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Sonntag, 25. Juli 2021

Kleine Geschichte des Museums. Teil 00. Warum Museumsgeschichte schreiben?

 

 

Von den vielen Themen, die einem die Institution Museum zur Beschäftigung anbietet, gehört die Geschichte der Institution zu den vernachlässigsten. Texte, die ich zur Museumsgeschichte auf dem Blog veröffentlicht habe, finden erstaunlich wenige Leser.

Was der Kunsthistoriker und Museologe Walter Grasskamp vor 40 Jahren konstatiert und beklagt hat (1), die Defizite einer Museumsdebatte, die sich ihrer historischen Grundlagen nicht versichert, gilt noch immer. Es ist inzwischen unendlich viel an einzelnen, spezialisierten Untersuchungen erschienen, historische Museumsmonografien, lokale und national Geschichtsschreibungen, problemorientierte Studien, wie etwa solche zum Übergang von den Fürstenmuseen zu den staatlichen oder viele Museumswebseiten, die auch ausführliche Erörterung der eigenen Geschichte bieten. Aber an dem, woran es schon für Grasskamp mangelte, fehlt es noch immer: an einer Zusammenschau, die die Geschichte der Institution als Grundlage der Analyse und Kritik und der jeweils aktuell debattierten kultur- und gesellschaftspolitischen Rolle böten.

Eine brauchbare deutsche Geschichte des Museums liegt derzeit nicht vor, die nach wie vor bedeutendste englischsprachige Publikation stammt von 1970, allein in Frankreich, wo man Grund zur Annahme hätte, daß dessen nationale Museumsentwicklung historischer Forschung günstig ist, beginnt eben eine dreibändige Geschichte zu erscheinen, verfasst von Krzysztof Pomian.

Warum ist das so? Ich fürchte, daß die beste Antwort die ist, die in Grasskamps Buch gegeben wird, also schon über vierzig Jahre alt ist: „Diese Institutionen“, wird dort Bazon Brock zitiert, „verdanken ihre Existenz der Tendenz aller Systeme, sich selbst am Leben zu erhalten. Sie haben sich längst als Bürokratien verselbständigt und die Zwecke ihrer Arbeit zu bloßen Mitteln ihres Fortbestandes pervertiert.“ (2)

Andererseits begründet Grasskamp die Notwendigkeit einer Historisierend der Kultur- und Museumspolitik klar: „Die Theorie beschränkt sich auf eine Interpolation zwischen den bestehenden Verhältnissen und den wünschenswerten, ohne zu klären, wie es denn überhaupt dazu kommen konnte, daß die kulturpolitische Lage so viel zu wünschen übrig läßt.“ (3)

Ich habe Walter Grasskamps Buch Museumsgründer und Museumsstürmer in einem Moment in die Hand bekommen, da ich gerade begonnen hatte, mich mit Museumsgeschichte zu beschäftigen. Es war wichtig, weil es mich in dem bestärkte, was ich an Fragestellungen entwickelt hatte.

Und ich denke, mein wichtigstes Motiv mich mit der Geschichte dieser merkwürdigen Institution zu beschäftigen, die dazu da zu sein schien, Menschen ein Zusammenkommen um Dinge zu ermöglichen, deren Besitz und Gebrauch sie sich verbieten, ware genau das, was er in seinem eben zitierten Satz ausführt. Auch mich erstaunte, daß ausgerechnet jene Institution, die Geschichtsbewußtsein und kollektives Erinnerungsvermögen formierte, ihrer eigenen Geschichte gegenüber derart nachlässig und desinteressiert war.

Ich denke auch heute noch, daß eine Museumskritik im umfassenden Sinn nicht betrieben aber auch einzelne Fragen, wie etwa nach der Rolle der Vermittlung, der Digitalisierung, der neoliberalen unternehmerischen Formierung, der fragwürdigen, kaum je definierten Professionalität der Akteure des Museums u.v.a.m., nicht beantwortet und nicht bearbeitet werden können, ohne ein Wissen um die Geschichte der Institution.

So erscheint mir die z.B. periodische Konjunktur des emphatischen Redens über die Notwendigkeit einer erweiterten und nachdrücklichen Orientierung des Museums am Publikum ziemlich befremdlich wenn nicht manchmal geradezu grotesk, angesichts der historischen Konstellation, in der Museen ja erst gerade dadurch entstanden, als sich ältere Sammlungspraktiken zu öffentlichen Agenturen der Bildung und Vermittlung von Wissen und ästhetischer Erfahrung wandelten. Das Wissen um diesen Wendepunkt ist erstaunlich gering und in medial ausgetragenen Debatten kommt das so gut wie nie zur Sprache.

Welche Schwierigkeiten es bereitet, unter Bedingungen der partiellen Amnesie über den gesellschaftlichen Sinn des Museums zu sprechen. Als in der Coronakrise der Status des Museums plötzlich und schroff in Frage gestellt wurde, war den aufgerufenen, alarmierten Vertretern der Museumszunft anzumerken, wie schwer es ihnen jenseits rhetorisch Floskeln das Museum zu verteidigen.

Ich versuche es also wieder, mit einer (kleinen, provisorischen) Museumsgeschichte und habe mir dazu ältere, im Blog vor Jahren schon veröffentlichte Texte vorgenommen um sie zu überarbeiten und um zu sehen, was davon überholt, veraltet sein könnte - oder aber auch nach wie vor gültig.

Eine Museumsgeschichte zu schreiben, als eine große zusammenhängende Geschichte, scheint mir kaum mehr möglich. Das Museum hat zu viele Aspekte und Facetten, die Forschung hat sich so vieler Fragen angenommen und da das Museum inzwischen zu einem Thema in vielen Wissenschaften geworden ist, sind museologische Debatten unübersehbar geworden.

Ich belasse es daher bei Geschichten statt Geschichte, habe mir einen eher essayistischen Zugang gesucht, greife kleine Beobachtungen, scheinbar nebensächliche Vorgänge auf, um sie wie Symptome auf größere Zusammenhänge hin zu untersuchen und zu thematisieren. Das erlaubt mir, ein anderes Motiv auszuleben, mich mit Museumsgeschichte zu beschäftigen: Die Vielfalt, die Farbigkeit, der Reichtum dieser Geschichte(n). So ist etwas beabsichtigt, was den Titel Auch eine Geschichte des Museums tragen könnte. So zwingt - um ein Beispiel für meine Arbeitsweise zu geben - eine marginale und unbeholfen ausgearbeitete Erwähnung eines neuntältesten Museums dazu, einige grundlegende Fragen zu stellen, ohne die sie gar nicht verstanden werden kann. Und so habe ich genau damit begonnen: mit dem Fragen.

Und hier beginnt es: Kleine Geschichte des Museums 01. Ein neuntältestes Museum   


(1) Walter Grasskamp: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseum. München 1981
(2) Grasskamp zitiert hier aus dem von Gerhard Bott herausgegeben Band Das Museum der Zukunft, das 1971 erschien. (Köln 1971, das Zitat von S.28)
(3) Grasskamp, S.9


Montag, 13. März 2017

Kleine Geschichte des Museums. Teil drei. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück: Museum

Die selbstbewußte Feststellung 
des Indian Museum in Kalkutta, 
das neuntälteste Museum der 
Welt zu sein, hat uns zu der 
Frage geführt, welches denn das 
erste wäre und in der Folge zu 
einer kleinen Studiensammlung 
von ‚Ersten Museen’. Was 
wiederum schnell gezeigt hat, 
daß das Wort ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens bezeichnet.

Und das seit der Mitte des 16.Jahrhunderts, also über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Und in all der Zeit soll sich die Wortbedeutung nicht verändert haben? Ein einziges Wort soll genügen, um die vielen Phänomene zu bezeichnen - vom humanistischen Wissensraum bis hin zum nationalen Sammlungsmuseum und den dem Entertainment gewidmeten Schaumuseen der Gegenwart? 

Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch Dinge bezeichnet, die 
kaum oder jedenfalls nicht auf den ersten Blick etwas mit dem zu tun haben, was wir heute 
mit „Museum“ verbinden. Das Wort Museum kann mythologische, religiöse, wissenschaftliche 
oder zum Beispiel auch literarische Bedeutungen an sich ziehen. In der museologischen 
Forschung wird das Problem des Wortgebrauchs meist ignoriert. Da soll Museum drinnen sein, wo Museum drauf steht.

Interessanter als Selbstverständlichkeit oder Denkträgheit sind jene Momente, wo das Wort 
plötzlich problematisch wird. Das ist am Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall, also zu dem Zeitpunkt wo sich ein neues Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt. Es ist der historische Moment, wo das Wort jene Bedeutungen 
erhält, die wir mit ihm heute verbinden. (Ich komme darauf in einem weiteren Folge zurück).

Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München am Beginn des 
19.Jahrhunderts verzichtet man auf „Museum“ und entscheidet sich stattdessen für das 
Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen 
Museum in Berlin (heute: Altes Museum) fragt man sich während der Entwicklung des 
Konzeptes, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem 
entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen. 

Die Gruppe von Gelehrten, die unter der Leitung von Wilhelm von Humboldt an den 
Grundlagen der neuen Institution arbeitet, kann sich nicht einigen. Es kommt zu einem 
kurzen gelehrten Disput, in die schließlich die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird. 
Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das 
dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und für jedermann zugänglich ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.

Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals, heißt es in einer entscheidenden Passage des Gutachtens. Aus diesem Grund hatte man ja in München das 
Wort Museum schließlich vermieden.

Hier aber entscheidet man sich - gegen gute, valide Argumente -, dennoch für ‚Museum’, 
um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine sogenannte ‚ältere’ Bedeutung des 
griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese ‚ältere’ Bedeutung zu erläutern.

Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon 
vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung staatlicher Sammlungen und nationaler Museen bereits der Weg geebnet. 

Aber in Berlin geht man noch einmal bis zur Etymologie des Wortes zurück und zu seiner griechisch-antiken Bedeutung. Ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, wichtig für die ab nun usuelle Bezeichnung war, für die Durchsetzung des Wortes Museum für eine eigentümliche moderne institution. Und zwar nicht allein aber auch, weil es sich um den ersten Museumsbau (Architekt: Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedeutenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.

Aber was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum? 
Warum fiel die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum 
übersetzte man dieses Wort - entgegen der Wortbedeutung - so ins Deutsche: Ruheort 
(nämlich der Kunst)?

Die Rotunde des Alten Museums mit den Götter- und Heroenstatuen
FRIDERICVS GVILELMMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNI­GENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII In der zeitgenössischen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828. 

„Ruheort“ deckt sich nicht nur mit der antiken Bedeutung von „museion“ als Versammlungsort und Tanzplatz der Musen nicht, er ist auch museologisch wie geschichtsphilosophisch heikel. 

Denn wieso kommt im Museum die Kunst „zur Ruhe“? Weil sie ihren Sitz im Leben verliert und ihre Entwicklung zum Stillstand kommt? Weil sie allein noch als Gegenstand der Anschauung als dauerhaft gültiger kultureller Wert behandelt wird? Als ein Triumph der Musealisierung über ihr lebendiges Wirken in der gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft? 

Mittwoch, 8. März 2017

Kleine Geschichte des Museums. Teil zwei: Wenn es ein neuntältestes Museum gibt, muß es auch ein ältestes geben.



Wenn es ein neuntältestes Museum der Welt gibt (vgl. den ersten Teil der "kleinen Museumsgeschichte), dann muß es auch ein ältestes geben.

