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Donnerstag, 30. März 2023

Das Museum ist zu selbstverständlich


Vor Jahren stellte auf einer Tagung eine Kuratorin das Konzept eines Stadtmuseums für eine deutsche Großstadt vor. Zu meiner Verblüffung berichtete sie, daß das Museum von der Bevölkerung gar nicht gewünscht werde. Es wurde dennoch realisiert. Ein Schweizer Freund erzählte mit großem Bedauern, vom Verschwinden von kleinen Museen in der Region, in der er lebt, und daß er sich als Berater um deren Weiterbestand bemüht. Für ihn sieht es so aus, als würden andere kulturelle Betätigungen für die Bewohner attraktiver geworden sein. Auch aus Österreich mehren sich Beispiele dafür, daß vor allem ehrenamtlich getragene lokale Museen scheitern, weil sich niemand mehr findet, der sie betreiben will. Auch in solchen Fällen sieht sich die Politik oder private Initiativen oft veranlasst, zur „Rettung“ der bedrohten Institutionen einzugreifen indem man Beratungen, Tagungen und Weiterbildung organisiert und finanziell interveniert. 

 Allen Fällen ist gemeinsam, daß das Museum an und für sich erhaltenswert erscheint. Auch wenn das Desinteresse offensichtlich wird, soll es nicht untergehen. Das Museum gilt als fraglos anerkannter Wert. Man fragt erst gar nicht nach den Aufgaben des Museums, nach seinem aktuellen Sinn. Museen gelten als schützenswert, als wären sie eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Das Festhalten an einer Idee, deren Sinnhaftigkeit man nicht mehr hinterfragt, erspart einem einfache und naheliegende Fragen selbst angesichts drohender Abwicklung von Museen: Kann es nicht sein, daß sich die einschlägigen Konzepte, die gebotenen Inhalte, die konventionellen Erzählungen, die angesammelten Objektwelten überholt haben, keinen zeitgemäßen Bedürfnissen mehr entsprechen, die gegenwärtige Lebenswelt potentieller Besucherinnen nicht mehr abbilden und erreichen? Kann es nicht sein, daß das Museum sich allmählich abkoppelt von den immer dringlicher werdenden Gegenwartsfragen, den sozialen und politischen Konflikten, den Krisen, die mehr und mehr den Alltag der Menschen erreichen? 

Ist das nicht anders bei der Literatur, dem Kino, dem Theater, selbst bei der aufwändigen Kunstform Oper. Hier gibt es Debatten ums Grundsätzliche, kühne Projekte, radikale Transformation, rasches Reagieren auf die multiplen Krisen mit ihren vielen Ursachen. Den durch die Corona-Pandemie bedingten Problemen stellt man sich: Publikumsschwund, Desinteresse der jüngeren Generation, Veralten ästhetischer Haltungen uam. Diese selbstkritische Debatte bleibt nicht auf Fachzeitschriften und Wissenschaftszirkel begrenzt, sie reicht bis in die Feuilletons der Zeitungen, in die PR-Interviews mit Künstlern aber vor allem auch in die aktuelle Praxis. Die Zweifel an den Kunstformen werden offen thematisiert und in der Praxis erprobt man Alternativen und Auswege, sucht auch das riskante Experiment. 

Ist es nicht so, daß es in Literatur, Theater oder Kino weitaus mehr und radikalere Infragestellung der überkommenen Formen gibt, der gesellschaftlichen Aufgaben, der Produktionsbedingungen, der Förderungswege als beim Museum? Dabei gäbe es beim Museum genug Anlass zum reflexiven Innehalten. Nehmen wir ein Beispiel: Die nur dem Museum eigenen Restitutionsdebatten, sei es infolge des NS-Raubes oder der kolonialen Ausbeutung, hat das prinzipiell affirmative Verhältnis zum Museum nicht beschädigen können. Das Wissen um die Grundlage vieler Sammlungen in Enteignung, Raub, Diebstahl kratzt nicht am Image der hochkulturellen Institution, die vorgeblich das Kostbarste unseres materiellen Erbes bewahrt. Auch die neue Bewegung der Klimaaktivistinnen, die sich ja so öffentlichkeitswirksam gegen Kunstmuseen richtet, bewirkt eher eine Verteidigung der unverzichtbar scheinenden Institution. 

Die Kehrseite der Verteidigung der „Heiligen Schatzbildung“ des Museums ist die Aggression die die Aktivistinnen trifft. Kaum jemand will sich eingestehen, daß die Attacken der Klimaktivistinnen nicht so sehr der Kunst gelten, als dem problematischen Unsterblichkeitsversprechen der Institution bei möglichst unverändertem Status. Der Aktivismus macht darauf aufmerksam, daß eben nichts und niemand in einer dystopisch geformten Zukunft „übrig“ bleibt. Das Verschwinden wird alles und alle treffen. Niemand will und kann sich das Museum anders als zeitlich unbegrenzt vorstellen. Aber No future gilt auch für das Museum und für die gesamte kulturelle Überlieferung, daran erinnern die Proteste. 

Es gibt schlechte Literatur, es gibt schlechte Filme und es gibt schlechtes Theater. Aber es gibt kein schlechtes Museum. Und daher auch keine Notwendigkeit, über das Museum grundsätzlich nachzudenken. Es existiert keine Museumskritik. Museen werden, wenn sie sich überholen, nicht geschlossen, sondern sie können sich jahrzehntelang irgendwie dahinschleppen, wie das Heeresgeschichtliche Museum in Wien zeigt, dessen Ausstellungen z.T. fast schon siebzig Jahre alt sind. Vor strukturellen Widersprüchen und Schwächen der Institution Museum verschließt man die Augen. 

