Ausstellung „100 Missverständnisse“. Jüdisches Museum der Stadt Wien |
Sonntag, 26. Februar 2023
Dienstag, 4. Januar 2022
Das Kunsthaus in Zürich im Sperrfeuer der Kritik
Im Dezember hat das Kunsthaus Zürich und die Stiftung Bührle auf die öffentliche Kritik reagiert. In einer Pressekonferenz, nach der die Heftigkeit der Debatte sich noch steigerte. Denn was dort gesagt wurde, wurde ziemlich einhellig (in den Schweizer Leitmedien) kritisiert. Der Präsidenten der Sammlung Emil Bührle Alexander Jolles äußerte sich dort nämlich so (zitiert aus der Zeitschrift Tacheles vom 17.12.2021):
«Ja, die Schweiz hat Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen, jüdische und andere, wie wir das in Europa heute überall sehen, in Zeiten des Wohlstandes und des Friedens. Aber Verfolgung, jüdische Verfolgung, staatlich orchestrierte Verfolgung gab es in der Schweiz nicht. Juden in der Schweiz in den Kriegsjahren mussten nicht um ihr Leben bangen, sie mussten nicht um ihr Eigentum, um ihr Hab und Gut bangen, es gab hier keine staatliche Verfolgung und daher ist die Situation anders und soll auch in den Einzelfällen berücksichtigt werden. Klar, wenn jemand kein anständiger Marktwert erhalten hat, klar, wenn jemand übers Ohr gehauen wurde oder unfair und unrichtig behandelt worden ist, dann muss man das heute berücksichtigen und muss es werten. Aber es ist nicht so, dass jedes Rechtsgeschäft, das ein jüdischer Emigrant in der Schweiz und in den USA und in anderen nicht besetzten Gebieten getätigt hat, dass jedes dieser Rechtsgeschäfte verdächtig ist und primär einmal als verfolgungsbedingt erzwungen betrachtet werden kann, sondern wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, es gab einen ordentlichen Handel. Millionen von Leuten haben im Krieg gelitten haben ihr Leben verloren, haben ihr Hab und Gut verloren, aber Millionen haben weitergelebt und in einem ordentlichen normalen Handel weitergelebt, in der Schweiz und anderswo. Das muss auch berücksichtigt werden.»
Tacheles war daraufhin Jolles Antisemitismus vor und die Künstlerin Miriam Cahn kündigte an, ihre Werke - immerhin an die vierzig -, aus dem Kunsthaus abzuziehen. Auch sie nimmt das Wort Antisemitismus in den Mund.
Aus der Dokumentation zu Bührle, seiner Biografie, seiner Sammlung. Foto: GF 2021 |
Kaum hatte sich Debatte angesichts der Feiertage abgekühlt, und konnte sich die NZZ mit der (m.M. eher nicht so interessanten Frage) nach der Person Bührles beschäftigen (also eher ausweichen), zündete der Direktor Christoph Becker des Kunsthauses den nächsten Feuerwerkskörper. Er habe sich unter anderem während der Planungen namentlich des Dokumentationsraumes zur Bührle-Sammlung mit Ronald S.Lauder beraten. Also mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Der ließ umgehend dementieren. So ein Gespräch habe es nicht gegeben. Die Pressestelle des Kunsthauses beharrte weiter auf der Sichtweise des Direktors. Der Tagesanzeiger ließ Becker daraufhin ausrichten, er möge seinen Platz der designierten Nachfolgerin möglichst sofort überlassen.
Die Zeitung fasst die jüngsten Ereignisse als "kommunikatives Desaster" zusammen. Das ist es auch, aber es ist auch ein Beharren auf historisch und ethisch unhaltbaren Positionen. Tacheles resümiert so: "Primär allerdings geht’s darum, wie eine Stadt mit einem belasteten Erbe, mit Nazi-Geschichte im öffentlichen Raum umgeht und sich dieser nicht stellt."
