Der Denkmalschutz hat es generell mit der Erhaltung von Kulturgütern zu tun. Er arbeitet gegen natürlichen, umweltbedingten Verfall an, aber auch gegen Zerstörungen oder Eingriffe, die von Menschen verursacht werden, wie etwa durch Verkehrsbauten, städtebauliche Veränderungen oder Spekulationen mit Immobilien.
Jetzt rückt – nach den verheerenden Unwettern der letzten Wochen – eine neue Bedrohung ins Zentrum der Aufmerksamkeit: umweltbedingte Zerstörungen.
In der Ausgabe der Zeitschrift Monopol vom27.Juli kommt das Fraunhofer-Institut zu Wort, das sich mit solchen Zerstörungen beschäftigt, also ganz genau mit materiellen Folgen des Klimawandels auf kulturelle Überlieferung.
Der Einstieg ins Interview ist gleich dramatisch auf den Verlust des Gedächtnisses der Menschheit konzentriert: „Wenn ein Mensch sein Gedächtnis verliert, was wir oft bei Alzheimerpatienten erleben, wird er orientierungslos und findet sich nicht mehr in der Welt zurecht. Genauso muss man das mit dem Kulturerbe sehen: Unser kulturelles Erbe ist das Gedächtnis der Menschheit. Wenn wir das verlieren, verlieren wir unsere Orientierung.“
Offenbar beschäftigt sich das Institut ganz praktisch mit Fragen, die erwartbare Folgen der Klimaänderungen schon jetzt aufwerfen oder aufwerfen werden – von der Trockenhaltung von Gebäuden bis zur Prognose, daß eine Stadt wie Amsterdam in etwa 40 oder 50 Jahren unter Wasser stehen wird.
Völlig neu ist die Problemlage nicht. Bereits 2002 wurde bei einem Hochwasser in Dresden Kulturgut im geschätzten Wert eines zweistelligen Millionenbetrages zerstört. Hier kehrt ein vor etwas mehr als zweihundert Jahren entwickeltes Bewußtsein von der potentiellen Vernichtung kultureller Überlieferung in neuem Gewand zurück.
Damit kehren aber auch alte Aporien des Denkmal- und Kulturgüterschutzes zurück. Welche Auswahl wird getroffen, von wem? Wer denkt wie darüber nach, was überhaupt unter denkbar dramatischen Veränderungen der Natur und des Sozialen erhaltungswürdig ist und mit welchem Zweck? Kann angesichts der Komplexität und Globalität des Klimawandels überhauot noch arbeitsteilig vorgegangen werden? Die einen retten kulturelles Erbe, die anderen unsere Nahrungsquellen, wieder andere Flora und Fauna usw.?
Einstweilen regiert bürokratischer Eifer: Anbahnung von Forschung, Vernetzung, Gründung von Komitees usw. und eine, überraschend penible, Vorausschau, die das Katastrophische einerseits als planbar, beherrschbar antizipiert und zugleich als bereits unabwendbar einstuft und dennoch Rettungszenarien entwirft.
„Wir haben 55.650 verschiedene Risikoklimakarten erstellt für vier verschiedene Klassen von Kunst: Möbel aus Holz, Gemälde, Papier und bemalte Oberflächen. Ein Beispiel: In der Kathedrale in Dubrovnik hängen Gemälde, für die wir Szenarien bis zum Jahr 2100 berechnet haben, wie stark die gefährdet sein werden.“
Für die zentrale Frage gibt es auch schon eine Antwort. Eine provisorische und fragmentarische. Die Frage lautet: Wer wird noch Interesse an Kulturgütern haben, wenn die uns beim Noch-einmal-Davonkommen nicht werden helfen können und deren Bewahrung nur unter extremen Bedingungen ebenso extreme Kosten und extremen technischen Aufwand möglich sein wird?
„Müssen wir“, fragt Monopol die Expertin des Fraunhofer-Instituts, „vielleicht doch auch loslassen lernen und uns von Kulturgut verabschieden können?“ Die Antwort „Wir werden nicht jedes Stück Kulturerbe erhalten können“, beantwortet nicht, wer in wessen Interesse und mit welchen Kriterien über Erhalten/nicht Erhalten entschieden werden soll. Falls dazu überhaupt Zeit und Wahlmöglichkeiten bleiben.
Der schrecklichste Satz kommt am Schluß. Denn er läßt ahnen, daß der ganze Aufwand an Forschung und Planung nur mehr die Angstblüte der erwarteten Dystopie sein könnte. Mit anderen Worten, daß es möglicherweise keine Wahl mehr gibt: „Mit der Digitalisierung haben wir ein schönes Tool in der Hand, um zerstörtes Kulturgut oder Kulturerbe, das unter Wasser liegen wird, zukünftigen Generationen noch zugänglich zu machen.“
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