Dienstag, 9. März 2010
Das Genie kann nicht erklärt werden. Deutungsängste im Zeitalter von CSI
Das Wiener Kunsthistorische Museum widmet einem seiner berühmtesten Gemälde eine eigene Ausstellung: Vermeer. Die Malkunst. Spurensicherung an einem Meisterwerk.
Die Ausstellung beginnt mit einer (Ent)Täuschung, mit einer Replik des Gemäldes (von Sophie Matisse), auf der allerdings die beiden Figuren, der Maler und die Muse, fehlen. Das ist ein kleiner Schock, der allererst mal unsere Wahrnehmungsfaulheit aufstört, ein Versuch, dem Bild, das man im Kopf schon fertig mitgebracht hat, in die Quere zu kommen.
Man hat aber vor diesem fragmentierten Bild beruhigenderweise schon das Original im Blick.
Restauriert und neuerlich mit naturwissenschaftlichen Methoden auf seinen Zustand untersucht. Und von Besuchern umlagert, viele mit einem Audioguide am Ohr, einige ins nicht immer nur kunstbeflissene Gespräch vertieft, manche mit dem Handy, von denen einer mich zum unfreiwilligen Zeugen eines Erbschaftsstreites um ein Haus werden ließ...
Die Zustandsanalyse, die man vorgenommen hat, nachdem das Bild seit Jahrzehnten immer und immer wieder auf Reisen geschickt wurde, scheint einer der Anlässe für die Ausstellung zu sein. Ein zweiter Anlass war möglicherweise eine aktuelle Restitutionsforderung der einstigen Besitzerfamilie, die das Bild zwar an Adolf Hitler verkauft hatte (der es für das Führermuseum in Linz wünschte), aber den Besitzanspruch des Kunsthistorischen Museums derzeit anficht.
Sowohl die Provenienzgeschichte des Werkes (die sich nicht lückenlos rekonstruieren läßt) und der Restitutionsanspruch sind (neutral aber nicht besonders differenziert) dokumentiert, als auch die ‚Reisetätigkeit’ des Gemäldes, die bald nach dessen Aufnahme ins Museum einsetzte. Auf einer riesigen schematischen Landkarte werden die Reisen markiert, auf die man das Bild geschickt hat, ergänzt von einer langen Liste von Entlehnungen. Hier wird ein eher unterschwelliger, normalerweise nicht an das Publikum adressierter Diskurs sichtbar gemacht, in dem sich Restauratoren und Kuratoren gegenüberstehen. Wo letztere – aus verschiedenen Motiven (finanziellen, institutions- oder bildungspolitischen) – das Zirkulieren der Bilder eher fördern, bremsen Restauratoren mit Hinweis auf die Fragilität des Materials.
Das kann bis zu einer Haltung gehen, Werke nur unter restriktiven Auflagen zu zeigen oder überhaupt der Öffentlichkeit im Namen einer unbestimmten Lebensdauer des Artefakts entziehen zu wollen, und nicht immer ist den Beteiligten die Paradoxie einer solchen Haltung bewußt, die den ‚Genuß’ des Werks auf einen nie kalkulierbaren, vielleicht auch nie
eintretenden fernen Tag verlegt.
Der technische Fortschritt, das zeigt die Ausstellung, erlaubt immer feinere Introspektionen, so daß sich auch der Begriff der Beschädigung verändert und bis in die Mikrostruktur der Materialien hinein verschiebt. Man fragt sich, unter welchen Umstanden denn ein Bild noch manipuliert, gezeigt, verliehen werden kann, wenn schon die winzigste Veränderung als für das Werk bedrohlich interpretiert wird. Steht dahinter nicht ein Phantsma einer ewigen Dauer, das uns (im Museum ohnehin) stellvertretend durch die Dauer der Dinge über unsere eigene Endlichkeit hinwegtrösten soll?
Konsequenzen kann ein restauratorischer Befund auch für die Werkdeutung haben. Das Kunsthistorische Museum hat bereits mehrere Ausstellungen ausgerichtet, in denen naturwissenschaftlich fundierte Untersuchungen nicht nur die Basis der restauratorischen
Beurteilung sondern auch neuer Einsichten in den’Sinn’ eines Werkes sein sollten.
Aufgefallen ist mir das zum Beispiel an der Giorgione-Ausstellung, wo viele Röntgenaufnahmen - ähnlich wie die Spurensicherung einer Krankheit beim Menschen – objektivierbare Indizien der Werkinterpretation liefern sollten. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß damit die Deutungsoffenheit des Werkes als auch der lebendige und fließende‚ Text’ der Interpretationsgeschichte in den Hintergrund gedrängt werden sollten - zugunsten nur noch derjenigen Befunde, die wie naturwissenschaftlich untersuchte und geprüfte kriminologische Indizien zweifelsfrei ‚feststellbar’ und ‚belegbar’ sind. CSI statt art history?
