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Dienstag, 9. Mai 2017

Ein Vorarlberger Industriemuseum

Seit den 1980er-Jahren gibt es Pläne für ein Vorarlberger Industriemuseum. Nun wird ein neuer Anlauf versucht, wobei die Stadt Dornbirn die treibende Kraft ist. Die Stadt verfügt über Areale, in denen das Museum realisiert werden könnte und sie hat - wie so gut wie das ganze Land - eine lange Industrialisierungs-Geschichte.
In kleineren Museen, wie dem Textildruck-Museum Hard, kann man sehen, welches Potential in einem solchen Museum steckt. Industriegeschichte erlaubt eine komplexe, kulturhistorische, sozialgeschichtliche, wirtschaftsgeschichtliche usw. Landesgeschichte zu schreiben.
Eine Vorstudie, von der Stadt initiiert und vom Land finanziert, vom Dornbirner Stadtarchivar Werner Matt betreut, liegt vor.
Am 5. Mai 2017 wurde nun in der I-Natura erstmals öffentlich über den Museumsplan diskutiert. Nicht überraschend für das frühe Stadium gab es viele, untereinander kaum verbundene Vorschläge, Ideen, Anregungen, Wünsche, aus denen sich noch kaum eine konsistente Idee für eine bestimmte Form eines Museums ableiten läßt.
Vorarlberg hat eine überdurchschnittlich qualitätvolle Museumsszene und reichlich einschlägige Expertise. Bei schrittweisem, planvollem Vorgehen könnte ein weiteres hochinteressantes Museum entstehen.
Mit meinem unten wiedergegebenen Diskussionsbeitrag vom 5.Mai wollte ich in erster Linie Mut machen, die konventionellen Grenzen der Institution Museum zu überschreiten.






Statement
Podiumsdiskussion Industriemuseum Vorarlberg
5. Mai 2017
Dornbirn, I-Natura

Als mich Werner Matt zur Diskussion eingeladen hat, habe ich gerne zugesagt. Ich kenne ihn seit langem und schätze seine Sorgfalt, seine Genauigkeit, sehr. Ich vertraue ihm.
Ich habe inzwischen viele Gesprächspartner aus Vorarlberger Museen, deren Arbeit und Ideen inspirierend sind. Seit 1991, dem Jahr der ersten Landesausstellung und der Eröffnung des Jüdischen Museum Hohenems bin ich regelmäßig im Land und habe hier mehr persönliche Lieblingsmuseen als in jedem anderen Bundesland. Sooft ich komme, überraschen mich immer wieder neue Ausstellungen und Projekte.

Warum also kein Industriemuseum? Vor dem Hintergrund der genannten Qualität vieler Museen und der Kompetenz von Kuratoren oder Historikern, sollte das keine Frage sein. Ich werde einige Überlegungen anstellen, die sie vielleicht wie skeptische Einwände verstehen werden, die ich aber als Anregungen, als Diskussionsbeiträge verstehen will.

Industrie, industrielle Produktion und Arbeit gehören nicht gerade zum Kanon des überlieferungswürdigen und repräsentativen kulturellen Erbes. Einschlägige Museen nicht gerade zu den prominentesten und populärsten. Hier liegt ein Problem: wie kann ein Industriemuseum interessant werden, ohne es bloß populistisch werden zu lassen. Eine Geschichte der Musealisierung würde zeigen, wie lange es gedauert hat, ehe erst einmal einzelne und singuläre Objekte, gewissermaßen Kronjuwelen des industriellen Fortschritts, erhalten wurden, ehe nach und nach Ausstellungen und Museen entstanden sind.

Einschneidend war der Paradigmenwechsel in den Geschichts- und Sozialwissenschaften der 70er-Jahre, mit Oral History, Arbeitergeschichtsschreibung und Wendung weg von der politischen zur Sozial- und Alltagsgeschichte. Jetzt erst wurde das weithin Verdrängte, Arbeitsleid, Ausbeutung, Arbeitskämpfe erinnerungs- und ausstellungswürdig. Wie in der Ausstellung Mit uns zieht die neue Zeit in Wien 1981, der oberösterreichischen Landesausstellung Arbeit Mensch Maschine in Steyr von 1987 aus der das Museum industrielle Arbeitswelt entstand oder, als Niederösterreichische Landesausstellung, Magie der Industrie 1989 in Pottenstein.

