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Dienstag, 19. Juli 2016

Wer will das noch wissen, das mit den Museumsbesuchern?

Da ich grade wieder mal Zahlen aus der Besucherforschung brauchen könnte, aber die gesuchten nicht finde, suche ich Hilfe im eben erschienenen "Handbuch Museum" (siehe hier). Immerhin erfahre ich im Beitrag von Bernd Lindner, "Soziodemographie des Museumspublikums" (Seite 323ff. im Handbuch), warum ich nicht fündig werde. Eine Besucherforschung, die Aufschluß über das aktuelle Museumspublikum der Bundesrepublik Deutschland geben könnte, gibt es nicht. Weil keine einschlägigen umfassenden Untersuchungen gemacht werden.

Lindner referiert ältere Daten zur BRD und DDR und das, was es zur Zeit nach der sogenannten Wiedervereinigung an Untersuchungsmaterial gibt. Das erlaubt - in sehr engen Grenzen - gewisse Rückschlüsse im Vergleich der beiden Staaten, Informationen über quantitative Veränderungen über längere Zeiträume hinweg und solche über das aktuelle "Wachstum" der Museumsbesuche (analog zum Museumswachstum und dem Boom an Ausstellungen - man schätzt, daß in Deutschland etwa 30.000 Museumsausstellungen pro Jahr stattfinden).

Allerdings konzentriert sich Lindner auf die soziale Zusammensetzung des Publikums, also berufliche Herkunft und Ausbildungsstand sowie regionale Herkunft (Land, Stadt, Großstadt...), die Geschlechterverteilung, beschäftigt sich aber nicht mit Motiven und kaum mit Milieus und ausdrücklich nicht mit Evaluationen.

Trotz vieler Zahlen und einiger Statistikgraphiken bleibt sein Bericht eigentümlich vage. Hier zeigt sich einmal mehr, daß der Rückzug auf Fakten und der Verzicht auf gewichtende und wertende Schlußfolgerungen nur scheinbar zu Objektivität führt. Das nach Museumstypen zwar stark variierende aber dominante Vorherrschen von Personen mit  hoher Schul- und Universitätsbildung beim Museumsbesuch wird zwar abgebildet, bleibt aber gänzlich unkommentiert. Ob nun die wachsende Zahl an Museumsbesuchen Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums gebracht hat, bleibt offen.

So bleibt letztlich auch unklar, wozu Besucherforschung überhaupt gemacht werden soll. Was will man denn wissen, und wozu? Geht es nur noch um Grundlagen für sozialtechnolgische Adaptionen, Marketingstrategien, Tourismusmaßnahmen, Hiule bei der Ausstellungsplanung?

Kein einziges Mal fällt das Wort "Nichtbesucher". Es gibt keine Angaben zu jenem Bevölkerungsanteil, der nie in ein Museum geht. Und der ist bekanntlich exorbitant hoch, liegt im nationalen Schnitt bei etwa 50% und bei einzelnen (großstädtischen Museen) bei 80% der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Umstände nicht zu benennen scheint mir  gerade bei einem Handbuchartikel mit dem Anspruch auf Basisinformation unverzeihbar. Alle Folgefragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bleiben unerörtert.

Was die - von Lindner - genannten "Nestoren" der deutschen Besucherforschung, Klein und Treinen, seinerzeit an auf ihre empirischen Untersuchungen aufbauenden Schlußfolgerungen aufgebaut haben, hier wird das nicht mehr referiert. Alles was etwa Heiner Treinen zum "Museum als Massenmedium" oder "kulturellen Vermittlungsort" einmal zu sagen hatte, das findet sich hier nicht mehr wieder.

Soll man diesen klaren Rückschritt als Zwang zur verknappten Darstellung eines Handbuchbeitrags entschuldigen? Oder sich fragen, ob das "Vernachläßigen" älterer - unaktuell gewordener? - Forschungsfragen und -ergebnisse sich nicht komplementär verhält zum erstaunlichen Desinteresse am Museumsbesucher? Haben die bei Medien, Politikern und Museen gleichermaßen beliebten Statistikschlachten mit den Zahlen der Museumsbesuche komplett jede Frage nach der sozialen Zusammensetzung ersetzt?

Trotz (oder gerade wegen?) des Redens über "Inklusion", "Museum für alle" oder "Partizipation", niemand wirft mehr die "soziale Frage" auf, wen Museen erreichen und wen nicht. Niemand will dort mehr eine offene Frage orten, niemand, so scheints, will sich mit der mühseligen Frage nach der sozialen Bedeutung und Funktion von Museen beschäftigen. Kein Wunder, daß das Wort "Hegemonie" im Index des "Handbuch Museum" nicht vorkommt.