So vielfältig der konservatorische, historische, zeitpolitische (Restitution) Kontext des Vermeer-Gemäldes auch dokumentiert wird, einschließlich der – charakteristischerweise nur technischen – Produktionsbedingungen, so erstaunlich wenig erfährt man über die Bedeutungen und Bedeutungsgeschichte. Zwar gibt es eine interaktive Station, wo man chronologisch aufgefädelte Äußerungen von Kunst- und Kulturwissenschaftern abrufen kann, aber alle diese Zitate bekräftigen nur den Status des Künstlergenies und des Meisterwerkes und erschließen nichts von den unterschiedlichen Interpretationen. Dort wo die Ausstellung auf die Bedeutungen zu sprechen kommt, verweist sie uns bezeichnenderweise auf ‚Realien’, auf die im Bild dargestellten Objekte, die – als Original oder Replik – gezeigt werden.
Das Wams des Malers, die Trompete der Muse, die Landkarte der Niederlande, das Modell einer Camera Obscura vor einer Puppe des Malers und anderes mehr. Ich habe nicht verstanden, welchen Mehrwert an Einsichten ich gewinne, wenn ich diese Dinge nun nicht auf der Leinwand, sondern dreidimensional, physisch präsent, vor allem aber vereinzelt zu sehen bekomme. Wenn doch deren Bedeutung sich erst im Bild und gemeinsam mit allen anderen Elementen herstellt? Das ‚Reale’ der Dinge ist gerade im Bild und durch ihre Transformation zum Bildgegenstand auf eine andere Weise real, als es diese selbst als haptische Exponate im Ausstellungsraum sind. Während das physische Ding uns durch seine Präsenz eine greifbare Konkretheit zu vermitteln scheinen, löst sich im Bild diese Eindeutigkeit auf, und es beginnt jene offenbar unabschließbare Semiose, die wir im ‚Lesen’ des Bildes immer weiter und weiter treiben und bei dem es nie einen Abschluß, nie Eindeutigkeit gibt.
In Hinblick auf Ausstellungen scheint diese Offenheit der Wirkung von Dingen und damit der ‚Botschaft’ ganzer Ausstellungen schon lange als beunruhigend empfunden zu werden. Produktionsanleitungen und -regeln (wie solche zum Verfassen von Texten), Evaluationen, Motivforschung, empirische Kontrolle des Lernprozesses, alle diese Versuche deuten auf eine Sehnsucht nach Vereindeutigung des vermittelten Sinns hin. In der Vermeer-Ausstellung scheint sich die Sehnsucht auf das Werk auszudehnen. Soll das Beunruhigende, das Verstörende, das Nicht-Fassbare, möglichst vermieden, eingeschränkt werden?
Immerhin öffnet die Ausstellung mit der Konfrontation des Originals mit von ihm inspirierten zeitgenössischen Arbeiten den Deutungsspielraum. Das erwähnte Gemälde, vor dem man als erstem Objekt beim Eintreten in die Schau steht und eine kleine Sammlung weiterer Bilder bzw. Filme – allerdings nicht im Hauptraum – bringen die Assoziationsmöglichkeiten in Bewegeung. Den witzigen Schlußpunkt darf Maria Lassnigs Trickfilm setzen. Mit ihm thematisiert sie das Verhältnis Maler Modell als einen geschlechtspezifischen Beziehungsmodus, an dessen Ende die Umkehrung und damit die der Macht- und Blickverhältnisse stehen: jetzt steht der Maler Modell – nackt – und die Muse sitzt an der Staffelei.
Ungerührt von der Drastik dieses kurzen Films fabuliert der kommentierende Text, den zentralen Witz des Werks ungerührt mißachtend, vom „ewigen Geschlechterkampf". Die Maler – Modell-Beziehung ist ein gut von der Kunstwissenschaft erforschtes Feld und ist auch ein zentrales Motiv (neben vielen anderen) in Vermeers Bild. Warum wird nicht damit gearbeitet? Warum arbeitet man nicht mit den Motiven des Bildes und den wichtigsten Deutungen? Eine Analysis of a Masterpiece, wie der Untertitel übersetzt heißt, das bietet die Ausstellung gerade nicht - beziehungsweise nur in Splittern. Spurensicherung an einem Meisterwerk, der originale Untertitel, passt auch besser zur Haltung der Ausstellung. Es geht nicht nur um die Sicherung des Werkes (die des Stofflichen, durch Restaurierung und Konservierung), es geht auch um das, was sicher gewußt werden kann. Aber Kommunikation mit Kunst entzieht sich dieser Versicherung und läuft immer auch quer zu den oder gegen die institutionell absicherbaren und offiziellen Hinsichten – und auch über das naturwissenschaftlich Feststellbare hinaus.
PS.: Zum Zustand der Ausstellungskritik greife man zur Frankfurter Rundschau. Nicht mal Maria Lassnig ist richtig geschrieben. Dafür gibts ziemlich viel Bewunderungsschwulst für Vermeer. Nüchterner und lesbarer die Kritik in der taz, wo man aber mit der Zugangsweise zum Bild schnell zufrieden ist: "Es scheint, als solle anhand von Vermeers "Ruhm der Malkunst" eine Einführung in kunsthistorische Methodik gegeben werden. Sie reicht von der Bestimmung der Pigmentschichten unterm Mikroskop bis zur Entzifferung des Nachlassinventars. Es werden die zahlreichen im Bild präsentierten Objekte entschlüsselt, die Wandkarte etwa wird minutiös ausbuchstabiert. Nachgeschneiderte Kostüme werden genauso gezeigt wie Peter Greenaways Hommage an Vermeer in seinem Film 'ZOO'."
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