Dienstag, 30. Dezember 2014

Nachrichtenloses Unglück - Die Zukunft des Weltmuseum scheint niemanden zu interessieren

Ein großes Bundesmuseum, eine bedeutende Sammlung, ein veritabler Standort. Dennoch, wenn so etwas gefährdet erscheint, bleiben alle ruhig. Politiker, Medien, Experten.
Die "Wiener Zeitung" informiert am 27.11. ein wenig und reportiert (wie auch "Die Kleine-Zeitung") den Zorn des Kulturanthropologen Thomas Fillitz ("Es ist eine Visionslosigkeit"). Der Grüne Wolfgang Zinggl wird zitiert: Offenbar soll das Museum "ins Ausgedinge geschickt werden". Keine Leserreaktionen übrigens.
Barbare Petsch schenkt in "Die Presse" dem Weltmuseum einen Tag vor Weihnachten eine Idee: Macht es doch so wie der Schröder! Und schließt: "Ein Weltmuseum hat in der heutigen Migrationsgesellschaft eine große Aufgabe: die Integration zu fördern. Ostermayers Verzögerungstaktik ist politisch unklug. Im repressiven Habsburger-Reich gab es mehr konstruktive Ideen für größere Bauvorhaben als in der Demokratie des 21.Jahrhunderts – wer hätte das gedacht?"
Leserreaktionen: Zwei. Eine davon lautet:  "Ein Weltmuseum hat in der heutigen Migrationsgesellschaft eine große Aufgabe: die Integration zu fördern. Diese Feststellung ist aber herzallerliebst. Wieviele Mitglieder der Migrationsgesellschaft gehen denn freiwillig in irgendein Museum?"
 
Aus der Ausstellung zur Chinesischen Kulturrevolution

Am selben Tag und ebenfalls in "Die Presse" spielt Thomas Fillitz das Spiel "Das Ausland ist besorgt" und "Im Ausland wird ungleich mehr Geld in vergleichbare Museen investiert". Leider ist diese Taktik vollkommen ausgeleiert und hilflos. Wo keine Resonanz auf nichts existiert - auch die Online-Enquete zur Frage der Zukunft eines Hauses der Geschichte, des Weltmuseums und der Nutzung der Neuen Burg, die morgen zu Ende geht, brachte keine Diskussion in Bewegung -, verpuffen die besten Argumente wie die Abgase eines stotternden Autos. "Das Weltmuseum ist das Bundesmuseum schlechthin, welches sich mit Themen wie kulturellem Pluralismus auseinandersetzt, mit kulturellem Dialog, aber auch mit Kolonialismus. Das sind eminent wichtige Themen in einer vernetzten Weltordnung, die uns alle betreffen müssen!" Ja, was einem da nicht alles einfiele. Mir fällt die letzte Ausstellung ein, die ich im Museum gesehen habe. Denn leider kann man grade in der Hinsicht dem Museum herbe Kritik nicht ersparen. Die affirmative bis zur Täuschung entstellte Darstellung Franz Ferdinands als Sammler und damit als - rehabilitierten (?) - Kulturheros, war ein Tiefpunkt der Ausstellungspolitik des Hauses. Ausgerechnet. Also, auch für ein "Was das Museum nicht alles sein könnte" ist es jetzt verdammt spät.
Dennoch kann niemand ein Interesse an der Marginalisierung oder gar kalten Abswicklung des Museums haben. Sondern nur an einer umfassenden Neupositionierung als kritisches, diskursives und allen genannten Aspekten aufgeschlossenes Museum. 
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß "Die Presse" am 5.12. bereits Wilfried Seipel ermöglicht hat, sich Sorgen um die Situation des Museums zu machen, der durch seine Tätigkeit als Generaldirektor die Zusammenlegung mit dem Kunsthistorischen Museum betrieben hat und wesentlich mitverantwortlich ist für den prekären Zustand des Weltmuseums.
Das wars. Substantielle Äußerung anderer Medien (also solche, die bloß Meldungen der APA raportieren) sind mir bis jetzt nicht bekannt geworden. Viellicht habe ich ja etwas übersehen und bin durchaus dankbar für einschlägige Hinweise.

Zwischendurch: Kultur kostet viel Geld


Honorare in der Vermittlung

Ein (sehr) nützlicher Link. So geheimnisumwittert / unbekannt / offengelegt wie Honorare / Entlohnungen ist ja kaum was. Auch in Museen. Auch in der Vermittlung. Hier nun eine veritable Liste zu den Verhältnissen in der Schweiz, von MEDIAMUS zusammengestellt und veröffentlicht.

http://mediamus.org/web/sites/default/files/tools/mediamus_Benchmark_2014_Honorare_Kulturvermittlung_im_Museum.pdf

Das Mischkulanz-Museum (Entré 125)


Montag, 29. Dezember 2014

Propter Homines. Etwas zu Privatisierung.

Erschienen in: derdiedas bildende. Akademiezeitung No.2, 2014, S.8/9


Proper Homines bezeichnet - in Goldbuchstaben an eine Wand appliziert - einen Veranstaltungsraum in der Albertina in Wien. Übersetzt heißt das Der Menschen wegen, etwas freier Zum Wohl der Menschen. Die unübersehbare Inschrift hat eine doppelte Funktion. Sie würdigt die Stiftung, die die Errichtung dieses Raumes ermöglicht hat, eine Stiftung, die denselben Namen trägt: Proper Homines und damit die Person des Stifters und Vorsitzenden der Stiftung, Herbert Batliner. Das Motto würdigt Stiftung und Stifter gleichermaßen und weist dem Engagement, das bei der Alberten auch in der Leihgabe von Gemälden aus der Sammlung Batliner besteht, eine allgemeine Bedeutung zu: Zum Wohl der Menschen.
Herbert Batliner ist Rechtsanwalt in Lichtenstein. Er gilt als Erfinder von Stiftungskonstruktionen, die die Umgehung der Steuerpflicht zum Beispiel für deutsche Staatsbürger erlaubte. Im großen Maßstab, wie die Übermittlung von gut gehüteten Daten seiner Kunden an die deutschen Finanzbehörden zeigte. Batliner vermied eine drohende Verurteilung durch freiwillige Zahlungen. Proper Homines?  Ja. Wenngleich nur für wenige und sehr Begüterte.
Die Albertina ist eine weltberühmte grafische Sammlung und ein staatliches Museum. Batliner ist Privatmann. Ein staatliches Museum ist als öffentliche Einrichtung zwingend verpflichtet, sich an das Gesamt der Staatsbürger_innen zu adressieren. Propter homines ist keine Wahl dieser oder jener Museums-Konzeption oder eines Mission Statements, das auch anders lauten könnte. Es ist eine gesellschaftliche, von staatlicher Politik und Verwaltung treuhänderisch wahrgenommene Verpflichtung. Jeder hat das Recht die im Besitz des Staates befindliche Sammlung zu nutzen. Aber Öffentlichkeit erschöpft sich nicht darin, sie charakterisiert alle wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen, die zum Wohle – die frühesten republikanischen Verfassungen kennen hier an Stelle des Wortes „Wohl“ noch das des „Glücks“ -, der Gesellschaft installiert wurden.
Ein Stifter, ein Mäzen, ein Sammler, ein Förderer kann das Wohl aller im Blick haben, er muss aber nicht. Wie man es auch wendet und dreht, seine Interessen bleiben privat. Die staatlichen müssen öffentlich sein, also nicht (nur) im Sinne von öffentlich und allgemein zugänglich, sondern im Sinne von zum Nutzen aller.


Ein Blick auf die Etymologie des aus der römischen Rechtskodifizierung stammenden Wortes privat macht uns sensibel für die Schärfe des Gegensatzes zwischen den beiden Begriffen und Praktiken, die durch sie bezeichnet werden. Da geht es nicht nur um den Gegensatz zwischen der privaten häuslichen Sphäre und den öffentlichen, namentlich politischen Angelegenheiten. Da geht es auch um eine sprachlich vermittelte Wertung, die die res publica, die alle betreffenden Angelegenheiten (die so genannte gemeinsame Sache, also die, die alle angeht und durch deren Vermittlung und Beteiligung an ihrer Ausgestaltung sie von Bürger zu Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen warden. Synonym für Gemeinwesen bzw. Gemeinwohl und schließlich auch – als Republik – Staatsform, die vom Prinzip der Volkssouveränität getragen und legitimiert wird) offenbar im Vergleich zum Privaten über das – wörtlich – Geraubte (privare = rauben) setzt.

