Das Museum - eine stehengebliebene Uhr... |
Das Musée
Carnavalet, das Pariser Stadtmuseum, könnte
man sich gut als Schauplatz für
Vladimir Nabokovs unheimliche Erzählung
"Ein Museumsbesuch" vorstellen. Es wären
nur einige Handgriffe eines Filmarchitekten, eines geschickten Kulissenmachers
nötig, eines „Szenografen“
nötig,
um seine ohnehin starke Atmosphäre
von Verlassenheit, Verstaubtheit und Überholtheit zuzuspitzen und ihm eine Färbung Bedrohlichkeit oder
Melancholie zu verleihen.
Ich stellte mir Nabokovs seltsam geisterhaftes Museum immer als
eines jener "aufgegebenen" Museen vor, wie es sie ja in Wirklichkeit noch
immer und nicht selten gibt und für
das das Carnavalet ein Beispiel ist. Unter "aufgegeben" verstehe ich
ein Museum, das von den Verantwortlichen aufgegeben, das heißt, nicht mehr ausreichend gepflegt,
nicht mehr genügend betreut wird, das uns den Eindruck vermittelt, es würde
sich niemand mehr um es kümmern. Dem Besucher begegnen veraltete
Anschläge,
ein lädiertes
Leitsystem, Staub, Dämmrigkeit,
lustlose Mitarbeiter, ungepflegte Räume, veraltete Installationen,
halbblinde Vitrinen.
Im Carnavalet trifft man gleich zu beginn, im Treppenhaus, auf
eine abgeschabte Gipsstatue, sehr zweifelhafter ästhetischer und dokumentarischer
Qualität,
dann auf aus einem Gebäude gerettete vergoldete Wandtäfelungen,
ein sonderbar scheußliches
Nashorn auf einem undatierbaren Gemälde,
eine Wachsbüste unsicherer
Zuschreibung, Vitrinen ohne Beleuchtungen, einen Raum ganz ohne Licht, unzählige handgeschriebene
Zettelchen, die die Abwesenheit von Gemälden
oder Plastiken rechtfertigen. Orientierung sucht man im weitläufigen
Gebäude
vergeblich, es sei denn man kann Evakuierungspläne lesen, die aushängen.
Ich kenne das Museum schon lange. Es war nie anders. Inzwischen
ist es noch abgenutzter, noch vernachlässigter,
noch morbider denn je. An der Kassa ein Schild, die englischsprachige Museums-Broschüre sei leider vergriffen, man möge sie sich im Internet
runterladen. Wäre ganz
praktisch, so ein Museumsleitfaden, denn im Museum werden einem nur
Objektbeschriftungen geboten. Da die Chronologie überhaupt die „Ordnung“,
die das Museum hat, manchmal unklar ist, hat man auch keine Chance, sich aus
den Aberhunderten von Objekten so etwas wie eine Erzählung zusammenzubasteln.
Das Carnavalet ist ein Stadtmuseum und als solches würde man ein historisches Museum
erwarten. Aber wie bei vielen anderen Stadtmuseen auch, stützt es sich überwiegend auf Kunstwerke, Gemälde, Plastiken, Stiche, Pläne, Modelle, die in erster Linie
als vereinzelte und um ihrer Ästhetik willen ausgestellt sind. Sinnhafte,
visuelle Stützung von historischen Zusammenhängen, Ereignissen,
Strukturen, gibt es nicht. Nirgendwo ist durch sinnhafte Zusammenstellung so
etwas wie eine Information zu erkennen, es sei denn, die Zusammenstellung eines
Bettes und eines Stadtmodelles verweisen auf einen Architekten, der seine Pläne noch einmal überschläft. Die Gemälde,
die Raum um Raum füllen und große
Zeitabschnitte vollkommen dominieren, sind von oft unterirdischer ästhetischer und fragwürdiger oder nicht erkennbarer dokumentarischer
Qualität. Wie man in einer
Stadt der bedeutendsten Kunstmuseen eine solch inferiore Auswahl treffen kann,
ist rätselhaft.
Nirgendwo habe ich eine solche Diskrepanz von Ort und Museum
erlebt. Paris, eine Stadt wie keine, die „Hauptstadt des XIX.Jahrhunderts“.
Nichts davon hier. Stadtplanung, Stadterweiterung, Haussmann? Die Stadt der
Literatur, der Grand Opera, der sozialen Gegensätze
und Revolutionen? Nichts oder herzlich wenig. Weltausstellungen? Nahezu nichts.
Aufklärung, Geschichte der
Wissenschaft, das Theater. Nichts. Das XX. Jahrhundert findet nur in Genre- und
Porträtmalerei statt, und
auch das nur bis etwa zu seiner Mitte. Dann ist Schluss. 1871, Erster
Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, die Besetzung von Paris. Nichts. Nichts zu den
großen Konflikten des
19.Jahrhunderts, nichts zur Affaire Dreyfuss, nichts zum Pariser Judentum. Nichts
zur Entwicklung der Presse, der Erfindung der Fotografie (übrigens:
es findet sich kaum ein Foto unter den ausgestellten Objekten), des Kinos. Absolut
nichts. Nur zufällig oder
wenn man sich schon sehr gut auskennt, findet man interessante Objekte, wie etwa
die Porträts der
Protagonisten der Großen
Revolution, Dokumente zur Commune, interessante Stadtveduten - doch das alles
geht unter im großen
Sammelsurium.
Ein Museum von so umfassender Ignoranz muß man erst einmal zusammenbringen. Und man hat in
Paris keine Alternative, bis auf Splitter der Stadtgeschichte in diversen
Spezialmuseen ist das
d a s Museum über
die Stadt.
Immerhin ist das Museum ein guter Arbeitgeber. In jeder Ecke eine
Aufsichtsperson, die hier einen besonders trostlosen Job machen in einem so
freudlosen und auch architektonisch ungepflegten, sichtlich dahinsiechendem
Haus.
Mir ist der Gedanke durch den Kopf gegangen, vielleicht verfolgt
der Museumsstab die Taktik, seinen zurückhaltend
finanzierenden Träger, die
Stadtverwaltung, durch fortschreitendes Vernachlässigen
sozusagen zur Revision zu nötigen.
So wie Immobilienbesitzer durch Verfall Verwaltung oder Denkmalpflege zwingen
einem Abriss zuzustimmen. Wenn’s so ist, dann war das nicht
erfolgreich, das Museum hat schon vor 25 Jahren so vor sich hin gedöst. Ein neues Stadtmuseum würde
tatsächlich
einem Abriss des Museums nahekommen.
Und ein Café,
in dem man sich von den mannigfachen Schrecken des Hauses etwas erholen könnte, gibt's nicht. Das auch
noch!
Ganz sicher: Das Museum ist völlig veraltet, was aber bei der oft unbedachten Modernisierungssucht, nicht zu reden von der Überbelehrung, heute nicht immer ein Nachteil ist. Ganz so belanglos sind die Exponate freilich nicht: Objekte wie Kunstwerke von Pierre Mignard, Edme Bouchardon oder Francois Rude, die Lesueur-Serie zur Revolution oder gar die Wandverkleidung des "Café Militaire" von Ledoux sind keine Fußnoten. Aber ein gründliches Durchlüften, ein "Embellissement" als Verbesserung im aufklärerischen Sinne täte wirklich not!
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