1759 wird dort angegeben, das Jahr der Gründung ist aber 1753, das Jahr, in dem der Parlamentsbeschluß zur Übernahme der Sammlung Hans Sloane und die Gründung des British Museum beschlossen wurde.

Verwirrenderweise gibt es aber viele „älteste Museen“. Ich besitze eine kleine Sammlung von
ihnen, das heißt von Museen, die in der museologischen Literatur oder in Lexika als „erste“
genannt werden.
Um es gleich vorwegzunehmen: in keinem Fall hat sich der Autor die Mühe gemacht, seine 
Kriterien zu nennen. Es wird forsch drauflos behauptet: „A Côme, le premier musée d’histoire… “ schreibt wie mit Rufzeichen Roland Schaer 1993 in seiner kleinen Museumsgeschichte, oder Donald Preziosi, ebenfalls 2003, „…the original Ashmolean, the 
first public museum in Europe…“. 

Wenn man "erste Museen" sammelt, hat man bald eine sehr bunte Mischung zusammen und Nennungen, die einen enormen Zeitraum abdecken..

Bei den beiden genannten "Museen" wären wir einmal im 16. und einmal im 18. Jahrhundert. 
Das Britische Museum meldet sich sozusagen selbst zu Wort: The British Museum has the distinction of  being the first national, public and secular museum in the world. Sagt Marjorie 
Caygill in The Story of the British Museum. (London 1981). 1753 ist das Gründungsdatum. 
Immerhin ein Beschluß des Parlaments, eine Privatsammlung unter staatliche Obhut zu 
nehmen. Rein rechtlich ist das neu, bislang haben das nur Kommunen getan, z.B. Basel 
oder Venedig. Noch nie ein Staat.

Wir sind bei Museen angelangt, die sich selbst zum ‚Sieger’ ausrufen, damit erweitert sich 
das Spektrum  "erster Museen" schlagartig. Da findet man dann ein sehr bescheidenes 
fürstliches Naturalienkabinett in Braunschweig neben den Kapitolinischen Museen in Rom, 
die sich auf eine päpstliche Denkmalstiftung berufen: „...decretando l’istituzione del più antico museo pubblico del mondo: la Lupa, posta sulla facciata del Palazzo die Conservatori, diventa il 
simbolo della città...“. (Musei capitolini. Roma 2000). 

Da sind wir dann sogar schon im 15. Jahrhundert. Geht es noch früher. Ja, klar. Man kann mesopotamische Fundstücke als Privatsammlung einer Prinzessin interpretieren und kleine beschriftete Objekte als "Labels" und schon hat man ein "Museum", hunderte Jahre vor 
unserer Zeitrechnung...

Als meistgenanntes ‚erstes’ ‚Museum’ könnte das Alexandrinische Museion gelten. Der 
Brockhaus von 1815: „Museum, eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände 
aus dem ganzen Umkreise der Naturgeschichte und Künste, und in Zimmern und Gebäuden 
zur Ansicht der Kenner und Liebhaber entweder auf Kosten einer Privatperson oder einer 
Regierung aufgestellt. Zuerst wurde diese Benennung, die eine Musengrotte, oder einen Musentempel bezeichnet, dem Theile des königlichen Palastes in Alexandrien gegeben, 
welchen Ptolemäus Philadelphus für die Gelehrten und die Bibliothek bestimmte.“

Doch was gab es dort, das man mit Recht ein "Museum" nennen könnte. Man weiß nicht 
sehr viel über diese Bibliothek, die im 3.Jh. v.Chr. gegründet wurde, jedenfalls nichts, was 
auf eine Sammlung oder Ausstellung und allgemeine Nutzung schließen ließe.

Bleiben wir gleich einmal bei dem letzten Beispiel. Der Brockhaus legt uns nahe, daß wir die Beschreibung – eine Sammlung seltener und interessanter Gegenstände usw. – mit dem Wort Museum gleichsetzen, das in Alexandria erstmals („zuerst’...) angewendet worden 
sei. Das sehr wenige, was man nämlich über das museion von Alexandria weiß, ist, daß es 
eine Priester-Gelehrtengemeinschaft unter dem Protektorat eines Fürsten war, eine große 
und legendäre – sowie vermutlich durch Brandstiftung untergangegangene – Bibliothek.


Museion bedeutet seit der Gründung der Platonischen Akademie (Abbildung) einen 
Wissensort, genauer gesagt den kultischen Mittelpunkt, der Akademie als Ort, an dem alle 
Künste und Wissenschaften vereint sind. In dieser Tradition des Wortgebrauchs steht auch 
noch das museion in Alexandria.

Und die kapitolinische Museen? Die Stiftung einiger bedeutender historischer Objekte durch 
den Papst 1471 an die Stadt Rom ist nicht mal eine Sammlung, sondern ein Ensemble von Objekten, die aus politischer Raison der Stadt zum Zweck denkmalhafter Aufstellung (im 
Freien) geschenkt werden, darunter die berühmte Wölfin mit Romulus und Remus. Dennoch 
gab das Gründungsdatum den Kapitolinischen Museen den Anlass, 1971 eine einmalige fünfhundertjährige Institutionengeschichte zu feiern. Die begann aber erst sehr viel später, 
um 1800, wenngleich inzwischen die Sammlung am Kapitol erheblich vermehrt worden war 
und an Bedeutung gewonnen hatte.

Die Villa des Gelehrten und Bischofs Paolo Giovio am Comer See enthielt einen Raum, der gelehrten Studien gewidmet war, dessen Ausstattung auf die antiken Musen - die ja solche 
Studien "beschirmten" -,anspielte und eine Galerie von Porträts ‚bedeutender Männer’. 
Interessant ist dieser Ort als ein frühes Beispiel für die Belebung des antiken Musenmythos, 
der im Mittelalter fast untergegangen war. 

Aber museion bedeutet hier, Mitte des 16.Jahrhunderts, wie in Alexandria, ehr noch den 
Wissensort und nicht so sehr den Ort der Sammlung, geschweige denn der öffentlichen Ausstellung. Sammeln ist eher ein Sich-Sammeln, nämlich die Versammlung der porträtierten großen Männer um den gelehrten Besitzer der Villa am Comersee.


Mit dem British Museum scheint es eindeutig zu sein. Staatliche Trägerschaft, also auch 
staatliche Obsorge für eine Sammlung ohne definierten Zeithorizont der Bewahrung und 
öffentliche Zugänglichkeit – das ist doch ‚unser’ Museum. Bei genauerem Hinsehen, erweist 
sich aber der ‚nationale’ Charakter der Gründung als unter Museologen und Historikern 
umstritten und die tatsächliche Einrichtung des Museums in einer kleinen, von Gärten 
umgebenen Vorstadtvilla, muß viele Jahrzehnte eher einer jener überlebten 
‚Raritätenkammern’ geglichen haben, wie es sie damals noch viele gab. (Abbildung: Das Treppenhaus mit den ausgestopften Giraffen) Über die 
Unzulänglichkeit der Aufstellung gibt es aufschlussreiche zeitgenössische Quellen. Die 
Kritik betraf aber vor allem die extrem restriktiv gehandhabte Zugänglichkeit. Lange im 
Voraus notwendige Anmeldungen, Zulassung nur kleiner Gruppen und miserable
Betreuung beim Besuch begleiten durch Jahrzehnte das in Montague House untergebrachte Museum. Man darf das British Museum jener Jahre nicht mit dem verwechseln, was es ab 
den 1830er-Jahren war, wo seine Sammlung, auch gespeist aus kolonialer Politik (Elgin 
Marbles) enorm an Zahl und Bedeutung wuchs und das große repräsentative antikisierende Gebäude errichtet wurde..

Die Beispiele genügen, um ein Dilemma sichtbar zu machen. Es gibt vor allem zwei Schwierigkeiten. Das Wort Museum bezeichnet sehr unterschiedliche, untereinander kaum vergleichbare kulturelle Praktiken. Wobei ich hier gar nicht auf Wortbedeutungen 
eingegangen bin, die kaum oder überhaupt nicht mehr mit ‚Sammlung’ oder ‚Ausstellung’ oder ‚Haus’ in Verbindung zu bringen sind.

Die zweite Schwierigkeit liegt in einem methodischen Zirkel. Für eine historische 
Untersuchung bräuchte man einen Begriff, der aber wiederum nur aus einer Geschichte von Praktiken und Riten, von Zuschreibungen und Institutionalisierungen gewonnen werden 
könnte, denen man aber schon eine museale Funktion zuschreiben müsste.

Im Grunde sind wir so gescheit, wie nach den vom neuntälteesten Museum provozierten Überlegungen. 
Aber auch doch etwas weiter, weil das Problem besser, die Aufgabe es zu lösen als 
komplexer und anspruchsvoller sichtbar geworden sind. Und weil einige Schlüsselbegriffe in 
den wenigen zitierten Beispielen aufgetaucht sind: Sammlung, national, Gegenstände, 
öffentlich...

Und noch etwas könnte hilfreich sein an den bisherigen Überlegungen: man sollte immer 
daraus achten, welchen Begriff von Museum jemand hat - so selbstverständlich er erscheint, 
er wird jeweils anders gefüllt sein, abhängig von dem, was der Sprecher an Geschichte und Funktionen bei "Museum" im Kopf hat. Kurz gesagt, das Wort "Museum" ist nicht 
selbstverständlich. Je näher man es ansieht, desto ferner sieht es zurück.

Dienstag, 7. März 2017

Kleine Geschichte des Museums. Teil eins: Das neuntälteste Museum der Welt

Beim zerstreutem Recherchieren über irgendetwas, was ich längst vergessen habe, bin ich, wie das halt beim Googeln so passieren kann, auf einen überraschenden Eintrag auf der Webseite eines Museums in Indien gestoßen: „The ninth oldest regular museum of the world, INDIAN MUSEUM, Kolkata, INDIA is the oldest institution of its kind in Asia Pacific region and repository of the largest museum objects in India.“

Neuntältestes Museum? Bemerkenswert! Wer will in Zeiten, wo selbst der zweite oder dritte Platz, wo auch immer - im Bobfahren, in Deutschland sucht den Superstar, bei den Städten mit der höchsten Lebensqualität, bei den ältesten Menschen der Welt - kaum noch zählt, schon Neunter und auch noch sichtlich stolz drauf sein?
Verblüfft hat mich dann aber zweitens die Sicherheit, mit der da ein ganz bestimmter Platz im „Ranking“ behauptet wurde, und zwar in einer Liste der "regulär museums".
Wenn man exakt ein „neuntältestes“ Museum ist, muss man über die geschichtliche Entwicklung des Museums weltweit ebenso sicher Bescheid wissen, wie über die Entwicklung des Sammlungswesens, die Chronologie Errichtung von Museumsbauten oder die Einrichtung von Trägerschaften.
Und wenn man von einem "regular museum" spricht, muss man über sehr haltbare Kriterien verfügen, das Museum (als Idee, als Modell, als Institution), von anderen Institutionen und kulturellen Praktiken unterscheiden zu können.

Vor allem aber man muss wissen was ein Museum überhaupt ist, man muss sich einen Begriff vom Museum gemacht haben. Anders gesagt: man muß sich sicher sein, daß es einen eindeutig definierbaren und verbindlichen Museumsbegriff überhaupt gibt und daher auch einen ebenso eindeutig feststellbaren ‚Ursprung’, das heißt ein Museum, das unzweifelhaft als ein erstes identifizierbar ist.

