelt hat, vor dem gleichsam personifizierten Geist Herzls zur Prüfung antreten muss, wurden nicht nur die Glanzlichter der modernen Gesellschaft angesteckt (in einem extrem schnellen Bilderrap, der manchmal nur die Qualität eines touristischen Werbefilms hatte), sondern klar die geschichtlich ererbten und weitergeschleppten Widersprüche artikuliert, mit dem Tenor: Israel ist ein unvollendetes und - noch - unvollkommenes Projekt. Schade nur, daß dem Film eine jener breiig-wabernden Pathosmusiken unterlegt war, wie ich sie vor allem aus patriotischen Hollywood-Historienfilmen kenne. Das verpickte und verkleisterte wie zäher Honig, was ohne diese immersiv-verblödende Klangwatte schärfer und kontrastreicher gewirkt hätte.


 Das ist aber doch kein Museum, wird mancher einwenden. Dochdochdoch! Die Authentizitätsfetischisten kommen schon nicht zu kurz. Zwei Räume waren mit "echten" Versatzstücken aus Herzls Nachlass, ebenfalls ambiental, gestaltet, mit einigen technisch dezenteren Videoeinspielungen, ansonst aber ganz und gar den Museumskonventionen entsprechend. Ich glaube mich zu erinnern, daß das niemanden dort zur Anbetung einer durch Dinge vermittelten Epiphanie des großen Herzls verleitet hat aber auch nicht, daß man entsetzt sein konnte über eine entwertende Relativierung der Exponate zwischen so viel "Fiction". Die gute alte "Konträrfaszination", sie wirkt wirklich, auch hier, aber in beide Richtungen. Die musealen Räume waren wie Ruhepole Orte der Konzentration und des Eingedenkens  - mit ihren einerseits beliebigen (Schreibzeug, Wanduhr, Schreibtisch, Brille...) andrerseits die Spur der Person anrührend bewahrende Reliquien.

Der "Regisseur"

 Wer oder was spricht hier? Bis zuletzt ließ einen das Setting nicht aus seinem Spiegelkabinett, bis man mit der offenen Frage nach Herzls Lebenslauf als "märchenhaft" noch einmal auf die (mindestens) Zweideutigkeit von Geschichte, Geschichten, Erzählung und Erzähler gestossen und - entlassen wurde.

Das Herzl-Museum werde ich als inspirierend und gewitzt sich an Popularisierung versuchenden Ort in Erinnerung behalten, der sich und seine Besucher nicht als Dumm verkauft und nationales Identitätspathos in einem irisierenden Spiel der Relativierungen auflöst und verdaulich macht.



Alle Fotos (bis auf das Grabmal): G. Fliedl, 2012

Dienstag, 9. Oktober 2012

Le Stanze del Vetro - ein neues Museum in Venedig


Von Carlo Scarpa, dem Architekten des ingeniösen Museums in Verona (hier) und dem Gestalter zahlreicher Ausstellungsräume in den großen nationalen Kunstmuseen Italiens, wie Venedig, Florenz oder Palermo) war hier schon öfter die Rede.
Gelegentlich wird behauptet, daß die Qualität seiner Architektur, seine Sensibilität für das Stoffliche der Materialien und seine handwerkliche Akribie, mit seiner ursprünglichen Tätigkeit als Glaskünstler zusammenhängt.
Dieser seiner Kunst ist nun eine Ausstellung in Venedig gewidmet, und zwar in einem neuen Museum, das unter dem Namen Le Stanze del Vetro auf der Isola San Giorgio Maggiore eröffnet hat.
Die Scarpa-Ausstellung ist die Eöffnungsausstellung der Stanze. Die sehr elegante Webseite des Museums (hier) und die Fotos von dem sehr kühl und klar designten Ausstellungsräumen läßt vermuten, daß hier ein sehr interessantes neues venezianisches Museum entstanden ist.

Montag, 31. Oktober 2011

Glasgow & Edinburgh. Museumstagebuch (Teil 2)


Rechts der Bau der 90erJahre, der der Schottischen Geschichte gewidmet ist, links der nun mehrfach geöffnete Übergang zu den Galerien des Gebäudes des 19. Jahrhundert.
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Erst vor etwa zwei Monaten wurde das Schottische Nationalmuseum wiedereröffnet. Die riesigen Galerien des viktorianischen Gebäudes des Royal Museum wurden saniert und völlig neu eingerichtet und mit dem der Schottischen Geschichte gewidmeten, 1998 eröffneten Museum of Scotland verbunden. 
So ist ein Mega-Museum entstanden, in dem man sich über Natur, Kunst, Kulturgeschichte, Kunstgewerbe, Technik, Weltkulturen und eben auch und das in einem mehrgeschossigen Bau, der in den 90er-Jahren errichtet wurde -, über schottische Geschichte informieren kann. Das Konzept ist noch, man plant bereits an einem Relaunch des Museum of Scotland -, gespalten. Während das historisch-nationale Museum eine einzige, im untersten Geschoß einsetzende chronologische Großerzählung ist, folgen die anderen Teile einem additiven Prinzip, eines das auch in der Mehrheit der anderen Museen die tragende Struktur ist.
Unter einem generellen Titel und auch räumlich als Ganzes definiert trifft man hier auf oft schroff gegensätzliche, oder zumindest thematisch nur lose oder gar nicht verknüpfte Stationen, die in sich eine ästhetische und informative Einheit bilden, ohne daß (in den meisten Fällen) eine verknüpfende Vertiefung zu anderen Stationen oder gar entlegeneren Teilen des Museums stattfindet.

