Montag, 24. Januar 2022

Die beste Ausstellung 2021

„Man fragt sich, ob die Geschichte nicht im Begriff ist, 

eine geistreiche Synthese von zwei nietzscheanischen Begriffen zu schmieden, 

nämlich die des guten Europäers und die des letzten Menschen. 

Das könnte den letzten Europäer ergeben. 

Wir alle kämpfen darum, nicht zu einem solchen zu werden.“

Walter Benjamin (Zitat aus der Ausstellung)

 

Als ich kürzlich etwas über die (meiner Meinung nach) schlechteste Ausstellung 2021 geschrieben habe, wurde ich aufgefordert mal (und doch besser) über die beste Ausstellung des vergangenen Jahres zu schreiben. Es gibt da für mich sogar mehrere Anwärter, aber ich habe mich für "Die letzten Europäer. Jüdische Perspektiven auf die Krise einer Idee" entschieden. Warum? Weil es ein Beispiel für eine eminent politische Ausstellung ist, die zur Debatte um zeitgenössische Verhältnisse beiträgt. Und die zeigt, wie so etwas mit bescheidenen Mitteln möglich ist.

Ein weiterer Grund für meine Wahl ist, daß sie derzeit in Wien zu sehen ist, am Volkskundemuseum, und zwar bis 18.April. Entstanden ist die Ausstellung am Jüdischen Musuem Hohenems, kuratiert von Michaela Feuerstein-Prasser und Felicitas Heimann-Jelinek.

Die Ausstellung hat zwei Anliegen. Einmal geht es um das - weniger denn je - geeinte Europa, in dem Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit immer mehr zunehmen und damit die Idee einer die Katastrophengeschichte des 20.Jahrhunderts überwindene Gemeinsamkeit bedrohen. Sowie zweitens die Beiträge jüdische Bürger, die maßgebliche ideelle, kulturelle und rechtliche Grundlagen dieser Eingung auf der Grundlage universellen Geltung der Menschenrechte entwickelten.

So bescheiden medial und räumlich die Ausstellung daherkommt (ich wiederhole mich), so sehr dreht sie sich um aktuelle, dringende und in öffentlicher Debatte überfällig auszutragende Themen. Sie ist reich an Information und läßt die Geschichte der Idee der friedlichen, antagonistische Nationalinteressen überwindende europäischen Kooperation sehr gut nachvollziehen.

Ein Konflikt wie der hochaktuelle um die Ukraine, der sich bei der Planung der Ausstellung noch nicht angebahnt hatte, ist ein Beispiel dafür, was da alles auf dem Spiel steht, in und für Europa. Der Katastrophen-, der Erfolgsgeschichte Europas aber auch der Gefährdung der Idee eines friedlichen und geeinten Staatenbundes - dem ist die Ausstellung gewidmet.


Beide Fotos stammen aus der Fassung der Ausstellung, wie sie im Jüdischen Museum Hohenems gezeigt wurde. Fotos:G.F. 2021


Samstag, 8. Januar 2022

Eine Kritik am neuen Volkskundemuseum Graz. Eine "Verschlimmbesserung". Elsbeth Wallnöfer


Vorbemerkung

Elsbeth Wallnöfer hat eine Kritik des Grazer Volkskundemuseums zur Veröffentlichung im Blog angeboten. Ihre Kritik bezieht sich auf eine Neuaufstellung der Dauerausstellung, die als Teil der einer vom Universalmuseum Joanneum ausgerichteten Landesausstellung (2021, teilweise 2022) konzipiert wurde und die aus insgesamt vier Teilen bestand: einem Pavillon, der an mehreren Orten aufgestellt wurde, einer Ausstellung im Kunsthaus, einer im Museum für Geschichte und eine im Volkskundemuseum. Nur dort bleibt die Landesausstellung als Dauerausstellung bestehen.

Die drei Teile der Ausstellung die am Universalmuseum gezeigt werden haben ein übergeordnetes Prinzip: die Ausstellung im Museum für Geschichte hat es unter dem Motto „Was war“ mit der Vergangenheit zu tun, das Kunsthaus beschäftigt sich mit dem „Was sein wird“ und schließlich hatte es das Volkskundemuseum mit der Gegenwart zu tun, mit „Wie es ist“.


Die drei Ausstellungsteile bildeten aber keinen narrativen Bogen und die drei Zeitdimensionen wurden auch nicht genutzt um Differenzerfahrung zwischen den Zeiten zu ermöglichen. Denn es gab keinen erkennbaren Versuch, einen Zusammenhang zwischen den drei Teilen zu stiften, um damit übergreifend Geschichtserfahrung zu ermöglichen.