Was ich damit meine, erläutere ich wiederum an einem Beispiel. Museen beschäftigen sich mehr denn je, sogenannte Nichtbesucher zu gewinnen. Es gibt Forschungen und Programme dazu. Aber die lang bekannte Tatsache, daß es soziale und bildungspolitische Gründe dafür gibt, daß sich etwa 50% der Bevölkerung dem Museum verweigern, wird weitgehend ignoriert. Die soziale Distinktion, die dem Museum zugrunde liegt und die vom Museum noch verstärkt wird, bleibt tabu. Ich kenne keine nachhaltig wirksamen Projekte, mit denen das Einbinden ausgeschlossener Gruppen gelungen wäre. Einzelfälle gibt es, strukturell bewegt sich nichts. 

Im Bemühen um Nichtbesucher steckt eine erstaunliche Blindheit: man unterschätzt die hegemoniale Funktion von Kultur. Deren Werte werden von eher schmalen Eliten aufrecht erhalten und tradiert. Nun möchte man auch von Nichtbesuchern verlangen und erwarten, daß sie diese Werte teilen. Wenn aber diese Werte offensichtlich für die Angesprochenen gar keinen Wert darstellen? Denn: Wer nicht durch Familie und Schule im Umgang mit Bildungsinstitutionen vertraut gemacht wurde, wird Museen kaum aufsuchen, weil er dort kaum seine Lebenswelt wiederfinden wird. Er ist doppelt ausgeschlossen, ihm fehlen die Werkzeuge und das Motiv. Dennoch hält man das Museum für eine derart bedeutende Einrichtung, daß sie für jedermann von Interesse sein soll und der Anspruch erhoben wird, daß jedermann jedefrau von ihm Gebrauch machen sollen. 

Die Anstrengungen, die man zum Anwerben von Nichtbesuchern unternimmt, ähneln den Methoden des Marketings und der Warenwerbung. Sie sollen den Kulturkonsum erleichtern und verbreitern – eine Marktstrategie -, aber sie bewirken so gut wie nichts. Das hält man dann auch noch für demokratisch. Während man ignoriert, wie undemokratisch die sozialen und bildungspolitischen Grundlagen des Konsums von Hochkultur sind, die einen so großen Teil der Bevölkerung davon fern halten. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, daß auch Museen ihre fragwürdigen Seiten haben, Menschen aktiv ausschließen, erst wenn man sich auf sowohl strukturelle als auch in der (Ausstellungs)Praxis wirksame Probleme einläßt, wird man imstande sein, Konzepte zu entwickeln. Konzepte, die die Kritik an der Institution aufnimmt und ihr gerecht wird. 

Museumskritik ist nötig und überfällig, um seine gesellschaftliche Rolle immer wieder zu befragen und zu justieren. Diese Kritik müsste in den Medien geleistet werden und sie müsste vor allem von den Museen selbst geleistet werden. Davon sind wir weit entfernt. Worauf warten Museen angesichts der drängenden und vielfachen Herausforderungen? 


Zwei Literaturhinweise zu Publikation, die Kritik am Museum leisten, wenngleich sich die Probleme seit deren erscheinen vertieft und vermehrt haben, denen sich Museen ausgesetzt sehen: Daniel Tyradellis: Müde Museen. 2014. Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. 2016 

Dieser Text ist eine überarbeite und erweiterte Fassung eines Beitrags der in der Zeitschrift des Museumsbundes erschienen ist. Neues Museum, März 2023, Heft ½ S.82/83

Dienstag, 22. November 2022

Klimaaktivisten im Museum? Böse? (Sokratische Fragen)

Der Guardian"-Kolumnist Monbiot fragt: "Interessieren wir uns wirklich mehr für van Goghs Sonnenblumen als für die echten?“

Die Frage sei hiermit weitergegeben

Freitag, 28. Oktober 2022

Matthias Beitl im Gespräch. Das Museum als geschützter, sozialer und demokratischer Ort

Wie oft hört man einen Museumsleiter (oder eine Leiterin) ausführlich (fast dreißig Minuten) über Sinn und Zweck des Musuems reden? Matthias Beitl, Leiter des Volkskundemuseums in Wien, wurde diese Möglichkeit von der Tageszeitung Der Standard eingeräumt. In Form eines Podcasts, den man unter dieser Adresse abrufen kann: https://www.derstandard.at/story/2000140341166/wie-das-museum-der-zukunft-aussehen-koennte

Matthias Beitl hat seine Zeit gut genutzt und über Digitalisierung informativ und eher skeptisch gesprochen. Auch in der Debatte um Auswirkungen der Klimakrise, der jüngsten Teuerungswelle etc. argumentiert er wohltuend aus der Praxis heraus.

In der „Königsdisziplin“ der Zukunftsprognose zeigt er sich trotz aller Krisenphänomene optimistisch, was den Geschützen und sozialen ebenso wie demokratischen Ort Museum betrifft.

Hörenswert als facettenreicher und klug argumentiertet Beitrag zu einer grundsätzlicheren und gründlichen Musuemsdenatte.

Samstag, 15. Oktober 2022

Vandalismus, Umweltaktivismus, Museumsstürmer

In Dresden, Berlin, London, Florenz ist es schon passiert.

UmweltaktivistInnen attackieren berühmte Gemälde, indem sie sich daran festkleben oder, wie zuletzt in der National Gallery, Tomatensauce aus der Dose über Van Goghs Sonnenblumen schütten. Genauer gesagt über die Verglasung des Gemäldes, sodaß das Bild keinen Schaden genommen hat.


Das entsetzte Feuilleton sieht sinnlos Werte zerstört und dem Klimaprotest Bärendienste geleistet.

Purer Vandalismus? Aggression, die nur mit dem Medienecho spekuliert? Schon möglich.