Mittwoch, 1. Mai 2013

Intervention, unbestellt

Interventionen in Museen sind meist Auftragsarbeiten von Künstlern, die das Bedeutungssystem der (Dauerausstellung) kommentieren, erweitern, durchkreuzen, negieren oder kritisieren. Der Umstand, daß Interventionen in der Regel beauftragt und also erwünscht sind, setzt ihrem subversiven Potential Grenzen. Interventionen in Museen sind oft Indizien ihrer Ermüdung oder auch ihrer Unfähigkeit, sich von sich heraus zu ändern.
Unerwünschte, nicht beauftragte, also ohne Wissen der Institution gesetzte Aktionen sind sehr selten. Jetzt gabs in Wien eine solche Intervention, die nicht weniger als die Legitimation des Museums in Frage stellte.
Der Künstler Pedro Watkins (ein Pseudonym?) verkündete die Schließung des MUMOK in Wien, wobei er sich des Internets und einer gefakten Museumswebseite bediente. Das Museum war genötigt, zu dementieren. Der Künstler setzte - im Namen des Museums - noch nach um sich dann zu erkennen zu geben.
Nicht unoriginell die Begründung für seine "Museumsschließung": Wegen eines "inakzeptabel hohen Anteils von Besuchern aus sozioökonomisch wohlhabenden Gruppen" und dem "schwindenden Interesse der Besucher für die Kunst zugunsten der Museumsshops, Restaurants etc." habe sich das Museum zur Schließung entschlossen.
(Hier der Bericht im Standard).

Freitag, 12. April 2013

Unerwünschte Nebenwirkungen

"Inklusion" gehört zu den museologischen Modewörtern, mit denen der Anspruch auf Einschluß bislang nicht beachteter Gruppen ins Museum bezeichnet wird.
Unerwartete Effekte hatte eine über den Eintrittspreis regulierte Liberalsisierung des Zutritts beim Louvre, die Personen bis zum 26. Lebensjahr freien Eintritt gewährt.
Seither machen Jugendliche (Zeitung 1), Jugendbanden (Zeitung 2) oder Roma-Banden (Zeitung 3) die Schauräume unsicher. Immerhin ist dieses Problem so virulent, daß das Aufsichtspersonal einen Tag lang gestreikt hat.
Man darf gespannt sein, wie der Louvre die Grenzziehung und -überwachung an seiner inneren sozialen Demarkationslinie zwischen Bildungsbeflissenen und "bildungsfernen Schichten" bewerkstelligen wird.
Jetzt wurde erst mal die Polizei geholt.

Sonntag, 24. Februar 2013

Arm und reich. Gold und Müll.

Kulturministerien Claudia Schmied, Generaldirektorin Sabine Haag, Caritas Direktor Michael Landau. Präsentation der Caritas-Kunstkammertaschen vor dem Infocenter am Maria Theresien - Platz. Die Caritas-Kunstkammertaschen wurden in der limitierten Auflage von 1.000 Stück im Rahmen des Projekts hke aus gebrauchten KHM-Werbeplanen produziert; jede einzelne Tasche trägt eine exklusive Goldnummer, von KK0001 bis KK1000. Die Taschen sind ab sofort im
KHM-Shop erhältlich. Ein Teil des Erlöses wird zugunsten der Kunstkammer verwendet, ein Teil zugunsten des Caritas-Projekts hke (Handwerk, Kunst, Entwicklung). Dieses Projekt bietet arbeitslosen jungen Menschen eine Chance, hier erste Arbeitserfahrungen zu machen und sich auf das Arbeitsleben vorzubereiten. (Text: APA, Juni 2012. Siehe auch hier: Das namenlos Glück der Schatzbildunghttp://museologien.blogspot.co.at/2013/02/schatzbildung-im-21-jahrhundert.html und hier Dabeisein, Mitreden - Bildungsbürger!).

Dienstag, 19. Februar 2013

Dabeisen, Mitreden - Bildungsbürger!

Dieser ältere Herr erscheint seit einigen Tagen zur besten Sendezeit in meinem Fernseher und plaudert mehr oder weniger launig über Objekte, dei ein Museum in seinen Vitrinen beherbergt.
Zur "Saliera" Benvenuto Cellinis gab es ein paar flapsige, Aufmerksamkeit heischende Äußerungen über den Künstler als Dieb und Mörder und eine zwar dezente, aber nicht überhörbare Anspielung auf den peinlichen Diebstahl dieses "Salzstreuers" (wie damals ein Leserbriefschreiber zum Kriminalfall Saliera postete) und dem Direktoriat Seipel.
Das Kunsthistorische Museum Wien bereitet derzeit in einer bis dahin nie gesehenen aufwändigen und dichten Kampagne die Eröffnung der Kunstkammer nach über einem Jahrzehnt ihrer Schließung an. Der ältere Herr ist niemand gerinerer als Maximilian Schell, der hier so etwas wie die Quintessenz des abgeklärt-distanzierten Bildungsbürgers Mimen darf, dem man den Unernstseiner mäandernden Assoziationen nicht übel nehmen will.
Die parallele Plakatserie auf den Litfaßsäulen Wiens, ist auch nicht ohne. Sie ist grafisch wie inhaltlich auffällig und neuartig. Ein kleines Bild, wie ein Logo eingesetzt und viel Text, allerdings in nobler Typografie.
Das Plakat gibt es mit mehreren Sujets, dieses hier ist mir wegen des Textes aufgefallen. Wie im Sopt wird Bildungsschwere vermieden und ein eher lockerer Ton angeschlagen, nicht ganz auf dem Ikae-Du & Elch - Niveau, aber schonganz schön weit weg vom Flagschiff- und Schatzhaus-der-Habsburger-Image des Kunsthistorischen Museums.
Kein Pathosgerede über Hochkunstwerte, stattdessen ein Eingehen auf die Funktion des Kentauren-Automaten. Und ein tollkühner Brückenschlag zum Besucher & Publikum. Wenn Du Dir das ansiehst, wenn Du zu uns in die Kunstkammer kommst, dann kannst Du auch mitreden!
"Wer sich auskennt", der kann "bei Tisch" für Gesprächsstoff sorgen (ein Mittelpunkt sein) und er kann - "glänzen". 
Auffallender Paradigmrnwechsel, möchte man meinen. Statt Bildung durch ästhetische Erfahrung und kunstgeschichtliches Wissen, vermittelt einem das Museum so etwaswie soziale Inklusion. Aber nicht ganz so, wie es dieses Schlagwort meint (als eine Öffnung, soziologisch gesprochen, "nach unten"), sondern als eine, die es gestattet nicht gebildet zu sein, sondern als Eingeborener des Bildungseliten-Stammes zu gehören.