 

Doch um was für eine Ausstellung handelte es sich denn? Die Steiermark Schau, wie sie hieß, gehörte zweifellos dem Typ Landesaustellung an, wie er in Österreich in vielen Bundesländern jährlich ausgerichtet wird. Diesmal stand aber nicht wie bei diesen Ausstellungen üblich, ein bestimmtes Thema im Mittelpunkt (wie z.B. „Die Römer“, „Wallfahrt“ oder „Peter Rosegger“), sondern das Land selbst. Sozusagen ein Wirtshaus zum Wirtshaus, eine Landes-Landesausstellung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das ganze Land – in topografischer wie zeitlicher Hinsicht. Das ist etwas Neues und wird auch als etwas Neues beworben.


Auftraggeber ist die Politik, das von der ÖVP geführte Kulturressort und die Marketingtexte auf der Webseite der Ausstellung ähneln zum Verwechseln politisch-programmatischen Statements. (https://www.steiermarkschau.at/steiermark-schau)

Von den drei Ausstellungsteilen dient sich ausgerechnet die auf Dauer berechnete im Volkskundemuseum am stärksten einer „Leistungsbilanz“ der Steiermark an. Man darf hier keine nennenswerte Relativierung oder Kritik erwarten. „Das Land“ wird als wohlverwaltet, stabil, weitestgehend konfliktfrei dargestellt. In keiner der bisherigen österreichischen Landesausstellung hat sich ein Land derart selbst zum Thema gemacht und eine überwiegend bejahende und bestätigende Haltung vermittelt. 


Es wären auch die beiden anderen Teile der Ausstellung einer näheren Untersuchung wert, vor allem, die, die sich mit der Vergangenheit beschäftigt, aber vielleicht schreibt ja jemand mal auch dazu etwas.

 

Einer Analyse wert wäre auch der terminologische Wandel. Von der Landesausstellung zu Steiermark-Schau. Wikipedia kennt das deutsche Wort "Schau" gar nicht, nur seine englische Form, show, und da eher als Fernseh- und Medienereignis, dem eher Unterhaltungscharakter als Informationsabsicht zugeschrieben wird.


Ich habe Elsbeth Wallnöfers Text an anderer Stelle um einige Anmerkungen ergänzt und mir dabei mehrere Texte und ein Objekt vorgenommen, die Aufschluss über die Ausstellung geben. Dieser Post findet sich hier.


Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Ihre Kommentare erscheinen u.a. in den Tageszeitungen STANDARD, KURIER und FALTER. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter „Märzveigerl & Suppenbrunzer. 555 Begriffe aus dem echten Österreich“ (Verlag Anton Pustet 2014) sowie „Geraubte Tradition. Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten“ (Sankt-Ulrich-Verlag 2011). Bei Haymon erschien ihr Buch „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“, in dem sie den Begriff „Heimat“ durchleuchtet und neu denkt. 2020 folgte das Werk „Tracht macht Politik“. (Hamon Verlag).


Hier nun der Text von Elsbeth Wallnöfer. Mit der Anmerkung, die für alle Gastbeiträge im Blog gilt. Die Meinung der Autorin muß nicht mit der des „Redakteurs“ (des Verantwortlichen des Blogs) ident sein.


Elsbeth Wallnöfer


Wiedereröffnung des Volkskundemuseum Graz, Johanneum.. Von der Verschlimmbesserung einer Neuaufstellung


Überschattet von der Covid-Krise, erfolgte, unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Eröffnung der neuen Schausammlung des Volkskundemuseum Graz. Die Chance anlässlich des österreichischen Museumstages zwischen den Lockdowns das Volkskundemuseum zu besuchen, stimmte daher hoffnungsfroh.


Ein Volkskundemuseum im 21. Jahrhundert neu zu gestalten, Erzählung und Objekte von bisherigen wissenschaftshistorischen Mängeln der Vergangenheit zu lösen, diese in die Gegenwart zu überführen, sie mit zeitgemäßen Mitteln der Darstellung zu erzählen, sind in der Tat eine Herausforderung. Leider ist dies nicht nur nicht gelungen, es ist auch noch gehörig schiefgegangen. Wir haben es hier also mit einer umgangssprachlich benamsten Verschlimmbesserung zu tun.


Bei bestem Willen und aufrichtiger Bereitschaft auch nur ein geringes Maß Versöhnung zwischen alter Aufstellung und neuer Präsentation zu finden, es will nicht gelingen. Zu groß sind die Wirrungen, die Irritationen, die Orientierungslosigkeit, die beträchtlichen Textbausteine, die unzählbare Summe der Objekte, Tafeln und Plakate, die gefühlt hunderttausend Schilder, die hauptsächlich Verwirrung stiften, denn Orientierung geben. Versuche, sich die Schausammlung über den Weg einer chronologischen Ordnung zu erschließen, versagen ob mangelnder Orientierungshilfe. 