Sonntag, 20. Dezember 2020
Die Debatte um das Humboldt-Forum in Berlin. Eine "Presserundschau"
Kürzlich wurde das sogenannte Humboldt-Forum im rekonstruierten Berliner Schloß eröffnet - virtuell angesichts der Corona-Krise. Hier sind eine Anzahl von Pressereaktionen verlinkt. Da das gesamte Projekt seit Beginn ehr skeptisch bis kritisch und ablehnend beurteilt wurde, überraschen die vielen erneut skeptischen und ablehnenden eiträge nicht. Neu an der Debatte sind zwei Aspekte: daß Nigeria nun bezüglich der Beninbronzen offizielle Rückgabeforderungen stellt. Das betrifft eine für das Konzept des Humboldt-Forums wichtige Objektgruppe aber stellt generell den Umgang von Politik und Wissenschaft mit der Kolonialfrage und Restitution infrage.
Die erst kürzlich voll ausgebrochene Antisemitismusdebatte, die von einem Bundestagsbeschluß gegen bestimmte Formen des Antisemitismus ausgelöst wurde, wird in mehreren Kommentaren mit der seit der Me-Too-Bewegung aufgeflammten Rassismusdiskussion und der Kolonialismusdebatte verknüpft. Zwei Texte dazu finden sich am Ende meiner Liste mit Links.
Paul Starzmann: Raubkunst-Streit überschattet Eröffnung des Humboldt-Forums. Nigeria will Benin-Bronzen zurück. In: Tagesspiegel, 11.12.2020
Bernhard Schulz: „Eine andauernde Grausamkeit, die mit jeder Museumsöffnung aufgefrischt wird“. Den Raub der Benin-Bronzen 1897 durch britische Truppen schildert Dan Hicks in seinem Buch "The Brutish Museums". Hunderte Bronzen kamen auch nach Berlin. In: Der Tagesspiegel, 11.12.2020
Susanne Messmer: Cremekasten mit Tiefgang. Am kommenden Dienstag eröffnet endlich das Humboldt Forum in der Berliner Schlossattrappe – wenn auch nur digital. Es wird besser, als viele denken. In: taz, 13.12.2020
https://taz.de/Humboldt-Forum-eroeffnet-bald/!5734302/
Susanne Memarnia: Blamage mit Ansage. Kurz vor der Eröffnung des Humboldt Forums fordert Nigeria ein Prunkstück der Ausstellung, die Benin-Bronzen, zurück. In: taz, 13.12.2020
https://taz.de/Raubkunst-im-Humboldt-Forum/!5733565/
Bert Rebhandl: Leeren der Geschichte. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum? In: Der Standard, 14.12.2020
Nikolaus Bernau: Zusammengedrängte Pracht. Frankfurter Rundschau. 16.12.2020
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/zusammengedraengte-pracht-90133486.html
Ralf Schönball: Ins Schloss hinein darf noch niemand, aber Anfassen ist ab Donnerstag erlaubt. Der Tagesspiegel, 16.12.2020
Harry Nutt: Humboldt-Forum zur Wiedervorlage. Frankfurter Rundschau. 15.12.2020
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/humboldt-forum-zur-wiedervorlage-90132444.html
Bénédicte Savoy: Eine Art von Verschleppung. In: FAZ, 15.12.2020
Ulrike Wagener: Dauerbaustelle Raubkunst. In: Neues Deutschland, 16.12.2020
Kolja Reichert: Ein imperiales Museum, das keines sein will, in: DIE ZEIT, 17.12.2020
Susanne Messmer: Kritik? Egal? Bei der digitalen Eröffnung des Humboldt Forums im Stadtschloss ging man der Kontroverse aus dem Weg. Die wieder aufgeflammte Kritik war kein Thema. In: taz, 17.12.2020
https://taz.de/Humboldt-Forum-in-Berlin-eroeffnet/!5733910/
Nikolaus Bernau: Ein Schloß ist kein Schloß ist kein Schloß. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. 17.12.2020
Sonja Zehri: Öffnung zur Welt, in: Süddeutsche Zeitung, 18.12.2020 (Zum "Plädoyer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und dem Zusammenhang mit der Kolonialismus-Debatte) https://www.sueddeutsche.de/meinung/geschichtsdebatte-oeffnung-zur-welt-1.5151521?fbclid=IwAR3TZIVDPPohkMnwT_8Fb1UnWhEOdgO-mFrQSDNXApcFfXSJW8XIY8xqKWk
Stefan Hebel: Existenzrecht Differenz, in: Frankfurter Rundschau, 18.12.2020 (Ebenfalls zum Zusammenhang von Antisemitismus- und Kolonialismus-Debatte).
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/existenzrecht-differenz-90145703.html