Dieser Verzicht auf Chronologie und Erzählung ist auffallend und wird ebenso auffallend nur in zwei der Museen, die ich gesehen habe, nicht angewendet. Im schon erwähnten Museum, das die schottische Geschichte erzählt und in der Nationalgalerie, die in einem sehr charmanten historistischen Galeriebau untergebracht ist und bei der man offenbar bemüht ist, die Atmosphäre einer historischen Gemäldegalerie zu erhalten und den klassischen Kanon von Kunstgeschichte und ihrer Präsentation zu pflegen.
Da das Museum beim Durchqueren einem einer mehrfachen präsentationstechnisch-konzeptuellen Verwandlung aussetzt, mal Kunstmuseum ist, mal Naturlehrpfad, mal Scienc-Center, mal Geschichtsunterricht -, kann man mit wenigen Schritten zu völlig unterschiedlichen Informationen und Objekten kommen. Wenn man eine der ältesten erhaltenen Lokomotiven der Welt bestaunt, muß man sich nur nach rechts wenden, um Dolly the Sheep (das Klonschaf) sich samt Vitrine drehen zu sehen. Und man hat dann schräg im Rücken eine fernöstliche Gebetsmühle neben der einige Mütter mit ihren Kindern an einem Tisch basteln und nur einige Schritte zu einem Weltraumanzug, in dem man sich fotografieren lassen kann. 
"Gone but not forgotten". Ewig dreht sich nun das Klonschaf in seiner Vitrine und man erfährt immerhin, daß es nach Dolly Buster benannt wurde.

Die Orientierung in dem riesigen Labyrinth von Museum ist gut, dank der Homogenität von Großthema und Galerieräumen, aber innerhalb dieses Rahmens hat man Puzzleteile vor sich, die sich kaum zusammensetzen lassen. Eine andere, auch nicht nur hier beobachtbare Eigenschaft des Ausstellungskonzepts ist der fast völlige Verzicht des Erzählens und Deutens auf einer visuellen Ebene. Selbst Text und Objekt kooperieren nicht immer selbstverständlich, sondern Themen werden mit einem Ensemble von Objekten, Grafiken, Texten, elektronischen Medien uam. Vorgestellt, ohne daß dieses Nebeneinander einen über die bloße Summe der Teilinformationen hinausgehenden Mehrwert hätte.


Die gigantische Dampflokomotive hat man im Riversidemuseum tatsächlich in die Halle gehievt. Da steht man nun und liest einen Text zur Apartheid und was die Rassentrennung in Südafrika für das Bahnfahren und den Bahnbetrieb bedeutete; aber der Text erläutert nichts an der Lokomotive und die Lokomotive trägt nichts zum Verständnis von Rassentrennung bei. Abgesehen von technischen Erläuterungen war es denn dann auch schon alles.
Ein VW-Käfer im selben Museum hat folgenden Erläuterungstext. 



Hier fehlt also im Unterschied zur Dampflok der hier viel näher liegende - zeitgeschichtliche Kontext, der im ersten Satz eher noch verschleiert wird (man hätte ja nur beim Namen Volkswagen anzusetzen brauchen), stattdessen wird unvermittelt auf ein zwar wichtiges aber eben technisches Detail verwiesen. Im Scherz habe ich gesagt: Ein Glasgower Siebenjähriger wird den tollen Ingenieur Mister Porsche bestaunen, der es den Deutschen ermöglicht hat, ihren Urlaub mit dem Auto in der Sahara zu verbringen.
Dolly das Klonschaf (im Nationalmuseum, zu dem ich mit diesem Beispiel wieder zurückkehre), ist zunächst mal nichts anderes, als ein ausgestopftes Schaf. Begleitende Texte sind sehr knapp formuliert was fängt man mit der Information an, daß das Schaf nach Dolly Parton benannt ist? (1) -, und zur Gentechnik gibt es ein Art Spiel zu Pro und Contra, wo man aber nur mit vorgefertigten Antworten manipulieren kann. So kann sich die Komplexität einer großen Frage nicht entwickeln, soll sie offenbar auch gar nicht. Was übrigbleibt ist, möglicherweise, die Funktion von Dolly als nationales Ding, als Zeugnis schottischer Wissenschaft, dann würde Dolly plötzlich zur benachbarten Urlokomotive passen, die dann auch ein Zeugnis der schottischen Ingenieurskunst und Erfindergabe wäre.

