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Montag, 21. November 2022

Textsorten (Texte im Museum 1095)

Die Fassade des Kunstmuseums St.Gallen im November 2022. Welche Textsorten findet man auf diesem Wimmelbild? Da ist zunächst mal die Inschrift MUSEUM, die keinen Zweifel aufkommen läßt, wo wir uns befinden und was uns erwartet, wenn wir das Gebäude betreten. "Offen" signalisiert uns, daß wir tatsächlich und jetzt eintreten können, was bei der Geschlossenheit von Fassade, Treppe und Türen hilft, diese symbolische Liminalität zu überwinden, unsere "Schwellenangst". "Cafe" verheißt Genuss und Konsum jenseits der Askese, die und Museen bezüglich ihrer Objekte verordnen. 
Links unten, vom Ärmel der tanzenden Brunnenfigur etwas verdeckt, informieren Plakate über die laufenden Ausstellungen.
Bleibt das Rätsel der Inschrift "Die letzten tage des Patriarchats". Ein Überbleibsel einer längst beendeten Ausstellung, wie man mir an der Kassa des Museums, mitteilt. Aber warum am Museum? Ist hier das Patriarchat besonders angezählt? Ist es ein Statement der Museumsleitung? Soll es etwas zur Haltung des Hauses aussagen. 

Montag, 29. September 2014

Wir gehen ins Museum



Wir gehen ins Museum!

In vielen Pariser Museen ist nicht mehr die Kassa oder der Infopoint das erste, was man passiert auf seinem Weg zur Sammlung. Meist direkt im Eingang, unmittelbar nach dem Eingangstor wird man von zwei kräftigen Uniformierten einem Sicherheitscheck unterzogen. Der fällt weit einfacher als am Flughafen aus und er ist sogar so lachhaft oberflächlich, daß man sich fragen muß, ob seine Bedeutung nicht bloß symbolisch ist. Was einem signalisiert wird ist: Du könntest ein Sicherheitsrisko sein und: das Museum ist überhaupt durch dich und seine Besucher gefährdet. In „Zeiten wie diesen“ passt das in die allgemeine Angst und paranoide Überwachung, daß auch Museen ihre Sicherheitsvorkehrungen vervielfachen und auch so weit sichtbar machen, daß man es als Besucher bemerken soll. Das verändert selbstverständlich den Besuch. Er ist nicht mehr so zwanglos und selbstverständlich wie vordem, das Museum ist kein Ort des freizügigen Aufenthalts. Im Musée Carnavalet befand sich nahezu in jedem Ausstellungsraum eine Aufsichtsperson. Da stellt sich ein Gefühl ein, als ob man in jeder Bewegung eingeschätzt würde, eine Frage, ob man sich denn angemessen verhalte und nur ja nichts falsch mache.

Es geht auch ganz anders. Nach einem kleinen Kiosk, an dem man das Ticket erwirbt, betritt man das Museum, passiert ein Podest auf dem ein prachtvoller Blumenstrauss steht und der zugleich den Strom der Besucher in solche die kommen und solche die gehen teilt, und hat schon den Blick auf den ersten und großen Saal mit seinen Kunstwerken frei, den man - ohne eine Tür oder eine andere Schwelle zu passieren – betreten kann. Hier steht eine junge Frau, deren ans Kleid geheftetes Schildchen sie als Auskunftsperson ausweist.
Gut, ich rede hier von einem besonderen, von „meinem schönsten Museum“, der Sammlung Beyeler in Basel, einem außen wie innen eleganten und subtil proportionierten Pavillon, der einem schon durch seine Architektur und den alten Park der ihn umgibt, Wohlbefinden vermittelt. Aber die Aufmerksamkeiten, die einem hier zuteil werden, machen aus dem Besucher nicht Verdächtige mit Kontrollpflicht sondern willkommene Gäste.
In einem Land, das eine diesbezüglich grundsätzlich gepflegtere Museumskultur hat als anderswo, in den Niederlanden, gibt es eine kleine Steigerung. Im Staedelijk Museum in Amsterdam war bei meinem letzten Besuch (noch im alten Bau, der provisorisch während des Umbaus für einige Zeit geöffnet worden war) nicht nur ein Blumengesteck als ersten Willkommensgruß, sondern eine Mitarbeiterin kam auf mich und meine Begleiterin zu und fragte uns, wie und ob sie uns helfen und Auskunft geben dürfe. Aktives Bemühen – das ist sowieso die Königsdisziplin der Öffentlichkeitsarbeit von Museen. Öffedntlichkeitsarbeit? Ja. Schade, daß das Wort so besetzt ist, eigentlich eher nur das Arbeiten mit der medialen Öffentlichkeit meint, knapp neben oder ohnehin fast ident mit Marketing, während es für die Bemühungen um den Museumsgast vor Ort eigentlich kein Wort gibt. Auch „Vermittlung“ (das sich an die Stelle der „Pädagogik“ gesetzt hat) ist nicht geeignet, um zu beschreiben, worum es geht. Zum Beispiel darum, daß Mitarbeiter des van Gogh Museums mitbekommen, daß da jemand mit Gehbehinderung mehrfach ihr Museum besucht und sie schon beim zweiten Mal unaufgefordert dafür sorgen, daß der einfache, nicht allgemein nutzbare Zugang bereitsteht. (Schon mal mit Rollstuhl im obersten Ausstellungsstockwerk der Albertina gewesen?).

Im modernen Museumsbauten sind die martialischen architektonischen Gesten, die Einschüchteruns-Inszenierung (wie Wachen hoheitlich auf uns herabblickende allegorische Statuen, hohe Stufen, übergroße Tore, gestaffelte Raumfolgen usw.) fast ganz verschwunden. Stattdessen gibt es ebenerdige Zugänge, fließende Übergänge in hellen Räumen, Barrierefreiheit, Transparenz. Die Kämmerchen oder Häuschen, in denen ein Kassier die Karten ausdruckte und das Geld durch ein Fensterchen in der Verglasung entgegennahm sind fast völlig verschwunden, außer man hält an ihnen der Pietät wegen an der historischen Architektur fest, wie im Wiener Kunsthistorischen Museum, was dazu führt, dass sich Besucherschlangen- und –Gruppen wechselseitig behindern.
Heute tritt man an frei stehende Möbel, die Service und Information signalisieren, trifft auf MitarbeiterInnen, bekommt Informationen, mündlich oder schriftlich und erste Orientierung. Den Ehrgeiz, sich dabei von Empfangsräumen großer Arztpraxen oder Lobbys von Autohäusern zu unterscheiden haben die Museen noch wenig entwickelt. Dabei hat man in Autohäusern meist schon ein Lockangebot oder ein Luxusprodukt im Auge, während auch die moderne Museumsarchitektur dem Besucher alles vorenthält, was an Museum gemahnen könnte, also vor allem eins: Museumsobjekte. Seltsam, wie Museen es vermeiden, sich dort wo es wichtig und sinnvoll wäre, es vermeiden, sich als Museen darzustellen. Die architektonisch inszenierte Liminalität schuf immer schon Distanz zwischen dem Stadtraum und den Ausstellungsräumen. Allerdings gab es dann, wieder ist das Wiener Kunsthistorische Museum ein Beispiel, zeitgenössische Kunst, Fresken, Skulpturenausstattung usw., die dem Bau seine besondere Rolle bezeugten. Heute fehlt diese zeitgenössische Ausstattung meist und viele Empfangsräume haben den Charme von Verwaltungsarchitekturen.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Das nach Plänen von 1963 von Gerrit Rietveld posthum gebaute Van Gogh-Museum in Amsterdam ist ein wunderbar transparenter Bau, der die Kommunikation im Inneren und zur Stadt hin ermöglicht und dennoch ausreichend Räume und Flächen für den allberühmten Maler bereitstellt. Ritveld entwickelte die Ausstellungsräume um eine Art von Lichthof mit offenen Umgängen oder Emporen und findet trotzdem noch Platz großzügige Fenster in die Stadt zu öffnen. Und: Hier hat man schon vom Eingang her den Blick auf den ersten Ausstellungsraum frei und damit auf die ersten Werke - und auf die Besucher, die hier ihre Selfies mit van Gogh knipsen. (Zu allem Überfluss, um die Annehmlichkeiten dieses Museums vollständig zu würdigen, seis gesagt, gibt es hier ein sehr gutes und freundlich geführtes Café).
Inzwischen gibt es eine Beraterindustrie, Infodesigner, Museumssoziologen usw., die sich mit Besucherverhalten, -bindung, -partizipation und was weiß ich nicht alles beschäftigt. Ihr zum trotz hält sich hartnäckig dort, wo es am wichtigsten wäre, die Schlamperei, Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit im Umgang mit dem Wichtigsten, was das Museum hat: den Besuchern. Ich wundere mich immer, wie Museen mit schlampigen oder Grundinformationen über das was und wo der Ausstellung im Haus vergraulen und auf eine Art Schnitzeljagd schicken. Der Blick eines Portiers, der einen taxiert, ob man Störenfried oder Ladendieb sein könnte, kann einem das ganze Willkommen vermiesen, ein Messie-Ambiente (Sitzmöbel wie aus dem Sperrmüll, Topfpflanzen wie aus dem Arbeitsamt, Anschläge wie aus einem Gefängnis, Hausordnungen aus einer verflossenen Diktatur...) sagen, daß es sich um ein Museum handelt, dessen Leitung sich und das Haus schon aufgegeben hat.