Obwohl der Anspruch Volkskunde/Kulturgeschichte mit zeitgemäßen Begriffen zu erzählen und die Regionalgeschichte aus einer wirtschaftshistorischen Perspektive darzustellen spürbar wird, verzweifelt man am gestalterischen Wust und der Vielfalt von Begriffen, Objekten, Definitionen, Tafeln. Das grafische (naiv-dekorativ-kitschige) Orientierungssystem tut sein Übriges. Die Raumtexte befinden sich auf dreibeinigen zusammengeklappten Glühweintischen, die derart dominant sind, dass sie eigene Museumsobjekte zu sein vorgeben und die wie zufällig von der Raumpflegerin hingestellt wirken, scheinen sich im Verlauf des Rundganges gefühlt zu vermehren, derart aufdringlich sind sie. 


Richtungsweisende Applikationen des Orientierungssystems, die auf das Generalthema „Wie es ist“ (leider ohne Fragezeichen) hinweisen wollen, irritieren mehr, als sie der Aufklärung dienen. Eigentlich hätte ich gewarnt sein sollen, denn das Trauerspiel kündigt sich bereits im Entrée an. Man glaubt in eine Seminartagung sämtlicher österreichischer Regionalbanken hineingeplatzt zu sein. Name und Lageplan des Museums muss man hinter Werbebannern und einem wenig geschmackvollen, lieblos hingestellten Tisch, auf dem sich zahlreiche Folder befinden, erst suchen. Der Weg zum Frontdesk will wie in einem Kaufhaus gesucht werden. Gefunden, bringt die anschließende Empfehlung des Personals auf den Beginn des Rundganges Orientierung, die nicht lange währt.

 

Die Schwierigkeiten der Neuaufstellung einer Sammlung, die großen Anteil bei der Ausbildung der kulturpolitisch lancierten Identität hatte, ist in der Tat kein leichtes Unterfangen. Bisherige sakrale Aufladung, die wesentlicher Bestandteil regionaler Kulturpolitik ist, gilt es zu brechen, ohne ganz auf sie zu verzichten; Ist sie doch auch Teil der kulturhistorischen Selbstbeschreibung.  


Für Graz ist daher auch der Umgang mit dem „legendären“ Trachtensaal ein wichtiges, symbolisches Kriterium bei der Erneuerung der Schausammlung. Der Versuch ist allerdings gehörig fehlgeschlagen. Den Saal einfach zu belassen, wie er war, wäre angesichts der diffusen, nervösen Intervention besser gewesen. Nunmehr ist es nicht mehr möglich, zwischen den einzelnen Glasvitrinen durchzugehen, Figurinen und Details an ihrer Kleidung zu betrachten. Sie sind nämlich von einem mit Begriffen bedruckten Banner abgeschirmt, so als wären die Besucher*innen  Demonstrant*innen, die es fernzuhalten gilt. Wo früher zur näheren Betrachtung durchflanieren möglich war, stehen jetzt die braunen, zusammengeklappten Raumtexte-Glühweintische. Die in den Gründungsjahren des Museums aufgestellten Objektbeschriftungen in Frakturschrift innerhalb der Vitrinen behielt man bei, warum eigentlich?


Beleuchtet werden die Figuren unverändert wie eh und je, immer noch. In diesem Saal gipfelt das Desaster, das Volkskundemuseum neu zu erzählen und zu gestalten, zeigt sich deutlicher als in den anderen Räumen, dass die Dissonanz zwischen Ausstellungsarchitektur und Kuratorenschaft großen Anteil gehabt haben muss, möglicherweise gar eine pfiffige Neuerzählung verhinderte. Die Dominanz der Ausstellungsarchitektur ist nicht nur ästhetisch fragwürdig, sie ist auch erzählerisch wie betrachterisch kontraproduktiv. Ein mit beliebig und allerlei Begriffen bedrucktes Absperrband verunmöglicht Betrachtung, wo sie wesentliche Deutung überhaupt erst ermöglichte. Die Betrachterin jedenfalls fühlt sich ausgegrenzt, ein bissl so, als hätte man sich verirrt, einen Saal betreten, der sich gerade in Umbau befindet.

 

Neu ist also die fast schon chaotische Irritation. Weniger Textfragmente, Texttafeln und Textdeko wäre von Vorteil gewesen. Mit einer ausgefeilten Beleuchtung und Umstellung der Figurinen wäre ganz sicher eine effektvollere Erzählung erreicht worden. 