Signifikant für dieses merkwürdige pars pro toto, dem das toto fehlt, scheint mir die visuelle Gestaltung der der Fensterwand des National Museums gegenüberliegenden Längswand der riesigen Halle zu sein, die man ja normalerweise als ersten und höchst eindrucksvollen Raum betritt. Hier sind in einem Raster Objekte und Ornamente zu einem grafischen Muster zusammengefügt, das unterschiedlichste Sammlungsteile präsentiert, es sind kleine Sammlungen und vereinzelte große Objekte, die so etwas wie ein Preview bieten, etwa so wie es manche Internetportale von Museen bieten, attraktiv, eindrucksvoll, bildkräftig, Lust auf mehr machend. Informationen zu den Objekten gibt es auf PC-Stationen, aber der Sinn dieser Installation ist sicher nicht in erster Linie die Information, sondern eine Art Image des Museums zu erzeugen: Fülle, Vielfalt, Reichtum.
Dieses Prinzip der durch ausgeklügelte Positionierung, durch feinfühliges Arrangement kaum oder gar nicht zusammengehaltenen Dinge und Bedeutungen ist das herrschende Prinzip, wobei aber dem eigentlichen Museum etwas fehlt, was diese Galeriewand hat: ästhetische Homogenität.
Das gehört nämlich zu den Erfahrungen der Differenz zu Museen in Österreich oder Deutschland, wie wenig hier (noch?) auf eine bestimmte szenische oder deutende oder auch nur ästhetisch-architektonische Gestaltung Wert gelegt wird. Mir ist schon vor Jahren in Londoner Museen aufgefallen, wie sehr das fehlt, was bei uns unter Stichworten wie Szenografie oder Austellungsdesign praktiziert und diskutiert wird. Nicht daß nicht auch in den Museen in Glasgow oder Edinburgh sorgfältigst durchdachte und gestaltete Environments zu finden sind, Inseln oder Schauplätze dramatisiert würden, doch meist sind sie der pädagogischen Absicht untergeordnet oder unterstützen sie, was zu manchmal recht altbackenen Lernstationen führt. Was fast ganz fehlt, ist ein ästhetisch-gestalterisch anspruchsvoller räumlich-szenischer Kontext, der über Atmosphäre, selbstgenerierter Bedeutung oder gar eigenständige Erzählung mit den Objekten kooperiert und deren ästhetische und informationelle Qualitäten unterstützt und erweitert. Die eine Ausnahme, die mir in Erinnerung geblieben ist, sind Figurinen des Künstlers Eduardo Paolozzi, die die First People darstellen aber zugleich Träger kleiner Vitrinen sind, in denen archäologische Kleinobjekte gezeigt werden.


Das bedeutet auch, daß die Objektorientiertheit, von der die MuseumsmitarbeiterInnen oft sprachen, in der Praxis nicht die Privilegierung des auratischen Originals bedeutet, sondern eher die Konzentration auf ein einzelnes Thema, das mit wenigen Objekten bespielt wird, die aber dann auch alles sein können, Original im herkömmlichen Museumssinn, Foto, Grafik, Kopie, Kulisse, Spielzeug, Installation, Computer, Film uvam. In bestimmten Abschnitten spielt das auratische Original eine große Rolle und in den der Frühgeschichte Schottlands gewidmeten Abschnitten wird sogar selbstreflexiv auf die evidence der Dinge eingegangen. Ganze Abschnitte des Museum sind mal Schule, mal hands on Bereich mal Spielhalle, in anderen werden kostbare Dinge in der bewährten Schatzkammerästhetik in abgedunkelten Räumen mit Lichtpunkten zelebriert.




(1) Rettung kommt, wie so oft, von der allwissenden Wikipedia: 1997 wurde Parton ungefragt Namenspatin von Klonschaf Dolly. In Anspielung auf ihre große Oberweite hatten die Wissenschaftler, die ein Schaf aus Euterzellen geklont hatten, diesen Namen ausgewählt. Dolly Parton nahm es mit Humor.

Freitag, 22. Oktober 2010

van Gogh Museum Amsterdam

"Geld", sagt der Kurator eines großen Amsterdamer Museums, "sollen wir über Geld reden?". "Gibt es denn ein Problem damit?". "Nein". "Das habe ich schon lange nicht mehr gehört. Wenns kein Problem damit gibt, brauchen wir auch nicht darüber zu reden." "Na ja. Wir haben eine neue Regierung." Er schaut mich fragend an. "Wer weiß was da kommt."
Ein paar Stunden davor ein Besuch im van Gogh Museum. Schon kurz nach der Öffnung haben sich kleine Schlangen gebildet, obwohl mehrere Kassen offen sind und man flott ist. Auch die Sicherheitsschleuse, die es auch in anderen Museen hier gibt, hat man rasch passiert. WelcheÄngste hat man hier?

Ich war schon lange in keinem Museum mehr, wo man schon im Foyer merkt, daß man in einem Museum ist, hier deswegen weil der Blick in den Ausstellungsraum freigehalten ist.
Gerrit van Rietveld, der Architekt des Museums, hat offene Räume geschaffen, um einen lichten Hof gruppiert, klar und komplex zugleich und Bildern und Publikum eine Bühne mit vielerlei Auftrittsmöglichkeiten bietet. Immer wieder bleibe ich stehen, um mir die Treppe anzusehen. Sie arbeitet sich in einer Ecke des Lichthofes hoch, frei um einen Pfeiler hochgeführt. Die Konstruktion und Ästhetik erinnert ein wenig an einen Sprungturm eines Freibades und ganz oben gibt es auch eine Plattform, die wie ein Sky Walk in den Raum ragt.
Große Fenster zur Stadt lassen viel natürliches lIcht herein, das sich mit dem Kunstlicht geschlossener Ausstellungsteile mischt. Der Raum ist großzügig ausgelegt, die Besucher verteilen sich locker, nur dort wo relativ schmale Zugänge an Raumecken freigehalten sind, gibt es Stau, erst recht, wenn da gleich die "Kartoffelesser" hängen.

