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Dienstag, 1. Juni 2021

Verwildertes Denken (Texte im Museum 989)

 

Und noch einmal die Steiermark-Schau, und noch einmal jemer Teil, der "was war" heißt und im Geschichtsmuseum gezeigt wird. Wenn "Natur" oder "Wildnis" begrifflich-sprachliche Werkzeuge sind, die nur dem Menschen zur Verfügung stehen, dann wie etwas ohne Menschen Natur genannt werden kann, die Wildnis "ist". Könnte von Karl Valentin sein. (Foto GF)

Identitätshumor. Steinzeitsteiermark (Texte im Museum 988)

 


Demnächst wird meine Sammlung von Museumstexten eintausend Beispiele umfassen. Und noch immer gibt es, zur Freude des Sammlers, überraschende, aufschlussreiche, komische oder merkwürdige Funde. 

Hier ein besonderes Exemplar projektiver Zeitvorstellung: Es soll etwas lange gedauert haben, was es aber zur Zeit dieser Dauer gar nicht gab. Es soll Identität im Rückgriff durch etwas hergestellt werden, was in keiner Weise mit dem zu tun hat, womit es identisch sein soll. Die Steiermark gab es zur Steinzeit nun mal nicht. Unfreiwillig komisch wird der Text, weil er das Projektive dadurch überbietet, daß eine Vergangenheit, die nicht Teil der Landesgeschichte ist, als ihren Teil ausgibt und noch dazu ihren "längsten", 60.000 Jahre. So besehen wären die Steirer "immer schon" Steinzeitmenschen, oder?

In der derzeit an vier Orten laufenden "Steiermark-Schau" geht es um Identität. Für Identität ist ihre zeitliche Tiefe wichtig, aber auch die Vorstellung eines Ursprungs, einer Herkunft. In der unmöglichen Operation "Steinzeitsteiermark" wird so ein Ursprung hergestellt. Aber nicht nur durch das Ineinanderblenden von Zeiten, die inkompatibel sind. Sondern noch durch eine zweite Information: die zur Sesshaftigkeit". Das ist nun eine Art Trigger für die Gegenwart. Sesshaftigkeit steht im Gegensatz zu nomadischer Lebensweise und erscheint hier als die spätere Stufe der Evolution. Also als Überwindung des Nomadischen. Die Steirer mögen in Höhlen gelebt haben, aber sie waren sesshaft. Und: sie waren schon da (in ihren Höhlen), während andere noch durch die Gegend zogen.

Vor Jahren habe ich in einem anderen Museum einen ähnlichen Text gefunden. Da hieß es, im Krahuletz-Museum im Niederösterreichischen Eggenburg: "Vor 5000 Jahren wurde der Nomade bei uns sesshaft".

Sesshaft, das sind "wir". Nomadisch, das sind die Anderen. Die Flüchtlinge, die Asylsuchenden, die Migranten. Dieser Topos ist heute ungleich brisanter als zu der Zeit, als der (inzwischen verschwundene) Text in Eggenberg geschrieben wurde. Es ist ein aktuelles Identitätsangebot, das eine Unterscheidung trifft, die eine Wertung ist. Wir/Andere. Mit "uns", mit unserer Sesshaftigkeit setzen wir einen Anfang: von Kultur, Gesellschaftlichkeit, Staatlichkeit.

Möglich, daß diese doppelte Fehlleistung den Kuratorinnen der Grazer Ausstellung nur "passiert" ist, also sich unbewußt eingeschlichen hat, wie eine Fehlleistung. (Seltsam, daß da niemand Einhalt geboten hat - mindestens einem Lektor muß aufgefallen sein, daß das ein buchstäblich unmöglicher Satz ist). Symptomatisch ist der Text allemal. 

 

Mittwoch, 24. Januar 2018

Geschichtsschreibung auf Niederösterreichisch. Das "Haus der Geschichte" in St. Pölten

Vor einer Woche erschien im FALTER  (Nr.3/18 vom 17.3.2018)mein Text zum "Haus der Geschichte" in St. Pölten, unter dem Titel "Gulasch ohne Saft" - ein Zitat eines niederösterreichischen Landeshauptmannes aus der Ausstellung. Ich stelle den Text nun hier, ergänzt um einige Bilder, online.