Ein wenig deprimiert und wie auf der Flucht, findet man vom Trachtensaal zurück auf den Parcours der Sammlung und frägt sich hilfesuchend, ob man sich im Augenblick in einer Sonderausstellung oder der ständigen Repräsentation befindet.

 

Die Hoffnung, ein neues, mit den Mitteln und im Kontext der Zeit präsentiertes Volkskundemuseum eröffnet zu bekommen, ist spätestens an dieser Stelle perdu. Graz ist Beispiel, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Es zeigt anschaulich, dass vorher manchmal das bessere Nachher ist. Dabei scheint es keine Hexenkunst zu sein, einen Wandel herbeizuführen. Dazu hätte genügt, Maß am Tiroler Volkskunstmuseum zu nehmen. Dieses stand vor räumlich-baulichen und strukturell ähnlich komplexen Herausforderungen. Alle Künste und Tricks der Ausstellungsarchitektur (Licht, Ausstattung, Orientierung, Präsentation der Objekte) harmonieren dort mit einer quellenkundlich zeitgemäßen Erzählung. In Innsbruck verlässt man das Museum schlauer als beim Betreten des Hauses, in Graz sucht man unter Drehschwindel den Ausgang, erleichtert wieder draußen zu sein sucht man den Weg in die Neue Galerie, wo es verlässlich feine Ausstellungen hat.

 


 

 

Uns geht es gut! Einige Anmerkungen zum neuen Volkskundemuseum des Universalmuseum Joanneum

Elsbeth Wallnöfer hat mir einen Text angeboten (er findet sich hier), in dem sie die neue Dauerausstellung des Volkskundemuseums in Graz kritisiert. Ich ergänze ihre Kritik mit dem Blick auf einige Texte, die im Museum Orientierung bieten und um ein Objekt. 



Der Text "Uns geht es gut!" stimmt den Grundton der gesamten Ausstellung an. Die Steiermark ist ein Land des Wohlstandes und des Wohlergehens. Es mögen nicht alle daran teilhaben können, aber so wie es ist, ist es gut. Konflikte, Krisen, Spaltungen, Interessensgegensätze - all das existiert nicht.
Als Teil der "Landesausstellung 2021" stand er für "Wie es ist". "Uns geht es gut" ist die Antwort darauf. "Wie es ist, ist es gut".




Es gibt sie also doch: Die Krise. Aber sie liegt in der Vergangenheit. Mit 1945 darf man abbrechen. Doch das Heimatwerk existiert noch immer, Volkskultur hat in der Kulturpolitik der Steiermark einen hohen Stellenwert und ist ein Lieblingsthema der FPÖ. Mit "Aufsteigern" pflegt man ein problematisches Volksfest, das wieder einmal auf "Tracht" und "Steirertum" setzt.
Immerhin: Viktor Gerammt, der in der Vorgänger-Ausstellung noch ungebrochen wohlwollend und las Heros der Volkskunde vorgezeigt wurde, wird in einen historischen Kontext gerückt. Aber ohne, daß sein Deutschnationalismus und seine Versöhnbarkeit mit der NS-Ideologie erwähnt würden. Über Gerambs Ideologie erfährt man nichts und damit nichts über die ideologischen Wurzeln des Volkskundemuseums.


Ein Ort in Veränderung? Ja, sicher. Aber worin die Veränderung bestand und besteht, wird uns in diesem Text nicht erzählt. Die Umstände der Gründung werden komplett ausgeblendet - und damit die Chance vergeben, das heutige Museum in der Differenz zu seiner (Gründungs)Geschichte zu erläutern.
Der Gemeinplatz von den Akteurinnen, die eine Institution prägen gilt also für die Geschichte des Hauses - davon erfahren wir nichts -, wie für die erneuerte aktuelle Version: wer die Akteurinnen (Gruppen, Vereine, Personen, Initiativen) waren, wie man sie ausgewählt hat und wie sie das Museum mit geprägt haben. wird nicht gesagt. Die Frage, die heute unabdingbar im Grunde zu jeder Ausstellung gehört, wird nicht gestellt und nicht beantwortet: Wer spricht?


Der Text setzt Bildungsbedürfnis und Bildungspolitik offenbar gleich, letztere scheint nur. vom Bildungsbedürfnis geleitet. In der Steiermark, so lesen wir, ist das Gleichgewicht zwischen beidem harmonisch und intakt und befindet sich in Einklang mit nationaler Bildungspolitik. Über deren Ziele und Schwerpunkte erfahren wir nichts. Z.B. nicht über die gerade in Österreich sehr stark ausgeprägte Diskriminierung sozialer Gruppen durch das Schulsystem. Über die generell sozial ungleich verteilten Bildungschancen generell fällt kein Wort.



