Gegen die Abfassung einer Museumsgeschichte spricht viel: als globales Erfolgsmodell ist das Museum als Gegenstandsbereich kaum noch überschaubar, auch die museumshistorische Literatur ist durch viele monografische, länderspezifische oder typologische Untersuchungen kaum noch quantitativ rezipierbar. Schließlich ist das reflexive Wissen vom Museum in den letzten Jahrzehnten dermaßen angewachsen, dass ein Einfließen wenigstens der wesentlichen Fragestellungen in eine Historiografie des Museums einerseits unverzichtbar andererseits kaum lösbar erscheint. Kein Wunder, dass die letzte Publikation, die dem Anspruch einer umfassenden Darstellung gerecht wurde (und mangels Alternativen immer noch lohnende Lektüre ist), vor fast vierzig Jahren erschien, Alma Wittlins In Search of a Usable Future.
Hildegard Vieregg muss als im Feld Museum an mehreren und auch leitenden Positionen lange Jahre Tätige und als Präsidentin des International Committee for Museology (ICOFOM, 2001 bis 2007), diese Diskurse und daher die Schwierigkeiten ihres Vorhabens kennen. Sie löst die Probleme, indem sie sie ignoriert. Darin liegt das Versagen und die Zumutung des Buches.
Schon die Gliederung des Stoffes und damit die Strukturierung ihrer Museumsgeschichte steckt voller Widersprüche. Die Autorin wählt einen Zugang über die Typologie des Museums, wobei da allerdings nur zwei Gruppen, denen je ein Buchabschnitt gewidmet ist, übrigbleiben, Kulturgeschichtliche Museen einschließlich der Kunstmusen (als Untergruppe) einerseits und Museen der Naturwissenschaften, Natur- und Technikgeschichte andererseits. Vorangestellt wird dem im ersten Abschnitt ein „weltweiter Überblick“, mit einem Bogen von der antiken kultischen Schatzbildung bis zu „Wegweisende und Einflüsse (sic?) im 20. Jahrhundert“ als ‚europäische Museumsgeschichte’, denen kurze Abschnitte zur Geschichte der Institution in den USA, Asiens und Australiens folgen.
Als Überleitung zum Hauptteil der genannten Abschnitte III und IV wurde eine nur dreieinhalb Seiten lange kursorische Überlegung „Zur Museumstypologie“ als eigener Abschnitt II ausgekoppelt. So weit, so unübersichtlich. Es folgen zum Schluss eine tabellarische Übersicht, Literaturhinweise und ein Sach- und Personenregister.
Die Entscheidung, den Stoff über die Typologie zu gliedern, wäre dann vertretbar, wenn sie sowohl für das Verständnis der Entwicklung des jeweiligen Museumstyps etwas beitrüge, als auch – durch Verknüpfungen und Verweise – für die des Museums generell. Doch wo man auch das Buch aufschlägt, beides wird gar nicht erst versucht. Museumsname reiht sich an Museumsname, manchmal chronologisch, manchmal auch nicht, meist mit kursorischen wenige Zeilen knappen Angaben zu Sammlungen und Themenschwerpunkten versehen.
Die Auswahl und die Gewichtung der Museen bleibt ebenso rätselhaft wie ihre Signifikanz für die historische Entwicklung des Museums allgemein. Die Angaben sind nicht nur überwiegend deskriptiv und selten analytisch, sondern merkwürdig beliebig. Was soll ein Leser mit der Mitteilung anfangen, dass das Zentrale Museum der Kulturrevolution in Peking von „48 intellektuellen Schriftstellern“ angeregt wurde? Die Vatikanischen Museen werden, ohne jeden Versuch, auch nur andeutungsweise die Sonderstellung und -entwicklung dieses Museum zu charakterisieren, als bunt durcheinander gewürfelte Folge von Gründungen vorgestellt, in denen die beiden museologisch und architektonisch bedeutendsten – das Museo Pio-Clementino und der Antikenhof des Belvedere - überhaupt nicht oder nur unzureichend vorkommen. Die Ausführungen zum Cortile del Belvedere lassen, ohne Datumsangabe, einen nicht ohnehin schon informierten Leser völlig im Unklaren über die historische und kunstpolitische Tiefendimension dieser Sammlung. Stattdessen glaubt die Autorin, in Berufung auf einen FAZ-Artikel als Quelle, uns mit dem Satz zufrieden stellen zu können „Aus den Belvedere-Sammlungen ist ein Universalmuseum hervorgegangen“. (S.215)
Die Grundlagen von Wertungen bleiben unklar, weil sie bloß behauptet aber nicht argumentiert werden. So seien die „Rekonstruktionen … im Archäologischen Park Xanten…unübertroffen“ oder das Heeresgeschichtliche Museum in Wien „eines der bedeutendsten historischen Museen der Welt“, wobei der Autorin der Unterschied von militärgeschichtlichem und historischem Museen ebenso gleichgültig zu sein scheint. Außerdem ist es ein wörtliches Zitat aus der Selbstdarstellung des Museums, also eine völlig unkritisch übernommene Wertung. Der eminent wichtige politische Kontext, in dem das Museum entstanden ist, die Revolution von 1848 und ihre Niederschlagung, werden unterschlagen.
