Sonntag, 25. Juli 2021

Kleine Geschichte des Museums. Teil 00. Warum Museumsgeschichte schreiben?

 

 

Von den vielen Themen, die einem die Institution Museum zur Beschäftigung anbietet, gehört die Geschichte der Institution zu den vernachlässigsten. Texte, die ich zur Museumsgeschichte auf dem Blog veröffentlicht habe, finden erstaunlich wenige Leser.

Was der Kunsthistoriker und Museologe Walter Grasskamp vor 40 Jahren konstatiert und beklagt hat (1), die Defizite einer Museumsdebatte, die sich ihrer historischen Grundlagen nicht versichert, gilt noch immer. Es ist inzwischen unendlich viel an einzelnen, spezialisierten Untersuchungen erschienen, historische Museumsmonografien, lokale und national Geschichtsschreibungen, problemorientierte Studien, wie etwa solche zum Übergang von den Fürstenmuseen zu den staatlichen oder viele Museumswebseiten, die auch ausführliche Erörterung der eigenen Geschichte bieten. Aber an dem, woran es schon für Grasskamp mangelte, fehlt es noch immer: an einer Zusammenschau, die die Geschichte der Institution als Grundlage der Analyse und Kritik und der jeweils aktuell debattierten kultur- und gesellschaftspolitischen Rolle böten.

Eine brauchbare deutsche Geschichte des Museums liegt derzeit nicht vor, die nach wie vor bedeutendste englischsprachige Publikation stammt von 1970, allein in Frankreich, wo man Grund zur Annahme hätte, daß dessen nationale Museumsentwicklung historischer Forschung günstig ist, beginnt eben eine dreibändige Geschichte zu erscheinen, verfasst von Krzysztof Pomian.

Warum ist das so? Ich fürchte, daß die beste Antwort die ist, die in Grasskamps Buch gegeben wird, also schon über vierzig Jahre alt ist: „Diese Institutionen“, wird dort Bazon Brock zitiert, „verdanken ihre Existenz der Tendenz aller Systeme, sich selbst am Leben zu erhalten. Sie haben sich längst als Bürokratien verselbständigt und die Zwecke ihrer Arbeit zu bloßen Mitteln ihres Fortbestandes pervertiert.“ (2)

Andererseits begründet Grasskamp die Notwendigkeit einer Historisierend der Kultur- und Museumspolitik klar: „Die Theorie beschränkt sich auf eine Interpolation zwischen den bestehenden Verhältnissen und den wünschenswerten, ohne zu klären, wie es denn überhaupt dazu kommen konnte, daß die kulturpolitische Lage so viel zu wünschen übrig läßt.“ (3)

Ich habe Walter Grasskamps Buch Museumsgründer und Museumsstürmer in einem Moment in die Hand bekommen, da ich gerade begonnen hatte, mich mit Museumsgeschichte zu beschäftigen. Es war wichtig, weil es mich in dem bestärkte, was ich an Fragestellungen entwickelt hatte.

Und ich denke, mein wichtigstes Motiv mich mit der Geschichte dieser merkwürdigen Institution zu beschäftigen, die dazu da zu sein schien, Menschen ein Zusammenkommen um Dinge zu ermöglichen, deren Besitz und Gebrauch sie sich verbieten, ware genau das, was er in seinem eben zitierten Satz ausführt. Auch mich erstaunte, daß ausgerechnet jene Institution, die Geschichtsbewußtsein und kollektives Erinnerungsvermögen formierte, ihrer eigenen Geschichte gegenüber derart nachlässig und desinteressiert war.

Ich denke auch heute noch, daß eine Museumskritik im umfassenden Sinn nicht betrieben aber auch einzelne Fragen, wie etwa nach der Rolle der Vermittlung, der Digitalisierung, der neoliberalen unternehmerischen Formierung, der fragwürdigen, kaum je definierten Professionalität der Akteure des Museums u.v.a.m., nicht beantwortet und nicht bearbeitet werden können, ohne ein Wissen um die Geschichte der Institution.

So erscheint mir die z.B. periodische Konjunktur des emphatischen Redens über die Notwendigkeit einer erweiterten und nachdrücklichen Orientierung des Museums am Publikum ziemlich befremdlich wenn nicht manchmal geradezu grotesk, angesichts der historischen Konstellation, in der Museen ja erst gerade dadurch entstanden, als sich ältere Sammlungspraktiken zu öffentlichen Agenturen der Bildung und Vermittlung von Wissen und ästhetischer Erfahrung wandelten. Das Wissen um diesen Wendepunkt ist erstaunlich gering und in medial ausgetragenen Debatten kommt das so gut wie nie zur Sprache.