Krzysztof Pomian hat vor etwas über einem Jahr dem Museum nicht nur angesichts der Corona-Pandemie und dem Klimawandel das Ende vorhergesagt, sondern auch prophezeit, daß es zu Aggressionen aufs Museum kommen würde. Warum? Weil Museen nichts dazu beigetragen hätten, die verhängnisvolle Entwicklung abzuwenden.

Ist es so weit? Kommen jetzt die Museumsstürmer?


Von der englischen Aktivistengruppe Just stop Oil, die mit Tomatensuppe auf den Lieblingsmaler losging, hörte man den begleitenden Satz:

„Ist Kunst mehr wert als Leben? Mehr als Essen? Mehr als Gerechtigkeit Die Lebenshaltungskostenkrise und Klimakrise wird durch Öl und Gas getrieben." 

Vandalismus wurde meist von religiösem Eifer angetrieben. Hier geht es ums Politische. Um ein Ausspielen von unterschiedlichen Wertvorstellungen. Kulturelles Erbe gegen Lebenschancen.


So fundamentalistisch, wie die Gruppe argumentiert, läßt sich schwer dagegen argumentieren, zu einem Zeitpunkt, da ernsthafte Wissenschafter prognostizieren, daß die Umweltkatastrophe nicht vor uns liegt, sondern unabwendbar bereits eingetreten ist.

Die Argumente gegen diese Form des Aktivismus sind plausibel. Aber was an gewaltförmiger Auseinandersetzung auf die Museen zukommt, davon gibt der Bildersturm in der National Gallery eine Vorahnung.

Samstag, 31. Juli 2021

Kann man die Kultur vor dem Klimawandel retten?

Der Denkmalschutz hat es generell mit der Erhaltung von Kulturgütern zu tun. Er arbeitet gegen natürlichen, umweltbedingten Verfall an, aber auch gegen Zerstörungen oder Eingriffe, die von Menschen verursacht werden, wie etwa durch Verkehrsbauten, städtebauliche Veränderungen oder Spekulationen mit Immobilien.

Jetzt rückt – nach den verheerenden Unwettern der letzten Wochen – eine neue Bedrohung ins Zentrum der Aufmerksamkeit: umweltbedingte Zerstörungen.

In der Ausgabe der Zeitschrift Monopol vom27.Juli kommt das Fraunhofer-Institut zu Wort, das sich mit solchen Zerstörungen beschäftigt, also ganz genau mit materiellen Folgen des Klimawandels auf kulturelle Überlieferung.

Der Einstieg ins Interview ist gleich dramatisch auf den Verlust des Gedächtnisses der Menschheit konzentriert: Wenn ein Mensch sein Gedächtnis verliert, was wir oft bei Alzheimerpatienten erleben, wird er orientierungslos und findet sich nicht mehr in der Welt zurecht. Genauso muss man das mit dem Kulturerbe sehen: Unser kulturelles Erbe ist das Gedächtnis der Menschheit. Wenn wir das verlieren, verlieren wir unsere Orientierung.“ 

Offenbar beschäftigt sich das Institut ganz praktisch mit Fragen, die erwartbare Folgen der Klimaänderungen schon jetzt aufwerfen oder aufwerfen werden – von der Trockenhaltung von Gebäuden bis zur Prognose, daß eine Stadt wie Amsterdam in etwa 40 oder 50 Jahren unter Wasser stehen wird.

Völlig neu ist die Problemlage nicht. Bereits 2002 wurde bei einem Hochwasser in Dresden Kulturgut im geschätzten Wert eines zweistelligen Millionenbetrages zerstört. Hier kehrt ein vor etwas mehr als zweihundert Jahren entwickeltes Bewußtsein von der potentiellen Vernichtung kultureller Überlieferung in neuem Gewand zurück.

Damit kehren aber auch alte Aporien des Denkmal- und Kulturgüterschutzes zurück. Welche Auswahl wird getroffen, von wem? Wer denkt wie darüber nach, was überhaupt unter denkbar dramatischen Veränderungen der Natur und des Sozialen erhaltungswürdig ist und mit welchem Zweck? Kann angesichts der Komplexität und Globalität des Klimawandels überhauot noch arbeitsteilig vorgegangen werden? Die einen retten kulturelles Erbe, die anderen unsere Nahrungsquellen, wieder andere Flora und Fauna usw.?

Einstweilen regiert bürokratischer Eifer: Anbahnung von Forschung, Vernetzung, Gründung von Komitees usw. und eine, überraschend penible, Vorausschau, die das Katastrophische einerseits als planbar, beherrschbar antizipiert und zugleich als bereits unabwendbar einstuft und dennoch Rettungszenarien entwirft.

„Wir haben 55.650 verschiedene Risikoklimakarten erstellt für vier verschiedene Klassen von Kunst: Möbel aus Holz, Gemälde, Papier und bemalte Oberflächen. Ein Beispiel: In der Kathedrale in Dubrovnik hängen Gemälde, für die wir Szenarien bis zum Jahr 2100 berechnet haben, wie stark die gefährdet sein werden.“ 

Für die zentrale Frage gibt es auch schon eine Antwort. Eine provisorische und fragmentarische. Die Frage lautet: Wer wird noch Interesse an Kulturgütern haben, wenn die uns beim Noch-einmal-Davonkommen nicht werden helfen können und deren Bewahrung nur unter extremen Bedingungen ebenso extreme Kosten und extremen technischen Aufwand möglich sein wird?

„Müssen wir“, fragt Monopol die Expertin des Fraunhofer-Instituts, „vielleicht doch auch loslassen lernen und uns von Kulturgut verabschieden können?“ Die Antwort Wir werden nicht jedes Stück Kulturerbe erhalten können“, beantwortet nicht, wer in wessen Interesse und mit welchen Kriterien über Erhalten/nicht Erhalten entschieden werden soll. Falls dazu überhaupt Zeit und Wahlmöglichkeiten bleiben.