Etwa drei Jahrhunderte hindurch war Sammeln Privatsache und der Zugang zu Sammlungen und ihre Nutzung (durch Wissenschafter, Künstler, Kenner usw.) hing von der Gunst des Eigentümers ab. Sammlungen im Besitz einer Gemeinschaft, etwa einer Stadt wie Venedig (wo der Doge Domenico Grimani kurz vor seinem Tod 1523 seine Sammlung der Stadt vermacht), Basel (wo der städtische Erwerb der Sammlung des Humanisten Amerbach deren Weiterbestand sicherte) oder Zürich (wo in der sogenannten Wasserkirche 1634ff. eine Bibliothek und eine Sammlung eingerichtet wurden)  sind Ausnahmen. Die Vorstellung eines korporativen Besitzes und Nutzens entwickelte sich in der Aufklärung und voll ausgebildet wird die uns geläufige und im Kern noch gültige Idee des Museums erst in der Französischen Revolution. Bemerkenswert ist, daß es dort zu einer umfassenden (gewaltförmigen, rechtsbrüchigen) Umwandlung privaten Besitzes (Der Königsfamilie, des Adels, der Kirche, der Emigranten) in öffentliches Gut kommt, aus dem (unter anderem) die großen Pariser Museen einschließlich des Louvre gegründet warden können. Der Genuss (ein Wort der revolutionären Praxis) der kulturellen Güter und Werte ist nun nicht von Gunst abhängig, sondern verbrieftes Recht. In Verfassung und Gesetzen niedergelegt, ist dieses allgemeine Recht in seiner frühen Zeit explizit eines, das in seinem zivilisierenden Ritual (Carol Duncan; Sabine Offe) auf die Staatsbürgerlichkeit (im Paris der 1790er-Jahre) bzw. die Humanisierung der Nation (im Berlin der 1830er-Jahre) zielt.
Die allgemeine Zugänglichkeit zu den kulturellen Institutionen und der staatliche Besitz an Kulturgütern - in Italien I beni culturali, in England Heritage, in Frankreich Patrimoine und hierzulande kulturelles Erbe genannt, sind nicht Ziel des Museums, sondern Bedingungen seiner gesellschaftlichen Wirkmächtigkeit.


 In einem vor nicht allzu langer Zeit bei ARTE gezeigten Dokumentarfilm wurden zwei römische Passantinnen gefragt, wem denn das gerade mit Mitteln eines privaten Unternehmers sanierte Kolosseum gehöre. „Mir. Uns“ antworteten die beiden ohne eine Sekunde zu zögern und lachten. Daß ein solches Selbstbewußtsein nicht bloß anekdotisch ist, wird in der Doku im Gespräch mit irischen Bürgerrechtler_innen deutlich, die gegen den Verkauf der staatlichen Forste an private Unternehmen kämpfen und nun in der Verfassung die Umformulierung vom unveräußerlichen Staatsbesitz zum nicht veränderbaren Volksbesitz erzwingen wollen. Die Aktivisten haben ein tiefsitzendes Gefühl für den Wert gemeinschaftlichen Besitzes und für den Bruch, den es bedeuten würde, diesen aufzugeben. Sie wollen nicht, daß das, was ihnen gehört und was sie vielfach genießen und nutzen - was verlorenginge erzählen sie praktisch und anschaulich - enteignet wird, privatisiert, geraubt. Das propter homines muß also wieder in die Verfassung.
Solche Formen der Privatisierung gibt es heute viele und in vielen Formen. Privatisierung bedeutet immer Umwandlung von staatlichem in privaten Besitz. Und nicht überall ist der Bürgersinn so geschärft, für den essentiellen Verlust, für das Ausmaß und die Folgen der Enteignungen, die da im Großmaßstab vorgenommen werden.
In der Praxis ist die Unterscheidung von privat und öffentlich nicht immer einfach. Das Museum des Sammlerehepaares Karl Heinz und Agnes Essl, das diese auf der Basis einer mehrere tausend Kunstwerke umfassenden Sammlung, errichtet haben (in Klosterneuburg bei Wien), unterschied sich für einen Besucher nicht von einem staatlichen Museum. Privat an ihm waren die Auswahl der Sammlung, die Kriterien der Wahl, die Wahl von KuratorInnen usw. Es gibt andere Beispiele für mäzenatisches, also großzügiges Handeln, das sich bewußt und verantwortungsvoll auf das Gemeinwohl bezieht ohne eine Gegenleistung einzufordern oder zu erwarten. Umgekehrt gibt es paternalistisch geführte Museen, wo eine Leitung persönliche Vorlieben und Ideologien zum herrschenden Maßstab für die gesamte Institution macht, unter Umständen sogar bis zur Korruption. Und auch Politiker können sehr einsame Entscheidungen treffen, die man nicht anders als privat bezeichnen kann. Da ist ein Bundeskanzler der einen befreundeten Sänger zum Staatsoperndirektor ernennen will oder eine Stadträtin die eine Fernsehsprecherin zur Museumsdirektorin bestellt hat oder  der Landesrat, der sich be idem ihm unterstellten Museum eine zu seinem Hobby passende Ausstellung bestellt.. Letztlich sind das private Entscheidungen, die keinem gesellschaftlichen Auftrag mehr verpflichtet sind, und die nur durch mediale Thematisierung oder zivilen Einspruch zu verhindern sind. War der Ankauf der Sammlung Leopold, war die Errichtung eines Museums mit Steuergeld wirklich in öffentlichem Interesse? Und auch die Ausnahmekonstruktion eines Bundesmuseums als Privatstiftung? (sic!) es im öffentlichen Interesse, ein Landesmuseum, das Museum der Moderne in Salzburg, so mit einer Sammlung eines riesigen Versicherungskonzerns zum amalgamieren, dass  die meisten symbolischen und materiellen Vorteile auf Seiten des Konzerns und nicht bei der öffentlichen Hand liegen?

Der Gegensatz von öffentlich und privat hätte heute nicht eine solche Bedeutung und Dynamik, wenn nicht nahezu alle Sphären von ökonomischen Imperativen durchdrungen wären, die strukturell auf Privatisierung, auf Ballung riesiger Vermögen in wenigen Händen hinauslaufen und die Ziele und Werte des Wohlfahrtsstaates und demokratischer gesellschaftlicher Verfasstheit unterminieren. Im günstigeren Fall ist die Politik neutral, im schlechteren interessiert, die postdemokratische und kasinokapitalistische Dynamik als alternativlos (Angela Merkel) zu fördern. Und klassische diskursive und kritische Öffentlichkeit hat sich gerade im Feld des Ausstellens und der Museen kaum je entwickelt und existiert auch kaum. Es gibt daher kaum so etwas wie kulturelle Gegenöffentlichkeit und Innovation und Experiment findet man eher am Rand oder meist eher jenseits der Institutionen. Und die Museen und Ausstellungshäuser selbst? Sie bilden Kompromisse, um dem Druck der Verknappung der Mittel der sogenannten öffentlichen Hand standhalten zu können (beim Wiener Burgtheater hat sich zum ersten Mal gezeigt, dass das Grenzen hat) oder es werden auf Teufel komm raus Bündnisse geschlossen, die die Privatisierung von innen her vorantreiben und der Öffentlichkeit, etwa als Public Private Partnership, als Ausweg verkauft werden. Anders gesagt: die Museen betreiben eine Politik, die die ihre eigene Grundlage kontaminiert und beschädigt. So beklagen sie die Macht der veröffentlichten Besuchszahlen, rechnen sie selbst aber als Ausweis ihres Erfolges gegen staatliche Fördergelder.
Propter homines. Von einer Inschrift in er Albertina bin ich ausgegangen, um die sehr unterschiedlichen Instrumentalisierungen dieses Mottos zu thematisieren. Eine seiner Bedeutungsfacetten kann man im Shop der Albertina gewahr werden. Dort liegt das Kochbuch von Rita Batliner. Mit Liebe zur Koch-Kunst. 




