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Sonntag, 8. August 2021

Corona und die Folgen. Eine erste Statistik

Daß die Coronakrise auch die Museen getroffen hat, das festzustellen ist trivial. In welchem Ausmaß wird jetzt annähernd klar, in einer begrenzt aussagekräftigen Statistik die kürzlich via Austria Presseagentur verbreitet und von einigen Medien mit der Schlagzeile, die die zentrale Aussage enthält, veröffentlicht wurde: "Besucherrückgang 75%".
Diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2000 und ist Resultat einer Befragung von Museen, an der sich mehr als 60% beteiligt haben.
Sehr viel mehr gibt die Statistik nicht her. Auch die Zahl der Ausstellungen ist zurückgegangen und die Öffnungszeiten sind um etwa 40% reduziert gewesen. Die APA-Meldung schlüsselt nicht auf, wie etwa die großen Museen des Bundes in Wien oder die Landesmuseen betroffen waren.
In der Meldung ist dennoch viel Optimismus verpackt. Es bleibt aber völlig offen, welche mittel- und langfristigen Auswirkungen diese unfreiwillige "Pause" auf die Museen und ihre Wahrnehmung hat.

Donnerstag, 25. März 2021

Das Museum als aktiver Moderator sozialer Demokratie

 Das Museum als aktiver Moderator sozialer Demokratie

 

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Dieser Text basiert auf Notizen, die einem Beitrag zu einer Veranstaltung zu Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie zugrunde lagen. Die von der Hans Böckler Stiftung veranstaltete Zusammenkunft hatte den Untertitel Soziale Demokratie im Kulturhistorischen Museum. Wege zum partizipativen Museum. Meine für fünfzehn Minuten Redezeit vorbereiteten Überlegungen waren eher fragmentarisch und sind es mit ein paar Glättungen und Ergänzungen auch geblieben.

 

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Was wäre das - ein Museum der sozialen Demokratie?

Welche Erwartungen knüpfen sich an ein solches Museum?

Kann es so etwas geben, ein Museum, in dem die sozialen Bürgerrechte repräsentiert werden?

 

Soziale Demokratie, so lege ich es mir zurecht, ist eine gesellschaftliche Ordnung, in der nicht nur die verschiedene Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte gesichert sind, sondern auch die materiellen Bedingungen und soziale Rechte, die den Genuss dieser Grund- und Freiheitsrechte überhaupt erst ermöglichen.

Für mich ergeben sich daraus drei Fragen: Wie weit wird das Museum als Organisation diesem Anspruch gerecht? Wie spiegeln die Sammlungspolitik, die Sammlung und die und die Ausstellungen diesen Anspruch? Und schließlich: Welches Verhältnis pflegt das Museum zu seinem Publikum und generell zur Öffentlichkeit. Wie bestimmt es seinen Platz und seine Aufgabe innerhalb Gesellschaft.

 

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Ich möchte zuerst kurz skizzieren, wie ich die drei Anforderungen in der derzeitigen Museumspraxis realisiert bzw. nicht realisiert sehe.

Zur ersten Frage: Ist das Museum eine Organisation, die man demokratisch nennen kann, in der soziale Demokratie selbst verankert ist? In welchen Museumsorganisationen ist Demokratie eine zentrale Handlungsorientierung und etwas, was die innerbetrieblichen Machtverhältnisse, Abläufe und Entscheidungen prägt?

Ich kann dazu nur beispielhaft und anekdotisch etwas beitragen, ich kenne keine empirischen Untersuchungen zu musealen Organisationsformen.

Was mir sofort eingefallen ist, ist der einzige mir bekannte Versuch, gewerkschaftliche Mitbestimmung in Museen einzuführen. Das sogenannte Hamburger Modell vom Anfang der 70er-Jahre, das von MItarbeiterInnen der kommunalen Hamburger Museen gefordert und von den Museumsleitern heftig bekämpft wurde. Der von mir geschätzte Leiter der Hamburger Kunsthalle entsetzte sich mit der Vorstellung Da könne ja nun jede Putzfrau bei den Ausstellungen mitbestimmen.

 

Keine gewerkschaftliche aber überhaupt Mitsprache forderten jüngst die Leiter der Museen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz ein, um sich in einen Evaluationsprozess einzuklinken, der zunächst ohne ihr Wissen und zutun von der Kulturstaatssekretärin begonnen worden war und im dem eine Zeit lang die Zerschlagung der Stiftung im Raum stand. Die mir völlig sinnvoll und selbstverständliche Beteiligung der Museumsdirektoren wurde von einer großen überregionalen Zeitung gar als basisdemokratische Revolution bezeichnet.

 

Ein anderes Beispiel für Implementierung sozialer Demokratie ist der Versuch, an den österreichischen Bundesmuseen einen Kollektivvertrag durchzusetzen. In erster Linie wird das zur Verbesserung der Anstellungsbedingungen und Entlohnung der Vermittlerinnen führen - die weibliche Form ist hier angebracht, es ist überwiegend ein Frauenberuf, nicht gut bezahlt und mit prekären Bedingungen. Für die Realisierung dieses Vorhabens, so höre ich, gibt es gute Aussichten.

 

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Ich komme zur zweiten Frage: Wie spiegeln die Sammlungspolitik, die Sammlung und die Ausstellungen den Anspruch soziale Demokratie im Museum zu repräsentieren? Das heißt, wie wird die Geschichte der Arbeit, der der Arbeiterbewegung und ihrer Organisation, der sozialen Kämpfe und Reformen, der Organisation der Arbeiterschaft und vieles andere mehr durch Museen repräsentiert.

Da kann ich mich auf eine umfangreiche Recherche von Wolfgang Jäger berufen, der sich in einer Reihe deutscher kulturhistorischer Museen auf die Suche nach sozialer Demokratie in Ausstellungen gemacht hat. (Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum. Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen. Bielefeld 2000. Mir stand ein umfangreiches Manuskript von Wolfgang Jäger zu diesem Thema zur Verfügung). Sein Befund ist ernüchternd, aber nicht überraschend. In vielen (kultur)historischen Museen ist er kaum bis gar nicht fündig geworden. Soziale Demokratie spielt in den Erzählungen der einschlägigen Museen, nicht jene Rolle, die ihr in der Wirklichkeit zugekommen ist und zukommt. (*)

Ich denke, in Österreich würde eine ähnliche Recherche ebenso ernüchternd ausfallen und die Existenz des Museums Industrielle Arbeitswelt Steyr, auf Initiative der Gewerkschaftsjugend gegründet, das verdienstvolle Ausstellungen macht, muß man ebenso als eine Ausnahme aus der Regel ansehen wie das wunderbare Museum Das Rote Wien im Waschsalon des Karl Marx-Hofes in Wien, das die Kommunalpolitik des sozialistisch regierten Wien in der Ersten Republik zeigt aber auch den hohen Grad und die Qualität der Selbstorganisation der Arbeiterschaft.

