Die selbstbewußte Feststellung
des Indian Museum in Kalkutta,
das neuntälteste Museum der
Welt zu sein, hat uns zu der
Frage geführt, welches denn das
erste wäre und in der Folge zu
einer kleinen Studiensammlung
von ‚Ersten Museen’. Was
wiederum schnell gezeigt hat,
daß das Wort ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens bezeichnet.
Und das seit der Mitte des 16.Jahrhunderts, also über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Und in all der Zeit soll sich die Wortbedeutung nicht verändert haben? Ein einziges Wort soll genügen, um die vielen Phänomene zu bezeichnen - vom humanistischen Wissensraum bis hin zum nationalen Sammlungsmuseum und den dem Entertainment gewidmeten Schaumuseen der Gegenwart?
Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch Dinge bezeichnet, die
kaum oder jedenfalls nicht auf den ersten Blick etwas mit dem zu tun haben, was wir heute
mit „Museum“ verbinden. Das Wort Museum kann mythologische, religiöse, wissenschaftliche
oder zum Beispiel auch literarische Bedeutungen an sich ziehen. In der museologischen
Forschung wird das Problem des Wortgebrauchs meist ignoriert. Da soll Museum drinnen sein, wo Museum drauf steht.
Interessanter als Selbstverständlichkeit oder Denkträgheit sind jene Momente, wo das Wort
plötzlich problematisch wird. Das ist am Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall, also zu dem Zeitpunkt wo sich ein neues Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt. Es ist der historische Moment, wo das Wort jene Bedeutungen
erhält, die wir mit ihm heute verbinden. (Ich komme darauf in einem weiteren Folge zurück).
Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München am Beginn des
19.Jahrhunderts verzichtet man auf „Museum“ und entscheidet sich stattdessen für das
Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen
Museum in Berlin (heute: Altes Museum) fragt man sich während der Entwicklung des
Konzeptes, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem
entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen.
Die Gruppe von Gelehrten, die unter der Leitung von Wilhelm von Humboldt an den
Grundlagen der neuen Institution arbeitet, kann sich nicht einigen. Es kommt zu einem
kurzen gelehrten Disput, in die schließlich die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird.
Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das
dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und für jedermann zugänglich ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.
Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals, heißt es in einer entscheidenden Passage des Gutachtens. Aus diesem Grund hatte man ja in München das
Wort Museum schließlich vermieden.
Hier aber entscheidet man sich - gegen gute, valide Argumente -, dennoch für ‚Museum’,
um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine sogenannte ‚ältere’ Bedeutung des
griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese ‚ältere’ Bedeutung zu erläutern.
Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon
vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung staatlicher Sammlungen und nationaler Museen bereits der Weg geebnet.
Aber in Berlin geht man noch einmal bis zur Etymologie des Wortes zurück und zu seiner griechisch-antiken Bedeutung. Ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, wichtig für die ab nun usuelle Bezeichnung war, für die Durchsetzung des Wortes Museum für eine eigentümliche moderne institution. Und zwar nicht allein aber auch, weil es sich um den ersten Museumsbau (Architekt: Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedeutenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.
Aber was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum?
Warum fiel die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum
übersetzte man dieses Wort - entgegen der Wortbedeutung - so ins Deutsche: Ruheort
(nämlich der Kunst)?
Die Rotunde des Alten Museums mit den Götter- und Heroenstatuen |
„Ruheort“ deckt sich nicht nur mit der antiken Bedeutung von „museion“ als Versammlungsort und Tanzplatz der Musen nicht, er ist auch museologisch wie geschichtsphilosophisch heikel.
Denn wieso kommt im Museum die Kunst „zur Ruhe“? Weil sie ihren Sitz im Leben verliert und ihre Entwicklung zum Stillstand kommt? Weil sie allein noch als Gegenstand der Anschauung als dauerhaft gültiger kultureller Wert behandelt wird? Als ein Triumph der Musealisierung über ihr lebendiges Wirken in der gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft?
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