Der schrecklichste Satz kommt am Schluß. Denn er läßt ahnen, daß der ganze Aufwand an Forschung und Planung nur mehr die Angstblüte der erwarteten Dystopie sein könnte. Mit anderen Worten, daß es möglicherweise keine Wahl mehr gibt: „Mit der Digitalisierung haben wir ein schönes Tool in der Hand, um zerstörtes Kulturgut oder Kulturerbe, das unter Wasser liegen wird, zukünftigen Generationen noch zugänglich zu machen.“ 

 


Samstag, 12. Dezember 2020

Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden

Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich hier: https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


Marcel Broothaers buddelt einen Museumsgrundriß in den belgischen Meeresstrand. Vielleicht spült die Flut alles schon weg, ehe die Arbeit vollbracht ist...


Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden


Meine erste Reaktion auf Krzysztof Pomians in der FAZ veröffentlichten Text hat mir den Vorwurf des "Wiener Pessimismus" (Helmut Bien) eingetragen. Damit kann ich provisorisch gut leben, mit der Einschränkung, daß ich kein Wiener bin. Was meinen angeblichen Pessimismus betrifft, da denke ich, dass es ein Missverständnis gibt, die möglicherweise durch mangelnde Genauigkeit in meinem ersten Text verursacht wurde. 


Ich habe gesagt, daß ich Pomians Pessimismus nicht viel entgegenhalten kann. Das heißt aber nicht, daß ich ihn teile. Ich stelle mir eine einfache Frage: Ist es eher erwartbar, daß ein umfassender globaler Lernprozess einsetzt, der den Klimawandel stoppt und katastrophische Folgen abwendet oder eher daß ein solcher rechtzeitiger Wandel nicht zustandekommt und die verschiedenen düsteren Prognosen sich in unbestimmbarer, aber vielleicht nicht so ferner Zukunft bewahrheiten? 


Ich weiß es nicht. Den einen Tag lese ich, daß die unbedingt notwendige Begrenzung der Erwärmung um 2 Grad sicher nicht erreicht wird, den anderen Tage erreicht mich die Nachricht, daß die EU einschneidende klimapolitische Ziele vereinbart hat.


Anders als Pomian räume ich dem Museum die Möglichkeit ein, sich auf unterschiedliche Zukünfte einzustellen und sich nicht bloß mit der Prophezeiung ihres Untergangs abzufinden. Das muß, wenn man dem Ernst der Situation gerecht werden will, nicht weniger eine Art "Neuerfindung" des Museums voraussetzt - ein unglaublich einschneidender „Turn“ auf allen Ebenen. 


Hier stelle ich eine ähnliche Frage, wie zum Klimawandel: Ist es wahrscheinlicher, daß die Museen nachhaltig und konsequent eine andere Politik, eine eine andere Geschichts- und Erinnerungskultur entwickeln, neue organisatorische, mediale, inhaltliche usw. Wege einzuschlagen oder ist es wahrscheinlicher, daß es weitgehend so bleibt wie bisher? 


Ein Beispiel: Ein grosses österreichisches Naturmuseum vernetzt sich mit verschiedenen Organisationen und ruft dazu auf, an einem bestimmten Datum, Kerzen als Warnung vor dem Klimawandel in die Fenster zu stellen. Warum nicht kann man fragen? Es wirbt mit eindrucksvollen Texten auf Facebook. Das Museum reagiert und wird aktiv, es geht buchstäblich und symbolisch über seine Grenzen. Man kann aber auch einwenden, dass eine solche schon vielfach für unterschiedlichste Zwecke gebrachte „Lichter-Mahnwache“ bereits zu abgenutzt ist, um noch weitere Besetzungen mit neuen Bedeutungen auszuhalten. (Nahezu gleichzeitig wird dieselbe „Mahnpraxis“ für Opfer der Pandemie organisiert). Und welchen Impuls gibt so eine Aktion über das Symbolische hinaus ins praktische Handeln?


Dasselbe Museum lädt, wiederum via Facebook, dazu ein, sich mit der Mineraliensammlung zu beschäftigen, im Internet, um dort einschlägiges Wissen abzuholen. Wiederum kann man sagen, warum nicht? Das Museum nutzt, was derzeit von überall her empfohlen wird, das Internet, um in Zeiten der Schliessung der Museen, Bildung zu vermitteln. Von Naturmuseen weiss man außerdem, dass es eine bestimmte Klientel von Hobbysammlern und Kennern gibt, die als Gruppe wichtig für solche Museen sind und im wechselseitigen Interesse auch untereinander vernetzt sind. Sie sind eine Zielgruppe für eine derartige Idee. Aber über diese Gruppe hinaus - was ist von der „Mineralienkunde“ gegenüber einem grossen Publikum zu erwarten. Sehr spezielles Bildungswissen zu erwerben? Und genügt die gute Absicht der Wissensvermittlung noch oder sind nicht längst Angebote nötig, die sowohl partizipativ wie reflexiv sein müssen und die über die Vermittlung von museumsspezifischem Sachwissen weit hinausgehen?


Jetzt noch mal zurück zum Pesssimismus: Ich teile den von Pomian nicht, einfach deshalb, weil ich keine sichere Prognose habe. Mich interessiert aber, wie bei Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“, die Radikalität der Provokation, die darin steckt das Museum von seinem Ende her zu denken. Man kann derlei Texte gewissermaßen therapeutisch lesen, als Anregungen, sich einer Krise zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen.