Freitag, 26. Dezember 2014

Museumsszene

Immer dieser Ärger mit den "Fremden". In Paris und in Berlin

Kürzlich wurde die Cité nationale de l’histoire de l’immigration durch den französischen Staatspräsidenten eröffnet. Nicht ungewöhnlich, sollte man meinen. Nur - das Museum gibt es seit 2007. Der nachholende Akt kam zustande, weil damals Nikolaus Sarkozy sich weigerte, das Museum zu eröffnen. Das Museum war 1989 von einem algerischen Immigranten, Zaïr Kedadouche, in Zusammenarbeit mit Wissenschaftern konzipiert worden.
Aber am 18. Mai 2007 traten acht Akademiker, die den Gremien der Cité de l’immigration angehörten (Patrick Weil, Gérard Noiriel, Nancy Green, Patrick Simon, Vincent Viet, Marie-Christine Volovitch-Tavarès, Marie-Claude Blanc-Chaléard, Geneviève Dreyfus-Armand), aus Protest gegen die von Nicolas Sarkozy veranlasste Gründung eines Ministère de l’immigration, de l’intégration, de l’identité nationale et du codéveloppement (wörtlich: Ministerium für Immigration, Integration, nationale Identität und Koentwicklung) zurück. Da diese Gründung sich ihrer Ansicht nach in „die Spur eines die Immigration stigmatisierenden Diskurses und in die Tradition eines auf Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber Fremden in Krisenzeiten basierenden Nationalismus“ einschreibt. Sarkozy, selbst Sohn einer Immigranten-Familie, eröffnete also das Museum nicht und der Stellvertreter, den er schickte, wurde vom Publikum vertrieben.
Nicht nur die „Verspätung“ der offiziellen Eröffnung spiegelt die zahllosen Probleme wieder, die Frankreich mit der Immigration hat, auch die Geschichte des Museums und die seiner Namensgebung reflektiert den sich wandelnden Diskurs über „die Anderen“. 1931 als Kolonialausstellung an der Porte Dorée begonnen und mit einem eigenwilligen Bau ausgestattet, wurde 1935 das Musée de la France d’Outre-mer daraus, dann 1960 das Musée des Arts africains et océaniens das 1990 als Musée national des Arts d'Afrique et d'Océanie zum Nationalmuseum wurde.
Diese jüngste Entwicklung wurde durch die Planung und Errichtung des Musée du Quay Branly ausgelöst, das Sammlungen aus dem gleichzeitig aufgelösten Museum an der Porte Dorée erhielt. Die Gründung der Cité nationale de l’histoire de l’immigration kann man auch als eine Art Kompensation lesen. Nämlich der der Verweigerung des Musée du Quay Brandy, sich diesen Fragen und denen der Kolonialgeschichte selbst zu stellen. Daß nun Präsident Hollande das Museum eröffnet, das schon sieben Jahre offen ist, schließt als Kuriosum nicht die lange Problemgeschichte ab, die die Errichtung der Cité bezeugt. Die gesellschaftlichen Probleme sind virulenter denn je. Sarkozy spricht inzwischen von Immigration als einer Bedrohung der französischen „Lebensart“. Zumindest an der Spitze der Republik und vor allem an der rechten Partei Front Nationale, wird die postimmigrantische Einsicht nicht ankommen, daß die nationalen Identitäten Frankreichs (zweifellos gibt es die nicht im Singular) ohne Immigration und Immigranten nicht denkbar sei.
Aber immerhin. In Frankreich gibt es, wie die genannten Rücktritte und Proteste sowie die anhaltende Debatte in der akademischen Elite zeigen, ein zivilgesellschaftliches Potential. Man läßt nicht alles über sich ergehen. Auch nicht in der Kultur- und Museumspolitik.
Ortswechsel. Berlin. Dort ist das Schloß in Bau. Als Teilrekonstruktion und moderner Neubau ersteht es wieder und soll künftig als ein Zentrum von Wissenschaft und Kunst werden, alles unter dem Titel „Humboldt-Forum“. Ein Zentrum des Projekts sind Teile der bislang in Dahlem ausgestellten ethnologischen Sammlungen. Gegen diese „Eingemeindung“ gibt es schon lange Protest. Denn es zeichnet sich nicht ab, daß dies unter nachdrücklicher Reflexion der Entstehung und Funktion dieser Sammlungen geschehen wird. Man hat eher den Eindruck, daß sie dazu beitragen sollen, die Repräsentativität des ganzen Museumskomplexes der Museumsinseln zu steigern und das dann riesige Ensemble von Museen zu einer weltweit mit anderen Elite-Adressen konkurrenzfähigen Destination des Kulturtourismus zu machen. Affirmation statt Nachdenklichkeit.
Im Gegenteil, sagen Kritiker, die Unterbringung der Sammlungen restauriere ihren brandenburgisch-preussischen kolonialen Kontext. Außerdem sei die Herkunft sehr vieler Objekte, angeblich von tausenden, unklar, viele seien unter Gewaltanwendung angeeignet worden, könnten also gar nicht als rechtmäßiger Besitz der Stiftung Preussischer Kulturbesitz angesehen werden. Last but not least sei der Namenspatron Alexander von Humboldt am Raub menschlicher Überreste beteiligt gewesen.
Das ist für die Stiftung und ihren Präsidenten aber nun der Kritik zu viel. Eine gemeinsam und lange vorbereitete Diskussion der Stiftung Preussischer Kulturbesitz mit dem in einem Bündnis „No Humboldt 21“ zusammengeschlossenen Kritikern, ließ der Stiftungspräsident Hermann Parzinger platzen. Schluß mit der Debatte. Zumindest vorläufig.

Dienstag, 23. Dezember 2014

Die Toten des Holocaust werben für die Grazer Museumsakademie


Holocaust-Deknmal Berlin als Teaser der Museumsakademie des Universalmuseum Joanneum auf deren Webseite
Ein Teaser [tiːzɐ] (von engl. tease „reizen, necken“) oder Anrisstext ist in der Werbe- und Journalismussprache ein kurzes Text- oder Bildelement, das zum Weiterlesen, -hören, -sehen, -klicken verleiten soll. Der Begriff Teaser stammt aus dem Marketing. Teaser sollen den Kunden neugierig machen und zur gewünschten Aktion führen. (Wikipedia)

Ausstellungstipp in letzter Minute: Weltkulturenmuseum Frankfurt mit "Ware & Wissen"

Sehr angetan haben es mir die Texte in der Ausstellung. Es sind, vor allem im ersten Raum, sehr viele und von Künstlern, Schriftstellern, Wiisenschaftern und der Leiterin des Museums verfasst. Alleine diese Collage aus Texten ist dermaßen reich an Informationen und Fragen, an Reflexion und Nachdenklichkeit, daß ich gerne einen halben Tag dort verbracht hätte, mit dem Katalog durchs Haus flanierend, mit Notizbuch im Foyer sitzend, vielleicht auch im Gespräch mit MitarbeiterInnen. Unglücklicherweise kollidierten meine Reiseplanung mit der Schließzeit des Museums, daß es dann nur zwei, drei Stunden sein konnten.

 Nur noch bis zur ersten Jännerwoche (4.1.) ist im Frankfurter Museum der Weltkulturen die Ausstellung "Ware & Wissen (or the stories you wouldn't you tell a stranger) zu sehen. Die Ausstellung ist der vorläufige Schlußpunkt einer etwa ein Jahr dauernden Recherche zur Geschichte des Hauses und eine vielfältige Selbstbefragung der historischen Sammlungen und der gegenwärtigen Aufgabe des Museums. Unter den ethnologischen Museen, die ich kenne, nimmt das Frankfurter Museum unter Clementine Delisse eine Avantgardeposition ein. Die Selbsterforschung fiel radikal aus und die Debatten, die der Ausstellung vorangingen (und vorbildlich im Katalog eingearbeitet sind) und die Ausstellung sind vielstimmig, facettenreich und originell. Wers gar nicht schafft nach Frankfurt sollte sich unbedingt den tollen Katalog beschaffen. Hier werden Wege angebahnt, wie man mit dem fragwürdigen und problembeladenen Museumstyp 'Völkerkundemuseum' - vielleicht - weitermachen und vor allem weiterkommen kann.

Nur ein Fisch (Objet trouvé)

Über dieses Bild ließe sich viel schreiben. Die gesamte Planungs- und neuere Nutzungsgeschichte des sogenannten Joanneumsviertels in Graz könnte man an Hand des Bildes dieser Vitrine, ihrer Aufstellung und ihren Zweck abhandeln. So viel Zeit habe ich grade nicht.
Ich würdige dieses etwas grimmig aussehende Präparat, für dessen "Echtheit" (also Anteil an Papiermache, Drahtgeflecht, Gips, Farbe etc.) ich nicht die Hand ins Feuer legen werde, als Versuch des Naturkundemuseums im Universalmuseum Joannem, die Aufmerksamkeit der Besucher zu lenken. Und zwar wegzulenken von den Kunstsammlungen und hinzulocken zu den derzeit ausgestellten "griechischen Tellern".


Die Vitrine wurde erst kürzlich in das unter der Erde liegende Foyer gestellt, nahe einer der konischen Glasöffnungen, die der Belichtung des unterirdischen Gebäudeteils dienen. Sie steht zwar etwas abseits, aber vielleicht geht die Wirkung ja von der "Anmutungsqualität" (Gottfried Korff) des einzigen Originalobjektes aus, das bislang im Foyer ausgestellt wurde?
Vor der Vitrine sinnierte ein junger Mann, "erstklassiger Fisch für eine Boullabaise". Das war eine sicher nicht im Sinne der Erfinder liegende aber recht passable Assoziation, die mich mit einem ausgebildeten Koch und Teilzeitmitarbeiter des Hauses ins Gespräch brachte, nicht über Fische oder Fischgerichte, aber über die Arbeitsverhältnisse in der Gastronomie.
Da sieht man mal wieder, was man nicht alles lernen kann im Museum.

Sonntag, 21. Dezember 2014

Ansichtssachen. Das nagelneue Musée des Confluences. Teuer und was eigentlich außerdem noch?