So verdienstvoll all dies war, dem lag eine Philosophie der überfälligen Vervollständigung der Geschichtserzählung um Arbeitswelt und industrielle Produktion zugrunde, die Anerkennung der Leistung der Arbeiterschaft, v.a. der organisierten, und ihrer demokratischen Bestrebungen, aber auch die Würdigung von Arbeitsleid, Unterdrückung und elender und massenhafter Lebensbedingungen.

Über weite Strecken war der wissenschaftlich-museale Zugriff der von kleinen akademischen Eliten auf ein anderes Leben, aus dem sie weder herkamen noch an dem sie je beteiligt sein konnten. Es war ein unausweichlich hegemonialer Blick, der, in guter Absicht, die Geschichte der Industrialisierung und des Arbeitslebens didaktisch-politisch instrumentalisierte. Und das für ein letztlich fortschrittsoptimistischen Entwurf, in dem die Widersprüche von Kapital und Arbeit wenn schon nicht gänzlich lösbar aber doch zähmbar schienen. Die Kongruenz mit dem Aufstieg der österreichischen Sozialdemokratie ist unübersehbar. Zwei der drei genannten Schlüsselausstellungen entstanden im sozialdemokratischen Milieu.

Das Hegemoniale an der Musealisierung zeigte sich auch im Publikum. Bürgerlich-kleinbürgerliches bildungsaffine Besucher betrachteten etwa im frühen Ruhrlandmuseum in Essen kärgliche Arbeiterwohnungen, in den Puppen die Arbeiterschaft vertraten. Die aber selbst war abwesend und auch unbeteiligt. Ins Arbeitsweltmuseum in Steyr wird sich auch kaum ein Fabriksarbeiter verirrt haben. Und wird beim Vorarlberger Projekt jene Arbeiterschaft, die noch dazu, wie man sagt, unterm Druck der Digitalisierung der Produktion im Verschwinden ist, eine nennenswerte Rolle spielen. Und welche? Als Träger, Initiator, Besucher?

Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist vom Museum, einem Ort der sozialen Distinktion, ohnehin ausgeschlossen und zwar unter anderem deswegen, weil Museen ihnen keinerlei Versprechen auf Veränderung ihrer Lebensweisen geben können und auch das Medium Museum ihnen zutiefst fremd ist.

Ich glaube aus vielen Gründen nicht an die Wiederbelebbarkeit dieses Konzepts der sozialdidaktischen Läuterung. Aber ich habe mich bei der Lektüre des Orientierungskonzepts gefragt, welche Alternative mir dort angeboten wird. Dort scheint das Vorhandensein von Objekten, Archivalien und einschlägigem Wissen auszureichen, um ein Museum zu fordern. Warum aber gerade ein Museum und nicht etwas anderes, bleibt unbeantwortet. Insoweit schmeckt Vieles an den Texten nach kompensativer Musealisierung. Da darf vieles nicht untergehen, nicht verschwinden, nicht vergessen werden, nicht Gebäude und Anlagen, Maschinen und Archivalien, archäologische Relikte oder industriell geprägte Landschaften. Das Museum wäre dann eine Art Arche Noah, in der etwas über die Zeit gerettet würde, was andernfalls ganz verschwindet. 

Einen ideologischen Überbau bildet in größeren Teilen der Texte im Orientierungskonzept eine sich immer wieder einpendelnde wie naturgesetzlich wie von selbst herstellende Balance zwischen Erfolg und Scheitern, Krise und Boom, Dynamik und Stillstand, also kurz gesagt zwischen Kapital und Arbeit. Letztlich bildet sich immer etwas heraus, was das Land insgesamt lebbarer gemacht hat, wovon alle etwas hatten, was sich zu Fortschritt summiert hat. Der Fortschritt kann über alle Opfer hinweggehen, wenn nur das Land, die Heimat, wir alle davon profitiert haben. Auch wenn Opfer nie freiwillig erbracht wurden.