Mittwoch, 26. September 2012

Acht Prozent. Wer geht / wer geht nicht ins Museum?


Unlängst, ein museologischer Vortrag.
Die Hälfte der deutschen Bevölkerung geht nicht ins Museum.
Nie.

Das ist nicht neu, diesen Prozentsatz kenne ich, seit ich mich mit museologischen Fragen beschäftige.
Und er gilt auch für andere Länder.

Neu ist eine andere Zahl. Acht Prozent der Bevölkerung sind regelmäßige Nutzer.
Regelmäßige Nutzer sind Personen, die mindestens zwölf mal im Jahr in ein Museum gehen.
Einmal im Monat durchschnittlich.

Klingt wenig und elitär.
Die gute - oder schlechte - Nachricht ist: in dieser Hinsicht steht das Museum besser da als Konzert, Oper oder Theater.

Aber. Unter den acht Prozent sind alle die, die aus beruflichen Gründen das Museum besuchen, Wissenschafter, Museumsleute, Gestalter, Künstler, Vermittler, Lehrer...

Die fünfzig Prozent, die nicht ins Museum gehen werden gerne als Nichtbesucher bezeichnet.
Damit werden sie einerseits ein wenig stigmatisiert, denn ein Museum nicht zu besuchen, ist für den Bildungsbürger ein wenig verzeihlicher Mangel. Andrerseits bindet man sie begrifflich ans Museum. Zwar negativ aber doch. Die sind die, die nicht ins Museum gehen.

Tatsächlich haben wohl die meisten dieser Menschen "recht".
Denn für sie existiert das Museum nicht.
Und zwar deswegen, weil es nichts mit der von ihnen gelebten Kultur zu tun hat.

Deswegen sollte man auch sehr vorsichtig sein mit allen Absichten, wenigstens einen Teil davon ins Museum zu bringen (locken, verführen, bewirtschaften, entwickeln usw.).

Es sind eben weder Museumsnichtbesucher noch Kulturabstinente. 
Sie teilen nur nicht "unsere Kultur".

Montag, 27. August 2012

Besuchen Sie Ihr Museum! (Museumsphysiognomien)


Das Universalmuseum Joanneum in Graz wirbt derzeit mit großen Plakaten. "Besuchen Sie Ihr Zeughaus!", "Besuchen Sie Ihr Schloss!", "Besuchen Sie Ihr Palais". Gemeint sind die einzelnen Sammlungsstandorte mit ihren Dauerausttellungen, das Schloss Eggenberg und eben das Museum im Palais.
"Ihr Museum" ist im rechtlichen Sinn korrekt, denn die Sammlungsobjekte sind bei einem öffentlichen Museum wie diesem Landesmuseum Gemeingut, sie gehören jedermann. Das allerdings nur abstrakt. Wer ins Depot ginge, um sich dort für einige Monate ein biedermeierliches Aquarell oder einen Römerkopf zur repräsentativen Ausstattung seiner Wohnung abzuholen, würde auf keine Herausgabebereitschaft stoßen.
Umgekehrt kann aber das Museum auch nichts veräußern, von dem, was es treuhänderisch verwahrt, es sei denn mit höchster politischer Erlaubnis in Ausnahmefällen. Ein bisschen Budgetsanierung mit dem Verkauf eines Objekts, das geht (normalerweise) gar nicht.
Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Marketingfachleute oder das Designbüro, die das Plakat entworfen haben, mit dem "Ihr" diesen rechtlichen Besitz an Kulturgütern ansprechen wollen, (der den meisten auch gar nicht bewußt sein dürfte) sondern wohl eher performativ eine Identifikation mit dem Museum als Ganzes herzustellen beabsichtigen. Etwa im Sinn, "das Museum ist für Dich da, es ist Deines, also geh doch (wieder) mal hin".
So etwas kann man aber nicht einfach appelativ herstellen, auch nicht mit einem Rufzeichen am Ende des Satzes. Identifikation mit Museen ist etwas, was langsam aufgebaut und sorgfältig gepflegt werden muß und es natürlich alles andere als gleichgültig, wie und was gezeigt wird.
An Museen in England oder Schottland kann man das Resultat einer solch lange gewachsenen Museumskultur studieren: populäre Museen mit bunten Besuchermassen, die sich wie selbstverständlich durch das Museum bewegen als sei es - eben ihrs.
Nun gut, vielleicht ist ja die Plakatserie ein Teil oder der Beginn einessolchen'Audience Development', also ein Stück Bewirtschaftung öffentlicher Aufmerksamkeit für dieses bestimmte Museum.
Nicht unterschätzen sollte man, daß in dem Appell an die Identifikation schon immer auch der Ausschluß steckt. Denn ein großer Teil der Bevölkerung, die hier angesprochen werden soll, geht nicht etwa deswegen nicht ins Museum, weil sie die Inhalte nicht interessieren oder die Objekte oder die Programme. Sie gehen deswegen nicht hin, weil das Museum als für sie bedeutsamer kultureller Ort schlicht und einfach nicht existiert. Niemand hat das so präzise und empirisch wie theoretisch fundiert beschrieben, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu.
Es gibt einen fundamentalen Ausschluß, der über die Produktion und Verteilung von Wissen und Bildung (schon früh, in Familie und Schule) zustandekommt und dazu führt, daß, wie uns Museumssoziologen versichern, für bis zur Hälfte einer Bevölkerung "das Museum nicht existiert". Es ist nicht "Ihrs".