2001 wurde das Siegerprojekt ermittelt, dreizehn Jahre später wurde es nun eben eröffnet, das Musée des Confluences, nach Plänen des österreichischen Architektenbüros Coop Himmelb(l)au und ungleich teurer als veranschlagt.
Wieder mal ein Museum, das einer Großstadt an einem ihrer problematischen Punkte (Autobahn, Eisenbahn, Flußlandschaft, ziemlich häßliche Umgebung...) "stadträumliche und volkswirtschaftliche Schubkraft" verleihen soll. Wieder mal ein Wissenschaftsmuseum. Mit möglichst beträchtlicher Tourismusattraktivität. Vielleicht. Dafür also, weils in Bilbao ja geklappt hat, oder?, ein "Signature-Building im Dienste der Stadtreparatur". Reparatur heißt, die Stadt soll nicht mehr ganz so hässlich aussehen wie vorher.
"Du hast einen Gehry? Wir kriegen einen Prix. Baust du eine Hadid, besorgen wir uns einen Nouvel. Das sind nicht nur gute Architekten. Es sind auch Renditeversprechen."
Die Rendite wirds geben. Irgendwer muß ja schließlich an der Kostenexplosion verdient haben, statt 60 Millionen Euro fünf Mal so viel. Nicht schlecht. Und jahrelange Bauverzögerung.
Der Rezensent ist angetan einerseits, von der Architektur, andrerseits wundert er sich über so viel investiertes Geld, die exorbitante Kostensteigerung und die Melange aus "Staunen-Wollen (Stadt Lyon) und Staunen-Liefern (Coop) (...) also aus Profilierungssehnsucht, Bauherrenambition und Politikerehrgeiz. Aus Architekturkönnen obendrein."
Und warum wird so etwas eigentlich dermaßen teuer? "Gründliche Voruntersuchungen und Kostenkalkulationen hat es vorab kaum gegeben. Unberücksichtigt blieb zum Beispiel die an einem solchen Bauplatz unabdingbare Baugrunduntersuchung. Auch wurde das Verfahren zur Bauleitplanung mehrfach geändert, die Zuständigkeiten wechselten - dann wurde das Ganze auf Eis gelegt. Für Jahre. Dann wurde das Raumkonzept geändert. Dann kamen weitere Sonderwünsche hinzu. Dann wurden die Sicherheitsrichtlinien verändert - versicherungstechnisch."
Was mir aufgefallen ist (der ich nur Fotos sehe und Texte lese, aber das Museum klarerweise nicht kenne). Es gibt jede Menge an Ansichten von Außen, Pläne, Skizzen, Animationen, Fotos, einige sehr wenige von Innenräumen (die extra trostlos aussehen, aber wer weiß?) und kein einziges (ich habe keines gefunden, das Auskunft über das Zusammenspiel von Exponaten und Architektur gibt. Der Rezensent, den ich hier zitiere, erwähnt auch mit keinem Wort, worum es denn nun geht im Museum, was es denn zu sehen, zu erfahren, zu "lernen", zu "wissen" gilt. Nichts.
Und. Wie sehr ich mich - mit Hilfe der zahllosen Fotos auch um das Museum herumbewege, die diversen Ansichten studiere, mich drehe und wende, ansprechend ist es nicht. 

Alle Zitate aus dem Bericht von Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung vom 20.12.2014, "Wunder gewünscht, Fiasko bekommen". (Hier)











Mittwoch, 17. Dezember 2014

verstörend (Texte im Museum 503)


Sterbebegleitung fürs Weltmuseum

"Wir werden redimensioniert". "Cover" des Weltmuseum-Blogs

In einer Kultursendung des ORF Fernsehens wurde über den Baustopp berichtet, der genau in dem Moment von Minister Ostermeyer verhängt wurde, als das Museum eben geschlossen hatte, um seinen "Relaunch" zu beginnen. Bislang galt als zentrale Begründung für den Stopp, daß künftige Betriebskosten eines erweiterten Weltmuseums in den Planungen nicht enthalten und nicht finanzierbar seien.
In der TV-Sendung wollte Minister Ostermeyer offenbar das Bild eines visionären Machers präsentieren. Ich bin hingegangen (ins Museum), sagt er, habe mir die Räume angesehen. Und da sei ihm die Erleuchtung einer Win-Win-Situation gekommen.
Wir, in Verschleierungs-Politspeak geschulte Staatsbürger, wissen inzwischen, daß eine Win-Win-Situation etwas wirklich Herrliches sein muß. Warum - ich fahre in der Schilderung des Erweckungserlebnisses von Herrn Minister Ostermeyer fort -, warum sollte man in den mit ministeriellem Besuch nobilitierten Räumen nicht zwei statt bloß einem Museum errichten? Fragt uns der Minister. Eine rhetorische Frage, denn die Antwort ist sonnenklar. Das versteht jeder. Ein Museum ist gut, aber zwei sind natürlich viel besser. Noch dazu, wenn man zwei zum selben Preis bekommt. Denn, so der Minister, um die für den Ausbau vorhandenen Mittel ginge sich auch noch "Haus der Geschichte" aus. In den Räumen, die für die Erweiterung des Weltmuseums geplant seien.
Der Direktor des betroffenen Museums wird - in derselben Sendung - so deutlich wie bisher noch nie. Österreich macht sich lächerlich, sagt er in die Kamera hinein.
Aber da gibt es nun den Sog, der ansonst kluge und besonnene Menschen zur Idee eines "Hauses der Geschichte" zieht und die nicht nur diese Idee an und für sich und ohne jeden Gedanken an Zweck, Sinn, Inhalt, Form, Autorschaft, Interessen, Machtverhältnisse gutheissen, sondern auch den Standort als zentralen Ort der österreichischen Geschichte (ein Historiker) für ideal halten. Daß - einmalig in der Geschichte der Bundesmuseen - zwei Institutionen offen gegeneinander ausgespielt werden, ist eine Sache, eine andere, daß mit dem "Halt" für das Weltmuseum dieses in eine schwierige Lage gebracht wird. Man kann ja nicht einfach jetzt irgendwie an den alten Plänen herumbasteln und die implizite und gewünschte "Redimensionierung" in Angriff nehmen (was Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums andeutet. Denn so lange weder ein realisierungsreifer Plan für ein Haus der Geschichte vorliegt, also Raumbedarf, Kosten usw. feststehen, kann im Grunde am Weltmuseum gar nichts getan werden außer die Schließung zu verwalten. Hätte man die Schließung vor dem Stopp bekanntgegeben, hätte das Museum eine Chance, wenigsten in dem provisorischen Rahmen, also mit einem schon veralteten, halbherzig realisierten Daueraustellungs-Fragment und diversen Sonderausstellungen und Veranstaltungen sozusagen am Leben zu bleiben. Ohne Perspektive zu schließen, das Museum mit verstreichender Zeit von seinem Stammpublikum abzukoppeln, schickt es aber auf den Weg in ein langsamen Siechtum. Und auch das ist einmalig. Noch nie ist ein staatliches Museum indirekt mit der "Abwicklung" bedroht gewesen.

Hier der Link zur ORF-Sendung: http://tvthek.orf.at/…/Kulturmont…/1303/Kulturmontag/8947109

Dienstag, 16. Dezember 2014

Der einzige Überlebende (Objet trouvé)



"Comanche, Pferd von Captain Myles Keogh. In der Schlacht bei Little Big Horn 1876, die mit einer der wenigen Niederlagen einer Amerikanischen Militäreinheit im Kampf gegen indianische Stämme endete, wurden etwa zweihundert Soldaten getötet. Die Indianer nahmen alle Pferde mit, nur dieses eine, vielfach verwundet, blieb am Schlachtfeld zurück. Es blieb im Militätrdienst, mit der Auflage, daß es nie mehr geritten werden dürfe und diente als Maskottchen. Nach seinem Tod 1891 wurde es für die Weltausstellung in Chicago 1893 präpariert. Comanche wird heute im University of Cansas Natural History Museum gezeigt.



Montag, 15. Dezember 2014

Text als Distinktion. Insidersprech (Texte im Museum 502)

Universalmuseum Joanneum/Bruseum. Ausstellung Damage Control 2014 Foto GF

Kunstraubland Deutschland?

Na das ist ja mal eine Neuigkeit! Jedenfalls für mich. Deutschland hat einen Spitzenplatz als Drehscheibe internationalen Handels mit geraubtem Kulturgut. Sagt DIE WELT in einem Artikel, in dem sich schriller Alarmismus breitmacht. Aber auch Fakten geliefert werden. 2016 soll es ein neues einschlägiges Gesetz geben. Der Kunsthandel ist eher untröstlich. Aber: Nach Waffen und Drogen gilt Kunst als der drittgrößte illegale Markt. Mit derzeit Irak und Syrien als hauptsächlich betroffene Länder. Und Deutschland ist ganz vorne mit dabei.

Werner Bloch: Kampf um die DNA der Menschheitsgeschichte, In: Die Welt. 15.12.2014

Samstag, 13. Dezember 2014

Ein weithin unbekanntes Sammelgebiet


Quelle: Internet/Magazin "Girl Watcher" 1959

Ein Dokument des Versagens. Die staatliche Verwaltung des "Weltmuseums" (Völkerkundemuseums) in Wien als Sterbebegleitung.

Vorbemerkung: Mit Ausnahme eines vor vielen Jahren erschienen Rechnungshofberichts habe ich noch nie ein anderes Dokument zu lesen bekommen, das derart tiefe Einblicke in die Verfasstheit eines Bundesmuseums ermöglicht. Der Text zirkuliert anonym bzw. unter verschiedenen Psedonymen und muß in den letzten Tagen verfasst worden sein, weil er sich bereits auch auf den ministeriell verfügten Planungs- und Baustopp bezieht.
Matthias Beitl, der Leiter des Volkundemuseums, hat diesen Text innerhalb der Online-Enquete zur Zukunft von Weltmuseum, Haus der Geschichte, Neuer Hofburg und Heldenplatz zugänglich gemacht. Mit seiner Zustimmung veröffentliche ich ihn auch hier (er verdient wirklich möglichst weite Verbreitung) und mit seiner Einleitung.