Vor dem großen Text mit dem Foto eines Sebstporträt van Goghs läuft ein wie es scheint permanentes Ritual: Frauen werden hier von ihrer Begleitung fotografiert. Als wär das die Fontana Trevi. Der Repro-van Gogh, allgegenwärtig nicht nur im Shop, darf für ein solches Ritual genügen.
Geld. Soll man hier, im van Gogh-Museum, über Geld reden? Kaum. Die Museumskrise, wenn es je eine echte geben wird, wird viele Museen verschlingen, aber das van Gogh Museum wird es so lange geben, wie sich Japaner, Amerikaner, Spanier, Brasilianer, Österreicher, Luxemburger, Inder, Schweizer die Fahrt nach Amsterdam leisten können. Konjunkturischerer ist kaum ein Museum. Allerdings gibt es da ja den Zubau und der wird für Sonderausstellungen genutzt, auch für solche, die wenig bis nichts mit van Gogh zu tun haben. Zuletzt habe ich hier eine Ausstellung über Max Beckmann's Zeit des Exils in Amsterdam gesehen, eine sehr informative Ausstellung mit einer Vielzahl eindrucksvoller Bilder.
Kann man aus der Existenz dieser 'Expositur fürs Ephemere' schließen, das auch ein van Gogh-Museum Dauerausstellungen benötigt, um Besucher immer neu zu motivieren und zu mobilisieren? Reichen die T-Shirts, Moleskine-Notizbüchlein, Puzzle, Halstücher mit Lilien und Blumen nicht, um das Museum zu erhalten.

Und wie geht es van Gogh selber, in seinem Museum? Schwer zu sagen. Die Dauerausstellung ist chronologisch gegliedert, folgt der Topografie, die das Leben des Malers gezeichnet hat und interveniert gelegentlich mit Biografischem, Zitate aus den Briefen, Äußerungen von Freunden, Fotografien - worunter die zu Plakatgröße aufgeblasene, die van Gogh während der Zeit seiner malerischen Betätigung zeigt, wie es heißt und die als solche die einzig erhaltene ist, symptomatisch gelesen werden darf. An einem Fluß in einer Vorstadt sitzt van Gogh einem seiner Malerfreunde auf einem Klappsessel gegenüber, in eine Gespräch vertieft. Er kehrt dem Betrachter (und Fotografen) den Rücken zu.
Das Museum kann mit vielen Werken aus der eigenen Sammlungen einen kunstgeschichtlichen Kontext darstellen und damit das Klischee des nie akademisch ausgebildeten 'Naturgenies' zurechtrücken. Anregungen, Effekte auf zeitgenössische Malerei können an erstrangigen Werken gezeigt werden. Doch Vorurteile Biografie und Werk betreffend und die Kanonisierung eines Werkes, oder soll man sagen - seine andauernde Rehabilitierung im Kanon der Hochkunst der Moderne verstellen einem eher den Blick.

Wie man in der Van-Gogh-Museumsmaschinerie noch zu einem eigenen Blick kommen kann, weiß ich nicht. Selbst die Kinder werden zum Van-Gogh-Malen angehalten. Und last but not least: die Museen arbeiten mit ihrem marketing und ihren Gadgets und Nippes in den Shops selbst an jener infantilisierenden Sicht der Dinge, die sie als Agenturen bürgerlicher Hochkultur von innen her anfrisst wie ein Hausschwamm. Wer Sonnenblumen-T-Shirts sät wird Jungs in Sonnenblumen-T-Shirts ernten, die vor Sonnenblumenrepros Teenies in Sonnenblumen-T-Shirts knipsen.
So schrecklich wird das ausgehen. Jawoll.

Edutainment

Schon im dem Museum benachbarten Cafe mehr Kinder als Erwachsene. Aber das Maritim Museum Rotterdam ist kein Kindermuseum. Im Foyer des Museums dann fast nur Kinder. An langen Tischen basteln und malen sie. Die Orientierung ist leicht. Eine Rampe erschließt die Stockwerke. Das erste ist dem Hafen gewidmet der mit einem saalgroßen Modell und die Wände bespielenden Filmprojektionen vorgestellt wird. Dann ein wenig Geschichte der Schiffahrt, mit den üblichen Verdächtigen bestritten: Modelle, Fragmente, Werkzeuge, Gemälde, Dokumente, Bücher. Der offene Raum ist mit Stellwänden unterteilt, die ein wenig wie Staffeleien gestaltet sind. Hier eine echte Prinzessin im Tonfilm, dort eine kleine Vitrine zur Sklaverei, 1 Text, 1 Objekt.
Noch ein Stock höher eine extra Abteilung nur für Kinder, eine Mode-Ausstellung, die um 'maritime' Bekleidung kreist, aber weder historisch plausibel ist noch als 'Modenschau'. Daneben eine zweite Wechselausstellung zur Organisation der Handelsschiffahrt, so langweilig, wie man eine solche Ausstellung nur machen kann. Bild-Text-Dokument-Bild-Text-Dokument…
So, da waren wir also schon im Maritimen Museum gewesen. - Nicht ganz. Denn vorm Museum gibt es einen Leuchtturm, Leuchtbojen und vor Anker liegende, betretbare Schiffe.
In den Niederlanden gibt es eine lange Tradition solcher explizit didaktischer Museen, die eher für ein jugendliches (schulisches) Publikum gedacht sind. Ich erinnere mich an den lange zurückliegenden Besuch des Museon in den Haag, das ja als Schulmuseum gegründet wurde, und daß mich ob der Naivität seines pädagogischen Anspruch schon damals perplex gemacht hat.
In Rotterdam war ich eher frustriert, fühlte mich getäuscht. Ein Museum wie ein Kinderbuch, hier ein nettes Objekt, dort was zum Klappen, Drehen, Schauen, hier ein bisschen echte Prinzessin.