 

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Die dritte Frage ist die nach der Beziehung des Museums zu seinem Publikum und zur Gesellschaft insgesamt.

Wie sattsam bekannt, gibt es eine inzwischen universale Kennzahl, die über den Wert und Wirkung von Museen - vermeintlich - Auskunft gibt. Die Anzahl der Besuche(r).

Jüngst las ich, daß eine englische Tageszeitung eine Bezahlung der MitarbeiterInnen nach der Zahl der Klicks ihrer Artikel einführen will. Noch ist es am Museum nicht so weit, aber die Bindung von „Erfolg“ und „Wert“ der Institution ist schon lange eng mit der Besucherstatistik gekoppelt. Damit einher hat sich eine Art neoliberaler Wettlauf entwickelt – in Österreich zwischen den großen Kunstmuseen -, um mediale Aufmerksamkeit innerhalb der Konkurrenz der vielfältigen (hoch)kulturellen Angebote.

Was aber noch nachhaltiger zu wirken begonnen hat ist die Gleichsetzung dieser Zahlen mit der Vorstellung allgemeiner Zugänglichkeit und Akzeptanz des Museums. Die bei einzelnen Museen in die Hunderttausende gehenden statistischen Zahlen (der Louvre als einsamer Spitzenreiter übertraf die 10-Millionen-Marke) legen nahe, daß Museen universal zugängliche Bildungsinstitutionen sind – und daher demokratisch.

Diese irreführende Gleichsetzung ist alt. 1919 formulierte der Direktor der Hamburger Kunsthalle, Gustav Pauli, den Satz, daß das Museum zu den "demokratischesten aller Bildungsinstitute“ gehört, das "jedermann ohne Legitimationsprüfung den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“

Das verrät nicht nur eine paternalistische pädagogische Haltung, Pauli legt uns nahe, das Museum als im sozialen Sinn völlig barrierefrei wahrzunehmen.

Spätestens seit den 80er-Jahren weiß man, dass das ganz und gar nicht stimmt. Etwa 50% einer Bevölkerung sind keine Museumsbesucher. Sie haben nicht die materiellen Voraussetzungen und verfügen nicht über die nötige Vorbildung.

Das Museum ist ein Ort der sozialen Distinktion

Und weil das Museum dennoch allgemeine Geltung seiner Werte vertritt, ist es auch ein Ort der kulturellen Hegemonie.

 

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Ich möchte nun meine drei Fragen noch einmal durchgehen, und überlegen, wie denn das Museum zu einem Ort der sozialen Demokratie, ein aktiver Moderator von Demokratie überhaupt werden kann.

Es liegt auf der Hand, dass sich die Organisation selbst verändern müsste, sowohl nach innen. als auch was ihre Einbettung in politisch-administrative Prozesse betrifft. Es muss in der Organisation veränderte Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe geben; keinem Museum sollte erlaubt werden, von Partizipation sprechen dürfen, wenn es nicht Partizipation im weitesten Sinn in der Organisation selbst zulässt.

Und ohne kultur- und museumspolitischen Rahmen kann es kaum so etwas wie eine Vermittlung zwischen gesellschaftlichen Interessen und Bedürfnissen und institutionellem Handeln geben.

Man wird drittens nach Wegen suchen müssen, das Museum zur Gesellschaft hin durchlässiger zu machen, über Partizipation hinaus Teilhabe zu ermöglichen, in der in die Regeln der Institution eingegriffen werden darf. Denn Partizipation heißt, wenn sie mehr sein soll als ein von der Institution veranstaltetes und kontrolliertes Mitmachen, zuzulassen, dass sie die Institution selbst verändert.

Betriebe man das konsequent, dann hieße das, daß Museen Macht abgeben und Kontrolle mindestens lockern müssen. Dazu würden Museen bereit sein?

 

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Nun zur Frage nach der Öffentlichkeit des Museums. Diese Frage ist eine nach den Grundlagen unseres Verständnisses von Museen. Um mich verständlich zu machen, schiebe ich einen kurzen Exkurs zur Entstehung jenes Modells Museum ein, das wir immer noch gebrauchen. Es wird sich zeigen, wie verarmt das heute gebräuchliche Reden von der Öffentlichkeit des Museums geworden. Und ich möchte eine Grundlage gewinnen dafür, wie eine öffentliches Museum neu gedacht werden könnte.

Die Entstehung des Museums der Moderne hat ein präzises Datum. Am 10. August 1793 findet in Paris ein Fest, ein Umzug statt, ein Gründungsakt der Nation. Es wird am selben Tag eine neue Verfassung deklariert, die erste republikanische Frankreichs. Und am selben Tag wird das Museum im Louvre eröffnet.

Das Museum steht im Zentrum der Formierung einer Nation. Das Museum ist ein Ort eines zivilisierenden Rituals. Seine Rolle ist die, der Gemeinschaft zu ermöglichen, sich um das kulturelle Erbe zu scharen. Um Dinge, die ihre Funktion, ihren Sitz im Leben verloren haben, die aus der Warenzirkulation als unveräußerlich herausgehalten werden und darum so etwas wie einen heiligen Schatz bilden.

Dieses Erbe, die musealen Sammlungen repräsentieren die res publica, das Ding, das etymologisch als Thing in ein- und demselben Wort sowohl auf Sache und Sammlung als auch auf Versammlung (das Sich-Versammeln im Museumsraum) verweist. Es ist jene, im Grunde unidentifizierbare gemeinsame Sache, um derentwillen sich Gemeinschaften bilden, und die im Museum repräsentierbar scheint.

Das Museum (der Französischen Revolution) wirkt dabei auch kompensierend. Es kompensiert den Verlust von die Gemeinschaft zentrierenden, zusammenhaltenden transzendentalen Prinzipien und deren irdische Repräsentation, in Frankreich den des Königs und seiner zwei Körper, des göttlichen und des irdischen. Der wird angeklagt und wenige Monate nach der Museumseröffnung hingerichtet. Das Wegbrechen einer transzendentalen Identifikation hat die Suche nach neuen, nun innerweltlichen Formen der Identifikation zur Folge. Eine Antwort ist das Museum.

