Wir
gehen ins Museum!
In
vielen Pariser Museen ist nicht mehr die Kassa oder der Infopoint das erste,
was man passiert auf seinem Weg zur Sammlung. Meist direkt im Eingang,
unmittelbar nach dem Eingangstor wird man von zwei kräftigen Uniformierten
einem Sicherheitscheck unterzogen. Der fällt weit einfacher als am Flughafen
aus und er ist sogar so lachhaft oberflächlich, daß man sich fragen muß, ob
seine Bedeutung nicht bloß symbolisch ist. Was einem signalisiert wird ist: Du
könntest ein Sicherheitsrisko sein und: das Museum ist überhaupt durch dich und
seine Besucher gefährdet. In „Zeiten wie diesen“ passt das in die allgemeine
Angst und paranoide Überwachung, daß auch Museen ihre Sicherheitsvorkehrungen
vervielfachen und auch so weit sichtbar machen, daß man es als Besucher
bemerken soll. Das verändert selbstverständlich den Besuch. Er ist nicht mehr
so zwanglos und selbstverständlich wie vordem, das Museum ist kein Ort des
freizügigen Aufenthalts. Im Musée Carnavalet befand sich nahezu in jedem
Ausstellungsraum eine Aufsichtsperson. Da stellt sich ein Gefühl ein, als ob
man in jeder Bewegung eingeschätzt würde, eine Frage, ob man sich denn
angemessen verhalte und nur ja nichts falsch mache.
Es
geht auch ganz anders. Nach einem kleinen Kiosk, an dem man das Ticket erwirbt,
betritt man das Museum, passiert ein Podest auf dem ein prachtvoller
Blumenstrauss steht und der zugleich den Strom der Besucher in solche die
kommen und solche die gehen teilt, und hat schon den Blick auf den ersten und
großen Saal mit seinen Kunstwerken frei, den man - ohne eine Tür oder eine
andere Schwelle zu passieren – betreten kann. Hier steht eine junge Frau, deren
ans Kleid geheftetes Schildchen sie als Auskunftsperson ausweist.
Gut,
ich rede hier von einem besonderen, von „meinem schönsten Museum“, der Sammlung
Beyeler in Basel, einem außen wie innen eleganten und subtil proportionierten
Pavillon, der einem schon durch seine Architektur und den alten Park der ihn
umgibt, Wohlbefinden vermittelt. Aber die Aufmerksamkeiten, die einem hier
zuteil werden, machen aus dem Besucher nicht Verdächtige mit Kontrollpflicht
sondern willkommene Gäste.
In
einem Land, das eine diesbezüglich grundsätzlich gepflegtere Museumskultur hat
als anderswo, in den Niederlanden, gibt es eine kleine Steigerung. Im Staedelijk
Museum in Amsterdam war bei meinem letzten Besuch (noch im alten Bau, der
provisorisch während des Umbaus für einige Zeit geöffnet worden war) nicht nur
ein Blumengesteck als ersten Willkommensgruß, sondern eine Mitarbeiterin kam
auf mich und meine Begleiterin zu und fragte uns, wie und ob sie uns helfen und
Auskunft geben dürfe. Aktives Bemühen – das ist sowieso die Königsdisziplin der
Öffentlichkeitsarbeit von Museen. Öffedntlichkeitsarbeit? Ja. Schade, daß das
Wort so besetzt ist, eigentlich eher nur das Arbeiten mit der medialen
Öffentlichkeit meint, knapp neben oder ohnehin fast ident mit Marketing,
während es für die Bemühungen um den Museumsgast vor Ort eigentlich kein Wort
gibt. Auch „Vermittlung“ (das sich an die Stelle der „Pädagogik“ gesetzt hat)
ist nicht geeignet, um zu beschreiben, worum es geht. Zum Beispiel darum, daß
Mitarbeiter des van Gogh Museums mitbekommen, daß da jemand mit Gehbehinderung
mehrfach ihr Museum besucht und sie schon beim zweiten Mal unaufgefordert dafür
sorgen, daß der einfache, nicht allgemein nutzbare Zugang bereitsteht. (Schon
mal mit Rollstuhl im obersten Ausstellungsstockwerk der Albertina gewesen?).
Im
modernen Museumsbauten sind die martialischen architektonischen Gesten, die
Einschüchteruns-Inszenierung (wie Wachen hoheitlich auf uns herabblickende allegorische
Statuen, hohe Stufen, übergroße Tore, gestaffelte Raumfolgen usw.) fast ganz
verschwunden. Stattdessen gibt es ebenerdige Zugänge, fließende Übergänge in
hellen Räumen, Barrierefreiheit, Transparenz. Die Kämmerchen oder Häuschen, in
denen ein Kassier die Karten ausdruckte und das Geld durch ein Fensterchen in
der Verglasung entgegennahm sind fast völlig verschwunden, außer man hält an
ihnen der Pietät wegen an der historischen Architektur fest, wie im Wiener
Kunsthistorischen Museum, was dazu führt, dass sich Besucherschlangen- und
–Gruppen wechselseitig behindern.