Pomian übertrifft den Schock, den die politische und praktisch folgenreiche Einschätzung der Museen durch die Politik als zur Unterhaltungsindustrie gehörig ausgelöst hat. Ihnen „Systemrelevanz“ abzusprechen (ich übergehe mal die Frage, „welches System“ eigentlich?) stellt ja auch ihre Existenz in Frage. Pomians Text schneidet indes weitaus tiefer als jede politisch verordnete Maßnahme in das historische Selbstverständnis des Museums als gattungsgeschichtliches Archiv und Gedächtnis (ihn interessiert merkwürdigerweise eher nur das Archiv). Es droht in seiner Perspektive die Möglichkeit als solches endgültig verloren zu gehen, was uns alle, die Gattung als Ganzes einer zukünftigen vollkommen Erinnerungslosigkeit ausliefern würde.


Schon durch den Holocaust wurde, wie Alain Finkielkraut zeigte, etwas Grundlegendes zerstört - das Vertrauen in einen alle Katastrophen, Opfer und Verheerungen aufwiegenden und integrierenden humanen und unabschliessbaren Fortschritt. Jetzt ist aber nicht einfach die Idee des Fortschritts beschädigt, jetzt scheint es ein Datum für dessen unausweichliches Ende zu geben. Nur der Zeitpunkt steht noch nicht fest.


Diese Kränkung ist so ultimativ, daß es schwer fällt, sich auch nur intellektuell, abstrakt, distanziert, probehalber damit zu beschäftigen und schon gar nicht dann, wenn man sich mitten in der Praxis um die Vitalität der Institution inmitten bedrohlicher Krisen sorgen soll. 


Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“ war ein „sokratischer“ Text, der zur Reflexion anleiten sollte ohne den Hintergrund einer empirisch drohenden Katastrophe. Man konnte spielerisch mit ihm umgehen und verschiedenste Szenarien erproben, die fern jeder Wirklichkeit schienen. Aber schon die Texte waren, sooft ich ihn sie in Diskussionsrunden einbrachte, meist überfordernd. Wie erst der Pomians!


Es geht doch darum, im Bewusstsein aller dieser extremen Herausforderungen, praktisch und theoretisch am Neuentwurf der Institution zu arbeiten. Einen Aufbruch kann es geben, wenn Museen bereit sind, sich offensiv und reflektiert mit dieser „Bedrohung" auseinanderzusetzen (die noch komplexer ist als es Pomian, den es kommen ja noch andere Herausforderungen hinzu, wie etwa die Frage des Umgangs mit dem Kolonialismus) und diese Auseinandersetzung zum Ausgangspunkt ihrer "Erneuerung" machen.


Vom wem wird diese Erneuerung kommen, von den Museen (allein)? Von der Politik? Vom Publikum, von der Zivilgesellschaft? Helmut Bien ist gegenüber neuen Eliten skeptisch, deren rabiate Kritik, etwa an der Kolonial-Frage, letztlich in einen Museoklasmus mündet. Er schreibt: „Wir erleben im Augenblick einen ikonoklastischen Rigorosismus, der vieles Altes aus der Perspektive der aktuellen Moral verantwortlich macht und beseitigen möchte.“


Einspruch. Sehen wir uns die Kolonialismusdebatte an. Ist sie bloß eine Angelegenheit rigoroser elitistischer Moral? Da gab es doch schon zeitgenössisch eine moralische Haltung, die sich mit den Verhältnissen nicht abfand und eine Bürgerbewegung, die etwa den belgischen König dazu zwang, seinen entsetzlichen „Privatkolonialismus“ aufzugeben und dann auch den Belgischen Staat erfolgreich drängte, sich von der Kolonialisierung zu verabschieden. Die europäische Kolonialgeschichte wurde schon zeitgenössich als grauenhaft und unerträglich empfunden, und nicht erst im Licht des heutigen Moralismus von Eliten.


Kolonialismus, als Problem für Museen erst mit der Gründung des Humboldt-Forums aufgebrochen, ist aber nur eine unter mehreren jüngsten Entwicklungen (die Restitutionsdebatte um in der NS-Zeit als zeitlich und territorial ungleich eingegrenzteres Phänomen, geht dem voran). An ihr ist Gewaltförmigkeit und Rechtsbrüchigkeit als strukturelle Grundlage des Museums sichtbar geworden sind. Die gerade anlaufende Debatte über den kolonialen Ursprung des British Museum (wiederum nur eine Facette von mehreren in der Kontaminierung dieses Museums mit Kolonialismus), ist nur eins unter zahllosen Museen, wo man auf ähnliche gewaltförmige Bedingungen ihrer Gründung stossen kann. Da sind so illustre Museen drunter, wie das Metropolitan Museum, der Louvre oder die Tate Gallery.


Keine andere kulturelle Institution oder Praktik hat eine derart verborgene und verborgen gehaltene Tiefenstruktur und zusammen mit der Funktion von Museen als hegemoniale ideologische „Staatsapparate“ bietet allein schon diese beiden Strukturmerkmale erste und dringlich der Bearbeitung harrende  Ansatzpunkte und Angriffsflächen für einen „reflexiven Neustart“.


Allerdings frage ich mich, ob alle diese Phantasien vom Neuanfang, vom Museum 2.0, vom demokratischen Museum oder gar radikaldemokratischen Museum, nicht unvermeidlich darauf hinauslaufen, eine vielfach fragwürdige Institution bloss reformerisch am Leben zu erhalten wie einen im Koma liegenden Patienten durch Apparate. Warum nicht loslassen? Warum nicht verabschieden? Nicht um einen revoltierenden Museoklasmus herbeizuführen, sondern um die Ideen zu bewahren, die mit dem Museum einmal verknüpft waren.