Donnerstag, 31. Mai 2012

Der Wiener Kulturstadtrat als Robin Hood im Neoliberlismus. Und wieder einmal was zur Museumskrise



Verkehrte Welt. Ein Kulturredakteur löchert einen Politiker mit Kennziffern, Eigendeckungsgraden, Umsätzen, sogenannten Subventionen, so als sei die Refeudalisierung und Ökonomisierung der Kultur schon Fakt und Grundlage alles Tuns und Lassens. Und der Kulturstadtrat hält tapfer dagegen.

Pius Knüsel wirft Thomas Trenkler (Der Standard, 25. Mai 2012) in Berufung auf ein jüngstes, in Österreich so gut wie nicht rezipiertes und diskutiertes Buch "Kulturinfarkt" dem Politiker wie einen Vorwurf hin, sagte ... daß er 'Institutionen, die weniger als 30 Prozent der Einnahmen selber erwirtschaften', unter die 'Lupe nehmen würde.

Der Stadtrat: Ich käme ... nicht auf die Idee zu sagen: 'Sperren wir die Hälfte der Kultureinrichtungen zu, darunter alles, was keinen hohen Eigendeckungsgrad erreicht!' Das ist ja gerade das Wesen öffentlicher Kulturförderung: dass sie auch das unterstützt, was ansonsten keinen Kunden, keinen Markt finden würde. Ja, ich leugne nicht, dass es nicht immer einen restlos effizienten Einsatz der Mittel gibt. Aber im Großen und Ganzen ist die öffentliche Kulturförderung das bestmögliche Investment. Man schafft damit einen enormen gesellschaftlichen Mehrwert.

Ja, gesellschaftlicher, nicht finanzieller Mehrwert. Und ja, damit ist das Wesen von staatlicher Förderung beschrieben, gegen die Ideologie der Marktregulierung (deren Scheitern im unfassbarenb Ausmaß man derzeit täglich mitbekommt).

Der Stadtrat: Für mich ist der Kulturinfarkt ein ideologisches Kind der gesamten neoliberalen Debatte. Mittlerweile schielen wir überall ängstlich auf die ökonomischen Zwänge - und verlieren dabei das, was Europa ausmacht: die kulturelle Vielfalt, eine gewisse Großzügigkeit und die Breite. Ich bin der Meinung: Das Volkstheater z. B. hat nicht die Pflicht, einen immensen Eigendeckungsgrad zu erwirtschaften. Die Finanzierung ist eine öffentliche Aufgabe. Wir müssten die kulturellen Einrichtungen grundfinanzieren. Und was sie zusätzlich einnehmen, ist das Sahnehäubchen.

Ja, wiederum ja. Es geht nicht um etwas, was man als nur als Subvention bezüglich seiner ökonomischen Sinnhaftigkeit wegen in Frage stellen kann, sondern um Förderung, die sich genau dadurch auszeichnet, daß sie dieser Rentabilität entzogen sein muss und ausschließlich auf gesellschaftliche Zwecksetzungen gerichtet, auf Diskurs, Erfahrung, Wissen, Kommunikation, Bildung.

Es ist ärgerlich, daß Journalisten in Berichterstattung und Analyse sich die neoliberale Sichtweise und deren Wording aneignen und sie zur vermeintlich alternativlosen - das symptomatische Wort der aktuellen Krise - Wirklichkeit werden lassen.

Doppelt ärgerlich ist, daß auch die Betroffenen selbst, die Theater, Konzerthallen, Orchester, Museen usw. häufig ihre Rettung in einer Anpassung an den Neoliberalismus wie an einen modischen Trend mitmachen. Das ärgert auch Walter Grasskamp, der jüngst in der Süddeutschen Zeitung (Freitag, 25.Mai 2012. Derzeit leider nicht online) sofort das Wort Barbarei in den Mund nimmt.

Die Barbarei beginnt schon damit, daß man von Subventionen spricht, wenn es um Finanzierung kultureller Einrichtungen geht ... Genauso fand sich der Begriff ... im 'Kulturinfarkt' wieder - in einem Buch, das doch mit Klischees aufzuräumen versprach und die Halbierung der Kulturinstitute forderte...In der Kulturfinanzierung verbietet es sich nämlich, von 'Subventionen' zu sprechen, denn der Begriff - zu deutsch: Beihilfe - meint etwas anderes: Er ist an die Vergabe öffentliche Mittel an private Unternehmen geknüpft ... In  der Kulturfinanzierung werden dagegen öffentliche Mittel für Aufgaben hergegeben, die ebenfalls öffentlich sind, und zwar unmittelbar an die damit herangezüchteten Institutionen, sei es ein Theater oder ein Museum. Ziel ist es dabei, den Zugang zu deren Beständen und Produktionen ohne Ansehen der Person erschwinglich zu halten, in einer ehrbaren Tradition bürgerlichen Verantwortungsbewusstseins für die Kultur, das allerdings unter der Last der übernommenen Aufgaben zusehends zerbröselt.

Ja, wiederum ja. Die Teilhabe aller an Kultur ohne jede soziale Distinktion, davon ist hier die Rede, und ein solches Ideal ist nicht dadurch zu denunzieren, indem man auf den faktischen Fortbestand von sozialer Unterscheidung hinweist, den die Institutionen selbst produzieren. Ich gehe über Grasskamps Formulierung vom bürgerlichen Verantwortungsbewußtsein hinaus, und argumentiere mit dem demokratischen Gemeinwesen eigenen und notwendigen Sinn für die Integration der Kultur in ihre wohlfahrsstaatliche Programmatik. Die Wohlfahrt aller - in den frühen Verfassung gar das Glück aller - ist das Ziel von Staat, Gesellschaft und Institutionen. und das dazu nötige Geld ist eben nicht 'Subvention' um das ökonomische Überleben abzusichern, sondern Realisierung dieses Ziels.

Im Vergessen dieser Zusammenhänge, sei es in der Medienberichterstattung, sei es in den Institutionen selbst, die oft ärgerlich unbedarft oder unfähig sind, ihre Legitimität vor diesem Hintergrund zu begründen und selbstbewußt zu agieren, liegt die Krise auch des Museums, die mit der gegenwärtigen Krise der Ökonomie konvergiert.

Montag, 30. April 2012

Pierre Bourdieu | Heiligtümer (Das Museum lesen 25)

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"Alles, aber auch alles in diesen bürgerlichen Tempeln, in denen die bürgerliche Gesellschaft deponiert, was sie an Heiligstem besitzt, nämlich die ererbten Reliquien einer Vergangenheit, die nicht die ihre ist, in diesen heiligen Stätten der Kunst, die einige Erwählte aufsuchen, um den Glauben an ihre Virtuosität zu nähren, während Konformisten und Philister hierher pilgern, um einem Klassenritual Genüge zu tun, alles in diesen ehemaligen Palästen oder großen historischen Wohnsitzen, denen das neunzehnte Jahrhundert imposante, oft im graecoromanischen Stil der bürgerlichen Heiligtümer gehaltene Anbauten hinzufügte, besagt schließlich nur das Eine: daß nämlich die Welt der Kunst im selben Gegensatz zur Welt des alltäglichen Lebens steht wie das Heilige zum Profanen."

Dienstag, 24. April 2012

Aufbruch zum postdemokratischen Museum. Verweildauer III


Meine beiden Posts (hier und hier) mit dem Stichwort „Verweildauer“ haben überdurchschnittliches Interesse hervorgerufen. Worum geht es? Um eine alarmistische These einer Studie und eines Artikels. Museumsbesucher würden im Schnitt bloß 11 Sekunden vor einem Werk verbringen. Schlußfolgerung: Welche Kunsterfahrung soll das denn bitte noch sein?
Hanno Rauterberg fragt sich in DIE ZEIT (hier), ob Besucher „auch richtig hinsehen“ und gibt mit einer Studie von Martin Tröndle die Antwort. „Elf Sekunden, drei Atemzüge lang, verbringt der durchschnittliche Betrachter vor einem durchschnittlichen Kunstwerk.“
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß derartige Erkenntnisse nicht neu sind, daß es schon vor dreißig Jahren erste deutschsprachige museumssoziologische Untersuchungen gab, die ähnliche Zahlen brachten. Nun ist es ja nicht falsch, die ‚wiederzuentdecken’, aber es ist schon etwas befremdlich, wenn Erkenntnisse einer Studie als neu und bahnbrechend bezeichnet werden und ungleich differenziertere Schlussfolgerungen ignoriert werden. Schon in der Überschrift des Artikels heißt es: „Eine neue Studie könnte die Museumswelt schwer erschüttern.“
Der volle Titel weist auf das weitergehende, ambitionierte Ziel der Studie hin: „Wirkung von Kunst. Und die Herzen schlagen höher. Was geht in uns vor, wenn wir Kunst sehen?“ Das ist ein wenig tollkühn, Kunsterfahrung umfassend interpretieren zu wollen, also herausfinden zu wollen, wie wir Bilder sehen, was sie auslösen, wie die Beziehung von Kunst und Mensch beschaffen ist (Rauterberg), und das mit Befragung, Messung von Herzfrequenz, Hautleitfähigkeit und Bewegung im Raum.
Auch solche positivistischen, scheinbar naturwissenschaftlichen Untersuchungen hat es schon viele gegeben. Und alle kranken daran, daß ohne Federlesens, von physiologischen Daten auf komplexe kognitive, psychologische und affektive Prozesse rückgeschlossen wird. Das ist aber schlichtweg nicht möglich. Wenn jemand eine höhere Herzfrequenz bei Bild A als bei Bild B hat, dann sagt das genau – nichts aus.
„Zwar konnten sich viele Betrachter für eine klassische Venedig-Szene von Monet durchaus begeistern und bewerteten das Bild bei der Befragung als ästhetisch hochwertig. Doch Herz und Haut signalisierten eher gepflegte Langeweile. Wirklich erregt waren die Besucher hingegen von Günther Ueckers Antibild, aus dem lauter spitze Nägel ragen. Ob Jung oder Alt, ob Mann oder Frau – alle zeigten hohe Pegelwerten. (sic!)“.  Was für ein Unsinn. „Langeweile“ und „Erregung“ als Effekt ästhetischer Erfahrung lassen sich als psychosoziale Phänomene mit Datenhandschuh und Hautsensor weder bemessen noch bewerten noch auf eine bestimmte (unterstellte) ästhetische Qualität („Antibild“, „pieksiges Ding“) beziehen. Das ist wieder mal so eine im Grunde hanebüchene Vorgangsweise, in der als Resultat das herauskommt, was der Autor der Versuchsanordnung an Grundannahmen bereits voraussetzt ohne die zu reflektieren.

