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Freitag, 5. Februar 2021

Montag, 18. November 2019

Das Museum lesen

Um schlechtes Gewissen in einer unschöpferischen Zeit unschöpferisch zu beruhigen, ist Geld die gegebene Sache; man baut ein Museum. New York liebt Museen, denn Museum ist Kultur, und bereits vorhandene Kultur zu bewahren, zu kaufen und zu sammeln ist leichter und einfacher, als Kultur zu schaffen. Und da die Zeit schneller geht, altert sie schneller. Das Museum überhöht die Vergangenheit, reinigt, und wer ein Museum für den gestrigen Tag baut, lebt mit der Hoffnung, diesen Tag gleich für Jahre zu Verwaltern; wäre ich ein Mörder, ich baute meinem Opfer am nächsten Tag ein Museum, Fotografien, vergilbte Bilder seiner Eltern, sein Vaterhaus, einen Schulaufsatz in einer schönen Vitrine, zwei oder drei seiner Kleidungsstücke, auch unter Glas, alles unter Glas, sein letztes Auto, sein Portefeuille, seine Armbanduhr, seinen ausgestopften Hund, sein Hobby, seinen Rasierapparat, seinen Kamm, sein Bett (nicht zu vergessen), seine Versicherungspolice, seinen Fernsehapparat, die Schuhe, die er zuletzt trug, ein gemaltes Bild seines Lieblingsrestaurants, sein Lieblingsessen (Foto), seine Zigarettenmarke, das Messer, mit dem ich ihn umbrachte, die Nekrologe in den Zeitungen, in denen er, ha!, gewürdigt wird...
Das Museum ist der Ersatz für den einstigen Glauben, man könne sich für die Ewigkeit möblieren.
Den Broadway hinausschlendernd entdecke ich das Heimatmuseum. Der Kurator - er sitzt selber an der Kasse - streitet sich mit den Besuchern; die Quintessenz seines Museums heißt Bevölkerungsexplosion und Selbstvernichtung der Menschheit; die beiden miserablen Wachsmuseen lassen befürchten, die Figuren möchten sich leblos zu bewegen beginnen, dann: die Peinlichkeit des Versuchs, lebendig zu wirken; das Museum der City of New York stellt das alte Modell eines Staubsaugers aus, einen Toaster aus den zwanziger Jahren, die älteste New Yorker Zitronenpresse und die jüngste, einen Büchsenöffner von 1935 und einen Büchsenöffner von 1967, ein Foto Marilyn Monroes - alles wird gleichsam in die Vergangenheit zurückgepfiffen und in Ehrwürde versetzt; ein Museum für Kinder gibt es schon, denn wer war einst nicht Kind; das Polizeimuseum mit Konterfei der ersten Polizistin New Yorks, Brüste wie Euter und Schultern wie einer, der täglich ein Klavier in das neunte Stockwerk tragen muß, Daumenschrauben an der Vagina Dentata, Muse der Polizei. (Wer sich für Handschellen interessiert: Handschellen sind eine Wissenschaft. Handschellen wurden von genialen Mechanikern fast überall gleichzeitig erfunden; so in Deutschland die Clejuso-Handschellen, die Kayser-Handschellen, die Hamburg P-8-Handschellen, in England die Darby-Handschellen, in Frankreich die La Massenotte-Handschellen.) Netze für Selbstmörder, die von einem Wolkenkratzer - vermutlich auf der Flucht vor der Polizei - zu springen versuchen; Dolche, Hämmer, Messer, Feilen - ehrwürdige Mordwaffen. Ein freundlicher Mann will mir Auskunft geben, ich bin der einzige Besucher zur Zeit, und ich weise ihn ab; meine Phantasie Kasse ich mir im Museum nicht Miesmachern. Das Geldmuseum an der Sixth Avenue ist die hilflose Huldigung an eine Zeit, da man ein knopfähnliches Eisenstück für einen Schweinekopf eintauschte, nein, Geld ist das einzige in dieser Stadt, das museal nicht zu bewältigen und auch nicht Zerfall und Tod anheimgegeben ist.
Absicht des Museums besteht immer darin, zu bewältigen und vergessen zu lassen, was noch nicht bewältigt oder nicht vergessen wurde. Das Museum ist die Lahmlegung der Trauer, denn Trauer ist das Schlimmste, und das Museum hebt die peinliche Spannung zwischen Leben und Vergehen auf.


Jürg Federspiel

Dienstag, 22. Juli 2014

Freitag, 11. Oktober 2013

Das Museum als Haus - Die Welt als Museum




Das Museum als Haus - Die Welt als Museum

Dieser Vortragstext ist 1991 in „Ganz aus dem Häuschen“ erschienen, der Nachlese zu den 12. Museumspädagogischen (Privat-)Gesprächen, die damals in Graz stattgefunden haben. (MuseumspädagogInnen verlassen das Museum. Graz 1991 („...das lebende museum ... STEIERMARK“  im Grazer Stadtmuseum / Kulturvermittlung Steiermark / Kunstpädagogisches Institut Graz). Seite 6-12)

Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung  des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders  alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.

Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes  Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses  von Karl Friedrich Schinkel  entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken  errichtete  Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und  durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.

Mit der offenen, über beide Geschosse reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.

Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und  städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.

Doch nicht nur dies und die selbstbewußte  Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang.  Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle  u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt", wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt. 

Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger,  als zentrale  Einrichtung, auf die sich der preußische  Staat berufen und fundieren möchte,  eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint  hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung  und Bildung.

1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste  Vorschlag für eine lateinische Inschrift  stieß auf Mißfallen:  FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO  ANTIQVITATIS  OMNIGENAE ET ARTIVUM  LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen  Übersetzung: Friedrich Wilhelm III.   hat  dem  Studium  jeder  Art  Alterthümer und der freien  Künste  diesen Ruheort  gestiftet  1828.

Das Wort Museum, das in der deutschen  Übersetzung merkwürdiger- und bezeich­nenderweise nicht  übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum.  Mit dem  Wort Museum  würden, so der erste  Gutachter, "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals  solche zur" Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß  zu demselben ablehnenden Ergebnis.

Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen  usw. auch  gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt  werden.

Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.

Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinan­dertreffen. Die eine Tradition,  die die Gutachter und Experten gegen die Verwen­dung des Wortes  Museum  für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts  Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.

Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist of­fensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ur­sprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals in der  doppelten Bedeutung von Hain, Garten  jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung  und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein Sammlungshaus - historisch übrigens  korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.

In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.

In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den  ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.

Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.

Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens  an die konfliktreiche Geschichte  der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit  des von ihnen vorgetragenen  Stücks Gattungsgeschichte.  
                                                            .
Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer.                               .

Als Beschützerinnen der  Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen,  Gymnasien, philosophischen Akademien, wie z. B. der platonischen  Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet  wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.

"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust ver­knüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam  alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen."

So  beschreibt Neickelius Anfang  des 16. Jahrhunderts die  Freuden  des  solipsis­tischen  Gelehrten in seinem privaten  Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu­ erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.

Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und  sammelt  dafür  Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam  archäologisches Unternehmen, in dem  durch  Sammeln, Vergleichen und Ordnen  von Material ein ,Text' gebildet werden kann.

Der Begriff Museum strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen',  ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen  Lernen stattfinden kann.

Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern -, gleichsam mönchische Arkanpraktiken des Wissenserwerbes und der Wissenspflege ihren Platz haben. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. ln der Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch  ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das  arkanhafte, private  Sammeln in eine Krise. Die Integration exotischer Fundstücke in das Sammeln sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Weit wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt  sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.

Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen  Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort  der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer  Wahrnehmung.

Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der  Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung  sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung  - auch unerstützt mit didaktischen Hilfsmitteln -, erfahrbar machen.

Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Welt', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf den Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. Jahrhundert und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren.“

Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.

In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.

Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick urid List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub  der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunstwerken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.

Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.

Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue Museen ein.                                                      ·

In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.

Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird im­ mer schärfer.

Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.

Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer  Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. ln einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener
Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu. So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche lnventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.

Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt.

Musealisierung  ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession,  immer größere Lebensbereiche,  ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits­ und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.

Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüberstehen ohnmächtig.

Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter -, verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorische Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.

Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet  wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.

Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.

Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk)  und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.


Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück, die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern.

Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsministranten.

Daher: Raus aus dem Museum!