Ein interessantes, anregendes Objekt. Ein Objekt, das aber auch zeigt, daß modernes Marketing in Hinblick auf Reflexivität, Ironie, Rücksicht auf Konsumenten (Publikum) Museen weit voraus sein kann. Daß auch Konsum "geändert" ist und man darauf Rücksicht nehmen muß, das hat SPAR z.B. dem Volkundemuseum voraus, das Identitätsproduktion - "Ich bin eine Steirerin" -, pfiffig und effektiv kommuniziert werden kann, zeigt sich nicht bloß am Text, sondern auch an der landesspezifischen Farbe, dem Grün, das in einem Museumstext ausschließlich affirmativ beschrieben wird. Letztlich zeigt die Tragetasche auch, was kollektive Identität heute ist: Konsumgut. "Die Stiermark gibts bei". 
Reflexivität des Museums auf seine institutionellen Bedingungen hin ist seit Jahrzehnten eine wie ein. Mantra wiederholte Formel, die selten das Ausstellen wirklich prägt. Es ist erstaunlich, daß das Wiener Volkskundemuseum schon vor etwa 20 Jahren durch eine (dezente) Historisieren der wissenschaftlichen Grundlagen, der Volkskunde als Wissensdisziplin, Reflexivität in seine Dauerausstellung einbezogen hat. Unterstützt in manchen Räumen durch einen ostentativen Zeigegestus, der das Museum als Ort des wandelbaren Wissens und des wählenden und deutenden Zeigens kenntlich machte.
Auch im Tiroler Volkskunstmuseums hielt, nicht an jedem Sammlungsabschnitt, Reflexivität Einzug. Eindrücklich und gewitzt durch die verfremdende Beleuchtung der leergeräumten Stuben, deren Authentizität auch dadurch konterkariert wurde, daß man sie als Kulissen wahrnehmen kann. Man sieht das "Gemachte", das Handwerkliche, die Erzeugung der ins Museum. übertragenen Artefakte und bekommt damit eine Ahnung von der grundsätzlichen Performativität des Museums.
Es ist erstaunlich, daß das Grazer Volkskundemuseums auch in seiner zweiten Erneuerung, hinter diesen - selbst schon historisch gewordenen - Ansätzen zurückbleibt. Ganz zu schweigen von der sehr weit gehenden partizipativen "Überarbeitung" oder "Überformung" der Wiener Dauerausstellung unter dem Titel "Die Küsten Österreichs".












Dienstag, 4. Januar 2022

Das Kunsthaus in Zürich im Sperrfeuer der Kritik

 Im Dezember hat das Kunsthaus Zürich und die Stiftung Bührle auf die öffentliche Kritik reagiert. In einer Pressekonferenz, nach der die Heftigkeit der Debatte sich noch steigerte. Denn was dort gesagt wurde, wurde ziemlich einhellig (in den Schweizer Leitmedien) kritisiert. Der Präsidenten der Sammlung Emil Bührle Alexander Jolles äußerte sich dort nämlich so (zitiert aus der Zeitschrift Tacheles vom 17.12.2021):

«Ja, die Schweiz hat Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen, jüdische und andere, wie wir das in Europa heute überall sehen, in Zeiten des Wohlstandes und des Friedens. Aber Verfolgung, jüdische Verfolgung, staatlich orchestrierte Verfolgung gab es in der Schweiz nicht. Juden in der Schweiz in den Kriegsjahren mussten nicht um ihr Leben bangen, sie mussten nicht um ihr Eigentum, um ihr Hab und Gut bangen, es gab hier keine staatliche Verfolgung und daher ist die Situation anders und soll auch in den Einzelfällen berücksichtigt werden. Klar, wenn jemand kein anständiger Marktwert erhalten hat, klar, wenn jemand übers Ohr gehauen wurde oder unfair und unrichtig behandelt worden ist, dann muss man das heute berücksichtigen und muss es werten. Aber es ist nicht so, dass jedes Rechtsgeschäft, das ein jüdischer Emigrant in der Schweiz und in den USA und in anderen nicht besetzten Gebieten getätigt hat, dass jedes dieser Rechtsgeschäfte verdächtig ist und primär einmal als verfolgungsbedingt erzwungen betrachtet werden kann, sondern wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, es gab einen ordentlichen Handel. Millionen von Leuten haben im Krieg gelitten haben ihr Leben verloren, haben ihr Hab und Gut verloren, aber Millionen haben weitergelebt und in einem ordentlichen normalen Handel weitergelebt, in der Schweiz und anderswo. Das muss auch berücksichtigt werden.»