Mir scheint, daß auch an dieses Bild der letztlich immer vernünftig ausbalancierten ökonomisch-gesellschaftlichen Entwicklung genauso wenig mehr angeknüpft werden kann wie an, das sozio-didaktische Modell des Lernens aus der Geschichte. 

Und dann die Frage nach unserer Gegenwart und welche Rolle sie in einem Museum spielen sollte. Die massiven antidemokratischen Tendenzen, die nicht nur von außen aufgedrängt, sondern auch von innen heraus bedrohlich werden, die ökologischen Entgleisungen, bei denen es immer öfter fünf vor zwölf ist, die Übermacht des in so wenigen Händen konzentrierten Finanzkapitals und last but not least die neuen Nationalismen mit rechten und rechtsextremen Vorzeichen, bilden ein extrem vergiftetes Gebräu. Verlangt das nicht nach einer neuen Qualität öffentlicher und vor allem zivilgesellschaftlicher Debatten? Also verlangt das nicht nach neuen Konzepten vom Museum weit über dessen konventionelle Grenzen hinaus?

Gegen das Festhalten am konventionellen Schaumuseum und an einer heilen museal vorgeführten Welt, und sei es die industrielle mit ihrem Widersprüchen, Sperrigkeiten, spricht dennoch nichts. Dafür ist das Museum ja so gut geeignet. Katastrophisches Besichtigbar zu machen, gefahrlos dem im wirklichen Leben Verletzenden, Traumatisierenden gegenübertreten zu können. Der springende Tiger im Naturmuseum ist nur ausgestopft. Er wird uns nie anfallen.

Wenn ein solches Museum der abgeschlossenen, geordneten und besänftigten Geschichtserzählung gewünscht wird - warum nicht. Es kann erfolgreich sein, es kann wissenschaftlich seriös sein und es kann innovativ gestaltet sein. Genügt das?

Wem das nicht genügt, der wird sich fragen, ob ein Museum 2020 nicht ganz anders formiert werden muß und ob herkömmliche Vorstellungen vom Museum denn reichen. Er wird sich fragen ob nicht etwas ganz Anderes gedacht werden könnte, etwa - ich biete beliebig eine Idee an -, eine Infrastruktur mit Sammlung, Archiv, Werkstatt, Medien aus der heraus durch Ausschreibung, nicht nur in Vorarlberg sondern europaweit, Projekte entwickelt werden könnten? Etwas, was auf Grund der Verfahren, der Inszenierung, der Vermittlung und der Arbeitsweisen internationale Strahlkraft haben könnte. Und wenn schon am Museum festgehalten wird, dann müssten erst einmal alle Schlacken aus dem eingefrorenen Bild, das wir von der Institution haben, herausgesprengt werden, so wie das Nikolaus Harnoncourt mit den barocken Partituren gemacht hat, samt allen Schlampereien und Gedankenlosigkeiten, die in unserer Vorstellung vom Museum nisten. 

Man müsste sich vom Museum, wie es zu oft verstanden wird verabschieden. Vom Hochamt vor den Objekten in den Vitrinen, vom blinden Glauben an fertige Deutungen und Erzählungen, von der Operettenhaftigkeit des Entertainment-Museums, von der Genügsamkeit, es nur mit dem Abgeschlossenen zu tun haben zu wollen, das unsere Gegenwart nirgendwo erreicht und stört. 



Das Gegenbild des Museums als Ort der - noch dazu konflikt- und interessenhaltigen Debatten, der Auseinandersetzung, der Zukunftsentwürfe wird oft gefordert, kaum wo realisiert. Dabei steckt in der Tradition und Struktur des Museum genau das: Seine Funktion als zivilisierendem Ritual. Dort begegnen sich Menschen in wechselseitiger Achtung und Anerkennung, um sich mit ihren Angelegenheiten zu beschäftigen. Und diese sind die öffentlichen Angelegenheiten, res publica. Ein solches Museum ist ein Ort der Zivilgesellschaft, die Grundfragen nachspürt: ihrer Herkunft, Sinn und Form der Gemeinsamkeit, dem Umgang mit dem Anderen, der Deutung ihrer Geschichte und vielem anderen mehr. 