Wenn wir alle mal kurz in unseren Köpfen kramen, werden wir rasch auf ein Durcheinander von Assoziationen und Erinnerungen stoßen, aber kaum auf ein derartiges museografisches Geburtsdatum. In Lexika und in einschlägigen Publikationen werden wir Angaben finden, die über viele Jahrhunderte hinweg verstreut sind. Da kommt dann das hellenistische Alexandrinische Museum ebenso vor - die berühmte "Bibliothek", über die man kaum etwas weiß, geschweige denn über ihre "musealen" Funktionen -, wie eine privates Museum am Comer-See aus der Mitte des 16., oder das Kapitolinische Museum in Rom, das sich auf eine Bild-Stiftung des 15. Jahrhunderts beruft wenn es sich zum ältesten Musuem der Welt erklärt, was auch das British Museum macht (und manch andere mehr), dessen Gründung 1753 sehr oft als "Ursprungsdatum" des Musuems genannt wird.

Das British Museum ist denn auch die Nummer eins auf der Bestenliste aus Kalkutta, denn freundlicherweise ist der Textinformation auch eine Grafik beigegeben, zwar nur etwas größer als eine Briefmarke, die aber immerhin schon als Weltkarte eine Infografik der frühen musuemsgründungen sein will. (1)


Die Podestplätze haben diesem Weltatlas im Bonsaiformat nach: Die kaiserliche Gemäldegalerie im Belvedere in Wien und das Charleston Museum in Philadelphia.
Jetzt könnte ich beckmesserisch sein, und an der Liste rummäkeln. Da ist z.B. das Gründungsdatum des Gewinners falsch. Fehler der Zeitmessung sozusagen, aber macht nichts, es kommen sogar noch sechs Jahre dazu, denn korrekt ist für das British Museum 1753. Der erste Platz ist also nicht gefährdet.
Aber darum geht es gar nicht. Die Frage ist, warum wurden diese Museen ausgewählt, warum wurde nichts in Erwägung gezogen, was früher und sonst noch an Institutionen existierte, warum nicht Oxfords Ashmolean Museum oder die Museen, die die Habsburger in Florenz gegründet haben. Warum nicht noch ältere Sammlungen, etwa die bedeutenden Natursammlungen Italiens? Warum keine fürstlichen?

Kurz gesagt, es wäre interessant, was man in Kolkat/Kalkutta unter „Museum“ versteht. (man macht es uns gar nicht leicht. Denn da steht ja noch dazu "regular museum". Gäbe es demnach auch eines, das "irregular" ist??).
Aber darauf gibt die Webseite leider keine Antwort. Das Indian Museum (2) weiß es, sagts aber nicht.
Immerhin haben wir ein paar Fragen gewonnen: Gibt es überhaupt so etwas wie ein "erstes" Museum? Was sind die Bedingungen, um von "dem" Museum sprechen zu können? Und dann die Frage, wo begannt das mit dem, was wir heute Museum nennen?

In einer Hinsicht ist das Selbstbewußtsein des Indian Museum, das heute eins der größten und namhaftesten des Landes ist, informativ: es relativiert den eurozentrischen Blick. Sicher, wie wir noch sehen werden, ist das Musuem eine europäische Erfindung. Aber dieses "Modell" verbreitete sich rasch in aller Welt. Wobei es oft Europäer und von Europäern gegründete Institutionen waren, wie auch hier in Kalkutta, wo das eine rein britische Angelegenheit war, mit einer "Asiatick Society" und einem Museum "Orientalische Studien" - vermutlich in kolinialer Absicht -, betreiben zu können.


(1) Inzwischen existiert der Teil der Webseite des Indian Museum nicht mehr, der diese Liste, die "Landkarte" und auch die Abbildung des Gebäudes der "Asiatick Society", die das Museum gründete, nicht mehr.

(2) Das Gründungsdatum des Indian Museum ist übrigens der 2. Februar 1814. Soviel zur Korrektur eines eventuell eurozentrisch verengten Blicks. Sicher, es gibt viele Gründe das Museum als ‚europäisches Modell’ zu verstehen, aber es wurde  so gut wie ‚sofort’ zum ‚Exportschlager’.