Unkontemplativer, abgelenkter (von Medien) aber doch irgendwie still in Betrachtung (akrobatisch) versunkener Museumsbesucher

Da in der Versuchsanordnung körperliche Phänomene gemessen wurden, legt uns die Studie - den Ausführungen Hanno Rauterbergs zufolge - nahe, die körperliche Kunsterfahrung gegen die kognitive, wissensbasierte auszuspielen. Ja selbst das durch Sozialisation und Bildung vermittelte Wissen, das uns nicht nur den ‚Gebrauch von Bildern’, sondern den der Institution Museum überhaupt erst möglich macht und sinnvoll erscheinen läßt, scheint weitgehend obsolet: „Man muss offenbar nicht unbedingt großes Vorwissen mitbringen, um mit zeitgenössischen Werken etwas anfangen zu können.“
Ins Museum geht aber nur, wer ein solches Bildungswissen schon erworben hat und dieses artikuliert sich auch nicht nur, worauf sich diese und einschlägige andere Studien meist konzentrieren, während der berühmt-berüchtigten “Verweildauer“. Jede museale Erfahrung hat nicht nur eine komplexe Vorgeschichte, sondern auch eine vielschichtige ‚Nachgeschichte’, in der das – in solchen Studien immer wieder untersuchte - ‚merken’ das geringste Problem ist. Es soll uns niederschmettern, daß "bei den allermeisten Befragten (die Kunst) schon nach sechs Wochen rückstandslos aus den Köpfen verschwunden war. Nur die wenigsten konnten sich noch an einzelne Werke erinnern.“ Was aber überhaupt nicht heißt, daß es Erfahrungen gibt, vielleicht entscheidende, die unmerklich, auch unbewußt (nach)wirken.
Die Behauptung, daß das Gespräch der Besucher untereinander, Rauterberg spricht ausdrücklich vom Räsonnement und Diskurs, die Kunsterfahrung stört, ist als generalisierende unhaltbar. Jeder, der Museen besucht, hat gegenteilige Erfahrungen. Spätestens da wird eine Stoßrichtung der Argumentation sichtbar, die möglicherweise so nicht der Studie geschuldet ist, sondern der Interpretation des Journalisten. „Denn wer sich ihr (der Kunst) ganz allein nähert, in der so oft verlachten stillen Einkehr, wird die Werke offener sehen und weit eindrücklicher erfahren.“ Also sind konsequenterweise auch „jede Art von zusätzlichem Reiz (...) Audioguides, Touchscreens, laute Videobeschallung aus dem Raum nebenan oder eben durch Mitbesucher“ etwas, was „ das ästhetische Erleben (...) mindert.“
Museen seien (man darf annehmen für das religiös-romantische Ideal „stiller Einkehr“) einfach zu groß, sie zeigten viel zu viel, zu viele Werke würden untereinander konkurrieren (kennt Hanno Rauterberg eigentlich Paul Valerys Essay und die Replik von Adorno?). Museen müssten kleiner werden, intimer, leerer, ja, auch das, privater: „Nur einige Privatmuseen scheren hin und wieder aus. Dort muss man sich anmelden, dort gibt es nur wenige Werke.“
Pierre Bourdieu hat, auch ebenfalls auf empirische Studien gestützt, aber theoretisch fundiert, den bildungspolitischen Elitismus der ‚Kunstbetrachtung’ und des Museums als gut abgeschottete, also als sozial distinktiv wirkende Enklaven für die „Eingeborenen der Bildungselite“ beschrieben, ebenso die Mechanismen des Ein- und Ausschlusses. Für solche Fragen interessiert sich Rauterberg nicht. Er bastelt am Hochziehen der Zäune, die das Eliteland besser abschotten.
Man könnte noch nachdenken, wie diese, auf eine derartig merkwürdige Studie gestützten Überlegungen in die Zeit wie diese passt.