Dort findet sich der politische und demokratische Kern des Museums, dort bilden sich unterschiedliche Formen von Öffentlichkeiten, dort klärt sich Gesellschaft über sich selbst auf, dort wird Identitätswissen, Sachwissen und Orientierungswissen generiert. Dort wird über das Eigene und Fremde debattiert, über Herkunft und Zukunft, über Gemeinsamkeit und Ausschluß.

Die Rekonstruktion des Museums als gesellschaftspolitischem Ort kommt die Komplexität der Geschichte der Industrialisierung in Vorarlberg sehr entgegen. An einem so kleinen Ort wie dem Harder Textildruckmuseum, das ich vor wenigen Tagen wieder einmal besucht habe, werden wie von einem winzigen Punkt aus wirtschaftspolitische, mentalitätgeschichtliche, ökologische, sozialhistorische, geschlechterpolitische Fragen und viele andere mehr darstellbar und deutbar. Es ist erstaunlich, wie viele Geschichten sich unter der Überschrift Industrie erzählen lassen, wie Probleme der Gegenwart im Lichte dieser Geschichten durchsichtiger werden, was da an Verständnis von Land und Gesellschaft erzeugt erden kann. 

Das Material liegt bereit, jetzt kommt es darauf an, den besten Weg zu finden, es wirksam zu machen, aus ihm Funken zu schlagen. Also auch sich die Frage zu stellen, wie sich das Projekt zwischen bloßer Bewahrung und retrospektiver Beschäftigung einerseits und dem Anspruch auf folgenreiche und nachhaltige Veränderung andrerseits zu positionieren wünscht. Welcher Typ von Museum es denn werden soll - ein technisches, kulturgeschichtliches, sozialistorisches Museum oder noch etwas anderes? Ob es um die Bewahrung von Monumenten geht, um Deponierung von Vergangenheit oder um einen Ort, der gesellschaftliche Gruppen versammelt die den Anspruch erheben transformativ in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen und das hieße dann auch in Zukunft. (Das Museum, das ich mir erträumte).

Vor dieser Frage kommt aber die, die selten gestellt wird, die nach dem gesellschaftlichen Ziel und Sinn des Ganzen. Etwa so formuliert: Wer braucht ein Industriemuseum und wozu? Also nicht wer will ein Museum, sondern wer braucht ein Museum?
Wenn diese Frage authentisch beantwortet werden kann, dann nur zu! Dann soll das Industriemuseum gegründet werden.



P.S: Der Text weicht von meinem vorgetragenen Statement geringfügig ab, weil ich Anregungen aus der Diskussion ausgenommen habe.

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Haus der Geschichte. Mein "nein" dazu

Am Montag fand in der Akademie der Wissenschaften in Wien eine Veranstaltung zum "Haus der Geschichte" statt. Siebzehn Referentinnen und Referenten sprachen zum Thema und diskutierten mit dem Publikum.

Hier mein Beitrag:

Für ein Museum des Konflikts

Ein Museum kann nicht nur von Demokratie sprechen, wie es im Konzept für ein Haus der Geschichte in der Neuen Burg der Fall ist, es muss auch selbst demokratisch sein.
Was das bedeutet, das ist mein einziges Thema.

I
Museen sind Orte der Selbstdarstellung und Selbstauslegung von Gesellschaften und Gemeinschaften. In Museen sammeln sich Menschen um Gesammeltes. Es geht ums Sammeln und ums Sich-Sammeln. Kaum ein Museum verzichtet auf Räume, die dem durch Architektur und Dekor praktisch wie symbolisch Rechnung tragen.
Über Gegenstände und ihre Ausstellung und Ordnung deuten Menschen ihre Herkunft und Zukunft vor allem aber den Grund ihrer Zusammengehörigkeit. Darin unterscheidet sich das Baldramsdorfer Handwerksmuseum nicht vom British Museum.
Als Versammlung um eine Sammlung bilden die Beteiligten ein zivilisierendes Ritual, deren Feinheiten wir alle kennen und internalisiert haben und abrufen, sobald wir Museumsbesucher sind. Zivilisierend sind diese Rituale vor allem dann, wenn sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischt, in der der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten geprüft und abgewogen wird.
Dies nennt man liberale bürgerliche Öffentlichkeit, mit der das Museum genealogisch verbunden ist und durch das es selbst politisch und demokratisch wird, wenn es aus dem Diskurs dem Anspruch nach niemanden ausschließt.