Kurzum, das weite Feld Museumsgeschichte wird in winzige Schrebergärten parzelliert, wobei sich gelegentlich die chronologischen Auflistungen zu bloßen Kalendarien verdünnen. Die Seite 208 beispielsweise ist eine dichte Packung von Namen und Jahresdaten, dennoch wird sie uns als „Exemplarische Übersicht: Kunstmuseen“ zugemutet.
Noch ärgerlicher sind Passagen, die den Leser regelrecht in die Irre führen, wie eine falsche Auskunft einen Städtetouristen. Zwei Beispiele. Das vielgenannte Museion von Alexandria wird von Vieregg als Indiz einer ägyptischen Genealogie des Museums eingeführt (ich zitiere mit ihren Kursivsetzungen): „Auch die europäische Museumsentwicklung ist nicht denkbar ohne den ägyptischen Impuls“, nämlich „ausgehend von der berühmten Bibliothek und dem Forschungsinstitut in Alexandria/Ägypten…“. Nun, Alexandria war eine griechische Gründung und auch zur Zeit der Errichtung des Museion eine griechische Stadt. Museion ist das Wort für eine sowohl mythologische Vorstellung als auch gesellschaftlich-kulturelle Praxis der Formierung eines kollektiven Gedächtnisses. Diese griechische Gedächtniskultur war einzigartig und neu, nichts dergleichen gab es bis dahin in anderen Kulturen, auch nicht in der ägyptischen.
Zweites Beispiel: Dem Königlichen Museum in Berlin lag ein von einer von Wilhelm von Humboldt geleiteten Kommission erarbeitetes Konzept zugrunde. Vieregg fasst dessen Ideen und damit den Zweck des Museums, mit Berufung auf einen Essay von Hermann Lübbe zusammen. Aufgabe des Museums sei „Repräsentation“ gewesen. Das hat Lübbe aber nicht geschrieben und gemeint. Nach den Museumsgründungen der Französischen Revolution ist das Berliner Museum das erste, und darin modellhaft bis heute, daß es als Konzept und Architektur bürgerliche Öffentlichkeit sowohl voraussetzt, anspricht als auch formiert. Das Museum hatte einen, wie es Lübbe nennt, „Staatsnutzen“, aber verstanden als Humanisierung der Nation durch an die Bürger adressierte Bildung und Kunsterfahrung. Das prozesshafte Verständnis von Bildung wird in der Architektur sinnfällig gemacht durch die Inszenierung einer zivilisatorischen Rites de passage, in der man Bau und Sammlungen in einer sorgfältig durchdachten Abfolge von Räumen, Sammlungen und Kunstwerken durchquert hat. Dem öffentlichen und öffentlichkeitsbildenden Zweck kommt das Gebäude schon beim Betreten mit der antike Vorbilder rezipierenden Halle entgegen, die das Scharnier von städtischem und musealem Raum darstellt. Viereggs Hinweis auf die Vorbildlichkeit des römisch-antiken Pantheon für Schinkels Bau ist als pauschal gemeinter falsch, er gilt nur für diesen Raum, die Rotunde und auch da eher für die die antike Form vermittelnden Räume des Museo Pio-Clementino, wo diese pathetische und symbolisch übercodierte Raumform als Sammlungarchitektur verwendet wird.
Die protodemokratischen Elemente sind sowohl im Konzept, das unter Wilhelm von Humboldts Leitung verfasst wurde, unübersehbar, als auch signifikant für die Ideen Schinkels, mit denen erstmals das Ideal des bürgerliche Öffentlichkeit adressierenden und herstellenden Bildungsmuseums einen architektonischen Ausdruck findet. Hier hätte man bemerken können, dass die Anfänge der europäischen Museumsidee als Projekt der Moderne untrennbar mit der Idee der Demokratie verknüpft sind. Die starke und gleich zweimal vorgebrachte Aussage zu Beginn des Abschnitts zur Museumsgeschichte in den USA (S.66), „anders als auf dem europäischen Kontinent waren Museen von Anfang an demokratische Einrichtungen mit einem Bildungsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit“, impliziert eine falsche und – wiederum – grob irreführende Schlussfolgerung. Die frühen amerikanischen Gründungen stehen in der Tat mit der Staatengründung in enger Verbindung, aber das vollzieht sich gleichzeitig mit Europa und mit anderen pädagogischen und pragmatischen Zielsetzungen.
