Sonntag, 14. März 2010

Ein "anderes" Heimatmuseum: Landeck



Heimatmuseen sind beliebt und haben eine schlechte Presse. Was an ihnen kritisiert wird, wird selten zur Grundlage neuer Konzepte. Um so größeres Interesse verdient ein Museum, das sich programmatisch selbst als ein ‚etwas anderes Heimatmuseum’ bezeichnet – das Museum in der Burg von Landeck.
Von so vielen anderen lokalen Museen unterscheidet es sich dadurch, daß es ein einziges Thema zum Leitfaden der Ausstellung macht: die für den Raum Landeck seit Jahrhunderten prägende und meist durch Not erzwungene Emigration.
So erfahren wir hier etwas über die „Schwabenkinder“, Kinder, die von ihren Familien aus wirtschaftlicher Not getrennt wurden und hunderte Kilometer nach Norden wanderten, um als unbezahlte Arbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Die unter anderem durch Naturalteilung von Hof und Grund schwindende Existenzgrundlage zwang viele auf Dauer auszuwandern, z.B. in das – oft nur scheinbar – glücksverheißende Amerika, oder nach Peru, das als exotischer Exilort ausführlich thematisiert wird.
Die Erläuterungen zum ‚Schlepperunwesen’ des 19. Jahrhunderts, der organisierten Ausbeutung und Irreführung von Auswanderern, belehrt uns über bis heute andauernde Kontinuitäten im Umgang mit Exilierten.
Besonders sorgfältig werden die „Jenischen“ vorgestellt: Wer Hab und Gut verlor und nicht irgendwohin auswandern wollte oder konnte, verdingte sich als umherziehender Händler, Taglöhner oder Handwerker. Diese heterogene Gruppe depravierter Menschen bildete über eine eigene Sprache so etwas wie Gruppenidentität aus. Das Museum dokumentiert Leben und Sprache der Jenischen in Form eines umfangreichen, in die Ausstellung integrierten und daher jederzeit zugänglichen Archivs, wo man auch als Besucher selbst vertiefende Informationen abrufen kann.
Mit diesem ‚lebenden Archiv’, den Angeboten für Kinder, die viele sichtbare Anreize und Spuren im Museum vorfinden, den interaktiven Stationen, erweckt das Museum zusammen mit der Sammlung einen dem Besucher ‚entgegenkommenden’ Eindruck. Die für all diese Funktionen nötigen Objekte, Texte, Installationen, Geräte und Hilfsmittel verleihen allerdings vielen – ohnehin nicht großen - Räumen etwas Zerfransendes, Unruhiges, bunt Zusammengestelltes. Das Nebeneinander von modernem Design, beeindruckender 3D-Computeranimation, selbstgebastelter mechanischer Krippe, alten Mauern und Fresken, gekonnt programmierten Displays und last but not least, dem, was ein Heimatmuseum eben auszeichnet, Geräten, Geschirr, Werkzeugen, Möbeln, Kleidern usw. ist manchmal zu dicht.
Dazu kommt, daß um das zentrale Thema andere gruppiert werden, wie etwa Zünfte, Gerichtsbarkeit, Religiosität, frühe Industrialisierung, NS-Zeit, so daß das Hauptthema, ohnehin nur fragmentiert erzählbar, auch räumlich fragmentiert präsentiert werden muss. Diese Fragmentierung wird von der labyrinthischen Struktur des Gebäudes verstärkt, gegen die auch das ambitionierte Leitsystem kaum etwas auszurichten vermag.
Macht aber nichts!, fand ich bei meinem Besuch, ich verirre mich gerne und lasse mich überraschen: als ich alles erschöpfend zu sehen geglaubt hatte und den Ausgang suchte, entdeckte ich noch einen Raum. Und dann noch einen, nicht gerade den unwichtigsten, nämlich den mit den ‚kostbarsten’ Objekten, mittelalterlichen Spielkarten, den ältesten des Deutschen Sprachraumes.
Beinahe übersehen hätte ich auch eine kleine ‚Installation’ im Bereich der Treppe, die die wichtige Verknüpfung des zentralen Themas mit der Gegenwart von Stadt und Region leisten soll. In einem Kistchen liegen zur freien Entnahme ‚Ansichts’-Karten auf, grafisch anspruchsvoll gemacht und - die in Österreich der 20er-Jahre erfundene - Methode der Bildstatistik originell nutzend. Hier erfährt man über diverse Statistiken etwas zur Situation von Landeck, seine Bevölkerung, seine Wirtschaft und die immer noch andauernden Probleme einer 'strukturschwachen' Region.
Warum man sich entschlossen hat, ausgerechnet diese wichtige Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart nicht in die räumlich-gestalterische Kohärenz des Museums aufzunehmen? Vielleicht wegen der unanschaulichen Abstraktheit heutiger ökonomischer und sozialer Strukturen?