Öffentlich ist das Museum aber keineswegs wegen dieser allgemeinen also auch sozialegalitären Zugänglichkeit. Der Sinn des Museums erschöpft sich keineswegs in der statistisch erhobenen Vielzahl der Besucher. 
Denn öffentlich nennen wir Institutionen, die der Staat im Interesse der Wohlfahrt der Gesellschaft einrichtet, treuhänderisch verwaltet und aus Steuermitteln erhält.
Es gibt Einrichtungen, deren Zugänglichkeit wir nur ungern in Anspruch nähmen würden, wie Gefängnisse, die dennoch öffentlich im genannten Sinn sind.
Das Museum ist eine Institution unter vielen anderen öffentlichen, wie etwa Schulen, Universitäten, Spitäler oder Verkehrsmittel und dient mit ihnen der Verwirklichung eines Gesellschaftszieles. Seit den frühen republikanischen Verfassungen wird dieses Ziel mit allgemeiner und sozialer Wohlfahrt beschrieben. 

II
Wenn das Museum aber nur eine unter sehr vielen Einrichtungen ist, die der allgemeinen Wohlfahrt dienen, warum hat es eine derart ausgezeichnete, überdeterminierte Stellung, als monumentale und expressive Architektur, als städtebauliche Landmark im Zentrum der Metropolen, als hochkulturelle Instanz?
Warum dieser Rang von Institution, Bau und Ort? 

Um diese Frage zu beantworten werde ich einen kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte des modernen Museums werfen und auf ein herausragendes Datum: Die Gründung des Museum français im Louvre im Paris des Jahres 1793, am 10.August.
Wenige Monate davor hatte man Ludwig den XVI. hingerichtet. 
Der Schnitt durch den Körper des Bürgers Capet, als der er angeklagt worden war, zerstörte auch den transzendentalen Leib des Königs und die Konfiguration der Macht des alten Staates und beraubte damit die neue Gesellschaft eines Halt und Ausdruck gebenden „Objekts“. 
Der Bruch mit der alten Herrschafts-, ja kurzzeitig sogar Zeitordnung, setzt eine Dialektik in Bewegung, die eine Schließung der entstandenen Leere zum Ziel hatte. Man darf spekulieren, ob das Museum und seine Sammlung, dieses Ding das sammelt nicht eine Form der Substitution des Mangels sind. Ist es nicht symptomatisch, daß man den architektonisch und städtebaulich zentralen Herrschaftsbau, das Königsschloß, zum Museum macht?

Dieselbe Dialektik ist während der Vorgeschichte der Museumsgründungen der Revolution am Werk. Das Verschwinden der kulturellen Dinge - der frühe Bildersturm ist blanke Zerstörung -, das Verschwinden der Zeichen, die verhasst sind, die Plünderung der Gräber, der Abbruch von Kirchen führt zu einer sorgenvollen Debatte der Volksversammlung, die eine komplette Inversion der Kulturpolitik einleitet. 
Dem Furor des Verschwindens wird eine Politik des Erbes entgegengesetzt, die ihre Kulmination in der Gründung einer Denkmalpflegebehörde und von Museen findet und in der Adaption eines neuen Wortes für das Gesamt der kulturellen Überlieferung: Patrimoine.
Dieses Erbe ist in rechtsbrüchigen und gewaltförmigen Prozessen wie Säkularisierung, Beschlagnahme, Enteignung usw. entstanden um nun in den Besitz des Volkes zu gelangen. Dieses Strukturmerkmal, das Museum als Gemeinbesitz, haben öffentliche Museen bis heute und dort erfolgt auch, nebenbei sei das eingefügt, der zentrale Angriff der gegenwärtigen Ökonomisierung.


III
Wenn meine Überlegungen zutreffen, dann wäre das Museum ein Schauplatz der Vergesellschaftung, ein Ort der symbolischen und rituellen Vergemeinschaftung, der im Frankreich der Revolution, inmitten der umfassenden Krise den Zusammenhalt herzustellen und zu stabilisieren versucht. 
Eine solche Annahme wird mit dem Blick auf zwei weitere Ereignisse des Gründungstages des Museums gestützt. Da ist einmal die feierliche Deklaration der Verfassung, der ersten republikanischen Frankreichs und ein Fest, das abertausende Franzosen in einer Prozession durch die Straßen von Paris vereint und in einem Eid der Abgeordneten der Departements gipfelt.
Die Teilhabe der Bürger an diesem Gründungsakt einer Nation macht sie zu Staatsbürgern, und der Umstand, daß dieses Ereignis geplant und überlegt mit der Museumsgründung zusammengelegt wird, bedeutet, daß auch das Museum als zivilisierendes Ritual dieselbe politische und soziale Funktion haben soll. Es ist erstmals einer der Orte, an dem die Gesellschaft zu sich kommt und wo der Einzelne sich durch Teilhabe zum gesellschaftlichen Subjekt macht womit er seinerseits wieder zur Formierung der Gesellschaft beiträgt.

Alle drei Ereignisse, Verfassungsdeklaration, Nationalfest und Museumsgründung lassen sich als performative Akte verstehen, die um die Leerstelle kreisen, die sich in der Mitte der Gesellschaft geöffnet hat. Dieser Prozess ist widersprüchlich. Denn die Frage nach dem Grund der Gesellschaft, nach ihrem Zusammenhalt, zielt einerseits auf eine Antwort die definitiv ist, aber damit den Platz, der leer ist, besetzen würde. Das darf aber andrerseits nie gelingen. In der Demokratie darf und kann es kein Objekt geben, das den Platz der Macht auf Dauer besetzt. Der geregelte und kontinuierliche Wechsel der Macht ist ein essentielles Strukturmerkmal von Demokratien. 
Zur Dialektik von Kontinuität und Bruch, von Bildersturm und Erbepolitik, gehört also die Suche nach diesem unmöglichen Objekt, das man in der Idee des Patrimoine ebenso findet, wie der des Museums. Dazu gehört aber auch die Ahnung, daß es 
unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint, zusammenhält, wie einst der Körper des Königs.

IV
Wie wird das Museum seinem Anspruch gerecht, das fehlende Objekt, diese cosa nostra, zu substituieren, den Skandal der Leerstelle im Zentrum der Gesellschaft zu beheben? 
Widersprüchlich und schlecht. Das Museum tendiert dazu, Identität festzustellen, es drängt uns mit seiner verdinglichten, scheinobjektivierenden Struktur Wahrheitserzählungen auf. Während wir etwa im Theater oder beim Film immer der Konstruktivität des Gezeigten gewärtig sind, und wissen, daß es auch anders erzählt und dargestellt werden könnte, fällt gerade das beim Museum aus. Geschickt verbirgt das Museum Autorschaft und die Kontingenz seiner Botschaft.
Deshalb ist das Museum auch so frenetisch beliebt, wenn es um Identität geht. Im Rückgriff auf authentische Objekte scheint sie sich dort wie nach Rezept feststellen, herstellen und behaupten zu lassen. 