Im Museumsladen bin ich in die Falle getappt. Ich frage nach einer Publikation zum Museum. Gibt es nicht. Der Ladenbesitzer erklärt mir wortreich, es gibt Ausstellungen und Kataloge dazu, das Museum zeige halt nicht alles was es hat usw. Wir kommen auf keinen grünen Zweig. Doch, ja, vor zwei Jahren sei ein kleines Büchlein erschienen. Man bringt mir das Heft strahlend und überreicht es mir. "Ist gratis". Und handelt von einem der Museumsschiffe vor der Tür.
Solche Museen müssen keine historische Identität ausbilden, wahrscheinlich brauchen sie überhaupt keine, es sind bestenfalls Orte des Edutainments, die ab und zu in ihrem Design und mit neuesten Medien aufgefrischt werden müssen, um ihre Funktion der unterhaltenden und zerstreuenden Belehrung gerecht zu werden.
Ich hätte besser auch malen sollen.

Freitag, 17. September 2010

Alberto Burri in Citta di Castello

Alberto Burri, 1915 bis 1995. Geboren in Citta die Castello. Ausgebildeter Arzt und als solcher im 2. Weltkrieg in Militärdienst. 1944 in Afrika gefangengenommen wird er in Texas interniert und beginnt dort Kunst zu machen. Nach Kriegsende und Rückkehr nach Italien - und zwar nach Rom - beschäftigt er sich nur noch mit Kunst, unter dem Eindruck des Krieges und seiner Tätigkeit als Arzt macht er Materialbilder. 1947 hat er seine erste Einzelausstellung. In den 50er-Jahren wird er unter anderem durch eine Teilnahme an einer Gruppen- Ausstellung im Guggenheim-Museum New York international bekannt. Er nimmt mehrfach an der Biennale di Venezia und der documenta in Kassel teil. In den 80er-Jahren verwandelt er die Erdbebenruinen der Stadt Gibellina als Protest und Erinnerung an das Im-Stichlassen der Bevölkerung durch die Politik in ein 'Monument' um: die Stadtruine wird mit Beton versigelt, in der das Netz der Strassen und Gassen aber begehbar eingegraben wird. 1981 wird von der Stiftung Burri im Palazzo Albizzi in Citta di Castello mit 32 Werken ein Museum eröffnet, 1990 erfolgt die Eröffnung des Museums in den ex seccatoi del tabacco. 1995 stirbt Burri in Nizza.

Alberto Burri wurde 1915 in Citta di Castello geboren. Seine Karriere machte er in anderen italienischen Städten. Dann stellte ihm eine Tabakfabrik seiner Heimatstadt eine der riesigen Hallen zur Verfügung, die zum Trocknen von Tabak verwendet wurden. In dieser Halle arbeitete Burri und entwarf Werke und Zyklen für genau diesen Ort.
Es wurde eine Stiftung gegründet die zunächst den in der Altstadt gelegenen Palazzo Albizzi zum Museum für Burris Arbeit machten. Der Palast wurde entsprechend der Philosophie des white cube vollkommen purifiziert. Bis auf die originalen Tür- und Fensterlaibungen aus grauem Stein und der weißgefärbelten Holzdecken gibt es nichts mehr, das an die Zeit der Entstehung des Palastes erinnert. So entsteht so etwas wie die Quintessenz eines Renaissance-Palazzo, Säule, Treppe, Eingang…Über einem annähernd quadratischen Grundriß erheben sich zwei für die Ausstellungen genutzten Geschosse. Kein Raum ist so groß und so geschnitten wie der andere, keiner ist exakt rechtwinkelig.
Die Beschriftung ist einzigartig reduziert und besteht immer nur aus Werktitel und Entstehungsjahr, weisse Schrift auf schwarzem Plastik-Prägeband, das passt genau auf die einheitliche Rahmung aus schmalen Holzleisten.
Die Möblierung besteht aus einem einzigen Typ von Sitz aus naturbelassenem Holz.

Die mächtigen Tabakhallen liegen etwas vor der Altstadt, aber im Wohngebiet. Sie sind außen schwarz gestrichen. Es gibt einen winzigen Empfangsbereich, mit Kassa, einigen Büchern und den beiden einzigen Sesseln des ganzen Museums.
Die Hallen, jede von ihnen in der Größe einer kleineren Bettelsordenskirchen, also hohe Räume ohne jede Wandgliederung (bis auf einen Raum) mit offenem hölzernen oder eisernen Dachstuhl. Außer der Beleuchtung gibt es keinerlei Installationen. Eingänge, möglicherweise die originalen, gibt es an den Längswänden, ganz an deren Ende, so daß hier ein Quergang durch die Hallen möglich ist, aber auch ein mäandernder Weg, wie ihn das einzige 'Leitsystem', auf den rohen Betonfußboden mit seinen Gebrauchsspuren, vorschlägt, gerade und rechtwinkelige schwarze Pfeile. Einige Türen, früher zur Manipalution notwendig, sind geöffnet, lassen Tageslicht ein und öffnen Ausblicke.
In jeder der Hallen gibt es einen oder in manchen zwei Werkzyklen. Alle Hallen sind ausschließlich in weiß oder schwarz ausgemalt.
Abgesehen von den Hallen für neue Kunst in Schaffhausen - einer aufgelassenen Textilfabrik -, habe ich noch keine so eindrucksvolle als Kunstraum genutzte Industrieanlagen gesehen. Das liegt freilich nicht nur an der Dimension und Ästhetik der Hallen, sondern an dem ganz und gar eigentümlichen Werk Alberto Burris.
Ich betrete solche Räume und lerne ein solches für mich ganz neues Werk als neugieriger Laie. Ich bin kein Eingeborener der Kunstmoderne, der sich in solchen Biotopen kennerisch bewegt. Hätte ich nicht in einem der Hotels, in denen ich genächtigt hatte, ein Kunstbuch über Burri gefunden, ich wäre wohl kaum nach Citta di Castello gekommen.
Die Notizen zu italienischen Museen, die ich in den letzten Tagen gemacht habe, waren nicht mehr als eben Notizen, Anmerkungen, vielleicht anschaulich genug, daß jeder selbst ein Gefühl entwickeln konnte, ob es ihn einmal interessieren könnte oder auch nicht.
Die beiden Alberto Burri gewidmeten Museen möchte ich entschieden in die Liste der Museen aufnehmen, deren Besuch ich empfehle. Es sind zwei ganz besondere Kunstorte - mit dem Extrabonus einer ansprechenden italienischen Kleinstadt.

