Meine beiden Posts
(hier und hier) mit dem Stichwort „Verweildauer“ haben überdurchschnittliches Interesse
hervorgerufen. Worum geht es? Um eine alarmistische These einer Studie und
eines Artikels. Museumsbesucher würden im Schnitt bloß 11 Sekunden vor einem
Werk verbringen. Schlußfolgerung: Welche Kunsterfahrung soll das denn bitte noch
sein?
Hanno Rauterberg fragt
sich in DIE ZEIT (hier), ob Besucher „auch richtig hinsehen“ und gibt mit einer
Studie von Martin Tröndle die Antwort. „Elf Sekunden, drei Atemzüge lang,
verbringt der durchschnittliche Betrachter vor einem durchschnittlichen
Kunstwerk.“
Ich habe schon
darauf hingewiesen, daß derartige Erkenntnisse nicht neu sind, daß es schon vor
dreißig Jahren erste deutschsprachige museumssoziologische Untersuchungen gab,
die ähnliche Zahlen brachten. Nun ist es ja nicht falsch, die
‚wiederzuentdecken’, aber es ist schon etwas befremdlich, wenn Erkenntnisse
einer Studie als neu und bahnbrechend bezeichnet werden und ungleich
differenziertere Schlussfolgerungen ignoriert werden. Schon in der Überschrift des
Artikels heißt es: „Eine neue Studie könnte die Museumswelt schwer erschüttern.“
Der volle Titel
weist auf das weitergehende, ambitionierte Ziel der Studie hin: „Wirkung von
Kunst. Und die Herzen schlagen höher. Was geht in uns vor, wenn wir Kunst
sehen?“ Das ist ein wenig tollkühn, Kunsterfahrung umfassend interpretieren zu
wollen, also herausfinden zu wollen, wie wir Bilder sehen, was sie auslösen,
wie die Beziehung von Kunst und Mensch beschaffen ist (Rauterberg), und das mit
Befragung, Messung von Herzfrequenz, Hautleitfähigkeit und Bewegung im Raum.
Auch solche
positivistischen, scheinbar naturwissenschaftlichen Untersuchungen hat es schon
viele gegeben. Und alle kranken daran, daß ohne Federlesens, von
physiologischen Daten auf komplexe kognitive, psychologische und affektive
Prozesse rückgeschlossen wird. Das ist aber schlichtweg nicht möglich. Wenn jemand
eine höhere Herzfrequenz bei Bild A als bei Bild B hat, dann sagt das genau –
nichts aus.
„Zwar konnten sich
viele Betrachter für eine klassische Venedig-Szene von Monet durchaus
begeistern und bewerteten das Bild bei der Befragung als ästhetisch hochwertig.
Doch Herz und Haut signalisierten eher gepflegte Langeweile. Wirklich erregt
waren die Besucher hingegen von Günther Ueckers Antibild, aus dem lauter
spitze Nägel ragen. Ob Jung oder Alt, ob Mann oder Frau – alle zeigten hohe
Pegelwerten. (sic!)“. Was für ein
Unsinn. „Langeweile“ und „Erregung“ als Effekt ästhetischer Erfahrung lassen
sich als psychosoziale Phänomene mit Datenhandschuh und Hautsensor weder
bemessen noch bewerten noch auf eine bestimmte (unterstellte) ästhetische
Qualität („Antibild“, „pieksiges Ding“) beziehen. Das ist wieder mal so eine im
Grunde hanebüchene Vorgangsweise, in der als Resultat das herauskommt, was der
Autor der Versuchsanordnung an Grundannahmen bereits voraussetzt ohne die zu
reflektieren.
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Unkontemplativer, abgelenkter (von Medien) aber doch irgendwie still in Betrachtung (akrobatisch) versunkener Museumsbesucher |
Da in der
Versuchsanordnung körperliche Phänomene gemessen wurden, legt uns die Studie - den
Ausführungen Hanno Rauterbergs zufolge - nahe, die körperliche Kunsterfahrung
gegen die kognitive, wissensbasierte auszuspielen. Ja selbst das durch
Sozialisation und Bildung vermittelte Wissen, das uns nicht nur den ‚Gebrauch
von Bildern’, sondern den der Institution Museum überhaupt erst möglich macht
und sinnvoll erscheinen läßt, scheint weitgehend obsolet: „Man muss offenbar
nicht unbedingt großes Vorwissen mitbringen, um mit zeitgenössischen Werken
etwas anfangen zu können.“
Ins Museum geht
aber nur, wer ein solches Bildungswissen schon erworben hat und dieses
artikuliert sich auch nicht nur, worauf sich diese und einschlägige andere
Studien meist konzentrieren, während der berühmt-berüchtigten “Verweildauer“.
Jede museale Erfahrung hat nicht nur eine komplexe Vorgeschichte, sondern auch
eine vielschichtige ‚Nachgeschichte’, in der das – in solchen Studien immer
wieder untersuchte - ‚merken’ das geringste Problem ist. Es soll uns
niederschmettern, daß "bei den allermeisten Befragten (die Kunst) schon
nach sechs Wochen rückstandslos aus den Köpfen verschwunden war. Nur die
wenigsten konnten sich noch an einzelne Werke erinnern.“ Was aber überhaupt
nicht heißt, daß es Erfahrungen gibt, vielleicht entscheidende, die unmerklich,
auch unbewußt (nach)wirken.
Die Behauptung, daß
das Gespräch der Besucher untereinander, Rauterberg spricht ausdrücklich vom Räsonnement
und Diskurs, die Kunsterfahrung stört, ist als generalisierende unhaltbar.
Jeder, der Museen besucht, hat gegenteilige Erfahrungen. Spätestens da wird
eine Stoßrichtung der Argumentation sichtbar, die möglicherweise so nicht der
Studie geschuldet ist, sondern der Interpretation des Journalisten. „Denn wer
sich ihr (der Kunst) ganz allein nähert, in der so oft verlachten stillen
Einkehr, wird die Werke offener sehen und weit eindrücklicher erfahren.“ Also
sind konsequenterweise auch „jede Art von zusätzlichem Reiz (...) Audioguides,
Touchscreens, laute Videobeschallung aus dem Raum nebenan oder eben durch
Mitbesucher“ etwas, was „ das ästhetische Erleben (...) mindert.“
Museen seien (man darf
annehmen für das religiös-romantische Ideal „stiller Einkehr“) einfach zu groß,
sie zeigten viel zu viel, zu viele Werke würden untereinander konkurrieren
(kennt Hanno Rauterberg eigentlich Paul Valerys Essay und die Replik von Adorno?).
Museen müssten kleiner werden, intimer, leerer, ja, auch das, privater: „Nur
einige Privatmuseen scheren hin und wieder aus. Dort muss man sich anmelden,
dort gibt es nur wenige Werke.“
Pierre Bourdieu
hat, auch ebenfalls auf empirische Studien gestützt, aber theoretisch fundiert,
den bildungspolitischen Elitismus der ‚Kunstbetrachtung’ und des Museums als
gut abgeschottete, also als sozial distinktiv wirkende Enklaven für die „Eingeborenen
der Bildungselite“ beschrieben, ebenso die Mechanismen des Ein- und Ausschlusses.
Für solche Fragen interessiert sich Rauterberg nicht. Er bastelt am Hochziehen
der Zäune, die das Eliteland besser abschotten.
Man könnte noch
nachdenken, wie diese, auf eine derartig merkwürdige Studie gestützten
Überlegungen in die Zeit wie diese passt.
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