 

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Das Museum ist ab nun ein zivilisierendes Ritual. Aber es ist ab nun auch ein Ort der Vermittlung von Sach- und Orientierungswissen, von Geschichtserfahrung an – im Idealfall – für alle Staatsbürger.

Als Ort der Zivilisierung ist es einer, an der sich Bürger zu Staatsbürgern bilden, indem sie sich um ihre gemeinsamen und insofern öffentlichen Angelegenheiten kümmern. Die Öffentlichkeit der Institution Museum enthält also ein Versprechen von Gleichheit und Freiheit wie von Verantwortung aller Bürger für das Gemeinwohl.

Das Museum ist also beides zugleich: der Ort an dem Zivilisierung dargestellt und an der sie hergestellt wird.

Damit das geleistet werden kann, bedarf es einer bestimmten Struktur des Museums, eine, die in aus vier Merkmalen besteht.

 

Garantiertes Recht auf Bildung und der materiellen Voraussetzungen dazu

 

Allgemeine Zugänglichkeit

 

Gemeinschaftlicher Besitz der Kulturgüter

 

Und gemeinschaftliche Finanzierung, das heißt, aus Steuermitteln

 

Das ist die Grundlage des Verständnisses vom Museum als einer Instanz, die das gesellschaftliche Ziel, den Auftrag des Wohlfahrtstaates, das maximale Glück einer maximalen Zahl zu erreichen, verwirklicht.

 

Für unsere Frage nach dem Museum der sozialen Demokratie ist die rechtliche Regelung interessant, auf die am Beginn der Museumsentwicklung, diese Struktur ruht. In der Verfassung von 1793 heißt es im Artikel 22: „Der Unterricht ist für alle ein Bedürfnis. Die Gesellschaft soll mit aller Macht die Fortschritte der öffentlichen Aufklärung fördern und den Unterricht allen Bürgern zugänglich machen.“

Im unmittelbar vorangehenden Artikel 21 findet sich das: „Die öffentliche Unterstützung ist eine heilige Schuld. Die Gesellschaft schuldet ihren unglücklichen Mitbürgern den Unterhalt, indem sie ihnen entweder Arbeit verschafft oder denen, die außerstande sind, zu arbeiten, die Mittel für ihr Dasein sichert.“  

 

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Dieses Museumsmodell ist ein Ort liberaler, bürgerlicher Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit hatte das Aushandeln von Konflikten unter Gleichen und damit die Harmonisierung von Konflikten zum Ziel. Tendenz zur Harmonisierung ist aber auch eine Eigenschaft des Museums. Seine Erzählweisen und Darstellungsmethoden neigten lange Zeit dazu, uns Unschuldskomödien vorzuspielen, alles in eine Geschichte der fortschreitenden Zivilisierung zu verwandeln unter Aussparung der traumatisierenden und gewaltförmigen Aspekte.

 

Dieses Modell scheint erschöpft. Und das Museum hat sich auch gewandelt, die Triumpherzählungen werden seltener, die Einbeziehung von Schuld und Trauma selbstverständlicher. Und inzwischen fordern immer mehr Gruppen ihren Einschluß in die musealen Erzählungen und das macht Museen diverser. Die aktuelle Debatte um den Umgang mit kolonialem Erbe zeigt indes, wie schwer die Umstellung fällt, welcher Widerstand sichtbar wird.

 

Museen müssen fähig gemacht werden, Konflikte anzusprechen und auszutragen, Interessen, Ideologien, Machtverhältnisse offenzulegen. Vermittlungs- und Diskursformen müssen geeignet sein, dem Rechnung zu tragen. Eine sehr schwierige Anforderung angesichts der wachsenden Polarisierungen und der Zerfallserscheinungen bürgerlicher Öffentlichkeit unter dem vieldiskutierten Druck der sogenannten sozialen Medien.

 

Zuallererst muss sich aber das Museum selbstreflexiv seiner Mechanismen des Erzählens und Bedeutens vergewissern – und seiner problematischen Sublimierungsleistung. Ein grundlegender Wandel müsste sich auch auf organisatorischer Ebene vollziehen, die Arbeitsaufgaben und Rollenverständnisse würden sich drastisch ändern, KuratorInnen wären dann nicht im Wortsinn „Sorgenträger“ ums Objekt, sondern Moderatoren politischer Auseinandersetzungen.

 

Es ist ja nicht so, dass die Museen bislang nicht schon Grundfragen unserer Zivilisation repräsentiert hätten, die wachsender Naturbeherrschung und Naturzerstörung, die Naturbeherrschung am Menschen, die Eroberung und Vernichtung fremder und vergangener Kulturen, die Gewaltförmigkeit in der Geschlechterbeziehung und anderes mehr.

 

Aber das Museum kann angesichts der Klima- und Coronakrise, der Bedrohung der Demokratie, der wachsenden Ungleichheiten, der grassierenden Zukunftslosigkeit der Politik nicht an der bloßen Ästhetisierung und Sublimierung der Probleme und Konflikte festhalten. Es kann sich auch nicht als neutraler Beobachter verstehen, der selbst aus den Konflikten ausgenommen ist. Gerade die Coronakrise zeigt ja, daß das Museum nicht einfach nur sammlungspolitisch reagieren kann wie ein Sammler, der Indizien zusammenträgt. Denn es ist ja selbst vielfach betroffen, finanziell, hinsichtlich seiner Besucher und hinsichtlich seiner Legitimation angesichts der Zweifel an seiner „Systemrelevanz“.

 

Das Museum muß sich als politischer Akteur verstehen, der sich den genannten und von mir nur fragmentarisch aufgezählten Problemen annimmt. Sonst verfehlt es seine Aufgabe, nervöses Auffangsorgan (Aby Warburg) zu sein. Als solches muss das Museum Ort agonaler, also konfliktfähiger, streitbarer Öffentlichkeit sein.

 

Agonistische Öffentlichkeit (Chantal Mouffe) deklariert die Interessen, benennt die Probleme, macht sie kenntlich und lässt sie aufeinandertreffen. Agonale Öffentlichkeit ist vielfältig und vielgestaltig. Konflikte zu bearbeiten geht nur im Medium des Konflikts selbst, weil nur so Differenzen, Standpunkte und Interessen sichtbar gemacht und bearbeitet werden können. Das Museum wäre dann ein Ort der streitbaren und pluralen Gegenöffentlichkeiten, wo herkömmliche Werte und Normen infrage gestellt und auch angegriffen werden könnten. Das Museum müsste sich vom affirmativen hegemonialen zum Raum der Unruhe und des Dissens wandeln. Um dieser Vorstellung etwas die Schwere der sozialpolitischen Bürde zu nehmen, die man dem Museum auflastet, greife ich zwei Worte auf, die kürzlich die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz gebaucht hat: Kritikübungsräume. Solidaritätsversicherungsversuche.