Tacheles war daraufhin Jolles Antisemitismus vor und die Künstlerin Miriam Cahn kündigte an, ihre Werke - immerhin an die vierzig -, aus dem Kunsthaus abzuziehen. Auch sie nimmt das Wort Antisemitismus in den Mund.

Aus der Dokumentation zu Bührle, seiner Biografie, seiner Sammlung. Foto: GF 2021

Kaum hatte sich Debatte angesichts der Feiertage abgekühlt, und konnte sich die NZZ mit der (m.M. eher nicht so interessanten Frage) nach der Person Bührles beschäftigen (also eher ausweichen), zündete der Direktor Christoph Becker des Kunsthauses den nächsten Feuerwerkskörper. Er habe sich unter anderem während der Planungen namentlich des Dokumentationsraumes zur Bührle-Sammlung mit Ronald S.Lauder beraten. Also mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Der ließ umgehend dementieren. So ein Gespräch habe es nicht gegeben. Die Pressestelle des Kunsthauses beharrte weiter auf der Sichtweise des Direktors. Der Tagesanzeiger ließ Becker daraufhin ausrichten, er möge seinen Platz der designierten Nachfolgerin möglichst sofort überlassen.

Die Zeitung fasst die jüngsten Ereignisse als "kommunikatives Desaster" zusammen. Das ist es auch, aber es ist auch ein Beharren auf historisch und ethisch unhaltbaren Positionen. Tacheles resümiert so: "Primär allerdings geht’s darum, wie eine Stadt mit einem belasteten Erbe, mit Nazi-Geschichte im öffentlichen Raum umgeht und sich dieser nicht stellt."

Montag, 3. Januar 2022

Aktuell (Sokratische Frage 72)

Wem soll das Museum dienen?

Fragt die heutige Süddeutsche Zeitung

Museumsdebatte. Viel Platz für keine Ideen. Die Süddeutsche Zeitung eröffnet uns zum Jahresbeginn ihre Zukunftsvision der Museen


Die Süddeutsche Zeitung reserviert heute, am 3.1., eine ganze Seite für - wie es im Untertitel heißt -, „Ideen für das Museum der Zukunft“. Ich lese nicht nur den Text, ich überlege, was thematisiert wird und was nicht und wie diese Seite ausgemacht wird. 

Da ist zunächst einmal die Überschrift, „Portikus und Punktbelastung“. Das ist mal unverständlich und schrumpelt im elendslangen Untertitel auf ein Bündel von durcheinendergewürfelten Aspekten: „Museen sollen Mensch und Kunst zusammenbringen. Das Stadtmarketing setzt auf spektakuläre Fassade und teure Gastronomie. Dabei braucht die Kunst etwas ganz anderes“.

Damit noch nicht genug. Es gibt am Kopf der Seite noch eine Überschrift: „Welche Orte braucht die Kunst? Hier einige ganz besondere Museumsbauten - und Ideen für das Museum der Zukunft“.

Es geht also um DIE Kunst und IHREN ORT, um das MUSEUM und das MUSEUM DER ZUKUNFT, um DEN MENSCHEN aber auch ums STADTMARKETING, die MuseumsARCHITEKTUR, also auch den PORTIKUS, als ein typologisches Element von Museumsarchitektur (Aber was ist mit „Punktbelastung“ gemeint?)

So viel Überschrift, die so viele Fragen aufwirft für ganze vier Spalten Text, die bloß ein Drittel der Höhe Seite einnehmen. Eine Glosse, kaum mehr. Die restlichen Drittel der Seite gehören oben einer Zeichnung vom Portikus des Kasselerer Fridericianums und unten Miniporträts von wenigen Zeilen von sechs Museen, jeweils begleitet von einer Zeichnung.

„Museen sollen Menschen und Kunst zusammenbringen“. Der Teil des Überschriftendschungels enthält bereits mehr unaufgeklärte Fragen, als der kurz geratene Artikel beantworten kann. „Menschen“? Alle? Welche? Alle sollen? Ohne Unterschied? Warum? Kunst? Die Kunst oder welche? Alle Kunst für alle Menschen? Sind Museen per Definitionen nun Kunstmuseen oder kommt’s darauf nicht an? Das ist jetzt etwas haarspalterisch argumentiert, denn ist ja offensichtlich, daß dieAutorinnen des Artikels, Catrin Lorch und Laura Weissmüller, Kunstmuseen im Auge haben. Aber die notorische Gleichsetzung von Museum und Kunst/Kunstmuseum nervt.

Der Text beginnt mit einem kurzen Abschnitt zum Fridericianum in Kassel (deswegen die Grafik mit dessen Portikus), das Landgraf Friedrich II. „Als ein Zeichen … für Aufklärung und betont städtische Öffentlichkeit“ errichten ließ „als erstes Museum überhaupt auf dem europäischen Kontinent“.