Vor allem aber ist das Museum hinsichtlich Macht und Identität eins: kein neutraler Ort. Weder Kuratoren noch Ausstellungsmacher noch VermittlerInnen oder wer auch immer sonst, können sich außerhalb des Feldes der Macht positionieren. Verschleiert wird das dadurch, daß die Museumserzählungen und Repräsentationsformen eine allgemeine Gültigkeit und Verbindlichkeit behaupten, obwohl sie immer eine Auswahl darstellen, immer Nicht-Gesagtes enthalten und immer mit Ausschlüssen einhergehen. Museumserzählungen sind Setzung, haben partikulare Geltung, doch behauptet das Museum das Gegenteil, nämlich die  allgemeine Verbindlichkeit seiner Werte und Erzählungen. 
Das macht sozial und herrschaftstechnisch Sinn. Unter den genannten Bedingungen wirkt das Museum als ideologischer Staatsapparat hegemonial. Auch weil es nicht so sehr ein Ort der Bildung sondern der Gebildeten ist, einer der Wissen und Werte von Eliten forciert und sie an die Eingeborenen derselben Elite weiterreicht. 
Das Museum gehorcht Interessen, die als für jedermann gültige verallgemeinert werden. Und das umso wirksamer, je mehr die Mechanismen und Funktionsweisen, mit denen das geleistet wird, verschleiert oder verschwiegen werden. Man denke etwa nur an die Kanonbildung im Bereich der Kunst und Kunstgeschichte sowie in den Kunstmuseen. Erst in jüngerer Zeit wurden die Ausschlüsse, die Künstlerinnen betrafen oder die Marginalisierung nicht-europäischer Kunst thematisiert.

V
Ich habe drei Momente genannt, die so etwas wie ein demokratisches Potential des Museums darstellen. Erstens das Museum als Ort liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit. Zweitens als Medium, in dem wohlfahrtsstaatliche Zielsetzungen realisiert werden und drittens als Schauplatz, an dem das identifikatorische Zentrum der Demokratie als paradoxer, weil sowohl einigender als auch leerer Signifikant symbolisch besetzt wird.
Alle drei Momente müssten weiterentwickelt werden. Aus bürgerlicher Öffentlichkeit müssten vielfältige und freie Debattenräume für alle nur erdenkliche Öffentlichkeitsformen entstehen und untereinander konkurrieren; die wohlfahrtsstaatliche Verpflichtung müsste wohl erst aus neoliberalem Managementdenken und den Übergriffigkeiten der Ökonomisierung befreit werden um Freiraum für eine Debatte um den gegenwärtigen und zeitgenössischen Sinn des Museums zu schaffen.
Und drittens müsste man den politisch-demokratischen Kern des Museums wiederentdecken. Die Konflikte, die dort, aber verschleiert und entstellt von einem Museum als Unschuldskomödie virulent sind, müssten offen ausgetragen werden. Was das Museum verdrängt, ungesagt läßt, ausschließt, in narrativer Unschuld verleugnet, muß vor das Forum, das über dem leeren Platz der Macht errichtet wird.
Dies setzt etwas voraus, was immer wieder gefordert, selten aber eingelöst wird: Selbstreflexivität. Das heißt Reflexivität über die Bedingungen, unter denen das Museum als Sammlung, Medium, Ausstellung, Organisation und Institution all diese Anforderungen erfüllen kann.