 

Der Zweck demokratischer Institutionen“ besteht, schreibt der australische Aktivist Simon Sheik „nicht in der Herstellung eines rationalen Konsenses in der Öffentlichkeit, sondern in der Entschärfung des Potenzials für Feindseligkeiten, das in menschlichen Gesellschaften existiert, indem die Transformation von Antagonismus in 'Agonismus' ermöglicht wird."

 

Erst wenn Museen sich selbstreflexiv zu verhalten lernen, wenn sie sich gegenüber der Öffentlichkeit öffnen, wenn sie sich reorganisieren kann das Museum zu dem Ort werden, als der er von Anfang an gedacht war: einer der Selbstauslegung, einer der Aufklärung der Gesellschaft über sich.

 

(*) Im Beitrag von Sabine Kritter, Imaginationskrise der Arbeit und die Kulturalisierung der Gegenwart im Museum, fand dieser Befund insofern eine Ergänzung und Vertiefung als dort von einer Kulturalisierung der Darstellung der Arbeit gesprochen wurde, die aber im gegenwärtigen Ausstellen kaum noch vorkomme. Es gibt eine Krise des Vorstellungsvermögens von Arbeit, viele Tätigkeiten würden entweder gar nicht als Arbeit angesehen oder es sei zweifelhaft, ob es sich um Arbeit handle.

 

 

März 2021

 

 

Freitag, 5. Februar 2021

Freitag, 22. Januar 2021

Samstag, 12. Dezember 2020

Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden

Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich hier: https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


Marcel Broothaers buddelt einen Museumsgrundriß in den belgischen Meeresstrand. Vielleicht spült die Flut alles schon weg, ehe die Arbeit vollbracht ist...


Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden


Meine erste Reaktion auf Krzysztof Pomians in der FAZ veröffentlichten Text hat mir den Vorwurf des "Wiener Pessimismus" (Helmut Bien) eingetragen. Damit kann ich provisorisch gut leben, mit der Einschränkung, daß ich kein Wiener bin. Was meinen angeblichen Pessimismus betrifft, da denke ich, dass es ein Missverständnis gibt, die möglicherweise durch mangelnde Genauigkeit in meinem ersten Text verursacht wurde. 


Ich habe gesagt, daß ich Pomians Pessimismus nicht viel entgegenhalten kann. Das heißt aber nicht, daß ich ihn teile. Ich stelle mir eine einfache Frage: Ist es eher erwartbar, daß ein umfassender globaler Lernprozess einsetzt, der den Klimawandel stoppt und katastrophische Folgen abwendet oder eher daß ein solcher rechtzeitiger Wandel nicht zustandekommt und die verschiedenen düsteren Prognosen sich in unbestimmbarer, aber vielleicht nicht so ferner Zukunft bewahrheiten? 


Ich weiß es nicht. Den einen Tag lese ich, daß die unbedingt notwendige Begrenzung der Erwärmung um 2 Grad sicher nicht erreicht wird, den anderen Tage erreicht mich die Nachricht, daß die EU einschneidende klimapolitische Ziele vereinbart hat.


Anders als Pomian räume ich dem Museum die Möglichkeit ein, sich auf unterschiedliche Zukünfte einzustellen und sich nicht bloß mit der Prophezeiung ihres Untergangs abzufinden. Das muß, wenn man dem Ernst der Situation gerecht werden will, nicht weniger eine Art "Neuerfindung" des Museums voraussetzt - ein unglaublich einschneidender „Turn“ auf allen Ebenen. 


Hier stelle ich eine ähnliche Frage, wie zum Klimawandel: Ist es wahrscheinlicher, daß die Museen nachhaltig und konsequent eine andere Politik, eine eine andere Geschichts- und Erinnerungskultur entwickeln, neue organisatorische, mediale, inhaltliche usw. Wege einzuschlagen oder ist es wahrscheinlicher, daß es weitgehend so bleibt wie bisher? 


Ein Beispiel: Ein grosses österreichisches Naturmuseum vernetzt sich mit verschiedenen Organisationen und ruft dazu auf, an einem bestimmten Datum, Kerzen als Warnung vor dem Klimawandel in die Fenster zu stellen. Warum nicht kann man fragen? Es wirbt mit eindrucksvollen Texten auf Facebook. Das Museum reagiert und wird aktiv, es geht buchstäblich und symbolisch über seine Grenzen. Man kann aber auch einwenden, dass eine solche schon vielfach für unterschiedlichste Zwecke gebrachte „Lichter-Mahnwache“ bereits zu abgenutzt ist, um noch weitere Besetzungen mit neuen Bedeutungen auszuhalten. (Nahezu gleichzeitig wird dieselbe „Mahnpraxis“ für Opfer der Pandemie organisiert). Und welchen Impuls gibt so eine Aktion über das Symbolische hinaus ins praktische Handeln?


Dasselbe Museum lädt, wiederum via Facebook, dazu ein, sich mit der Mineraliensammlung zu beschäftigen, im Internet, um dort einschlägiges Wissen abzuholen. Wiederum kann man sagen, warum nicht? Das Museum nutzt, was derzeit von überall her empfohlen wird, das Internet, um in Zeiten der Schliessung der Museen, Bildung zu vermitteln. Von Naturmuseen weiss man außerdem, dass es eine bestimmte Klientel von Hobbysammlern und Kennern gibt, die als Gruppe wichtig für solche Museen sind und im wechselseitigen Interesse auch untereinander vernetzt sind. Sie sind eine Zielgruppe für eine derartige Idee. Aber über diese Gruppe hinaus - was ist von der „Mineralienkunde“ gegenüber einem grossen Publikum zu erwarten. Sehr spezielles Bildungswissen zu erwerben? Und genügt die gute Absicht der Wissensvermittlung noch oder sind nicht längst Angebote nötig, die sowohl partizipativ wie reflexiv sein müssen und die über die Vermittlung von museumsspezifischem Sachwissen weit hinausgehen?


Jetzt noch mal zurück zum Pesssimismus: Ich teile den von Pomian nicht, einfach deshalb, weil ich keine sichere Prognose habe. Mich interessiert aber, wie bei Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“, die Radikalität der Provokation, die darin steckt das Museum von seinem Ende her zu denken. Man kann derlei Texte gewissermaßen therapeutisch lesen, als Anregungen, sich einer Krise zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen.


Pomian übertrifft den Schock, den die politische und praktisch folgenreiche Einschätzung der Museen durch die Politik als zur Unterhaltungsindustrie gehörig ausgelöst hat. Ihnen „Systemrelevanz“ abzusprechen (ich übergehe mal die Frage, „welches System“ eigentlich?) stellt ja auch ihre Existenz in Frage. Pomians Text schneidet indes weitaus tiefer als jede politisch verordnete Maßnahme in das historische Selbstverständnis des Museums als gattungsgeschichtliches Archiv und Gedächtnis (ihn interessiert merkwürdigerweise eher nur das Archiv). Es droht in seiner Perspektive die Möglichkeit als solches endgültig verloren zu gehen, was uns alle, die Gattung als Ganzes einer zukünftigen vollkommen Erinnerungslosigkeit ausliefern würde.


Schon durch den Holocaust wurde, wie Alain Finkielkraut zeigte, etwas Grundlegendes zerstört - das Vertrauen in einen alle Katastrophen, Opfer und Verheerungen aufwiegenden und integrierenden humanen und unabschliessbaren Fortschritt. Jetzt ist aber nicht einfach die Idee des Fortschritts beschädigt, jetzt scheint es ein Datum für dessen unausweichliches Ende zu geben. Nur der Zeitpunkt steht noch nicht fest.


Diese Kränkung ist so ultimativ, daß es schwer fällt, sich auch nur intellektuell, abstrakt, distanziert, probehalber damit zu beschäftigen und schon gar nicht dann, wenn man sich mitten in der Praxis um die Vitalität der Institution inmitten bedrohlicher Krisen sorgen soll. 


Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“ war ein „sokratischer“ Text, der zur Reflexion anleiten sollte ohne den Hintergrund einer empirisch drohenden Katastrophe. Man konnte spielerisch mit ihm umgehen und verschiedenste Szenarien erproben, die fern jeder Wirklichkeit schienen. Aber schon die Texte waren, sooft ich ihn sie in Diskussionsrunden einbrachte, meist überfordernd. Wie erst der Pomians!


Es geht doch darum, im Bewusstsein aller dieser extremen Herausforderungen, praktisch und theoretisch am Neuentwurf der Institution zu arbeiten. Einen Aufbruch kann es geben, wenn Museen bereit sind, sich offensiv und reflektiert mit dieser „Bedrohung" auseinanderzusetzen (die noch komplexer ist als es Pomian, den es kommen ja noch andere Herausforderungen hinzu, wie etwa die Frage des Umgangs mit dem Kolonialismus) und diese Auseinandersetzung zum Ausgangspunkt ihrer "Erneuerung" machen.


Vom wem wird diese Erneuerung kommen, von den Museen (allein)? Von der Politik? Vom Publikum, von der Zivilgesellschaft? Helmut Bien ist gegenüber neuen Eliten skeptisch, deren rabiate Kritik, etwa an der Kolonial-Frage, letztlich in einen Museoklasmus mündet. Er schreibt: „Wir erleben im Augenblick einen ikonoklastischen Rigorosismus, der vieles Altes aus der Perspektive der aktuellen Moral verantwortlich macht und beseitigen möchte.“


Einspruch. Sehen wir uns die Kolonialismusdebatte an. Ist sie bloß eine Angelegenheit rigoroser elitistischer Moral? Da gab es doch schon zeitgenössisch eine moralische Haltung, die sich mit den Verhältnissen nicht abfand und eine Bürgerbewegung, die etwa den belgischen König dazu zwang, seinen entsetzlichen „Privatkolonialismus“ aufzugeben und dann auch den Belgischen Staat erfolgreich drängte, sich von der Kolonialisierung zu verabschieden. Die europäische Kolonialgeschichte wurde schon zeitgenössich als grauenhaft und unerträglich empfunden, und nicht erst im Licht des heutigen Moralismus von Eliten.


Kolonialismus, als Problem für Museen erst mit der Gründung des Humboldt-Forums aufgebrochen, ist aber nur eine unter mehreren jüngsten Entwicklungen (die Restitutionsdebatte um in der NS-Zeit als zeitlich und territorial ungleich eingegrenzteres Phänomen, geht dem voran). An ihr ist Gewaltförmigkeit und Rechtsbrüchigkeit als strukturelle Grundlage des Museums sichtbar geworden sind. Die gerade anlaufende Debatte über den kolonialen Ursprung des British Museum (wiederum nur eine Facette von mehreren in der Kontaminierung dieses Museums mit Kolonialismus), ist nur eins unter zahllosen Museen, wo man auf ähnliche gewaltförmige Bedingungen ihrer Gründung stossen kann. Da sind so illustre Museen drunter, wie das Metropolitan Museum, der Louvre oder die Tate Gallery.


Keine andere kulturelle Institution oder Praktik hat eine derart verborgene und verborgen gehaltene Tiefenstruktur und zusammen mit der Funktion von Museen als hegemoniale ideologische „Staatsapparate“ bietet allein schon diese beiden Strukturmerkmale erste und dringlich der Bearbeitung harrende  Ansatzpunkte und Angriffsflächen für einen „reflexiven Neustart“.


Allerdings frage ich mich, ob alle diese Phantasien vom Neuanfang, vom Museum 2.0, vom demokratischen Museum oder gar radikaldemokratischen Museum, nicht unvermeidlich darauf hinauslaufen, eine vielfach fragwürdige Institution bloss reformerisch am Leben zu erhalten wie einen im Koma liegenden Patienten durch Apparate. Warum nicht loslassen? Warum nicht verabschieden? Nicht um einen revoltierenden Museoklasmus herbeizuführen, sondern um die Ideen zu bewahren, die mit dem Museum einmal verknüpft waren.


Warum nicht alle jene hehren Ziele, die in bester Absicht das Museum neu zu denken formuliert wurden, anders und anderswo zu verwirklichen. Wozu der mühsame Prozess, widerstrebende Praktiken zu verändern (aus Macrons Ankündigung der umfassenden Restitution bleiben zwei Jahre danach eine Handvoll noch nicht mal zur Gänze restituierter Objekte), wozu der lange Marsch durch Institutionen, die es nicht anders haben wollen als es ohnehin ihrem unbeirrbaren Selbstbild nach immer gut ist? Wozu die Hoffnung auf dem (Um)Weg der Instrumentalisierung einer womöglich komplett ungeeigneten Institution, die nötigen Entwicklungs- und Lernprozesse anzustossen?