Heute
tritt man an frei stehende Möbel, die Service und Information signalisieren,
trifft auf MitarbeiterInnen, bekommt Informationen, mündlich oder schriftlich
und erste Orientierung. Den Ehrgeiz, sich dabei von Empfangsräumen großer Arztpraxen
oder Lobbys von Autohäusern zu unterscheiden haben die Museen noch wenig
entwickelt. Dabei hat man in Autohäusern meist schon ein Lockangebot oder ein
Luxusprodukt im Auge, während auch die moderne Museumsarchitektur dem Besucher
alles vorenthält, was an Museum gemahnen könnte, also vor allem eins:
Museumsobjekte. Seltsam, wie Museen es vermeiden, sich dort wo es wichtig und
sinnvoll wäre, es vermeiden, sich als Museen darzustellen. Die architektonisch
inszenierte Liminalität schuf immer schon Distanz zwischen dem Stadtraum und
den Ausstellungsräumen. Allerdings gab es dann, wieder ist das Wiener
Kunsthistorische Museum ein Beispiel, zeitgenössische Kunst, Fresken,
Skulpturenausstattung usw., die dem Bau seine besondere Rolle bezeugten. Heute
fehlt diese zeitgenössische Ausstattung meist und viele Empfangsräume haben den
Charme von Verwaltungsarchitekturen.
Ausnahmen
bestätigen die Regel. Das nach Plänen von 1963 von Gerrit Rietveld posthum
gebaute Van Gogh-Museum in Amsterdam ist ein wunderbar transparenter Bau, der
die Kommunikation im Inneren und zur Stadt hin ermöglicht und dennoch
ausreichend Räume und Flächen für den allberühmten Maler bereitstellt. Ritveld
entwickelte die Ausstellungsräume um eine Art von Lichthof mit offenen Umgängen
oder Emporen und findet trotzdem noch Platz großzügige Fenster in die Stadt zu
öffnen. Und: Hier hat man schon vom Eingang her den Blick auf den ersten Ausstellungsraum
frei und damit auf die ersten Werke - und auf die Besucher, die hier ihre
Selfies mit van Gogh knipsen. (Zu allem Überfluss, um die Annehmlichkeiten
dieses Museums vollständig zu würdigen, seis gesagt, gibt es hier ein sehr
gutes und freundlich geführtes Café).
Inzwischen
gibt es eine Beraterindustrie, Infodesigner, Museumssoziologen usw., die sich
mit Besucherverhalten, -bindung, -partizipation und was weiß ich nicht alles
beschäftigt. Ihr zum trotz hält sich hartnäckig dort, wo es am wichtigsten
wäre, die Schlamperei, Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit im Umgang mit dem
Wichtigsten, was das Museum hat: den Besuchern. Ich wundere mich immer, wie
Museen mit schlampigen oder Grundinformationen über das was und wo der
Ausstellung im Haus vergraulen und auf eine Art Schnitzeljagd schicken. Der
Blick eines Portiers, der einen taxiert, ob man Störenfried oder Ladendieb sein
könnte, kann einem das ganze Willkommen vermiesen, ein Messie-Ambiente
(Sitzmöbel wie aus dem Sperrmüll, Topfpflanzen wie aus dem Arbeitsamt,
Anschläge wie aus einem Gefängnis, Hausordnungen aus einer verflossenen
Diktatur...) sagen, daß es sich um ein Museum handelt, dessen Leitung sich und
das Haus schon aufgegeben hat.
Die
alten Museen suchten den das Haus betretenden Besucher einzuschüchtern,
signalisierten Bildungspflicht und hohe kulturelle Werte, sie breiteten die
soziale Distinktion, die das Museum vermittelt, opulent und unübersehbar aus. Neuere
Museen gerieren sich wie Dienstleister, cool, effizient, elektronisch, so als
ob sie einen Kulturkonsum im Modus des „cultural window shopping“ einzuleiten
hätten.
Alternativen
findet man nicht so oft. Hier ist eine. Ein Museum, das mit Spaß, Intelligenz
und Humor begrüßt. Das Kleine, feine Musée de la chasse et de la nature in Paris
(unbedingt hingehen!) hält in seinem Foyer einen witzig gemachten
Animationsfilm bereit, in dem man mit den „Regeln des Museumsbesuchs“
bekanntgemacht wird. Zum Beispiel diese: „Prefer speaking to the museum staff
rather than your mobile phone“. Also, (wenig) Zeigefinger mit Witz, aber
eigentlich ganz und gar nicht bevormundend. Man erfährt z.B., wo und wie man zu
Informationen kommt, was man mit Rücksicht auf Objekte und andere Besucher
lieber nicht tun sollte, was einem das Museum zumuten will und das alles
augenzwinkernd und pfiffig gemacht. Das Museum überwacht übrigens auch. Mit
einer aus Holz gedrechselten und geschnitzten „Überwachungskamera“, die an
einem kleinen, aus der Wand ragenden Ast auf den Besucher blind (und
augenzwinkernd?) herablugt.
Was
das Museum seinen Besuchern wünscht, erfährt man am Ende des erwähnten kurzen
Intro. Nämlich daß man das Museum mit neuen Fragen verlassen soll und – mit
frischen Träumen. Willkommen in unserem Museum!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen