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Mittwoch, 23. Dezember 2020

Gottfried Korff (1942-2020)


Ich habe Gottfried Korff Anfang der 80er-Jahre in Wien bei einer Veranstaltung der Volkshochschule kennengelernt. Es ging ums Ausstellung und ich hatte grade damit begonnen mir Theorien über den Populismus der Großausstellungen zurechtgelegt. Was Korff dort in der Diskussion vertrat widersprach meinen Überlegungen und ab da begann eine Auseinandersetzung mit seinen musenlogischen Texten und, als ich ihn dann kennenlernte, mit ihm selbst.

Seine Theoriebildung gehörte zum Anregendsten, das mir begegnet ist, etwa seine Benjamin-Rezeption oder seine Überlegungen zum Exponat. Es waren Anregungen, die auch auf Widerspruch beruhten, aber das ist allemal interessanter, als mit jemanden immer derselben Meinung zu sein. Es entstand eine wechselseitige Wertschätzung, die auch in wechselseitigen Einladungen zum Ausdruck kam und so begegneten wir uns in Wien, in Graz, in Paris und in Berlin und in Waldenbuch, wo ich die einzige von ihm verantwortete Ausstellung gesehen habe, „13 Dinge“. 

Ausgerechnet seine bedeutendste Ausstellung habe ich versäumt, ich kann mich nicht einmal erinnern, warum mir das passiert ist - „Preussen. Versuch einer Bilanz“. Die vielleicht einzige Ausstellung in Deutschland, von der man sagen kann, sie habe das nationale Geschichtsbewusstsein beeinflußt oder gar verändert. Ich erinnere mich an diese Ausstellung jetzt wieder, wo mit der Wiedererrichtung des Schlosses und der Etablierung des Humboldt-Forums politisch-symbolisch hinter das damals revidierte Preussenbild zurückgegangen wird.

Die letzte Begegnung fand in Graz in der Museumsakademie statt, in einem Seminar, in dem eine Kernkompetenz von Korff gefragt war im Umgang mit unserer kleinen Sammlung von Alltagsgegenständen, die wir für Studienzwecke angelegt hatten. Daß er die Ausstellung „Berge. Eine unverständliche Leidenschaft“ (Innsbruck), an der ich mitgearbeitet hatte, sehr gelungen fand, war, bei einem praktisch und theoretisch derart versierten Ausstellungsmacher ein hohes Lob. 

Gottfried Fliedl



Von Gottfried Korff stammt das oft zitierte Diktum vom „Vielnamenfach“. Gemeint hat er damit all jene unterschiedlichen Bezeichnungen, mit denen Institute und Museen im deutschsprachigen Raum in Folge der in den 1970er Jahren begonnenen und bis heute andauernden Namensdebatte den Begriff Volkskunde ersetzt haben. Tübingen ist dieser Fachentwicklung mit der am 19. Mai 1971 erfolgten Umbenennung des Instituts in Empirische Kulturwissenschaft entschlossen vorangegangen. Korff hat als Forscher, als Lehrender und als Ausstellungsmacher über mehrere Jahrzehnte hindurch zu deren originärer, national wie international anerkannter und inhaltlich breit aufgefächerter Programmatik maßgeblich beigetragen.

Nach dem Studium der Volkskunde, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, Bonn und Tübingen hat Gottfried Korff 1969 an der Eberhard Karls Universität seine Dissertation über Heiligenkulte in der Gegenwart abgeschlossen. Nach fünf Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Uhland-Institut arbeitete er von 1975 bis 1978 im Freilichtmuseum Kommern des Rheinischen Landesmuseums. Danach kuratierte er als Generalsekretär bis 1981 die in vielerlei Hinsicht zukunftsweisende Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin. 1982 an die Tübinger Universität berufen, wirkte er bis zu seiner Pensionierung 2007 als Professor am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft. Dessen verdienstvoller Direktor war Korff von 1994 bis 2002.

Die Tübinger Umbenennung des Ludwig-Uhland-Instituts war zuallererst von einer von Hermann Bausinger früh eingeforderten kritischen Distanznahme zur Fach-, noch mehr aber zur Institutsgeschichte begründet, die direkt in den Nationalsozialismus zurückführte. Schnell aber forderten Mitarbeiter und Studierende auch eine entschiedene Modernisierung von Fach und Untersuchungsgegenstand. Statt „Volk“ und „Kunde“ traten in Tübingen daher „Kultur“ und „Wissenschaft“. Gottfried Korff hat zur engagiert geführten Theoriedebatte 1978 den neuen Leitbegriff Kultur ausbuchstabiert, und er hat neben seiner Beschäftigung mit der historischen Arbeiterkultur schnell und vorbildgebend für andere begonnen, die Gegenwart in das Visier seiner Forschungen zu nehmen. Die so in der Empirischen Kulturwissenschaft mit dem neuen Namen freigesetzten Energien haben in kurzer Zeit das Ludwig-Uhland-Institut tatsächlich nachhaltig verändert, aber sie hatten, wie Korff 1996 im programmatischen Aufsatz „Namenswechsel als Paradigmenwechsel“ argumentiert hat, von Anfang an auch die Gefahr einer inhaltlichen Überdehnung und damit verbunden einen drohenden Verlust von Fachidentität zur Folge. Er hat für sich und sein Institut aber Schritt für Schritt einen sehr gangbaren Weg gefunden, der thematische Vielfältigkeit mit theoretischer Kohärenz verbunden hat.

Gottfried Korff hat seinen „Abschied“ von der Volkskunde nicht als scharfe Zäsur, sondern die Empirische Kulturwissenschaft als deren produktive Aufhebung verstanden. Derart konnte er deren Geschichte etwa mit Blick auf Volkskunst neu durchmustern, deren Gründungsgeneration prominent erweitern und damit viele klassische Themenfelder des Faches neu lesen und in Bezug zur Gegenwart komplexer deuten. Dies kann in der 2013 mit Korff-Aufsätzen zusammengestellten Festschrift „Simplizität und Sinnfälligkeit“ argumentativ besonders gut nachvollzogen werden.

Gottfried Korff war als oftmaliger Plenarredner und in den Jahren 1984 bis 2003 als Mitherausgeber der Zeitschrift für Volkskunde ausgesprochen präsent. Über das Fach deutlich hinauszielend, aber doch auch immer wieder direkt in die Empirische Kulturwissenschaft zurückführend sind seine wegweisenden, museumswissenschaftlichen Forschungen, noch mehr aber seine bundesweit für großes Interesse sorgenden Ausstellungen zu sehen: die Ausstellung „Berlin, Berlin“ 1987 zum Berliner Stadtjubiläum, die Eröffnungsschau des Gasometers Oberhausen „Feuer und Flamme“ (1994) oder die kleine, aber ungemein originelle Objektgalerie „13 Dinge“ im damaligen Museum für Volkskunde in Waldenbuch (1992).

Gottfried Korff war derart eine wichtige Stimme in der deutschen Kulturszene. Am Ludwig-Uhland-Institut war er wegweisend und schulbildend. An der Universität Tübingen hat er zur Gründung des MUT beigetragen. Und in der Stadt und Umgebung war er als Museumsjuror und als die Musealisierung und Festivalisierung des urbanen Raums kritisierender Bürger präsent. Gottfried Korff ist nach seiner Pensionierung in die geliebte Hauptstadt Berlin umgezogen. Dort ist er am 16. Dezember nach langer Krankheit im Alter von 78 Jahren verstorben.

Die Kolleginnen und Kollegen am Ludwig-Uhland-Institut, Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studentinnen trauern um ihn. Und: Wenn am 19. Mai 2021 die Empirische Kulturwissenschaft ihren 50. Geburtstag feierlich begehen wird, dann wird in besonderer Weise auch an Gottfried Korff erinnert werden.

Reinhard Johler, Prof. Am Institut für Empirische Kulturwissenschaft Tübingen. Der Text stammt aus dem Schwäbischen Tagblatt vom 22.12.2020

Sonntag, 5. Februar 2017