Warum nicht alle jene hehren Ziele, die in bester Absicht das Museum neu zu denken formuliert wurden, anders und anderswo zu verwirklichen. Wozu der mühsame Prozess, widerstrebende Praktiken zu verändern (aus Macrons Ankündigung der umfassenden Restitution bleiben zwei Jahre danach eine Handvoll noch nicht mal zur Gänze restituierter Objekte), wozu der lange Marsch durch Institutionen, die es nicht anders haben wollen als es ohnehin ihrem unbeirrbaren Selbstbild nach immer gut ist? Wozu die Hoffnung auf dem (Um)Weg der Instrumentalisierung einer womöglich komplett ungeeigneten Institution, die nötigen Entwicklungs- und Lernprozesse anzustossen?


Der Wechsel von Eliten, geht der ohne jeglichen Wechsel der Perspektiven vor sich oder gar hin zum Schlechteren, oder kann man nicht auch Hoffnung in neue Interessenten setzen, die ihre Verantwortung entdecken?


Ein Beispiel: Es gibt seit Mitte des Vorjahres Kritik an einem der absonderlichsten Museen, die es in Österreich gibt, am Heeresgeschichtlichen in Wien. Die Kritik begann nicht mit einer an den Ausstellungen, sondern an rechtsradikalen Mitarbeitern und einschlägigen Veranstaltung und dem Angebot des Museumsshop mit einschlägigen Tendenzen. Diese Kritik kam von zwei Bloggern, wurde dann von Tageszeitungen aufgenommen und führte zur Einsetzung mehrerer Untersuchungskommissionen. Inzwischen formierte sich eine Gruppe von LiteratInnen und KünstlerInnen, die eine Tagung auf die Beine stellten, die wiederum medial aufmerksam rezipiert, dazu führte, dass das Thema auf der Tagesordnung blieb. 


Die Kritik weitete sich nun auf die Ausstellungen aus, auf deren Ideologie und auf die Sinnhaftigkeit eines nostalgisch-retrospektiven Armeemuseums. Die Kommissionen, nicht alle haben ihre Arbeit abgeschlossen, bestätigten im Kern die Kritik und ein Rechnungshofbericht listete Mängel auf, die alles bisher Bekannte bei weitem übertrafen. Eine weitere Tagung ist geplant, von derselben Gruppe, die es geschafft hat, das Thema nun über langen Zeitraum in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. Ob das politisch erfolgreich werden wird und in welchem Umfang, das ist völlig offen.


Es ist meiner Beobachtung das erste Mal, daß es so etwas wie eine umfassende Kritik an einem Museum (in Österreich) überhaupt gibt und dass es eine zivilgesellschaftliche Initiative ist, die Museen als wesentliche Akteure der Geschichtspolitik kritisiert. Eine Elite? Prinzipiell ja, aber es ist eine Elite, die gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt und nicht ihre partikularen Interessen. Und das in einer Weise, wie sie dem Museum seit der Aufklärung und bürgerlichen Revolution eingeschrieben ist. Das Museum war ein Ort, in dem Staatsbürger in ihrem und im gesellschaftlichen Interesse handelten und zu Res Publica formierten und das Wohl des gesellschaftlichen Ganzen aushandelten. 


Die genannte Initiative ist jedenfalls der seltene Fall, daß sich im Macht- oder Entscheidungsdreieck Politik - Institution - Gesellschaft, die strukturell Ausgeschlossenen, das Publikum, die Bürgerschaft, zu Wort melden. Es ist wie im Gesundheitssystem. PatientInnen haben keine Stimme, keine Handlungsmacht im Verhältnis zu Politik, Industrie und organisierter Ärzteschaft.


Diese Entwicklung beobachte ich mit Interesse und Sympathie. Wer weiss, was da zustandekommt. Ob es bei einem Reförmchen des Heeresgeschichtlichen Museums bleibt, das das Versagen der Politik und das Agieren des Museums kaschiert oder ob es zu einer grundlegenden Erneuerung kommt, nach der vielleicht ein ganz anderes Museum realisiert werden wird, das wird sich zeigen. Es muß am Ende ja nicht ein (neues, weiteres) Museum sein, sondern vielleicht etwas, woran wir jetzt noch gar nicht denken. Etwas, das weitere Museen inspiriert, ganz neue Wege zu gehen.


Vielleicht muß man das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden?


Die erwähnten Texte:


Krzysztof Pomian: Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 24.11.2020, S.12

Stephen Weil: The Museum at the End of the Time. In: ders.: Making Museums Matter. Washington. Smithsonian Institution 2002

Gottfried Fliedl: Am Ende. Das Museum. In: Museologien (Blog). 

https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


12.12.2020


Sonntag, 29. November 2020

Am Ende. Das Museum

Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich Hier: https://www.blogger.com/blog/post/edit/936424358107584429/7007908751721792738

 

Am Ende. Das Museum


Krszysztof Pomian, Historiker und Museumswissenschafter, hat kürzlich in einem Vortrag (Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? Abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.11.2020, S.12) dem Museum eine überaus düstere Zukunft vorhergesagt. Seine Argumentation ist übersichtlich und scheint zwingend. 


Es sind zwei Entwicklungen, die er die Existenz des Museums bedrohend nennt. Die Coronavirus-Pandemie und den Klimawandel.


Für die Entwicklung der Pandemie sieht er drei Szenarien. Selbst wenn die günstigste und, so Pomian, unwahrscheinlichste eintritt, die „Pandemie als Unfall ohne Langzeitfolgen“, also  eine Einhegung und Zurückdrängung durch medizinischen Fortschritt, werden die ökonomischen Folgekosten zu einem dramatischen Einbruch der Kultursubventionen führen.


Egal ob es sich um steuerfinanzierte öffentliche Museen (wie in Europa) handelt oder um von Privaten gestützte (das Modell das in den USA weit verbreitet ist, im Land mit den meisten Museen, etwa 30.000), es würden im Falle erwartbarer wirtschaftlicher Rückschläge weniger Gelder zur Verfügung stehen, Personal entlassen werden müssen und das Programm verschlankt werden. Museen würden in einen „Überlebensmodus“ versetzt.