Die alten Museen suchten den das Haus betretenden Besucher einzuschüchtern, signalisierten Bildungspflicht und hohe kulturelle Werte, sie breiteten die soziale Distinktion, die das Museum vermittelt, opulent und unübersehbar aus. Neuere Museen gerieren sich wie Dienstleister, cool, effizient, elektronisch, so als ob sie einen Kulturkonsum im Modus des „cultural window shopping“ einzuleiten hätten.
Alternativen findet man nicht so oft. Hier ist eine. Ein Museum, das mit Spaß, Intelligenz und Humor begrüßt. Das Kleine, feine Musée de la chasse et de la nature in Paris (unbedingt hingehen!) hält in seinem Foyer einen witzig gemachten Animationsfilm bereit, in dem man mit den „Regeln des Museumsbesuchs“ bekanntgemacht wird. Zum Beispiel diese: „Prefer speaking to the museum staff rather than your mobile phone“. Also, (wenig) Zeigefinger mit Witz, aber eigentlich ganz und gar nicht bevormundend. Man erfährt z.B., wo und wie man zu Informationen kommt, was man mit Rücksicht auf Objekte und andere Besucher lieber nicht tun sollte, was einem das Museum zumuten will und das alles augenzwinkernd und pfiffig gemacht. Das Museum überwacht übrigens auch. Mit einer aus Holz gedrechselten und geschnitzten „Überwachungskamera“, die an einem kleinen, aus der Wand ragenden Ast auf den Besucher blind (und augenzwinkernd?) herablugt.
Was das Museum seinen Besuchern wünscht, erfährt man am Ende des erwähnten kurzen Intro. Nämlich daß man das Museum mit neuen Fragen verlassen soll und – mit frischen Träumen. Willkommen in unserem Museum!

Montag, 20. Mai 2013

Besuchervertreibung durch Architektur? Zwei Beispiele aus Graz


Das Grazer Zeughaus, Teil des Landesmuseums, hat Besucher verloren. Und das nicht zu knapp. Weil es sich eingebürgert hat, die Besuche als Maßstab für die Beurteilung von Museen heranzuziehen, meldet die lokale Zeitung dergleichen alarmistisch. 20%!
Was kann passiert sein?
Nun, kürzlich wurde eine sozusagen "zeitgenössische" Entscheidung was die Ausgestaltung des Zeughauses betrifft, getroffen. Eine mit "Synergien". Statt die alte einführende historische Ausstellung zu erneuern, die im Erdgeschoss auf die auf mehreren Stockwerken verteilte Sammlung von Waffen, Rüstungen und 'Zeugs' vorbereitete, wurde dort der Shop des Graz-Tourismus untergebracht, der bislang einige Häuser weiter, aber ebn auch an erster Adresse, in der Herrengasse, untergebracht war. Beide sparen, das Museum und der Graz-Tourismus, letztere vermutlich an Miete und Betriebskosten, ersteres an Personal, weil der Tourismus den Ticket- und Shopverkauf mit übernimmt.
In den langgestreckten, gewölbten Raum wurden igluartige Kioske eingebaut, die die verschiedenen Funktionen übernehmen. Dadurch ist aber ein relativ dunkler, beengend wirkender Raum entstanden und der immer schon unspektakuläre Zu- und Aufgang zum Sammlungsbereiches ist noch unklarer als bisher.
So erklärt - zumindest die Zeitung - den Besucherschwund.
Besucherschwund durch Architektur?

Eine Parallele gibt's bei der Gestaltung des zentralen Eingangs zum "Joanneumsviertel", wo ja ein gemeinsamer Zugang zu Museen des Universalmuseums und zur Landesbibliothek existiert. Die Bibliothek war bisher ebenerdig, vom zwischen den Museumsbauten, jetzt verschwundenen und durch eine asphaltierte Fläche ersetzten gelegenen Park aus zu erreichen. Ein solcher Zugang existiert noch, jetzt von einem der Höfe aus, wird aber in der Regel nicht genutzt.
Wie Mitarbeiter der Landesbibliothek erzählen, habe es einen sogar beträchtlichen Benutzerrückkang gegeben, seit der neue Eingang benützt werden muß. Man sollte doch denken, daß eine moderne Erschließung einschließlich der hell und ansprechend gestalteten Leseplätze im Foyer neue Besucher anlocken. Stattdessen verweigert sich ein Teil des Stammpublikums.
Warum. Die, so wird einem erklärt, nehmen den unterirdischen Eingang nicht an. Mit einer Rolltreppe geht's in einem Glaszylinder abwärts und wenn man in den eigentlichen Lesesaal kommen will, muß man, mit Lift oder Treppe einige Stockwerke wieder hoch gehen oder fahren. Das scheint als "Abschreckung" zu genügen.
Unterirdische Eingänge namentlich bei Museen sind nicht so selten, aber sie haben meist eine symbolische (Jüdisches Museum Berlin) oder funktionelle Bedeutung (Louvre). Hier aber, bei der Bibliothek und beim Museum trifft beides nicht zu. Die "Umleitung" zuerst in die Tiefe und dann wieder zurück ist weder zwingend noch logisch noch durch eine entsprechende Gestaltung sinnfällig gemacht. Die zentrale Benutzerfahrung ist die von Umständlichkeit - und weiten Wegen. 
Wer zu viel (oder zu schlecht?) baut, den bestraft der (Nicht)Besucher...