Welche Schwierigkeiten es bereitet, unter Bedingungen der partiellen Amnesie über den gesellschaftlichen Sinn des Museums zu sprechen. Als in der Coronakrise der Status des Museums plötzlich und schroff in Frage gestellt wurde, war den aufgerufenen, alarmierten Vertretern der Museumszunft anzumerken, wie schwer es ihnen jenseits rhetorisch Floskeln das Museum zu verteidigen.

Ich versuche es also wieder, mit einer (kleinen, provisorischen) Museumsgeschichte und habe mir dazu ältere, im Blog vor Jahren schon veröffentlichte Texte vorgenommen um sie zu überarbeiten und um zu sehen, was davon überholt, veraltet sein könnte - oder aber auch nach wie vor gültig.

Eine Museumsgeschichte zu schreiben, als eine große zusammenhängende Geschichte, scheint mir kaum mehr möglich. Das Museum hat zu viele Aspekte und Facetten, die Forschung hat sich so vieler Fragen angenommen und da das Museum inzwischen zu einem Thema in vielen Wissenschaften geworden ist, sind museologische Debatten unübersehbar geworden.

Ich belasse es daher bei Geschichten statt Geschichte, habe mir einen eher essayistischen Zugang gesucht, greife kleine Beobachtungen, scheinbar nebensächliche Vorgänge auf, um sie wie Symptome auf größere Zusammenhänge hin zu untersuchen und zu thematisieren. Das erlaubt mir, ein anderes Motiv auszuleben, mich mit Museumsgeschichte zu beschäftigen: Die Vielfalt, die Farbigkeit, der Reichtum dieser Geschichte(n). So ist etwas beabsichtigt, was den Titel Auch eine Geschichte des Museums tragen könnte. So zwingt - um ein Beispiel für meine Arbeitsweise zu geben - eine marginale und unbeholfen ausgearbeitete Erwähnung eines neuntältesten Museums dazu, einige grundlegende Fragen zu stellen, ohne die sie gar nicht verstanden werden kann. Und so habe ich genau damit begonnen: mit dem Fragen.

Und hier beginnt es: Kleine Geschichte des Museums 01. Ein neuntältestes Museum   


(1) Walter Grasskamp: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseum. München 1981
(2) Grasskamp zitiert hier aus dem von Gerhard Bott herausgegeben Band Das Museum der Zukunft, das 1971 erschien. (Köln 1971, das Zitat von S.28)
(3) Grasskamp, S.9


4 Kommentare:

  1. Christiane RainerJuli 25, 2021

    Vielleicht wäre es interessant wenn man breit gestreut an "die Öffentlichkeit" die Frage stellt oder als Feststellung formuliert: Es braucht keine Museen mehr, machen wir sie alle zu. Obwohl, zum Antworten fühlen sich wohl nur Leute aufgerufen, die sich für Museen interessieren. Aber uU kommen da Argumente pro Museum, die genau die Positionen widerspiegeln, die Museen selbst ausgeben. Oder es kommen überraschende Meinungen dazu die der Branche zeigen, warum sich Menschen wirklich dafür interessieren oder, warum sie die Institutionen in Frage stellen?

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  2. Ich habe einmal nach einem Vortrag die Frage gestellt, was geschehen würde, wenn plötzlichalle Museen verschwinden würden. Aufgefressen von bildungsfernen Bewohnern eines fernen Sterns, in deren Nahrungskette sich Museen (trotz ihrer harten Schale) als schmackhaft erweisen.
    Es gab keine Wortmeldungen. Eine solche Frage/Annehme ist schlicht übefordernd.
    Aber vielleicht kommt die Frage unter jene, die am kommenden Musuemstag gestellt werden sollen?

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  3. Christiane RainerJuli 25, 2021

    Das eigenartige bei Fragen zu Vorträgen und bei Konferenzen ist ja oft: Es ist Fachpublikum (meist) da, aber es werden kaum Fragen gestellt. Was ich immer schade finde, weil man ist ja als Vortragende bestens vorbereitet zum Thema. Oder auch wenn man an einer Schwachstelle erwischt wird: was soll's. Sicher ist es den Versuch wert, diese Frage am Museumstag zu stellen, da bin ich sehr dafür. Aber ein Forum abseits davon wo von mir aus auch Trolle sich einklinken, das wäre uU eine interessante Sache. Nur wie? Mal überlegen...

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  4. ,Also Trolle - das muß ja vielleicht nicht sein. Aber der Versuch, jenseits der die Interessen der Museen schützenden Verbände und der akademischen Schonrituale eine museologische Diskussionskultur langsam aufzubauen, die hat begonnen: www.museumdenken.eu

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