Wie sich der Klimawandel entwickeln wird, kann niemand vorhersehen. Aber es scheint inzwischen breiteste Übereinstimmung über seine Dramatik und die Dringlichkeit von Gegenmaßnahmen zu geben. Pomian scheint nicht viel Hoffnung in die Möglichkeit einer Lösung zu setzen und er gibt dem Museum im Fall katastrophischer sozialer und politischer Entwicklungen keine Chance.


Was die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie betrifft, so könnte man Pomian entgegnen, daß die großen, von der öffentlichen Hand getragenen Museen kaum so schnell einfach preisgegeben würden. Das gilt vor allem für die national und regional bedeutsamen Häuser. Und gegen den bedrohlichen Entfall privater Gelder spricht, daß große Vermögen im Augenblick noch wenig betroffen sind. Man hört auch noch nichts (zumindest in Österreich) von Museumsschließungen. Allerdings werden Haushalte von Kommunen und Ländern gekürzt und damit meist auch die Kulturetats. Entlassungen hat es schon gegeben und auch die Streichung von Ausstellungen. Und Großbritannien bietet, mit seiner lange vor Corona einsetzenden neoliberalen Politik ein Beispiel, wie einschneidend sich Einsparungen auf Museen auswirken.


Niemand kann die Dynamik der Pandemie und ihrer Auswirkung auf die Wirtschaft vorhersagen und dasselbe gilt in noch höherem Maß für die Effekte des Klimawandels. Da ist es längst nicht mehr die Frage, ob es zu einer massiven oder katastrophischen Krise kommt, sondern wie schnell und wie vehement sie eintreten wird. Es ist also schwer, Pomians Pessimismus etwas entgegenzusetzen.


Vor vielen Jahren hat schon einmal ein versierter Museumsleiter und Museologe die Frage nach dem „Museum at the end of the time“ gefragt (Dieser Text ist mit zwei weiteren unter dem Übertitel To Help Think about Museums More Intensely als warm-up exercises in der Zeitschrift Museums News, November – December 1996 erschienen, sowie in: Stephen Weil: Making Museums Matter. Washington, Smithsonian Institution, 2002 ). Stephen Weil stellte uns mit seinem Text aber nicht vor alternativlose pessimistische Prognosen. Er skizziert, ironisch und gewissermaßen mit pädagogischer Absicht, wie sich MitarbeiterInnen von Museen je nach ihrer Aufgabe, die sie in der Organisation haben, auf das „Ende der Welt“ einrichten. Der Kurator, der Finanzverantwortliche, der Sicherheitsexperte usw.- wie reagieren sie? Nun, pragmatisch und befangen in ihrer jeweils speziellen, engen und professionellen Sichtweise, aber nie das Ganze des Museums im Auge behaltend. Weils Text ist also auch pessimistisch: Das Museum würde sich zu keiner wirklich nachvollziehbaren, alle Kompetenzen des Museums integrierend Haltung aufraffen können.


Der Große Unterschied zu Pomians Text ist aber der, daß Weil dem Museum zumindest das Potential von Handlungsmöglichkeit einräumt. Mag die Meinungsbildung innerhalb der Organisation angesichts beruflicher Befangenheit auch zersplittern, das Museum könnte und müsste eine Haltung gegenüber der Zukunft auch angesichts ihrer Hoffnungslosigkeit entwickeln. Und Weil fordert uns und die Verantwortlichen an Museen mit seinem Text dazu auf, darüber more intensely nachzudenken.


Pomian erwähnt so eine Möglichkeit einer aktiven Reaktion nicht einmal. Und das hat mit seinem selten einseitigen Museumsbegriff zu tun. Er sieht im Museum eine Art von ewigem Archiv, dessen wichtigste Aufgabe es ist, die ihm anvertrauten Dinge ohne erkennbaren zeitlichen Horizont zu bewahren. Für ihn liegt die „Bestimmung“ des Museums darin, „ihren Sammlungen eine unbegrenzte Zukunft zu sichern“. Daß die konservatorische Aufgabe des Museums nur Sinn macht, wenn mit den aufbewahrten, den deponierten Dingen in Ausstellungen sinnhaft und narrativ kommuniziert wird, interessiert ihn in diesem seinen Text nur allgemein und andeutungsweise. Er bleibt deskriptiv, wenn er die musealisierten kulturellen Güter „als Zeugnisse der menschlichen Innovationskraft“ sieht, wobei er einräumt, daß sie Zeugnisse sowohl der „Wohltaten“ wie der „Verbrechen“ seien.


Leider kann man Stephen Weils Sicht aber ebensowenig praktische Perspektiven abgewinnen. Museen scheinen solchen Herausforderungen, wie er sie an die Wand malt nicht gewachsen. Dabei durfte er sich noch spielerisch, in einer wie an einen Sci-Fi-Film erinnernden Szenario, bewegen. Alle annahmen waren fiktive. Jetzt droht aber ganz real, was damals bei ihm noch konstruiert war. Und es zeigt sich ja auch wirklich, wie überfordert die Museen aktuell sind, wenn sie ihre gesellschaftliche Funktion glaubhaft zu vertreten sollen. 


Der zur Zeit, in der Stephen Weil seinen Text verfasste, nicht denkbare Ernstfall ist eingetreten und wird bei Pomian eindrucksvoll detailliert als Zusammenbruch der Zivilisation beschrieben. Wo es keine Zukunft mehr zu geben scheint, wird das zukunftsorientierte Museum (das es, ich meine: wiederum widersprüchlich und einseitig, für Pomian ist) überflüssig. Ja mehr als das: das was einmal Fortschritt war und positiv besetzt war, ist nun völlig kontaminiert insofern er nur schädliche und „irreversible Veränderungen“ hervorgebracht habe. 