Der Wechsel von Eliten, geht der ohne jeglichen Wechsel der Perspektiven vor sich oder gar hin zum Schlechteren, oder kann man nicht auch Hoffnung in neue Interessenten setzen, die ihre Verantwortung entdecken?


Ein Beispiel: Es gibt seit Mitte des Vorjahres Kritik an einem der absonderlichsten Museen, die es in Österreich gibt, am Heeresgeschichtlichen in Wien. Die Kritik begann nicht mit einer an den Ausstellungen, sondern an rechtsradikalen Mitarbeitern und einschlägigen Veranstaltung und dem Angebot des Museumsshop mit einschlägigen Tendenzen. Diese Kritik kam von zwei Bloggern, wurde dann von Tageszeitungen aufgenommen und führte zur Einsetzung mehrerer Untersuchungskommissionen. Inzwischen formierte sich eine Gruppe von LiteratInnen und KünstlerInnen, die eine Tagung auf die Beine stellten, die wiederum medial aufmerksam rezipiert, dazu führte, dass das Thema auf der Tagesordnung blieb. 


Die Kritik weitete sich nun auf die Ausstellungen aus, auf deren Ideologie und auf die Sinnhaftigkeit eines nostalgisch-retrospektiven Armeemuseums. Die Kommissionen, nicht alle haben ihre Arbeit abgeschlossen, bestätigten im Kern die Kritik und ein Rechnungshofbericht listete Mängel auf, die alles bisher Bekannte bei weitem übertrafen. Eine weitere Tagung ist geplant, von derselben Gruppe, die es geschafft hat, das Thema nun über langen Zeitraum in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. Ob das politisch erfolgreich werden wird und in welchem Umfang, das ist völlig offen.


Es ist meiner Beobachtung das erste Mal, daß es so etwas wie eine umfassende Kritik an einem Museum (in Österreich) überhaupt gibt und dass es eine zivilgesellschaftliche Initiative ist, die Museen als wesentliche Akteure der Geschichtspolitik kritisiert. Eine Elite? Prinzipiell ja, aber es ist eine Elite, die gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt und nicht ihre partikularen Interessen. Und das in einer Weise, wie sie dem Museum seit der Aufklärung und bürgerlichen Revolution eingeschrieben ist. Das Museum war ein Ort, in dem Staatsbürger in ihrem und im gesellschaftlichen Interesse handelten und zu Res Publica formierten und das Wohl des gesellschaftlichen Ganzen aushandelten. 


Die genannte Initiative ist jedenfalls der seltene Fall, daß sich im Macht- oder Entscheidungsdreieck Politik - Institution - Gesellschaft, die strukturell Ausgeschlossenen, das Publikum, die Bürgerschaft, zu Wort melden. Es ist wie im Gesundheitssystem. PatientInnen haben keine Stimme, keine Handlungsmacht im Verhältnis zu Politik, Industrie und organisierter Ärzteschaft.


Diese Entwicklung beobachte ich mit Interesse und Sympathie. Wer weiss, was da zustandekommt. Ob es bei einem Reförmchen des Heeresgeschichtlichen Museums bleibt, das das Versagen der Politik und das Agieren des Museums kaschiert oder ob es zu einer grundlegenden Erneuerung kommt, nach der vielleicht ein ganz anderes Museum realisiert werden wird, das wird sich zeigen. Es muß am Ende ja nicht ein (neues, weiteres) Museum sein, sondern vielleicht etwas, woran wir jetzt noch gar nicht denken. Etwas, das weitere Museen inspiriert, ganz neue Wege zu gehen.


Vielleicht muß man das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden?


Die erwähnten Texte:


Krzysztof Pomian: Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 24.11.2020, S.12

Stephen Weil: The Museum at the End of the Time. In: ders.: Making Museums Matter. Washington. Smithsonian Institution 2002

Gottfried Fliedl: Am Ende. Das Museum. In: Museologien (Blog). 

https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


12.12.2020


Sonntag, 29. November 2020

Am Ende. Das Museum

Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich Hier: https://www.blogger.com/blog/post/edit/936424358107584429/7007908751721792738

 

Am Ende. Das Museum


Krszysztof Pomian, Historiker und Museumswissenschafter, hat kürzlich in einem Vortrag (Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? Abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.11.2020, S.12) dem Museum eine überaus düstere Zukunft vorhergesagt. Seine Argumentation ist übersichtlich und scheint zwingend. 


Es sind zwei Entwicklungen, die er die Existenz des Museums bedrohend nennt. Die Coronavirus-Pandemie und den Klimawandel.


Für die Entwicklung der Pandemie sieht er drei Szenarien. Selbst wenn die günstigste und, so Pomian, unwahrscheinlichste eintritt, die „Pandemie als Unfall ohne Langzeitfolgen“, also  eine Einhegung und Zurückdrängung durch medizinischen Fortschritt, werden die ökonomischen Folgekosten zu einem dramatischen Einbruch der Kultursubventionen führen.


Egal ob es sich um steuerfinanzierte öffentliche Museen (wie in Europa) handelt oder um von Privaten gestützte (das Modell das in den USA weit verbreitet ist, im Land mit den meisten Museen, etwa 30.000), es würden im Falle erwartbarer wirtschaftlicher Rückschläge weniger Gelder zur Verfügung stehen, Personal entlassen werden müssen und das Programm verschlankt werden. Museen würden in einen „Überlebensmodus“ versetzt.


Wie sich der Klimawandel entwickeln wird, kann niemand vorhersehen. Aber es scheint inzwischen breiteste Übereinstimmung über seine Dramatik und die Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen zu geben. Pomian scheint nicht viel Hoffnung in die Möglichkeit einer Lösung zu setzen und er gibt dem Museum im Fall katastrophischer sozialer und politischer Entwicklungen keine Chance.


Was die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie betrifft, so könnte man Pomian entgegnen, daß die großen, von der öffentlichen Hand getragenen Museen kaum so schnell einfach preisgegeben würden. Das gilt vor allem für die national und regional bedeutsamen Häuser. Und gegen den bedrohlichen Entfall privater Gelder spricht, daß große Vermögen im Augenblick noch wenig betroffen sind. Man hört auch noch nichts (zumindest in Österreich) von Museumsschließungen. Allerdings werden Haushalte von Kommunen und Ländern gekürzt und damit meist auch die Kulturetats. Entlassungen hat es schon gegeben und auch die Streichung von Ausstellungen. Und Großbritannien bietet, mit seiner lange vor Corona einsetzenden neoliberalen Politik ein Beispiel, wie einschneidend sich Einsparungen auf Museen auswirken.


Niemand kann die Dynamik der Pandemie und ihrer Auswirkung auf die Wirtschaft vorhersagen und dasselbe gilt in noch höherem Maß für die Effekte des Klimawandels. Da ist es längst nicht mehr die Frage, ob es zu einer massiven oder katastrophischen Krise kommt, sondern wie schnell und wie vehement sie eintreten wird. Es ist also schwer, Pomians Pessimismus etwas entgegenzusetzen.


Vor vielen Jahren hat schon einmal ein versierter Museumsleiter und Museologe die Frage nach dem „Museum at the end of the time“ gefragt (Dieser Text ist mit zwei weiteren unter dem Übertitel To Help Think about Museums More Intensely als warm-up exercises in der Zeitschrift Museums News, November – December 1996 erschienen, sowie in: Stephen Weil: Making Museums Matter. Washington, Smithsonian Institution, 2002 ). Stephen Weil stellte uns mit seinem Text aber nicht vor alternativlose pessimistische Prognosen. Er skizziert, ironisch und gewissermaßen mit pädagogischer Absicht, wie sich MitarbeiterInnen von Museen je nach ihrer Aufgabe, die sie in der Organisation haben, auf das „Ende der Welt“ einrichten. Der Kurator, der Finanzverantwortliche, der Sicherheitsexperte usw.- wie reagieren sie? Nun, pragmatisch und befangen in ihrer jeweils speziellen, engen und professionellen Sichtweise, aber nie das Ganze des Museums im Auge behaltend. Weils Text ist also auch pessimistisch: Das Museum würde sich zu keiner wirklich nachvollziehbaren, alle Kompetenzen des Museums integrierend Haltung aufraffen können.


Der Große Unterschied zu Pomians Text ist aber der, daß Weil dem Museum zumindest das Potential von Handlungsmöglichkeit einräumt. Mag die Meinungsbildung innerhalb der Organisation angesichts beruflicher Befangenheit auch zersplittern, das Museum könnte und müsste eine Haltung gegenüber der Zukunft auch angesichts ihrer Hoffnungslosigkeit entwickeln. Und Weil fordert uns und die Verantwortlichen an Museen mit seinem Text dazu auf, darüber more intensely nachzudenken.


Pomian erwähnt so eine Möglichkeit einer aktiven Reaktion nicht einmal. Und das hat mit seinem selten einseitigen Museumsbegriff zu tun. Er sieht im Museum eine Art von ewigem Archiv, dessen wichtigste Aufgabe es ist, die ihm anvertrauten Dinge ohne erkennbaren zeitlichen Horizont zu bewahren. Für ihn liegt die „Bestimmung“ des Museums darin, „ihren Sammlungen eine unbegrenzte Zukunft zu sichern“. Daß die konservatorische Aufgabe des Museums nur Sinn macht, wenn mit den aufbewahrten, den deponierten Dingen in Ausstellungen sinnhaft und narrativ kommuniziert wird, interessiert ihn in diesem seinen Text nur allgemein und andeutungsweise. Er bleibt deskriptiv, wenn er die musealisierten kulturellen Güter „als Zeugnisse der menschlichen Innovationskraft“ sieht, wobei er einräumt, daß sie Zeugnisse sowohl der „Wohltaten“ wie der „Verbrechen“ seien.


Leider kann man Stephen Weils Sicht aber ebensowenig praktische Perspektiven abgewinnen. Museen scheinen solchen Herausforderungen, wie er sie an die Wand malt nicht gewachsen. Dabei durfte er sich noch spielerisch, in einer wie an einen Sci-Fi-Film erinnernden Szenario, bewegen. Alle annahmen waren fiktive. Jetzt droht aber ganz real, was damals bei ihm noch konstruiert war. Und es zeigt sich ja auch wirklich, wie überfordert die Museen aktuell sind, wenn sie ihre gesellschaftliche Funktion glaubhaft zu vertreten sollen. 


Der zur Zeit, in der Stephen Weil seinen Text verfasste, nicht denkbare Ernstfall ist eingetreten und wird bei Pomian eindrucksvoll detailliert als Zusammenbruch der Zivilisation beschrieben. Wo es keine Zukunft mehr zu geben scheint, wird das zukunftsorientierte Museum (das es, ich meine: wiederum widersprüchlich und einseitig, für Pomian ist) überflüssig. Ja mehr als das: das was einmal Fortschritt war und positiv besetzt war, ist nun völlig kontaminiert insofern er nur schädliche und „irreversible Veränderungen“ hervorgebracht habe. 


Die Zukunft werde deshalb nicht bloß gleichgültig gegenüber den Museen sein, sondern ihnen feindselig und wohl auch destruktiv gegenüberstehen. „Die Überreste der Vergangenheit, seien es Werke der Kunst oder der Technik oder historische Relikte, verdienen es nicht, bewahrt zu werden, außer vielleicht als Beispiele, wie man es nicht machen sollte. Da die Zukunft eine Serie von Katastrophen sein wird, werden die Menschen, die sie durchleben müssen, auf jeden Fall andere Sorgen haben, als sich für die Überreste einer Vergangenheit zu interessieren, die Schuld an ihrer unheilbaren Notlage ist.“ Die „radikale Ökologie“ ist „ein radikaler Antihumanismus. Als solcher verweigert sie den Museen jegliche positive Bedeutung, sie kann sie nur als Tempel eines Glaubens ansehen, der bekämpft und beseitigt werden muß. Ihr Sieg sollte er je eintreten, würde das Ende der Existenz von Museen bedeuten.“


Pomian bringt aber noch ein weiteres, ein drittes Krisenszenario zur Sprache. Er bleibt dabei ganz allgemein und knapp und wendet sich den großen politischen Spannungen zu. Er beläßt es bei einem einzigen Hinweis, auf die Rivalität im Dreieck USA, China und Russland und deutet eine „Verdüsterung“ an, die in der Veränderung „grundlegender Überzeugungen unserer Gesellschaft“ auswirken, „wie sie auch in den Museen zum Ausdruck kommen.“ Er läßt aber offen, was er darunter versteht. Etwa die zunehmende Kommerzialisierung der Museen, ihre Eventisierung (das Museum als Schwimmbad, als Ort kindlicher Geburtstagsfeiern, als Datingagentur)? Kommt der Kanon der „Werte“ ins rutschen oder schmilzt das das Museum tragende Bildungsbürgertum wie das arktische Eis?