Matthias Beitl: Jemand hat sich die Mühe gemacht, die Schließungsgenese recht genau zu recherchieren. Dabei wurde im Bereich des Jahres 2010 der Entschließungsantrag von Rot, Grün und Schwarz an Ministerin Schmidt vergessen, der besagt: "Die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur wird aufgefordert, alle rechtlichen, organisatorischen, personalrechtlichen und finanziellen Vorkehrungen zu prüfen, die eine Zusammenführung des Museums für Völkerkunde und des Österreichischen Volkskundemuseums zum Museum NEU (Arbeitstitel) als eigenständige Einrichtung ermöglichen und dem Nationalrat darüber zu berichten." Irgendwie war damals aber keine Lust vorhanden, das auch nur anzudenken. Noch eine Anmerkung zu dem nun folgenden Text: Die Fakten sind gut gelistet, inhaltliche Fragen wie etwa am Schluss zum Namen etc. sind zu diskutieren. Wichtig aber die Frage: Von welchem Beobachtungshorizont weg startet rezente Museumspolitik - und da kann die folgende Aufstellung in Form eines Briefes an BM Ostermayer von Unbekannt etwas beitragen, nach dem Motto von Mitterauer "Damit es nicht verloren geht...":

Anonymus (Peter Heger, bzw. Michael Haberlandt)

Sehr geehrter Herr Bundesminister Josef Ostermayer,

Ihre Argumente zur Redimensionierung des Projekts "Weltmuseum Wien" sind nachvollziehbar. Leider hat man Ihnen zur Beurteilung dieser Angelegenheit ganz sicher nicht alle Fakten zur Vorgeschichte dieses Projekts vorgelegt. Diese Vorgeschichte, nämlich die Geschichte der letzten 15 Jahre des "Museums für Völkerkunde", sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Das was man Ihnen zur Entscheidung auf Ihren Schreibtisch gelegt hat, ist ja vermutlich auch ein Teil dieses Versuchs die historische Wahrheit zu verschleiern, sie zu vergessen bzw. sie nur "etwas einseitig" darzustellen. Was auch immer sie in den kommenden Monaten oder Jahren mit diesem Museum vorhaben ist Ihre alleinige Entscheidung als zuständiger Bundesminister, aber vielleicht wäre es für Sie doch nicht ganz unwichtig diese Vorgeschichte zu kennen. Vielleicht finden Sie die Zeit sich auch die andere Seite der Münze bzw. der Wahrheit anzuhören.
Dies ist die Geschichte:

Die Generalsanierung des Museums für Völkerkunde

Aufgrund zweier Ministerratsbeschlüssen von 1987 und 1990 wurde in der 1990er Jahren ein Bauinvestitionsprogramm für die Bundesmuseen im Gesamtumfang von ATS 3,3 Milliarden Schilling in die Wege geleitet ("Museumsmilliarde"). Mit diesem Investitionsprogramm sollte auch eine Generalsanierung des Museums für Völkerkunde erfolgen, da seit dem Einzug des Museums für Völkerkunde in das Corps de Logis der Neuen Hofburg (1928) keine Investitionen in die bereits stark sanierungsbedürftige Bausubstanz erfolgt waren. In den Kulturberichten des BMUKK (jetzt im Bundeskanzleramt) steht 1998 zu lesen: "Die bis in die 80er Jahre in vielen Bereichen vernachlässigte Gebäudeerhaltung bzw. fehlende Investitionen in museumstechnischer Hinsicht … haben einen gewaltigen Nachholbedarf mit sich gebracht…"
In den Kulturberichten des Bundesministeriums lässt sich (fast) die ganze Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte des MVK und seiner "Generalsanierung" nachvollziehen. Im Kulturbericht 1998 steht weiters zu lesen:
"Die Generalsanierung des Museums für Völkerkunde hat 1991 mit der Neugestaltung von Ausstellungsälen im Mezzanin (Altertum der Neuen Welt, Polynesien, Indianer Nordamerikas) begonnen und fand ihre Fortsetzung mit der Trockenlegung der Fundamente und somit zur Stabilisierung des Klimas in den Depots im 1. Keller.
Ab dem Jahre 1999 werden wesentliche Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, im Zuge derer ein völlig neu gestaltetes, zeitgemäßes, lebendiges Museum für Völkerkunde mit ganz neuen Möglichkeiten entstehen wird."
Der Kulturbericht gibt (nach einer Aufzählung der detaillierten Sanierungs- und Bauvorhaben) die konkreten Eckdaten der Sanierung des Museums für Völkerkunde bekannt:

Baubeginn: Herbst 1999
Bauzeit: Fertigstellung voraussichtlich 2003
Baukosten: ATS 156 Mio. (=11.3 Mio. Euro) Planer: Arch. Sepp Müller
Bauträger: Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten
Burghauptmannschaft in Wien
Einrichtungskosten: BMUK ATS 130 Mio. (Presseunterlage von Dir. HR Dr. Peter Kann).
(Die Schaufläche [Ausstellungsfläche] des Museums wird mit 4.550 m2 ausgewiesen.

Der Kulturbericht 1999 vermerkt, dass in der ersten Bauphase die Generalsanierung der Lichtkuppel über der Eingangshalle vorgenommen wird, sowie dass in den Kellergeschoßen neue Depoträume geschaffen werden. Zur Vorbereitung wurde 1999 ein Zwischendepot für die Auslagerung der gesamten Sammlungsbestände des Museums während der Bauarbeiten angemietet.
Im Jahre 2000 wurden die Bauvorhaben im Museum für Völkerkunde zwar planmäßig weitergeführt, aber sie werden im Kulturbericht nicht weiter erwähnt, da in diesem Jahre im von Frau Ministerin Elisabeth Gehrer geleiteten BMUK beschlossen wurde, das Museums für Völkerkunde (sowie das Theatermuseum) in das Kunsthistorische Museum einzugliedern.

"Die Überleitung der beiden Häuser in das KHM erfolgte per 1. 1. 2001 auf Basis von Einbringungsbilanzen. Dabei wurden die Vermögensgegenstände bewertet und den Passiva gegenübergestellt. Die Saldogröße aus diesen Positionen wurde als Eigenkapital ausgewiesen". Diese Eingliederung wurde mit einer Reihe von angeblichen Vorteilen begründet, wobei "Synergieeffekte im Sinne von Kosteneinsparungen" im Mittelpunkt standen. Auch das Argument, dass die Kosten der Umsetzung der Vollrechtsfähigkeit eingespart werden konnten sind unzutreffend, da jede kleine Firma vollrechtsfähig ist und dafür keineswegs einen aufgeblähten Verwaltungsapparat benötigt. Weshalb hätte das MVK das nicht schaffen sollen, was jeder kleine Greissler oder Wirt ums Eck kann?

Dass der eigentliche Grund dieser "Eingliederung" (mit der das Museum für Völkerkunde seine Unabhängigkeit als eigenständiges Museum verlor) in der angeschlagenen finanziellen Lage des KHM gelegen hatte, lässt sich aus den folgenden Passagen unschwer erkennen:
"Das Budget und die Verwaltung des KHM wurden im Jahr 2001 durch die Eingliederung des Museums für Völkerkunde und des Österreichischen Theatermuseums wesentlich beeinflusst … Das Gesamtbudget des KHM einschließlich MVK und ÖTM wurde für einen vierjährigen Zeitraum aufgestellt und geht von einer ausgeglichenen Gebarung aus … Gegenüber dem Vorjahr konnte die Eigenmittelquote von 48,86% auf 49,7% erhöht werden. Diese Erhöhung resultiert aus der Einbringung des Museums für Völkerkunde und des ÖTM…"
Mit anderen Worten: Das durch die Betriebsführung des damaligen Generaldirektors Wilfried Seipel schwer verschuldete Kunsthistorische Museum, sollte durch die Einbringung des Völkerkundemuseums als Aktivposten die Finanzlage des KHM (ohne direkte Geldzuwendungen des Ministeriums) sanieren. Das Geschenk der Frau Ministerin Elisabeth Gehrer an ihren Parteifreund Seipel war auch eine "feindliche Übernahme", da der damalige Direktor der Museums für Völkerkunde Dr. Peter Kann (im Gegensatz zu Seipel) in den Entscheidungsprozess nicht nur nicht eingebunden war, sondern auch noch vom Beschluss der Übernahme aus den Zeitungen erfahren musste. Als Konsequenz verabschiedete sich Direktor Kann in die Frühpension und das Seipel-Imperium konnte nun ungehindert das MVK als Cash-Cow verwerten.

Der erste Abschnitt der Generalsanierung des Museums für Völkerkunde wurde mit der Fertigstellung der Kellerdepoträume (mit dem Einbau von Rollregalanlagen) im Sommer 2001 noch abgeschlossen. Die in den Kulturberichten 2001 und 2002 folgende Behauptung, dass die "bauliche Generalsanierung des MVK planmäßig weitergeführt wurde" entsprach jedoch schon nicht mehr den Tatsachen.

Die wichtigste Veränderung war, dass ab 2001 alle Gelder aus Bundesmitteln (sowohl die für den laufenden Betrieb als auch jene für die bauliche Generalsanierung des MVK bewilligten und budgetierten Gelder) zur alleinigen Verfügung des KHM ausgezahlt wurden. Der Generaldirektor der Kunsthistorischen Museums Hr. Wilfried Seipel und seine Kaufmännische Leiterin Frau Mag. Gabriele Zugay entschieden nun de facto alleine über alle staatlichen Gelder die für das Museum für Völkerkunde vorgesehenen waren. Dem MVK wurde ab diesem Zeitpunkt jeder Einblick in die Verwendung seines eigenen Budgets verwehrt, es wurde im nunmehrigen "Gesamtbudget der Wissenschaftlichen Anstalt KHM" anonymisiert und nach den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Interessen des KHM-Gesamtverbundes (aber nicht mehr nach jenen des MVK) eingesetzt. Das war der zentrale "Synergieeffekt". Das Museum für Völkerkunde aber musste ab nun buchstäblich um jeden neu anzuschaffenden Bleistift ins KHM betteln gehen.