Das Fridericianum gehört zu einer Reihe deutscher Fürstensammlungen, die eine für sie gebaute Architektur erhielten, wobei die reichen Quellen zur praktischen Nutzung des Museums wenig hergeben, als es im frühbürgerlichen Sinn als öffentlich zu bezeichnen. Die Nutzung unterlag diversen, sozial einschränkenden Regelungen. Diese Museen hatten indes nicht nur mehr fürstliche Repräsentation zum Zweck, sondern schon ein - vom Fürsten definiertes -Staatswohl. Das ist das Fortschrittliche an ihnen. Erst so an die zwanzig Jahre später entstand das, was wir bis heute „Museum“ nennen: die von der öffentlichen Hand getragene, steuerfinanzierte, dem Anspruch nach allen (in Realität bis heute eher wenigen) zugängliche Bildungseinrichtung mit „indirektem Staatznutzen“ (Hermann Lübbe). 

Insofern ist die Bezeichnung als „erstes Museum“ irreführend, der Zusatz vom „ersten Museum überhaupt auf dem Kontinent“ schlicht unsinnig, weil die Institution Museum in Europa entsteht und von dort aus, 1810ff. rasch auf alle Kontinente, z.T. als ein Effekt von Kolonialisierung, „exportiert“wird.

Noch im selben Aufsatz lenken die Autorinnen die Aufmerksamkeit der Leser auf die Architektur des Fridericianum, genauer gesagt auf den Portikus, der die antike Tempelfassade zitiert, mit Giebel, Säulen, Treppe. Diese Typologie mache das Fridericianum „zum Vorbild schlechthin für Museen in der westlichen Welt“. Allerdings gehört dieser architektonische Topos auch zum fürstlichen Schlossbau. Eine Überlegung, warum ausgerechnet der antike Sakralbau zum Vorbild der frühen Museumsarchitektur wird, folgt hier nicht. Ich beckmessere jetzt kein zweites Mal und vertiefe mich daher nicht in die etwas komplexere Geschichte der sich entwickelnden Museumsarchitektur, und die diversen architektonischen Lösungen, die für diese Zeit entwickelt wurden, sondern mache mit den Autorinnen den Kopfsprung in den zweiten Absatz mit, der vom Tempel (als bauliches Zitat) zur Metapher des Kunsttempels überleitet. Halsbrecherisch.

Denn: „Die Kulturwelt“ hat „den Kunsttempeln den Kampf angesagt, gelten sie doch als zu elitär“. Ist das so? Hat sich der „Tempel“ nicht wie von selbst im von Museen selbst vorangetrieben Konsumationen Selbstverständnis aufgelöst. Bedurfte es da noch der Kritik? Die Kritik gibt es, ja - aber es gibt auch das Festhalten an einem elitistischen Selbstverständnis von Museen und ihre Verteidiger. Als elitär und als faktisch abweisend erweise sich sowohl die Architektur als auch, etwas überraschend, die hochpreisige Gastronomie in den Museen, „die seit einigen Jahren zum festen Bestandteil jedes neu eröffneten Museum gehört“. Der Elitismus der Museen gründet aber wohl kaum in abweisender Architektur oder hohen Konsumationskosten. Sondern in der sozialen Zugehörigkeit von Menschen. Sie entscheidet über den formalen Bildungsgrad und der wiederum über die Nutzung oder eben Nichtnutzung hoch-kultureller Einrichtungen wie sie auch Museen nun mal sind.

Das Verschweigen dieses Umstandes ist ein „interessiertes Schweigen“ (Pierre Bourdieu) und eines, das nicht nur verschweigt, daß materielle Bedingungen über den Genuss und Bildungswerte in Museen entscheiden, sondern daß diese Werte selbst (der Kanon der Kunstwerke, der Kanon der wertbesetzten kulturellen Güter…) sich elitistischer Wahl verdanken, aber als allgemeine gültig und verbindlich gelten. Deshalb läßt sich ganz in diesem Sinne von den Autorinnen in ihrem Text sagen: „MENSCH und KUNST“ sollen zusammengebracht werden.