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Donnerstag, 19. April 2012

Verweildauer und Migrantinnen. Schon wieder Krisensitzung vorm Museum

In der heutigen Ausgabe der ZEIT (ich habe sie nicht gelesen, sie ist auch nicht online, aber 'Perlentaucher' zitiert) berichtet Hanno Rauterberg über einre 'neue Studie' derzufolge in Museen Besucher durchschnittlich 11 Sekunden verbringen.
Diese neue Erkenntnis gibt es seit ungefähr 30 oder auch mehr Jahren.
Welche Schlüsse Hanno Rauterberg daraus zieht? Welche könnte man daraus ziehen? Sind in den 30 Jahren (mindestens), während derer man es wissen konnte, Schlüsse daraus gezogen worden?
Vor einigen Tagen berichtet eine andere Zeitung, ich glaube es war die taz, daß eine Studie (auch die neu) beweist, daß MigrantInnen Museen seltener Besuchen als Deutsche. Das nun weiß man nicht seit 30 Jahren, weil Migrantinnen vor 30 Jahren keine Frage waren, also auch nicht für empirische Untersuchungen. Aber man weiß seit (mindestens) 30 Jahren, daß bestimmte soziale Gruppen nicht ins Museum gehen. Nie. Und man weiß, warum nicht. Weil nämlich 'Museum' und jene Kultur, in der 'Museum' vorkommt, für sie nicht existiert. Die besagte Studie hat also folgerichtig (noch einmal herausgefunden), daß MigrantInnen nicht etwa keine Kultur haben, sondern eine andere, als diejenigen, die ins Museum gehen. Um festzustellen, daß MigrantInnen nicht (oder fast nicht) ins Museum gehen, hätte es genügt, ins Museum zu gehen, um festzustellen daß dort a) keine Migrantinnen sind sondern eher nur freizeitverfügender weißer bildungbeflissener Mittelstand und b) keine Themen, die mit ihrer Lebenswelt zu tun haben. Der Berichterstatter sieht Handlungsbedarf, erklärt aber nicht welchen. Er deutet an, daß die Verteilung der Fördergelder adaptiert werden müsste. Frage: wird die Veränderung der Verteilung der Fördermittel etwas ändern? Frage: Werden die Museen inhaltlich, thematisch, methodisch reagieren? Frage: Sollen sie das tun, warum ja, warum nein?
Frage: warum entdecken Zeitungen und Journalisten Tatsachen, über die Praktiker wie Theoretiker (zum Beispiel Museumssoziologen) längst Bescheid wissen? Seit 30 Jahren. Mindestens.

Verwandter Post: Auf dem Weg zum postdemokratischen Museum. Verweildauer III
Verwandter Post: Verweildauer II (mit Link zum Artikel von Hanno Rauterberg)

Dienstag, 18. Januar 2011

REKORD! REKORD! REKORDJAHR! REKORDMUSEEN!




Rekordjahr! Das Naturhistorische Museum durchbricht eine Schallmauer, die HALBE MILLION. Mit Hilfe von Gunther von Hagens "fantastischer Ausstellung" (Marketingabteilung NHM)  "Körperwelt der Tiere" im "berühmten Haus am Ring" (Marketingabteilung NHM). Schönbrunn meldet auch ein REKORDJAHR 2010 und kündigt gleich Maßnahmen an, die dazu beitragen werden, diesen REKORD zu brechen. "Das imperiale Wien" teilt man uns mit "ist bei Touristen so beliebt wie nie zuvor: Das Schloss Schönbrunn zählte im Vorjahr 2,6 Millionen Eintritte, was einem Zuwachs von sieben Prozent im Vergleich zu 2009 entspricht." Und noch ein REKORD: "Die Hofburg und das Hofmobiliendepot, die ebenfalls zur Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H (SKB) gehören, verzeichneten mit 647.000 beziehungsweise 57.000 Gästen Besucherrekorde." Das KHM meldet REKORD - in allen Häusern. Mit "1.194.101 Besuchern und einem Plus von vier Prozent an allen Standorten" war 2010 "das erfolgreichste Jahr für das Kunsthistorische Museum seit der Ausgliederung". Und die Albertina ist REKORDMEISTER. "Die Albertina ist auch 2010 wieder das bestbesuchte Museum Österreichs". (Presseabteilung Albertina). "1,2 Millionen Besucher" nennt die Presseaussendung. Und das geht so: man nimmt die Besucher (in Wirklichkeit werden Besuche gezählt, aber diese Kleinigkeit kümmert uns jetzt mal gar nicht), die die Ausstellungen in der bekanntlich in Wien stehenden Albertina und zählt die Besucher der Ausstellungen hinzu, die die Albertina im Ausland gemacht haben. (Dort werden diese Besuche/r auch gezählt, von der veranstaltenden Institution, aber diese Kleinigkeit kümmert uns jetzt mal gar nicht). Das ergibt - REKORD - 5% mehr Besucher gegenüber 2009. Ob die Albertina so innovativ ist, nun nicht nur die Statistik mit Zahlen von externen Ausstellungen aufzufetten sondern auch Leihgaben und 'konzipierte' Ausstellungen hochrechnet, wir werden es 2011 erfahren, das sicher wieder ein REKORDJAHR werden wird. Kurzum: "Auf den Standort gerechnet, ist die Albertina auch in diesem Jahr
wieder das am besten besuchte Museum Österreichs gewesen." (Pressabteilung Albertina). Ich verstehe zwar den Satz nicht, aber ich freue mich, daß dieses Rechnen wieder einen REKORD gebracht hat. Es kann natürlich auch sein, daß in diesem Jahr der Gratiseintritt für Jugendliche statistisch zu Buche schlägt, dazu hat seltsamerweise niemand Zahlen, aber wer weiß, vielleicht kommt ja demnächst ein REKORD jugendlicher Besucher zustande.