Im Juli 2002 wurde Frau Dr. Gabriele Weiss von der Generaldirektion als interimistische Leiterin des Museums für Völkerkunde eingesetzt. Dem mit der Generalsanierung des Völkerkundemuseums beauftragten Architekt Sepp Müller war aber zu diesem Zeitpunkt (mit nicht sehr kultivierten Mitteln) bereits der Auftrag zur Fortführung der baulichen Sanierungsmaßnahmen entzogen worden. Damit war die ursprünglich für 2003 geplante Fertigstellung der Generalsanierung des Museums für Völkerkunde (und die Eröffnung eines "völlig neu gestalteten, zeitgemäßen, lebendigen Museums für Völkerkunde mit ganz neuen Möglichkeiten") schon alleine aus diesem Grund nicht mehr möglich. Stattdessen wurde 2002 ein neuer Auftrag zur "Generalsanierung u. Erweiterung des Museums für Völkerkunde" (im Wert von 20 Mio. €) an den Architekten Dipl. Ing. Martin Bachner vergeben. Der Termin der Fertigstellung der Generalsanierung des MVK wurde damit von 2003 um vier Jahre auf 2007 verschoben. Die eigentlichen Ursachen, Umstände und Konsequenzen dieser neuen Auftragsvergabe und der damit verbundenen zeitlichen Verschiebung wurden jedoch nicht nach außen kommuniziert, der Kulturbericht des Bundesministeriums übergeht diese Fakten mit der irreführenden Bemerkung "Die bauliche Generalsanierung des MVK wurde planmäßig weitergeführt". Für 2002 wurde lediglich vermerkt, dass die Sammlungsobjekte vom Außendepot Korneuburg in die neuen Kellerdepots des Corps de Logis der Neuen Hofburg rückgeführt wurden und eine Konzeptionierung der neuen Dauerausstellungen erfolgte, bauliche Maßnahmen werden jedoch nicht erwähnt; lediglich die vage Absichtserklärung "Die nächsten großen Sanierungsabschnitte umfassen das Dachgeschoß und in weiterer Folge die Schausammlungen".

Im Kulturbericht 2003 wird berichtet, dass "Im Vorfeld der Generalsanierung des MVK … als erste Bauphase" ein Lastenlift eingebaut wurde. Das heißt, im geplanten Jahr der Fertigstellung und Neueröffnung des MVK ist man auf einmal wieder in einem "Vorfeld der Generalsanierung" und einer "ersten Bauphase" angelangt. Der Bericht erwähnt noch einmal, dass die "im Herbst 1999 begonnene Generalsanierung … voraussichtlich bis 2007 abgeschlossen" sein wird und die neuen Ausstellungsflächen (wie schon vor 1999) unverändert 4.550 m2 groß sein werden. Außer dem Einbau des Lastenlifts erfolgten 2003 keine Baumaßnahmen.

Im Kulturbericht 2004 wird bekannt gegeben, dass das Museum am "1. 3. 2004 zur Vorbereitung der Generalsanierung für die Öffentlichkeit geschlossen" wurde. Die 2003 genannte "Vorbereitungsphase" dauert also auch noch 2004 ohne jede konkrete Baumaßnahme an. Für das geschlossene Museum wird jedoch mit 1. 4. 2004 ein neuer Direktor bestellt, Hr. Dr. Christian F. Feest.

Nach der erfolgten Museumsschließung scheinen die Baufirmen unter dem neuen Architekten Dipl. Ing. Martin Bachner allmählich doch von der Planungsphase zu konkreten Bauarbeiten übergegangen zu sein, der Kulturbericht 2005 weist die Fertigstellung des Dachbodenausbaus (Büroarbeitsplätze) mit Ende Oktober 2005 aus. Mit November 2005 wurde mit dem Umbau der Restaurierwerkstätten im Mezzanin begonnen. Unter der neuen Direktion Christian F. Feest wurden die museumsinternen Planungen für die Neuaufstellung der Schausammlungen und Sonderausstellungen für 2007 und 2008 weiterentwickelt, die Museumsbibliothek war (wegen der nun wieder in Gang gekommenen Umbauarbeiten) geschlossen.

Der Kulturbericht 2006 vermerkt, dass die neuen Büroräumlichkeiten im Dachgeschoß der Neuen Burg vom wissenschaftlichen Personal des MVK bezogen wurden und dass die Bibliothek des MVK an ihrem neuen Standort in den Burggartensälen wieder geöffnet wurde. Für 2006 werden keine Baumaßnahmen erwähnt.
Nicht erwähnt wird die Tatsache, dass auf Veranlassung des KHM Generaldirektors Wilfried Seipel beim Dachbodenausbau von den ursprünglichen Bauplänen abgewichen worden war: es wurde weitaus mehr Dachbodenfläche in Büroräume ausgebaut als das MVK eigentlich benötigt hätte. Damit schuf Hr. Seipel zusätzliche Büros für einige Mitarbeiter des Kunsthistorischen Museums. Die damit verbundene Budgetüberschreitung alleine war aber nur ein kleinerer Teil des Budgets der Generalsanierung und erklärt bei weitem nicht den Stillstand der Baumaßnahmen durch Budgeterschöpfung und leere Kassen. Die Frage, inwieweit es seit der "Eingliederung" des MVK 2001 zu zweckentfremdeter Verwendung der für das Museum für Völkerkunde vorgesehenen Bundesmittel gekommen war, wurde nie öffentlich gestellt und schon gar nicht glaubwürdig beantwortet.

Da aber die Finanzgebarung des Kunsthistorischen Museums offensichtlich nun auch die Schmerzgrenze für das (seit 11. Jänner 2007 von Claudia Schmied geleitete) Ministerium überschritten hatte, wurde mit 1. April 2007 dem KHM-Generaldirektor ein kaufmännischer Geschäftsführer zur Seite gestellt (Dr. Paul Frey). Dieser sollte von nun an die Kontrolle über die Finanzen das KHM übernehmen. Diese Teilentmachtung des Generaldirektors führte in der Folge auch prompt zur fristlosen Entlassung der bisherigen kaufmännischen Leiterin Frau Mag. Gabriele Zugay.
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Der Kulturbericht 2007 verzeichnet zwar die Einrichtung eines neuen Shops im Eingangsbereich des Museums, sowie am 8. Mai die Eröffnung einer Sonderausstellung "Benin. Könige und Rituale" im Völkerkundemuseum, dieses wird aber im Anschluss daran, am 3. September 2007, sofort wieder geschlossen. Es wird weiters vermerkt, dass "Die bauliche Erneuerung 2008 abgeschlossen sein soll. Der Zeitpunkt der endgültigen Einrichtung der Schausammlungen sei allerdings noch nicht absehbar." Gleichzeitig erfolgt der Hinweis "Eines der wichtigsten Vorhaben des KHM in den kommenden Jahren ist die Wiedereröffnung der seit 2002 geschlossenen Kunstkammer", nicht jedoch das MVK. Allerdings erfolgte im November 2007 für die Wiedereinrichtung eines einzigen Saales der Schausammlung (Süd-, Südostasien und Himalajaländer) die Ausschreibung und Beauftragung eines Architekten.

Im Jahre 2008 nutzte Generaldirektor Seipel noch einmal die Sonderausstellungsräume des MVK (in denen das Völkerkundemuseum im Vorjahr die Sonderausstellung "Benin" zeigen durfte) für die KHM-Ausstellung "Tutanchamun und die Welt der Pharaonen" (9. März bis 28. September), mit Jahresende musste Wilfried Seipel dann endgültig seine Funktion als Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums zurücklegen. Vorher konnte er noch (am 18. November) die Eröffnung des einen Sales im Mezzanin ("Götterbilder. Südasien, Südostasien, Himalayaländer") als "Teileröffnung des Museums für Völkerkunde" bekannt geben.
Der Kulturbericht vermerkt ferner, dass sich die Leitung des KHMs um "die erforderliche Finanzierung der Neueinrichtung der Kunstkammer bemüht, und Fragen hinsichtlich der weiteren Finanzierung der Neuaufstellung der Schausammlungen im Museum für Völkerkunde zu klären versucht.
Weshalb die mit Baubeginn (1999!) budgetierten Finanzmittel für die Generalsanierung des Corps de Logis der Neuen Hofburg und die vollständige Wiedereröffnung des Museums für Völkerkunde nicht ausreichend gewesen waren, sowie die damit verbundene Frage weshalb das Museum noch immer nicht wiedereröffnet werden konnte, wurde im Kulturbericht 2008 nicht erwähnt.
Bei einer Pressekonferenz anlässlich des 80-jährigen Bestehens des Museums für Völkerkunde bedauerte der scheidende KHM-Generaldirektor, dass sich das Kulturministerium an die ursprünglichen Finanzierungspläne (9,8 Millionen Euro) "klammere" und er von diesem "keine zusätzliche Mittel lukrieren" könne. Der Pressesprecher von Kulturministerin Claudia Schmied meinte, dass man "die neue Leitung der KHM-Gruppe" abwarte. (DER STANDARD vom 27.05.2008). Und so blieb das Museum für Völkerkunde (bis auf einige Sonderausstellungen) auch in den darauf folgenden Jahren de facto geschlossen.