Hier müsste doch die Frage nach der Verantwortung gefragt werden, die die Museen selbst haben, die Frage nach ihrer Reaktion auf die von Pomian beschriebenen Entwicklungen. Welche Reflexion kam aus den Museen selbst, welche Fragen haben sie an sich selbst gerichtet? Die Reaktionen auf die Coronakrise bietet da reichlich Stoff, sich dazu ein Bild zu machen. Sowohl nach der sogenannten „ersten Welle“ und eben jetzt, bei Beginn der zweiten, wehren sich Museen und Museumsverbände gegen die Unterschätzung der Museen als nicht „systemrelevant“ und gegen die Einstufung als „Freizeitorte". Kurzum - sie stellen genau die essentielle Frage, aber, ängstlich, nur indirekt und nicht offen: wer braucht uns noch und wer wird uns künftig noch brauchen und warum? Aber geben die Museen dazu Antworten?


Es gibt in ihren Reaktionen elitistische Arroganz, die sich wenig um solidarisches Verhalten schert und fürs Museum per se kulturelle und besondere Hochachtung fordert. Es gibt den Rückzug auf die mantraartig immer gerne wiedergekäute ICOM Definition, als ob die eine Antwort böte. Es gibt die Beschwörung eines vagen Bildungsbegriff, der nie auf den Punkt gebracht wird und nebulös bleibt. Es gibt die Behauptung, nicht weniger als den Zusammenhalt der Gesellschaft zu bewirken, so als ob eine solche identitätspolitische Funktion je durchdacht und in ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit je eine dieser Behauptung angemessene Museumspraxis hervorgebracht hätte. Und es gibt die Flucht in die Kommerzialisierung, von der Pomian befürchtet, daß sie sich angesichts der doppelten Bedrohung der Museen noch verstärken wird.


Museen haben es im Konkurrenzkampf um ihren Status und um Quoten, den sie mit andern  kulturellen Institutionen und Events austragen, verlernt, sich sowohl historisch in der Geschichte ihrer Institution fundiert zu definieren noch als aktuell gesellschaftspolitische Akteure zu positionieren. Sie konnten sich auf breiter Anerkennung ausruhen, die weder der Marktlogik unterworfen schien noch der Ökonomie der Aufmerksamkeit: Museen schien in ihrem „Wert“ unantastbar. Da gab es nichts mehr zu begründen oder zu rechtfertigen. So überrascht es nicht, wenn die derzeitige zentrale Forderung der Museen lautet: Lasst uns wieder aufsperren, damit wir weitermache können wie bisher.


Allerdings: Was der eben verstorbene Berliner Philosoph Klaus Heinrich der Universität bescheinigt hat (Selbstaufklärung und Verdrängung. Der Gesellschaft ein Bewusstsein ihrer selbst gebe. Interview. Deutschlandfunk Kultur 5.11.2017 https://www.deutschlandfunkkultur.de/selbstaufklaerung-und-verdraengung-der-gesellschaft-ein.2162.de.html?dram:article_id=399906), kann man auch für das Museum behaupten: beide Institutionen haben ihre aufklärerische Bedeutung verloren. Hier wird nicht nur nicht mehr die Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst angesichts drohender Katastrophen betrieben. Hier haben die Institutionen auch verlernt, diese Aufgabe überhaupt als ihre essentielle wahrzunehmen. Der Museumsbetrieb ist blind geworden gegenüber den Bedingungen und Herausforderungen, aus denen diese einzigartige, merkwürdige und widersprüchliche Institution einmal entstand. Heute ist unklarer denn je, was die Res Publika denn vom Museum eigentlich zu erwarten hat. Der Pessimismus ist begründet, aber er kommt nicht allein aus einer Entwicklung, die die Museen nicht beeinflussen können, sondern er kommt aus ihrer Schwäche, es erst gar nicht versuchen und als ihre dringendste Aufgabe sehen zu wollen.


Montag, 23. November 2020

Wir sind systemrelevant! Wir sind unverzichtbar!

Heute in der Süddeutschen Zeitung: Wir sind systemrelevant: Der Theaterbetrieb kreist in der Krise nur larmoyant um sich selbst. Damit tut er sich keinen Gefallen.

Dazu der SZ-Mitarbeiter Peter Laudenbach: Es genügt Ulrich Khuon (Präsident des Deutschen Bphnenvereuns. Anm.GF) und seinen Kollegen und Kolleginnen in den Chefetagen der Theater nicht, Ansteckungsrisiken kleinzureden. Sie überhöhen das Theater, als sei es die wichtigste Instanz des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das letzte Bollwerk gegen Barbarei, Vereinsamung und Sinnkrisen. In dieser schrägen Logik erscheint eine vorübergehende Theaterschließung aus Gründen des Gesundheitsschutzes wie die administrative Anordnung zum Untergang des Abendlandes. So erklärt Khuon in seinem Brief an die Kanzlerin, 'das Schließen dieser wichtigen öffentlichen Orte' stifte 'großen gesellschaftlichen Schaden'. Theater und andere Kultureinrichtungen seien 'Orte des Austauschs, die für die Gesellschaft eine unverzichtbare Bedeutung haben' ... Außerhalb der Theaterblase mutet solch pathetische Rhetorik nicht nur schwer nachvollziehbar an. Sie ist Es genügt Ulrich Khuon und seinen Kollegen und Kolleginnen in den Chefetagen der Theater nicht, Ansteckungsrisiken kleinzureden. Sie überhöhen das Theater, als sei es die wichtigste Instanz des gesellschaftlichen Zusammenhalts, das letzte Bollwerk gegen Barbarei, Vereinsamung und Sinnkrisen. In dieser schrägen Logik erscheint eine vorübergehende Theaterschließung aus Gründen des Gesundheitsschutzes wie die administrative Anordnung zum Untergang des Abendlandes. So erklärt Khuon in seinem Brief an die Kanzlerin, 'das Schließen dieser wichtigen öffentlichen Orte' stifte 'großen gesellschaftlichen Schaden'. Theater und andere Kultureinrichtungen seien 'Orte des Austauschs, die für die Gesellschaft eine unverzichtbare Bedeutung haben' ... Außerhalb der Theaterblase mutet solch pathetische Rhetorik nicht nur schwer nachvollziehbar an. Sie ist peinlich."

Man kann mühelos das Wort Theater durch Museum ersetzen und sich fragen, ob die Kritik exakt genau so auch an den Museen und Museumsverbänden geübt werden müsste.