Mittwoch, 15. September 2010

Museo Civico Diocesano Norcia

Immer wenn ich mir bei einem Museumsbesuch denke, wie sehr doch die immergleichen Muster, Strukturen, Settings das Museum eintönig, langweilig machen, stolpere ich im nächsten Museum in die heftigste Widerlegung dieser fixen Idee. Museen haben zwar eine Reihe von strukturellen Gemeinsamkeiten und es kann Steretotype geben, die es sehr langweilig machen können. Aber vielleicht ist es ja so wie in der Musik: über einem einfachen Thema kann die Zahl der Variationen unendlich sein, da gibt es nicht nur den musikalischen Spaß oder das musikalische Opfer, sondern auch die große Oper oder die - Katzenmusik.
Das dachte ich, als ich das Museo civico e diocesano in Norcia betrat. 
Ein wirklich scheußlicher Gipskopf, der Vespasian sein sollte, aber vielleicht aus einem Geschäft für Friseurbedarf entliehen war, ein Holzpferd, sehr abgeschabt, aber immerhin orginalgroß, ein auf einer Staffelei für einen lokalen Maler werbendes, ziemlich buntes Gemälde, ein verwitterter Stein, an dem es nichts zu erkennen gab, was durch einen langen erläuternden Text, der daneben auf einer Art Notenständer stand, kompensiert werden sollte, wo alles das erläutert wurde, was es nicht (mehr) zu sehen gab, eine Kutsche, mit einer großen Texttafel in ihrem Inneren "Kutsche", in einem Raum daneben ein Grab mit Skelett und Grabbeigaben, relativ unklaren Authentizitätsgrades, eine Nische mit einer unproportionalen kleinen Statue, der ästhetisches Mißgeschick sich später im Museum aufklärte: es war eine aus einem männlichen Torso und einem weiblichen Kopf zusammengesetzte Skulptur, die irgendeine hochgradige Verwandte des gipsernen Vespasian darstellte.
Also "Katzenmusik"?
Nicht ganz.
Zur Linken gab es eine Glastür, die zur Museumskassa führte, zum Empfangsraum, in dem mich drei Frauen freundlich mit einer Eintrittskarte und einer Geste "hier lang" ausstatteten. Hinter ihnen gabs eine Tür, die zu einer archäologischen Sammlung führte. Von einer umfangreichen Bild-Text-Tafel lächelte mir ein greiser, weißhaariger Herr im roten Hemd entgegen, der Sammler Evelino Massenzi, der in einem langen Text in einer eleganten, salbungsvollen Suada gewürdigt wurde (ach, so hätt ich gern mal einen Text über mich, so altmodisch und wunderlich…!).
Die etruskischen und römischen Reste, die Herr Massenzio zusammengelesen hatte, sagten mir nicht so wahnsinnig viel. Ein Satyr samt Mänade nagelte mein Interesse wegen des mild-erotischen Sujets kurz fest, aber es sah ein wenig so aus, als wolle der Satyr der Mänade grade in den Hintern treten, entweder eine sehr freie Interpretation des Mythos oder ein ästhetisches Mißgeschick eines in der umbrischen Provinz gescheiterten Vasenmalers…
Nach vier Räumen war es zu Ende, ich drehte um und fragte die drei Damen "das wars"? Aus einem Munde seufzten sie "No" und es folgte eine weitere dieser "hier gehts lang"-Gesten. Für den bedrohlichen Aufstieg über eine mehr oder weniger senkrecht nach oben führende Treppe, suchte ich mir Aufschub, um das Pferderätsel zu klären. Da es insgesamt drei Kutschen gab (aber nur ein Pferd) interpretierte ich alles gutwillig als ein im entstehen begriffenes Kutschen- oder gar Verkehrsmuseum. Außerdem stand hinter dem Pferd ein unübersehbar großes Schild, das versprach, jederzeit Tiere und Menschen, also auch mich, in Originalgröße nachbilden zu können. Angesichts des Zustandes des Pferdes verfehlte diese Werbeeinschaltung ihren Eindruck auf mich und ich stattete der Grabkammer einen Besuch ab.
Mit großer Akkuratesse und vielen Farbfotos und langen Texten wurde hier die Frage erörtert, "wie baue ich mir ein Ahnengrab?". Um es gleich zu verraten, es geht ungefähr so wie bei einem Zierteich für den Garten. Steine, Folien, Styropor, Gips, Farbe usw. Skelett rein, Grabbeigaben rein und fertig ist das Ahnegrab.
Das Museum gibt einen Blick frei, auf seine Techniken des Fakens, meint es aber leider nur ernst und nicht auch ein bisschen ironisch oder auch nur selbstreflexiv. Anderso beginnt man zu ahnen, daß das mit dem Ausgraben der Toten und Ausstellen in Museen nicht der Weisheit allerletzter Schluss sein kann. Hier - und beileibe nicht nur hier - herrscht noch ungebrochener Optimismus in punkto musealer Lazarisation.