Ich breche hier ab. Dem Buch geht jeder Begriff vom Museum ab und auch jeder Versuch, der doch so lohnend wäre, diesen Begriff über die Erzählung der Geschichte der Institution zu entwickeln. Stattdessen werden wir mit unzusammenhängenden, unstrukturierten, widersprüchlichen und oft massiv irreführenden Informationen konfrontiert. Aber auch reichlich mit Leersätzen und Stilblüten („Technikgeschichtliche Museen haben unterschiedliche Leitkonzepte“ (S.236), „Auch das Thema Mensch und Maschine bewegt seit jeher die Museumsgestalter…“ (S.254), „Auch berühmte Architekten haben Museen für Indien entworfen“ (S.84), „Auch im 20. Jahrhundert sorgte der Louvre für Überraschungen – als z.B. 1989 die Pyramide des Grand (sic!) Louvre eröffnet wurde.“ (S.191), „Nach den Erfahrungen mit und in Konkurrenz zu Napoleon erwachte auch in Deutschland und anderen Ländern die Wertschätzung der Kunst.“ (S.193)). Dazu kommen falsche Daten und falsch geschriebenen Namen: Das von Karl Friedrich von (sic!) Schinkel gebaute Museum wird laut ‚Übersicht’ (S.267ff.) 1825/28 eröffnet. Also zwei Mal ? Nein, das richtige Jahr ist 1830. Das Tropenmuseum in Amsterdam wird als Kindermuseum vorgestellt und der Name eines der entwicklungsgeschichtlich bedeutendsten und schönsten Museumsräume, der Grande Galerie des Louvre, wird grausam zu Grand (sic!) Gallery (sic!) verstümmelt.
Ich sagte eingangs, dass die eminente Schwierigkeit der Darstellung einer Museumsgeschichte heute in der Überfülle der Fragestellungen und Phänomene, also in einem enorm differenzierten museologischen Wissen, dessen Verarbeitung einem Einzelnen nicht ehr möglich ist. Die Autorin 'löst' diese durch Ignorieren.
Zum ersten Mal hatte ich bei der Lektüre eines Buchs den Eindruck, dass da jemand im Wissen schreibt, dass er der selbstgestellten Aufgabe nicht gewachsen ist. Ein Blick in die bloß vier Seiten umfassenden ‚Literaturhinweise’ bestätigen den Eindruck. Hier fehlt, mit eher zufällig erscheinenden Ausnahmen, so gut wie alles, was an einschlägiger Grundlagenliteratur und Forschung vorhanden ist. Man kann schon, wie es Hildegard Vieregg gerne tut, auf Studentenarbeiten von Universitäten, auf Zeitungsartikel oder auch mal den Reclam Kunstführer zurückgreifen, aber doch nicht dann, wenn stattdessen ausgezeichnete einschlägige Literatur vorhanden ist. Und nicht dann, wenn man Autoren und Autorinnen wie Grasskamp, Hooper-Greenhill, Minges, Wittlin, Impey, Hudson, Sheehan, Bredekamp, McClellan, Bazin und viele viele andere völlig ignoriert. Wie kann man ein Buch vorlegen, das hinter allem zurückbleibt, was man museologisch und museumsgeschichtlich heute wissen kann? Wie kann man als beruflich in vielen Funktion mit Museumsfragen befasste und vertraute Expertin, so gut wie alle Diskurse negieren ? Wie kann ein renommierter Wissenschaftsverlag ein solches Buch anbieten, noch dazu unlektoriert, mit all den Fehlern, Schlampigkeiten, sachlichen Fehlern und stilistischen Schwächen ?
Das Buch ist eine Zumutung der Autorin und des Verlags.
Hildegard Vieregg: Geschichte des Museums. Eine Einführung. Wilhelm Fink Verlag. München 2008. 343 Seiten
"Staatspräsident François Mitterrand initiierte 1981 das Projekt „Grand-Louvre“, mit dem der gesamte Gebäudekomplex einer musealen Nutzung unterworfen wird, und das 1999 abgeschlossen wurde. In diesem Rahmen wurde unter anderem die Galerie d'Apollon restauriert und die Glaspyramide geschaffen." (wikipedia)
AntwortenLöschenIn diesem Punkt greifen Sie die Autorin völlig zu Unrecht an...
Sie haben recht: es heißt "Grand Louvre", aber (weiter unten) fälschlich "Grand Gallery" . Das schmälert aber in keiner Weise meine Gesamtkritik des Buches. Gottfried Fliedl
AntwortenLöschenSollte da tatsächlich "Grand Gallery" stehen, würde ich allerdings auch an der Sorgfalt der Autorin zweifeln.
AntwortenLöschenBy the way: Können Sie Ihr Blog nicht so einrichten, dass man auch ohne Google-Konto kommentieren kann. Würde mich freuen.
Ich fürchte: nein. Aber ich sehe mir mal die Voreinstellungen an.
AntwortenLöschenAllerdings lade ich Sie ein, mit Ihrem Namen zu Kommentieren. In einem Museumsblog muß man sich nicht mit eienm Pseudonym tarnen und es macht die Kommunikation persönlicher. Freundliche Grüße!
Weil ich das ebenso sehe wie Sie, würde ich gerne mit meinem eigenen Namen posten. Doch wie tue ich das hier? (Oder stehe ich auf meinem Schlauch?)
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