Auch an anderen wichtigen Themen müssen Grafiken, Statistiken und Tabellen herhalten. Die Auswanderung der Schwabenkinder wird anhand einer Statistik veranschaulicht, die als ein Höhenweg über zackige Bergkämme gestaltet ist, der die physische Anstrengung veranschaulichen soll. Die Emigration nach Peru wird von einem Namensverzeichnis der Auswanderer einbegleitet, das so dicht wie auch kaum leserlich aber mit ihrer Botschaft, daß es 'sehr viele' waren, das Ausmaß der Auswanderung zu verdeutlicht.
Mein größter Einwand gilt diesem Scheitern der Visualisierung des Themas. Es gibt viele Informationen, aber als Text und Statistik. Auch die bewährten und sinnvollen Kurzbiografien sind vor allem: Text. Gewiss war es schwierig, ein Thema, das in der überlieferten Sammlung wahrscheinlich kaum repräsentiert war und das viele unanschauliche Aspekte enthält, mit visuellen Mitteln zu kommunizieren. An ein paar Stellen ist das gelungen. Etwas konventionell mit der Aufteilung eines ganzen Ausstellungsraumes in Felder mit Hilfe von Klebebändern, die die Naturalteilung veranschaulicht. Die ‚Grenzstreifen’ gehen mitten durch einen Tisch und durch einen – zweigeteilten – Teller.
Überzeugender der Umgang mit einem – in einschlägigen Museen so beliebten – ‚authentischen’ Interieur einer bäuerlichen Stube. Alles scheint so zu sein ‚wie es immer war’ (ein erwünschter aber täuschender Effekt solcher zumeist hochfiktionalen Environments). Wir betreten die 'gute Stube', als wäre sie von ihren Benutzern eben verlassen worden. Aber die Aussicht aus den zwei Fenstern, die hat man auf einen peruanischen Urwald. Das ist mehr als ein überraschender Gag. Das ist ein kleiner Schock, eine Irritation, über die deutlich wird, daß die Auswanderer ihre gewohnte Welt mit sich nahmen und auch in noch so ferner und exotischer Umgebung an ihr, so weit es möglich war, festhielten. In Zeiten, in denen wir Immigranten weitestgehende Integration und Anpassung abverlangen, erteilt uns der kleine visuelle Kunstgriff eine Lehre und wirft ein Blitzlicht auf ein großes gesellschaftspolitisches Gegenwartsthema.
Das weitgehende Fehlen solcher visueller Argumentationen hat zur Folge, daß das Museum in großen Teilen auf den ersten Blick nicht anders aussieht, als die meisten derartigen Museen. Auch hier findet man – manchmal buchstäblich – zuhauf die ‚üblichen Verdächtigen’ des Reliktfundus der Heimatmuseen. Meist brechen erst Texte (Zitate, Objektbeschriftungen, Computertexte oder Texttafeln) das vertraute Museumsmilieu auf. Das aber nicht immer.
Religion wird mit dichtem Objektarrangement und dichter Objektbetextung, aber ohne jede analytische Distanz vorgeführt – es sei denn, man ist bereit, die Nachbarschaft grimmiger Masken mit der in nazarenischen Unschuldsschlaf gefallenen Heiligen Rosalie von Palermo als bewusste Entscheidung der Ausstellungsmacher und als ironische Brechung zu lesen. Bei der Darstellung der ‚wehrhaften’ Seite Tirols, des Schützenwesens und des Jahres 1809, darf man schon dankbar sein, daß auf allzu pathetisch Rhetorik verzichtet wurde, wenngleich das Objektarrangement von Waffen und Gekreuzigtem den traditionellen Patriotismus wie eh und je bedient.
Der Versuch, in der Burg Landeck ein „etwas anderes Heimatmuseum“ zu errichten und ein tief in unsere Gegenwart hereinwirkendes Thema aufzugreifen verdient Respekt. Meine Kritik richtet sich nicht gegen die anerkennenswerte Ambition. Ich denke aber, dass das Museum ein Beispiel für die Schwierigkeit ist, die besonderen Möglichkeiten des Museums als hybriden Medium gerecht zu werden, das nur im durchdachten Zusammenspiel von architektonischem und sozialem Raum, Exponaten, Zeigemöbeln, Wegführung, Texten uvam. sowie dem flanierenden Besucher glücken kann. Was an manchen Stellen geglückt ist, ist ebenso ermutigend, wie die für ein derartiges Museum ungewöhnliche, sowohl aktuelle als auch sozialpolitisch wichtige Fragestellung.

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