Jetzt muß ich noch sagen, wo denn das Museum untergebracht war. Nun, Norcia hat im Zentrum einen 'Palazzo', den ich aber als solchen nicht unbedingt bezeichnen würde. Die mächtigen geböschten Sockel, die wehrhaften Ecktürme, die kleinen Fenster des Erdgeschosses, verraten einem, daß die Familien, die sich beim Stadtregieren (= Beherrschen) die Klinke in die Hand gaben, lange Grund gehabt mussten, die militante Antwort der Stadt auf ihre Herrschaft zu fürchten.
Welche Familie grade an der Reihe war, darauf hatten die Bewohner Norcias keinen Einfluss und ob diese Familie nun kluge Reformen betrieb oder sich bloß bereichern oder ihre Macht ausbauen wollte, das war Zufall im Spiel Mächtigerer. Die einzige Abwechslung, die den Norciern geboten wurde, war daß sie ab und an mal auch zum Kirchenstaat gehörten, relativ logisch, wenn man beansprucht, Geburtsort des Hl. Benedikt zu sein.
Schon beim ersten Besuch Norcias hatte mich beigeistert, daß das, was zum Repertoire einer italienischen Kleinstadt gehörte, Piazza, Palazzo Communale, Dom  und noch ein paar Adelspaläste, Loggien etc. zwar hier auch vorhanden war, aber in einer eigentümlich leicht geschrumpften, etwas liliputanerhaften Form. Der sogenannte Palast sah für mich immer schon eine wenig aus, wie eine aus einem Ausschneidebogen gebastelete Burg, die man irrtümlich in eine Stadtmitte versetzt hatte.
Wie auch immer. So ein Gebäude hat hohe Räume, also auch mächtige Treppen.
Jetzt blieb mir nur noch der Aufstieg in den ersten Stock. Dort wars zu Ende mit "Katzenmusik". Unvermittelt stand ich in einer archäologischen Ausstellung, viele Räume groß, Norcia gewidmet, aus dem Anlaß irgendeines Vespasian-Jubiläums (ja, der aus Gips, unten im Hof). Sehr detailliert und eher von Fachmann zu Fachmann konzipiert, wurden hier auf offenbar rezentem Forschungsstand durchaus spannende Fragen abgehandelt: die Entwicklung einer Region und einer Stadt, ihrer Verkehrswege, ihrer Wirtschaft, ihrer politischen Verfassung, ihrer sozialen Entwicklung. Meist eher karge Objekte wurden mit langen Raumtexten zusammenfassend gedeutet und die Detailgenauigkeit war dabei das Entscheidende.
Ich mag es, wenn einem genau erklärt wird, warum eine ganze Stadt entvölkert wird, die man eben in einem eigenen 'Entwicklungsplan' wieder wirtschaftlich beleben wollte, nur weil diese Stadt eine falsche politische Loyalität wählte. Dabei spielte die Schafzucht und die Wanderwege der Herden eine große Rolle, Wege, die man noch heute im Straßennetz um Norcia erkennen kann. Und ich habe begriffen, wie dicht zu römischer Zeit das Straßennetz in diesem grade nicht sehr wegsamen Gelände schon war, wie groß die Anstrengungen waren, ein sicheres und die zentralen Punkte optimal verknüpfendes Wegenetz zu errichten. Und so nebenbei: daß sich hohe Beamte 'schon damals' (in Fels gehauen, also 'auf ewig') Denkmäler für ihre straßenbauverwalterische Tätigkeit in Rom errichten ließen.
Nicht schlecht.
Dieser ganze Teil ist eine bis 2011 laufende Sonderausstellung.
Die Dauerausstellung des 1. Stockwerks wird mit christlicher Kunst bestritten. Und die war offenbar wieder Gegenstand des Sammeleifers von Herrn Massenzio. Wer so eifrig für sein Vaterland, seine Heimatstadt sammelt, der wird auch entsprechend gewürdigt. Den Text habe ich schon erwähnt. Aber nicht, daß an mindestens vier Stellen, mitten in der Sammlung und ausstellungstechnisch von ihr nicht unterschieden, die Werke über seine Sammlung (viele und neue) präsentiert wurden, vor christlicher Kunst, auf roter Seide, in einer langen, alten Pultvitrine zum Beispiel.
Ehe man zu den Verzückungen und Extasen des 16. und 17. Jahrhunderts vordringt, die es millionenfach gegeben haben muß und in den Museen immer noch gibt, und die einem den Katholizismus so richtig symphatisch macht, ist man mit einigen zwar schwer derangierten aber eindrucksvollen Plastiken und Gemälden des 12. und 13. Jahrhunderts konfrontiert. Hier habe ich verstanden, warum es Sinn machen konnte, wie in vielen anderen Orten und Ländern auch, den 'Kunstbesitz' im 19. Jahrhundert nach und nach zu säkularisieren und in urbanen Museen zu zentralisieren. Sehr lange waren diese Objekte schon in entlegensten winzigen Kapellen oder Kirchen verfallen. - Aber jetzt rede ich ja schon wie ein Museumskurator oder Denkmalschützer….