Ist es nicht an der Zeit, eine Museums-Nationalliga und Museums-Champions-League zu gründen, mit wöchentlich im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen veröffentlichten Tabellen einschließlich - siehe Albertina -, Heim- und Auswärtstabellen, Direktübertragungen aus den Ausstellungsräumen, Korrespondenten- und Online-Berichten von den Museumseingängen und -kassen, Wettbüros, festlicher Pokalverleihung, Wahl des in der Besucherzählung innovativsten Museum des Jahres, Aufstellung von Zähluhren an öffentlichen Plätzen, sonntäglichem Sport-, pardon Museums-Studio, Zertifikats- und Plaketten-Vergabe (Bestbesuchtes Museum des Jahres 20XX), EU- und Weltkulturerbe-Ranking, Gehaltsprämien für meistbesuchte Direktorinnen und Direktoren…

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Noevers Muttertag oder Wieviel Besucher hat ein Museum eigentlich?

Der heutige Standard (hier) berichtet über die Beantwortung einer Anfrage der Grünen an die für die Museen zuständige Ministerin Claudia Schmied. Es geht um Vorwürfe, die dem Direktor des Museums für Angewandte Kunst, Peter Noever, in den vergangenen Wochen gemacht wurden.
Jetzt ist es bestätigt, ja, Peter Noever hat den Geburtstag seiner Mutter im Museum auf Staatskosten ausgerichtet, und ja, er hat Mitarbeiter des Museums bei dieser Feier verwendet.
Normalerweise interessiert mich Klatsch und Tratsch hier gar nicht, wer immer für so etwas zuständig ist wird reagieren, in diesem Fall das Kuratorium, das feststellen soll, um wieviel Geld es geht und veranlassen wird, daß es zurückbezahlt wird.
Interessant ist ein Nebenergebnis der Anfrage-Beantwortung. Peter Noever soll, so schreibt die Zeitung, das Publikum der Feiernden in seine Besuchsstatistik eingerechnet haben - und auch Besucher anderer, externer Veranstaltungen.
Peanuts? Mitnichten.
"2009 waren es 63.230 Personen. Das Museum hatte daher nicht 183.520 Besucher, wie von Noever angegeben, sondern nur 120.290." (Der Standard).
Um ein Drittel weniger.

PS.: Museumsleute reden untereinander sehr freimütig darüber, wo und wie Besuchszahlen, nun sagen wir mal, 'optimiert' werden. Sie beklagen sich gleichzeitig darüber, daß die Medien mit der Veröffentlichung von Besuchszahlen die Museen unter Druck setzten und einen unnötigen Wettbewerb, noch dazu auf einer partiell irrelevanten Ebene, betreiben und antreiben. Aber sie nehmen an diesem Wettbewerb teil, indem sie ihre Zahlen veröffentlichen und indem sie sich auf den Wettbewerb einlassen. Offenbar auch unter Zuhilfenahme von 'Doping'...

PPS.: In Zeiten der freimütigen Veröffentlichung von allem und jedem bietet sich auch hier die Möglichkeit, Anfrage und Beantwortung im Wortlaut kennzulernen, bei "artbackstage" (hier).

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Die Eingeborenen der Bildungselite werden immer weniger

In den Museumsdiskussionen der deutschsprachigen Länder ist ein Thema nahezu verschwunden, das in den 70er-Jahren – recht kurz – theoretisch wie praktisch präsent war: Die sozialen Barrieren des Museums und damit die Frage nach der Hegemonie einer Elitenkultur. Eine französische Untersuchung bringt dazu einige interessante Einsichten, auch für das Museum. Der Soziologe Olivier Donnat hat im Auftrag des französischen Kulturministeriums eine Studie erstellt, die in einem Satz zusammengefasst ergeben hat: Die Bürger interessieren sich immer weniger für Kultur. Daß bildungsbürgerliche Aktivitäten langsam im Schwinden begriffen sind, ist nicht neu, und auch nicht, wenn ich an in Österreich oder Deutschland schon vor Jahrzehnten gemachte Studien denke, daß große Teile der Bevölkerung vom kulturellen Leben und daher auch von der Arbeit der Museen abgeschnitten sind.
Neu in der französischen Studie ist, daß an Kultur Interessierte immer stärker aus einer einzigen und relativ homogenen Gruppe kommen, den gebildeten, gut verdienenden Großstädtern. Auch das scheint nicht ganz so neu, wenn man sich an Pierre Bourdieus Analyse der Rekrutierungsmechanismen der Eingeborenen der Bildungselite erinnert. Neu dagegen ist, daß sich abzeichnet, wie die sozialen Auseinandersetzungen unter diesen Voraussetzungen auch zu einem Kulturkampf werden könnte.
Sascha Lehnartz, der in DIE WELT über die Studie berichtet, nennt Le Pen, die Affäre um die Verhaftung Roman Polanskis und Sarah Palins Wahlkampf als Beispiele der Mobilisierung kultureller Ressentiments. Neu ist auch der klare Befund, daß die Kluft zwischen den sozialen Gruppen immer größer wird. Die Bildungsferne großer Schichten wird immer größer.
Das gilt auch für Museen, die – so die Studie – in Frankreich nahezu zum Monopol der Wohlhabenden geworden sind. Die Besucherzahl großer Kunstmuseen wächst zwar, aber zuungunsten kleinerer Museen und Museen außerhalb von Paris.
Die grundlegendste Schlussfolgerung, Lehnartz zieht ist: Kultur als Medium zur demokratischen Teilhabe für alle (scheint) immer weniger zu funktionieren.

Sascha Lehnartz: Niedergang einer Kulturnation, in: DIE WELT ONLINE, 20. Oktober 2009
Olivier Donnat, Les Pratiques culturelles des Français à l'ère numérique, ed. La Découverte, 284p, 20 Euro
Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1974 (franz. 1970)