Warum? „Wem muß das Museum dienen?“ fragen uns die Autorinnen. Die Antwort ist ein Ausweichen auf eine ganz spezielle, wenn auch wirklich nicht unwichtige Frage. An Gehrys Museum in Bilbao wird das Scheitern einer vom Stadtmarketing gesteuerten Entwicklung dargestellt. Es sei zur Gentrifizierung gekommen und es seien keine neuen Jobs entstanden. Und was wenn das Stadtmarketing solches gar nie im Sinn gehabt hätte. Wenn die Gentrifierung auch anderswo durch Museumsbauten vorangetrieben worden wäre, etwa in London mit der Tate Modern, die dann unter den sechs vorbildlichen Museen genannt wird? Das Stadtmarketing ist ja nicht die Ursache einer Entwicklung sondern ein Werkszeug und Symptom städtebaulicher Entwicklung, die von - in der Regel - anonymen Investoren gesteuert und getrieben wird.

Hier wird schon wieder das Thema gewechselt. Was denn nun mit dem Publikum ist, oder wohin denn die durch Gentrifizierung vertriebenen Menschen gehen, ist weniger interessant, als die Sorge um die Kunst, die in den „gebauten Spektakeln“ schlecht untergebracht sind. „Wie viel Schutz die Kunst braucht“ fragen sich und uns die Autorinnen, „Wie viel Licht?“ oder „welche Grundrisse?“ „Wäre nicht viel mehr die technische Ausstattung in Zeiten von Installations- und Medienkunst wichtig? Die CO2-Bilanz oder eine hauseigene Cloud?“ Und das senkt die zitierte „Schwellenangst“, das macht die Zukunft des Museums aus?

Was macht denn nun ein Museum aus, das auf seine Zukunft weist? Dazu gibt es sechs Beispiele, die „ nicht als Kunst-Kulissen geplant“ wurden und wo die „Räume“ ihre „Wirkung im Wechselspiel mit der Kunst - und ihrer Zeit - entfalten.“

Am Kunstmuseum in São Paulo sind es nicht die Ausstellungsräume, die interessieren, sondern der Platz unter dem Museum, wo Märkte, Konzerte, Demonstrationen stattfinden. An der Tate Modern interessiert allein die gigantische Halle, für die jährlich ein Werk konzipiert wird. Ist das nicht gerade der Spektakel, den die Autorinnen kritisieren? Die zum Museum umgebaute Brauerei Wiels in Brüssel überzeugt durch den „Charme der unprätentiösen Ausstellungsräume“, wo, leider bloß als Behauptung und nicht weiter erläutert gerühmt wird. dort „dürfe“ sich „eines der spannendsten Programme der zeitgenössischen Kunst überhaupt“ entfalten. Das zu beurteilen (mit welchen Argumenten?) ist den „Eingeborenen der Bildungselite“ (noch einmal Pierre Bourdieu) vorbehalten. Der Louvre Lens hat wiederum eine zentrale Eigenschaft, die die Autorinnen doch eben kritisiert hatten: „Etwas Spektakuläres“ habe die stützendes Halle. Doch die eigentliche Qualität liegt in der Galerie der Zeit, einer Sammlung von zweihundert Objekten aus 5000 Jahren, der „vergleichendes Sehen“ ermögliche, das „die Kunst der Stunde“ sei. 

Ist das vergleichende Sehen eine allen gegebene optische Ausstattung oder nicht doch eine höchst ungleich verteilte kulturell vermittelte Begabung? Das eben eröffnete, zugängliche Depot des Boymans-Museums in Rotterdam hat viel Aufmerksamkeit in den Medien auf sich gezogen. Aber etwas anderes als ein zugängliches Depot ist es eben nicht - mit der Möglichkeit, Techniken der Konservierung, Deponierung und auch Restaurierung kennenzulernen. Warum nicht? Aber welchen anderen Zugang zur Sammlung bietet so ein Schaudepot? (Als das es nicht neu ist). Angesichts fehlender Deutung und Kontextualisierung bietet sich als Veredelung des Ortes der schlichten Aufbewahrung die Metapher des Schatzes an. Nein, mehr als das, der „Schätze der Welt“, vom „Bruegel-Gemälde über Keramik aus Asien bis zum Alu-Rennrad“. Muß sich diese Metaphorik vom Museum als Schatzhaus - noch dazu „der Welt“ -, nicht langsam auflösen unter dem Druck postkolonialen Debatten, wo die Praktiken der „Schatzbildung“ mehr und mehr fragwürdig werden? 

Beim letzten genannten Museum, dem New Yorker Guggenheim, wird noch einmal das „Spektakuläre“, das uns doch weiter oben als Fehlentwicklung verleidet werden sollte, gerühmt und selbst das im Argumentationsgang der Autorinnen eigentlich als verheerend einzustufende Urteil der Künstler, der „aufregende Bau“ stehle „der Kunst die Schau“, wird erwähnt. „Allerdings“ - 2011 hat Maurizio Cattelan alle seine Skulpturen unter die Kuppel gehängt. Als frei schwebendes Mobile.

Ja dann!