VI
Was läßt sich, ich komme zum Schluß, vor dem Hintergrund meiner Überlegungen zum aktuellen Projekt des Hauses der Geschichte in der Neuen Burg sagen? Seit den Anfängen dieser mehrfach gewandelten Idee, seit Leon Zelmans Forderung nach einem Museum der Toleranz im Palais Epstein, ist es ein paternalistisches Projekt ohne jedes artikuliertes zivilgesellschaftliches Interesse, das ohne die Unterstützung einzelner Politiker nie auch nur einige Wochen überlebt hätte.
Mit der wie eine päpstliche infallible ex-cathedra-Verkündigung vorgetragenen Entscheidung eines Ministers anlässlich des Besuchs einiger Räumlichkeiten der Neuen Hofburg – hierher kommt das Haus der Geschichte! – schlägt der Paternalismus in eine autoritative Setzung um.  
Es mag an den Konsequenzen der Entscheidung Kritik gegeben haben, etwa am Kollateralschaden, den andere Sammlungen nehmen könnten, aber die dezisionistische Entscheidung, der meiner Kenntnis nach für Österreich einzigartige Fall einer unmittelbar politisch lancierten Museumsgründung, scheint nirgendwo Anstoß zu erregen. Das läßt auf eine eklatante Schwäche der Zivilgesellschaft schließen. 
Ich kenne bis heute auch kein Dutzend Personen, die wirklich leidenschaftlich für das Projekt eintreten, nicht einmal dann, wenn ich die professionell Beteiligten dazuzähle, ich kenne aber auch kein Dutzend wirklich energische, argumentativ gut gerüstete Gegner des Hauses der Geschichte. Kurzum, zivilgesellschaftlich ist das Projekt bedeutungslos.
Es fehlt beiden Konzepten erstaunlicherweise jede Zielsetzungii. Das gilt auch für große Teile der medialen Äußerungen zum Haus der Geschichte. Inhalte gibt es viele, Absichtserklärung zur Funktion ebenfalls. Aber was soll es in den Augen seiner Betreiber und Befürworter sein? Eine nationale Bundeslade, ein Medienverbund zur historischen Bildung Halbwüchsiger, ein touristischer Freizeitvertreib, ein Ort der Popularisierung geschichtswissenschaftlicher Forschung? 
Mir wird der gesellschaftliche Sinn dieses Museums durchaus nicht klar.

Mit der Tatsache, daß es zwei Museen geben wird, eines in St. Pölten und eines in Wien, eines von einem sozialdemokratischen und eines von einem christlichsozialen Politiker lanciertes, wird jede Hoffnung, wie ich sie in meinen Überlegungen gewissermaßen provisorisch gehegt habe, völlig obsolet. 
Ich erspare es mir auf viele weitere Aspekte hinzuweisen, etwa auf die klandestine Planung, die schubladisierten Expertisen, die selektive Informationspolitik oder das Versprechen, post festum, wenn alles in Gang gesetzt sein wird, werde es auch so etwas wie eine Partizipationsecke geben.

Es geht weder darum, ob eine große Erzählung besser 1848 oder 1918 einsetzt, auch nicht darum, ob man Computer einsetzt oder Archivalien, sich an die Jugend wendet oder an Touristen und sicher nicht um die Erinnerung an einen bestimmten Balkon.
Was wir doch so dringend gebrauchen könnten, ist ein freies Medium der Zeitgenossenschaft, ein nervöses Auffangorgan, das uns hilft, unsere wahrlich krisenhafte Gegenwart handlungsorientierend zu deuten. 
Dafür wäre eine unabhängig kuratierte und evaluierte permanente Projektreihe ohne festen Ort, an deren Ausführung sich jedermann beteiligen könnte, vom Bundesmuseum bis zu NGOs, vom freiberuflichen Wissenschaftler bis zur engagierten zivilgesellschaftlichen Gruppe ungleich besser geeignet als das angedachte Museum. 
Denn auch das zeichnet das vorliegende Konzept aus, sein altbackener Museumsbegriff, seine erstaunliche museologische Rückständigkeit. Das macht es mit den genannten und anderen Schwächen als Agentur demokratischer politischer Kultur nicht nur unbrauchbar, sondern kontraproduktiv.
Ein klares nein zu diesem Projekt.











07.10.2015


Samstag, 3. Oktober 2015

Das "Haus der Geschichte" im Parlament. Zustimmung sieht anders aus

Bislang ist es nur eine Presseagentur-Meldung, in Tageszeitungen habe ich noch keinen Bericht gefunden: im Kulturausschuss des Parlaments haben sich alle Parteien  bis auf eine kritisch zum Haus der Geschichte geäußert. Die eine Ausnahme ist die SPÖ. 
Was das bedeutet? Nun sicher einmal, dass er Boden, auf dem das Projekt gedeiht, dünn ist. Nach den Wahlen in Wien in einer Woche könnte der durchbrechen. Was es auch bedeutet: dass mehr denn je deutlich ist, dass das geplante Museum ein ideologisch-parteipolitisch gewünschtes und protegiertes ist und nur deshalb noch am Leben ist. Ein artikuliertes zivilgesellschaftliches Interesse lässt sich weit und breit nicht ausmachen.