Auf der Suche nach einem Ausweg aus der bereits fast hoffnungslosen Situation des MVK, wurde seitens der Direktion des MVK (Christian F. Feest) nun Überlegungen vorangetrieben, durch eine Fusion des Völkerkundemuseums mit dem Volkskundemuseum ein neues Museum zu schaffen. Die Idee der historischen Überwindung der Trennung von europäischer und außereuropäischer Ethnologie auf musealer Ebene war verknüpft mit der Hoffnung, sich als neues Museum aus dem finanziellen Würgegriff des Kunsthistorischen Museums zu lösen.
Der Kulturbericht 2009 vermerkt, dass die vom Bundesministerium geförderten Gespräche zur Fusion von Volks- und Völkerkundemuseum weitergeführt wurden. Bauliche Maßnahmen zur Fertigstellung der vor mittlerweile zehn Jahren begonnenen Generalsanierung des Corps de Logis der Neuen Hofburg wurden keine durchgeführt. Sabine Haag wird ab 1. Jänner 2009 Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums.

Im Kulturbericht 2010 erklärt das KHM, dass das vorrangiges Ziel des KHM die Wiedereröffnung der Kunstkammer bleibt, sowie in der Folge der Umbau des zweiten Stockwerks des KHM. Dafür gab es im Sommer 2010 eine Finanzierungszusage des Bundesministeriums, jedoch wieder nicht für das Museum für Völkerkunde.

Die Gespräche zur Fusion von Volks- und Völkerkundemuseum zu einem neuen Bundesmuseum sind gescheitert: Die kaufmännische Geschäftsführung des KHM hatte sich mit dem Argument, dass sich "das KHM eine Loslösung des MVK aus dem KHM-Verbund finanziell nicht leisten könne" gegen diese Loslösung und die Schaffung eines neuen, unabhängigen Bundesmuseums gestellt. Diese Position wurde von Kulturministerin Claudia Schmied übernommen, worauf das Volkskundemuseum letztlich eine Eingliederung in die Oberhoheit des KHM-Verbundes (ein Schicksal ähnlich jenem des MVK) ablehnte. Margot Schindler, die Direktorin des Volkskundemuseums sagte "Wir werden unsere ohnedies nicht gute Position nicht noch weiter verschlechtern."

Um ein Scheitern der Bemühungen der letzten Jahre im letzten Moment zu verhindern, wandte sich der Direktor des Völkerkundemuseums, Christian F. Feest , in einem offenen Brief an das Ministerium und an die Kultursprecher des Parlaments um "seiner Sorge um die Zukunft des Hauses" auszudrücken. Das führte dazu, dass die Ministerin im Parlament Stellung zu dieser Angelegenheit nehmen musste, sie äußerte sich dort dahingehend, dass sie sich "die Gründung eines neuen Bundesmuseums wegen der finanziell angespannten Situation nicht vorstellen könne". Darüber hinaus äußerte sie im parlamentarischen Kulturausschuss auch ihren Unmut über Feests Brief und sprach von "Konsequenzen", die dieses Verhalten nach sich ziehen könnte (Der Standard, 14.10.2010).

Diese angedeuteten Konsequenzen ließ sie bereits Tags darauf durch die Geschäftsführung des KHM einleiten: Der Direktor wurde in die Generaldirektion zitiert und ihm mitgeteilt, dass sein Brief einen Grund für eine fristlose Entlassung darstellt. Er habe den Dienstweg nicht eingehalten und einen schweren Vertrauensbruch begangen, da die Vertretung des Völkerkundemuseums nach außen hin alleine in der Kompetenz der Generaldirektion liege. Unter der Auflage sich jeder weiteren öffentlichen Stellungnahme zu enthalten, wurde die fristlose Entlassung dann jedoch in eine einvernehmliche Auflösung seines Dienstverhältnisses abgemildert. Allen Mitarbeitern des MVK wurden im gleichen Atemzug derselbe "Maulkorb" verpasst, sodass von nun an nur mehr die offizielle Position des KHM kommuniziert werden durfte.

Damit war das Museum für Völkerkunde 9 Jahre nach seiner finanziellen Entmündigung (Eingliederung in den KHM-Museumsverbund) im Jahre 2010 endgültig verstummt. Die alleinige Vertretung bzw. Verwertung des MVK obliegt nun alleine der Geschäftsführung des KHM, wobei dessen Generaldirektorin Sabine Haag zunächst die interimistische Leitung des finanziell ausgebluteten und nun auch enthaupteten Museums übernahm. Von einer Fertigstellung der Generalsanierung und der Wiedereröffnung der Ausstellungssäle wurde nicht mehr gesprochen.

Der Kulturbericht 2011 verzeichnet außer zwei Sonderausstellungen ("Mao" und "Wald") keinerlei Maßnahmen zur Wiedereröffnung des Museum für Völkerkunde.

Im Kulturbericht 2012 wird die Berufung des Holländers Dr. Steven Engelsman als neuer Direktor des MVK mit 1. Mai 2012 bekannt gegeben. Mit ihm soll für das MVK "eine neue Periode anbrechen, in deren Zentrum die Neukonzeption des Hauses innerhalb von fünf Jahren steht". Neben dieser weiteren Verschiebung der Wiedereröffnung um einige weitere Jahre wird auch noch mitgeteilt, dass das Mitarbeiter-Team des Museums "durch einen grundlegenden Reorganisationsprozess strukturiert wird", wobei man sich eine gänzlich neue Abteilung "Marketing und Kommunikation" insbesondere für einen neuen "Markenauftritt" leisten wollte. Für dessen Leitung wurde ein Herr Nikolaus Putnik angestellt, die Notwendigkeit dieser neuen Marketingabteilung für ein großteils geschlossenes Museum wurde jedoch vom KHM nicht erläutert. Jedenfalls wurde im November 2012 dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ein Konzept zur Neuausrichtung des Hauses als "WeltmuseumWien" präsentiert. Weiters wird noch mitgeteilt, dass die Umsetzung des Konzepts 2013 beginnen und bis Ende 2016 abgeschlossen sein soll. Bauliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ausstellungssäle wurden auch 2012 keine gesetzt.

Der Kulturbericht 2013 dokumentiert gleichzeitig mit der Eröffnung der Sonderausstellung "Getanzte Schöpfung" im April 2013 die Bekanntgabe des neuen Markennamen "Weltmuseum Wien". Die Folge dieser unnötigen und unglücklichen Umbenennung: das Museum für Völkerkunde mit seiner langen Geschichte und den letzten 10 Jahren seines Siechtums wird vergessen. Und je mehr Marketing für dieses neue "Weltmuseum Wien" gemacht wird (von dem aber keiner so genau weiß, was das eigentlich ist), desto weniger wird man sich an das alte Museum für Völkerkunde erinnern. Jedenfalls wurde in einem groß angelegten Auswahlverfahren ein internationales Architektenteam ausgewählt, das nun um 27 Millionen Euro das Corps de Logis der Neuen Hofburg noch einmal (!) zu einem neuen "Weltmuseum Wien" umbauen soll. Weshalb es nun nicht mehr genügen sollte, einfach nur die seit vielen Jahren im Baustellenzustand leer stehenden Ausstellungsräume fertig zu sanieren und mit neuen Ausstellungsinhalten zu füllen, wurde weder von der KHM-Generaldirektion noch von dem von ihr bestellten neuen holländischen Direktor plausibel erklärt. Die logische Variante des Fertig-Sanierens hätte vermutlich nur einen Bruchteil gekostet.

Im November 2014 wird auch dieses Projekt vom neuen Kulturminister Josef Ostermayer gestoppt. Der Stopp wurde nicht nur wegen der neuerlichen Umbaukosten verfügt, sondern auch deshalb, weil laut KHM für den laufenden Betrieb des fertig gestellten Museums eine Erhöhung der Basisabgeltung von mindestens zwei Millionen Euro pro Jahr nötig gewesen wäre. Diese Zahlenspielerei des KHM basiert auf einer irrigen Grundannahme: das KHM geht von den jährlichen Beträgen aus, die es zur Zeit (bzw. in den letzten Jahren) für den Betrieb des (geschlossenen bzw. großteils geschlossenen) MVK aufwenden muss, nicht jedoch von den Beträgen, die das MVK vor seiner Eingliederung für seinen Normalbetrieb zur Verfügung hatte. Diese Betriebskosten waren (und wären es vermutlich auch heute noch) durch die Basisabgeltung für das MVK gedeckt! Ein geschlossenes Museum ist natürlich ein billiges Museum. Das KHM hat 13 Jahre lang mit einem großteils geschlossenen Völkerkundemuseum seine eigenen Finanzen aufgebessert, da ist es ja nur nahe liegend bei einer künftigen Wiedereröffnung nicht auf das lieb gewonnene Zubrot aus der MVK-Basisabgeltung zu verzichten, sondern einfach gut 2 Mio. Euro mehr vom Bund zu verlangen. Dann ist die KHM-Welt wieder in Ordnung und es kann den im Jahre 2001 erlangten Völkerkunde-Bonus auf ewig weiter für seine eigenen Projekte verwenden. Soweit der Stand der Dinge bis heute.
Es ist nur zu hoffen, dass der jetzige Bundesminister den Wert des geschundenen "Museums für Völkerkunde" in der österreichischen Kulturlandschaft erkennt und sich nicht von der Geschäftsleitung des Kunsthistorischen auf der Nase herumtanzen lässt. Das "Weltmuseum Wien" braucht niemand. Aber es ist vielleicht die letzte Chance, das "Museum für Völkerkunde" wieder in seine Rechte einzusetzen.