Die Zukunft werde deshalb nicht bloß gleichgültig gegenüber den Museen sein, sondern ihnen feindselig und wohl auch destruktiv gegenüberstehen. „Die Überreste der Vergangenheit, seien es Werke der Kunst oder der Technik oder historische Relikte, verdienen es nicht, bewahrt zu werden, außer vielleicht als Beispiele, wie man es nicht machen sollte. Da die Zukunft eine Serie von Katastrophen sein wird, werden die Menschen, die sie durchleben müssen, auf jeden Fall andere Sorgen haben, als sich für die Überreste einer Vergangenheit zu interessieren, die Schuld an ihrer unheilbaren Notlage ist.“ Die „radikale Ökologie“ ist „ein radikaler Antihumanismus. Als solcher verweigert sie den Museen jegliche positive Bedeutung, sie kann sie nur als Tempel eines Glaubens ansehen, der bekämpft und beseitigt werden muß. Ihr Sieg sollte er je eintreten, würde das Ende der Existenz von Museen bedeuten.“


Pomian bringt aber noch ein weiteres, ein drittes Krisenszenario zur Sprache. Er bleibt dabei ganz allgemein und knapp und wendet sich den großen politischen Spannungen zu. Er beläßt es bei einem einzigen Hinweis, auf die Rivalität im Dreieck USA, China und Russland und deutet eine „Verdüsterung“ an, die in der Veränderung „grundlegender Überzeugungen unserer Gesellschaft“ auswirken, „wie sie auch in den Museen zum Ausdruck kommen.“ Er läßt aber offen, was er darunter versteht. Etwa die zunehmende Kommerzialisierung der Museen, ihre Eventisierung (das Museum als Schwimmbad, als Ort kindlicher Geburtstagsfeiern, als Datingagentur)? Kommt der Kanon der „Werte“ ins rutschen oder schmilzt das das Museum tragende Bildungsbürgertum wie das arktische Eis?


Hier müsste doch die Frage nach der Verantwortung gefragt werden, die die Museen selbst haben, die Frage nach ihrer Reaktion auf die von Pomian beschriebenen Entwicklungen. Welche Reflexion kam aus den Museen selbst, welche Fragen haben sie an sich selbst gerichtet? Die Reaktionen auf die Coronakrise bietet da reichlich Stoff, sich dazu ein Bild zu machen. Sowohl nach der sogenannten „ersten Welle“ und eben jetzt, bei Beginn der zweiten, wehren sich Museen und Museumsverbände gegen die Unterschätzung der Museen als nicht „systemrelevant“ und gegen die Einstufung als „Freizeitorte". Kurzum - sie stellen genau die essentielle Frage, aber, ängstlich, nur indirekt und nicht offen: wer braucht uns noch und wer wird uns künftig noch brauchen und warum? Aber geben die Museen dazu Antworten?


Es gibt in ihren Reaktionen elitistische Arroganz, die sich wenig um solidarisches Verhalten schert und fürs Museum per se kulturelle und besondere Hochachtung fordert. Es gibt den Rückzug auf die mantraartig immer gerne wiedergekäute ICOM Definition, als ob die eine Antwort böte. Es gibt die Beschwörung eines vagen Bildungsbegriff, der nie auf den Punkt gebracht wird und nebulös bleibt. Es gibt die Behauptung, nicht weniger als den Zusammenhalt der Gesellschaft zu bewirken, so als ob eine solche identitätspolitische Funktion je durchdacht und in ihrer ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit je eine dieser Behauptung angemessene Museumspraxis hervorgebracht hätte. Und es gibt die Flucht in die Kommerzialisierung, von der Pomian befürchtet, daß sie sich angesichts der doppelten Bedrohung der Museen noch verstärken wird.


Museen haben es im Konkurrenzkampf um ihren Status und um Quoten, den sie mit andern  kulturellen Institutionen und Events austragen, verlernt, sich sowohl historisch in der Geschichte ihrer Institution fundiert zu definieren noch als aktuell gesellschaftspolitische Akteure zu positionieren. Sie konnten sich auf breiter Anerkennung ausruhen, die weder der Marktlogik unterworfen schien noch der Ökonomie der Aufmerksamkeit: Museen schien in ihrem „Wert“ unantastbar. Da gab es nichts mehr zu begründen oder zu rechtfertigen. So überrascht es nicht, wenn die derzeitige zentrale Forderung der Museen lautet: Lasst uns wieder aufsperren, damit wir weitermache können wie bisher.


Allerdings: Was der eben verstorbene Berliner Philosoph Klaus Heinrich der Universität bescheinigt hat (Selbstaufklärung und Verdrängung. Der Gesellschaft ein Bewusstsein ihrer selbst gebe. Interview. Deutschlandfunk Kultur 5.11.2017 https://www.deutschlandfunkkultur.de/selbstaufklaerung-und-verdraengung-der-gesellschaft-ein.2162.de.html?dram:article_id=399906), kann man auch für das Museum behaupten: beide Institutionen haben ihre aufklärerische Bedeutung verloren. Hier wird nicht nur nicht mehr die Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst angesichts drohender Katastrophen betrieben. Hier haben die Institutionen auch verlernt, diese Aufgabe überhaupt als ihre essentielle wahrzunehmen. Der Museumsbetrieb ist blind geworden gegenüber den Bedingungen und Herausforderungen, aus denen diese einzigartige, merkwürdige und widersprüchliche Institution einmal entstand. Heute ist unklarer denn je, was die Res Publika denn vom Museum eigentlich zu erwarten hat. Der Pessimismus ist begründet, aber er kommt nicht allein aus einer Entwicklung, die die Museen nicht beeinflussen können, sondern er kommt aus ihrer Schwäche, es erst gar nicht versuchen und als ihre dringendste Aufgabe sehen zu wollen.