Freitag, 10. September 2010

Museo Civico Montefalco

Eine signifikante Eigentümlichkeit italienischer Museen ist ihre Beziehung zum Ort und zur Geschichte. Der Bruch, der Musealisierung strukturell immer auszeichnet, ist hier abgeschwächt weil Kunstwerke oder kulturelle Artefakte sehr häufig 'in situ' gezeigt werden können, nicht selten sogar in einer seit ihrem Entstehen unveränderten Zusammenhang.
Auch wenn jede Musealisierung eine Zäsur bedeutet (der Moment, wo das Wort 'Museum' über der Pforte angebracht, Eintrittsgeld erhoben, eine Beleuchtung und Beschriftung installiert wird und vieles andere mehr.
So können auch kleine italienische Museen, die bei uns Dorf-, Stadt- oder Heimatmuseen genannt werden (nicht, daß es nicht auch Vergleichbares gäbe), auf eine derartige typologische Bezeichnung verzichten, weil ihre geschichtliche Tiefendimension und der kulturelle Raum, den sie repräsentieren, einen so ungleich weiteren Horizont hat.
Wer eins dieser Museen betritt, sieht sich unversehens ins 13. Jahrhundert (mit einem Altarbild), ins spätrömische Zeit (mit einer Kleinplastik) oder in die etruskische Epoche versetzt (mit einem Urnengefäß). Solche Museen sind auch nicht immer frei von lokaler Begrenztheit, um nicht zu sagen Beschränktheit, vom typischen Lokalpatriotismus,  von unreflektiertem Sammeleifer.  Aber in der Regel verbietet sich angesichts des riesigen kulturellen Feldes, aus dem die meisten schöpfen, jede Borniertheit.
Ein besonders sympathisches Beispiel eines solchen Museums findet sich in Montefalco. Diese kleine umbrische Stadt, etwa 20 Kilometer von Foligno entfernt auf einem Hügel gelegen, von dem man weite Ausblicke hat, lockt mit einem besonderen Rotwein Touristen an. (Dessen Variante, ein moussierender süßer Sagrantino passito ist eine ziemlich wüste Droge).
Die werden dann gut organisiert ins Museum umgeleitet. Da ist zunächst die Kirche San Francesco, die offenbar nicht mehr als solche fungiert, denn es gibt keinen Hochaltar. Da die Ausstattung der Kirche San Francesco nirgends einheitlich wirkt, sondern wie ein Puzzle aus vielen Teilen, kann man sie wie Werke in einer Galerie betrachten und so sind sie auch beschriftet. Das verleiht dem Ensemble ein wenig den Charakter einer Kunstgalerie, auch deswegen, weil Kappellen und Fresken(reste) durch den Erhaltungszustand zufällig wie jeweils gegeneinander  abgrenzbare Einzelwerke wahrgenommen werden können. Mehrere Maler waren hier am Werk, Benozzo Gozzoli hat das "Das Leben des heiligen Franziskus" (1452) dargestellt, und es gibt Gemälde von Perugino so wie von Malern, die ein Reiseführer berühmt und umbrisch nennt, Tiberio d’Assisi und Niccolò Alunno.
Dann gibt es ein Lapidarium, mit der wir einige Jahrhunderte tiefer in die Vergangenheit und auch tiefer unter die Kirche steigen - eine Sammlung mit bescheidenen Werken und einer umso expressiveren Zeigemaschinerie. Ein kleine Pinakothek in einem oberen Geschoss zeigt Gemälde von eher lokalem Interesse.
Schließlich gibt es noch eine Abteilung, die man am ehesten als so etwas wie ein Stadtmuseum identifizieren könnte. Aber es sind offenbar zufällig überlieferte Objekte, die hier keinerlei erzählerische oder dokumentierende Funktion haben. Es geht hier nicht darum, einen Sinn für die Geschichte der Stadt zu entwickeln.
Es ist ein Sachensucher, wahrscheinlich eher ein Sachenfinder-Museum. Ein winziges Glas aus Murano, ein Frauenschuh aus dem 18. Jahrhundert, kein Paar, ein einzelner Schuh, ein Blasinstrument, ein Wams, eine Art Trompete, Spieße. Nichts durfte weggeworfen werden. Auch nicht das, was von den Wein erzeugenden Mönchen blieb, Pressen, Fässer, das kann man dann zuunterst im Museum besichtigen.
Das Museo Chiesa, wie es sich auch nennt, ist in sehr gutem Zustand, wohl gepflegt, nicht nur die Region, auch die EU haben hier investiert, gleich drei freundliche Damen nehmen einen in Empfang, helfen einem bei der Orientierung, erkennen sogar meinen vom Gebrauch abgeschabten ICOM-Ausweis.
Um die Kassa gibt es einen umfangreichen Shop mit vielen Führern und Kunstbüchern, Sitzgelegenheit. Ein Stockwerk tiefer gibt’s ein Cafe, geräumig, mit etwas Grün nach hinten raus, und Tischchen zur Gasse und einer Leseecke, für die Kunstzeitschriften versprochen werden. Die gabs dann nicht, sondern Bücher über Trüffel, Olivenöl, Restaurants, Wein, Bruschetta und dann noch den aktuellen IKEA-Katalog...