Freitag, 12. Dezember 2014

Weltmuseum "Bitte warten".

Die aktuelle Eröffnungsseite des Weltmuseum im Internet

Asche zu Asche (Objet trouvé)

Reste von John Baldessaris Werk. Kekse, gebacken aus der Asche aus der Verbrennung seiner bis dahin entstandenen Werke. "Cremation project". 1970.

Lesefolter

Kunsthaus Graz 2014 - Hier hat sich jemand ausgedacht, wie man Lesen möglichst ungemütlich macht. Die Bank ist hart und die beiden Tablets sind fix montiert, zwar drehabr, aber nur wenig, so daß man sich verrenken muß, wenn man lesen will. Preisverdächtig

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Steven Engelsman. Direktor des Wiener Weltmuseums. Von der Politik im Stich gelassen

Über Martin Fritz und die eben von ihm und Kolleginnen und Kollegen gestartete Online-Enquete „Zur Zukunft von Weltmuseum, Haus der Geschichte, Neuer Hofburg und Heldenplatz“ bin ich auf einen interessanter Clip (hier, auf YouTube: http://youtu.be/xClJY5jlmxI) aufmerksam geworden. Ein sichtlich angezipfter aber professionell Haltung bewahrender Direktor des Weltmuseums, Steven Engelsman sagt einerseits klar, unter diesen politischen Umständen, dem Stopp durch Minister Ostermeier, müssen wir zurück an den Start. Eben hätte der Umbau, also die Erweiterung und Neugliederung wie Neuaufstellung des Museums beginnen sollen. Nun, man kann sich ja wirklich nicht vorstellen, einfach ein paar Quadratmeter aus den Plänen zu radieren, also heißt das ja noch mal Überarbeiten des Konzepts und das heißt wiederum, daß Zeit verstreicht und sich alles wiederum hinausschiebt.
Was aber darüber hinaus das eigentliche Dilemma ist, dass das Wiener Museum genau das Potential von dem er spricht nicht ausschöpft. Aus der niederländischen Perspektive, wo er manches Museum im Auge haben kann, das in der Tat moderne Museumsarbeit macht, mag er auf die Diskrepanz von Wien zur übrigen Welt hinweisen dürfen, wie er es in dem Interview macht und auf die dringende Notwendigkeit einer Neupositionierung bestehen. Nur so stimmt der Vergleich leider auch nicht. Was ich in Frankreich, der Schweiz oder Deutschland kennengelernt habe, zeugt eher vom Dilemma eines letztlich kolonialen und paternalistischen Museumstyps, kann also mehrheitlich nicht gerade als vorbildlich oder als alternativ zu Wien hingestellt werden. Die derzeit große Ausnahme ist Frankfurt. An ihm könnte man ermessen, wenn jemand den Vergleich überhaupt anstellte, wie groß die Kluft der Ausstellungspraxis des Wiener Museum zu einem Museum wie Frankfurt ist, das in seiner Forschungs- und Ausstellungstätigkeit rabiat neue Wege geht. Schade ist es um die großartige Sammlung, schade um das Potential, von dem der Direktor spricht, angesichts der langen Schließzeit (die kaschiert wird durch die Sonderausstellungen eine Art Preview-Fassung einer künftigen Dauerausstellung, die so nie weiter entwickelt werden wird). Ein zweiter Clip, einer vom Juli 2013, zeigt Direktor Engelsmann noch wesentlich entspannter. Da stellt er das neue Konzept vor und stellt unmissverständlich klar, daß er den herkömmlichen Typ des Völkerkundemuseums für obsolet hält. (Dieser Clip hier: https://www.youtube.com/watch?v=GhefMJWqKeo). Es ist bitter, daß so jemand nicht nur nicht die nötige Unterstützung durch die Politik erfährt, sondern jetzt - mit ungewissem Ausgang - regelrecht ausgebremst wird.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Weltmuseum Wien. Zu wenige Besucher um Investitionen zu rechtfertigen?

Der Stopp des Ausbaues des Weltmuseums (ehemals Völkerkundemuseum) wird nicht nur mit den höheren Betriebskosten des auf das etwa Dreifache der bisherigen Fläche erweiterten Museums begründet. In der Kronzeitung wird, so weit ich sehe, erstmals Quote gegen Investition hochgerechnet. Für 110 Besucher im Durchschnitt lohnten sich 27 Millionen nicht. Die Quotendiskussion nimmt eine neue Qualität an.

Montag, 8. Dezember 2014

Museumsszene. La realitat

MACBA Barcelona. 2014. Foto: GF

Kriterien für ein neuartiges Museumsranking

Spielregeln: Man denke von dem Land aus, in dem man wohnt (Australier nehmen Europa, s.u.) und versuche ein Museum oder mehrere zu den jeweiligen Anforderungen zu finden.

Ein Museum, für das ein befreundetes, an innovativen Museen interessiertes Ehepaar die teure und weite Reise von Australien nach Europa auf sich nimmt.  

Ein Museum, in dem sie ein Zwillingspaar (eineiig, twitteraffin, spätpubertär) zwei Stunden lang von ihren iPhones ablenken können. 

 Ein Museum, das an einem Wochenendtag einer Drei-Generationen-Familie (12-köpfig) Spaß machen würde.

Ein Museum, in das sie selbst gehen würden, selbst dann, wenn freundliches, sommerliches Badewetter herrschte. 

Ein Museum, das eine patriotische Lehrerin (man denke etwa an Gabi Teichert in Alexander Kluges "Patriotin") als geschichtsarchäologisches Feld der subversiven Erforschung der Landesgeschichte nutzen könnte. 

Ein Museum, das ein Attac-Betriebsausflug mit dem Gefühl verläßt, etwas dazugelernt zu haben. 

Ein Museum, dessen Besuch erfreulich verläuft, obwohl es verkehrstechnisch sehr ungünstig liegt, das Wegleitsystem sehr mangelhaft, das Gebäude abweisend, das Personal schlecht gelaunt ist und zu allem Überfluss die Preise überhöht sind.  

Ein Museum, von dem sie beschließen, es unbedingt noch in derselben Woche zu besuchen, obwohl sie es mit Rücksichtnahme auf desinteressierte Begleitung nur eine knappe dreiviertel Stunde sehen konnten.

Ein Museum, von dem sie ziemlich sicher sind, daß sie Freunde, die sie hinschicken, ihnen noch Jahre später von ihrem Besuch erzählen werden. 

Ein Museum, für dessen Besuch sich der Schriftsteler und Schöpfer des "Museums der Unschuld", Orhan Pamuk, der viel Inspiration aus europäischen Museen für sein Museum gezogen hat, anschließend sehr herzlich bedankt. 

Ein Museum, das einen Museologen dazu inspirierten würde, sofort einen gutgelaunten Beitrag für seinen Blog zu schreiben. 

Ein Museum, in dem eine Gruppe politisch aktiver Feministinnen nicht wuterfüllt gegen die Wände treten würden. 

Ein Museum, das für wenigstens kurze Zeit einer Gruppe älterer Menschen, die einen Ausflug aus ihrem Heim gestattet bekommen haben, ihre kleinen und nicht so kleinen Gebrechen vergessen läßt.

Ein Museum, dessen kostenlosen und geführten Besuch sie als Preis für einen Kochwettbewerb von Bäurinnen ausloben könnten. 

Ein Museum, das weder von ICOM Österreich noch vom Österreichischen Museumsbund eine Museumsplakette erhalten würde, dennoch aber viele Besucher erfreut. 

Ein Museum, in dem eine Gruppe eines Volkshochschulkurses vergisst, daß sie anschließend eigentlich noch Töpfern wollten. 

Ein Museum, das dreieinhalb Stunden so vergnüglich ist wie Stefan Herheims „Xerxes“-Inszenierung an der Grazer Oper. 

Ein Museum, das drei befreundete türkische Mittelschülerinnen (17) bei knappem Taschengeld ausnahmsweise einem Discobesuch vorziehen würden. 

Ein Museum, durch das eine Gruppe von vierzig männlichen Mitarbeitern des mittleren Managements einer Großbank geführt werden ohne daß es später am Pissoir zu blöden Sprüchen über den Museumsbesuch kommen würde. 

Ein Museum, das Durchreisende bei einem insgesamt eindreiviertel Stunden dauernden Aufenthalt in einer Mittelstadt zufällig und weil ihnen nichts besseres einfällt, aufsuchen und darüber den Anschlusszug versäumen.

 

Wird fortgesetzt 

Neue Kriterien werden gerne entgegengenommen