Montag, 14. März 2011

Die Bedrohung der Dinge - Bohumil Hrabal (Das Museum lesen 15)


Herr Kakra ist einer der wunderlichsten unter den wunderlichen Bewohner des Waldes von Kersko, denen der Schriftsteller Bohumil Hrabal, der hier ein kleines Häuschen bewohnte, tatsächlich oder in seinen Phantasien begegnet ist und denen er in seiner Geschichtensammlung “Schneeglöckchenfeste” Denkmäler gesetzt hat.
Herrn Kakra trifft man auf ruhelosen Wanderungen kreuz und quer durch den Wald, von Dorf zu Dorf, auf Allen, Wegen Straßen, vor allem aber zu den Kinos der Gegend. So sammelte er ein enzyklopädisches Wissen, das er dem, der ihm bei seinen scheinbar ziellosen Wanderungen begegnete, als rätselhafte Fragen freimütig anbot. Wer hat den nun in Der Große Dikator neben Charlie Chaplin den Dikator aus Bakterie gespielt. Und Herr Kakra antwortete selbst: “Aber den spielte doch Jack Oakie, das muß jedes kleine Kind wissen…”.
*
“… und heute, als ich Herrn Kakra zum ersten Mal in einem elenden Zustand sah, folgerte ich, daß seine Wege keinen Sinn mehr hatten, daß er nur ging, um irgendwohin zu gehen, daß er nur ging,weil er gehen mußte, weil hier an den warmen Kamin angelehnt zu sitzen untätig leben hieß, und das der Tod war. Herr Kakra winkte mit den über den Knien hängenden Armen ab und sagte ... das geht vorüber, ich habe mich nur erinnert, daß ich einmal ein Jahr lang, aber das ist schon lange her, auch gut gewohnt habe, ich wohnte bei einer schönen Frau, die sah fast wie Maureen O'Hara aus, wir hatten sogar eine schöne Wohnung, in der soviele Möbel und Sachen waren, daß ich davon nach einem einzigen Jahr krank wurde, die Ärzte sagten damals, daß ich im Kopf krank sei, aber woher, ich war nicht krank, ich krankte an den fünfzehn Schränken, ich war von sechsunddreißig Stühlen krank, ich erkrankte schwer an sieben Tischen und Tischlein, sechsundfünfzig Schlüsselchen und Schlüssel hatten mich zu Tode ermüdet, im Kopf steckten mir hundertzwanzig Tellerchen und Teller, fünfzehn Krüge und Sauceschüsseln und Fleischwölfe hämmerten mir auf den Schädel, ich war allein schon deswegen krank, weil wir einen Kühlschrank hatten, aber am meisten krankte ich an den vier Zimmern und an der Küche, an den tausend Gläsern und Gabeln und Messern und Löffeln und Löffelchen, das Badezimmer und die darin hängenden Frottiertücher erschreckten mich zu Tode, wenn ich die Schränke aufmachte, streckten überall Handtücher und Abwischlappen, Damenhöschen und Unterröcke, Hemden und Unterhosen mir ihre unanständigen Zungen heraus, lange Zungen von fünfzig Krawatten, die Blumentischchen und kleinen Vasen in allen Ecken erschreckten mich, weil ich damals keine anderen Sorgen hatte, als so viele Sachen in Gang zu halten, und alle die Sachen waren gegen mich, die Sachen wußten es und ich wußte es von ihnen, und so entschloß ich mich eines Tages und ging fort, weit weg, immer auf einem Weg, es war gleich, auf welchem, wichtig war, daß ich ging, denn je weiter ich ging, desto mehr entfernte ich mich von all dem unmenschlichen Kram ... Und seither, wenn mir in den Sinn kommt, daß ich zurückgehen sollte, gehe ich lieber und gehe, schreite durch die Gegend und den Wald, um nicht dorthin zurückzugehen, um hier zu bleiben, wo ich schon dreißig Jahre lebe, mit zwei Kleiderhaken, an welchen ich mich auch erhängen könnte. Wissen Sie, zweimal hat man mich ins Irrenhaus gebracht, aber ich habe ihnen dort bewiesen, daß sie verrückt sind, und nicht ich. . . Ich sagte, Herr Kakra, ich bin nicht besser dran, ich leide auch unter Möbeln und Kühlschränken und Hunderten von Stühlen und Tischen und Zimmern und Küchen, in welchen ich mit meiner Frau zusammenstoße, wir stoßen uns immer an, obwohl wir so viel Platz haben, aber Herr Kakra, Sie haben sich von den Kanapees und Tischen getrennt, während ich es mir nur vorstellte und nie auch nur versucht habe, wegzugehen, wie Sie. . . Kommen Sie, wir gehen in den Wald und machen einen Halt im Forsthaus, dort wird es lustig sein, ja? Und Herr Kakra, von dem ich jetzt bemerkte, daß er barfuß war, griff hinter sich und zog ein Paar Schuhe hervor, die man Kaminfeger nennt, Schnürschuhe mit rundemeuerten Sohlen, er wickelte sich Stoffetzen um die Füsse und zog die Kaminfeger an und schnürte sie bedächtig …”.