Als kürzlich Franz Fischler in einem Zeitungsartikel für ein Ernstnehmen des Wiener Hauses der Geschichte Österreich argumentierte und dessen Emanzipation aus einem fragilen Provisorium forderte, erwähnte er mit keinem Wort das bereits existierende Museum in St. Pölten.
Dabei beansprucht dieses, die Geschichte Niederösterreichs eingebettet in die Österreichs und Zentraleuropas darzustellen, während man sich Wien erst einmal mit einer Ausstellung von der Republikgründung 1918 bis zur Gegenwart begnügen muss. In St.Pölten kokettiert man mit dem Adjektiv „erstes Geschichtsmuseum Österreichs“.
Ein erster, sehr ausführlicher Besuch zeigt, dass der Anspruch auf Repräsentation der Geschichte des ganzen Landes schon auf Grund der auf Niederösterreich zugeschnittenen Sammlung nicht eingelöst wird. Die Ausstellung bleibt am Anfang sehr kursorisch und wird in viele Themen aufgesplittert, die als einzelne durchaus interessant gewählt sein können, aber es dem Besucher erschweren, Strukturen herauszulesen. Erst mit der Aufklärung setzt eine Verdichtung ein, die im Abschnitt zum eher knapp abgehandelten Ersten und breit dargestellten Zweiten Weltkrieg zu einer überproportional breiten Darstellung wird.


Überaus befremdlich ist dort das Motto „Gleichschritt“, das nicht als Kennzeichnung einer militärischen Marschordnung dient, sondern als Gleichsetzung des NS-Terrorsystems mit dem der stalinistischen Sowjetunion benutzt wird. Mehrere Texte behaupten diese Identität und eine riesige Grafik an der Wand versammelt in ein- und demselben Rot markiert alle nur erdenklichen Lager. Die Botschaft ist klar: es gab nur einen Terror.
Was in den Wissenschaften verantwortungsbewusst und differenziert diskutiert wird, tritt hier als Tatsache auf. Es bleibt überdies unklar, was diese fragwürdige Gleichsetzung zur Erhellung der (Nieder)Österreichischen Geschichte beiträgt? Oder geht es nur um die Relativierung des Nationalsozialismus?

Mit dem Weltkrieg und einem kurzen Exkurs zu unmittelbaren Nachkriegszeit bricht die Ausstellung überraschend ab, um in einen ganz anderen Modus zu wechseln. Den der unverblümten (partei)politischen Sicht auf die Zeit nach 1955. Auf das Trauma der Weltkriege folgt der Triumph der Moderne, aber in exquisiter niederösterreichischer Tracht. Der in den Landesfarben blau-gelb gehaltene Saal - unter demTitel „Niederösterreich im Wandel“ - würdigt in Wort und Text die Heroen der Österreichischen Volkspartei, so sie aus Niederösterreich kamen. Leopold Figl und Julius Raab gleich in einer Art von Triumphallee doppelt, jeweils in Gemälden und Skulpturen und einander gegenüber platziert, so dass ein Fluchtpunkt mit dem Gemälde der Unterzeichnung des Staatsvertrags gebildet wird. Später werden wir Alois Mock begegnen, in Form  profaner Reliquien (seinem Mantel und dem Hebelschneider vom Durchtrennen des Grenzzauns zu Ungarn). Erwin Pröll überlebensgroß und, als jüngstem Schaustück, noch einmal auf einem Foto mit der jetzigen Landeshauptfrau bei der Machtübergabe. Über allem schweben Politikersätze anderer Landeshauptleute in Leuchtschrift wie: „Ein Land ohne Hauptstadt, ist wie ein Gulasch ohne Saft“ (Siegfried Ludwig).

Die parteipolitische Penetranz, die hier regiert, ist in der Gründung des Museums verankert. Die lange Jahre dauernde Debatte über ein Republikmuseum nützte Erwin Pröll geschickt, um das Projekt nach Niederösterreich zu holen und die “Verantwortung” für Österreichs erstes Geschichtsmuseum an sich zu ziehen. Die parteipolitische Färbung findet sich nicht bloß im erwähnten Abschnitt, sie bildet eine subkutane Struktur des Museums, insofern mit der Erinnerung an die vermeintliche “Bollwerkfunktion” des “Kernlandes” Niederösterreich an ideologische Versatzstücke erinnert werden, die, und das habe ich in einer Diskussion des Ausstellungsteams an der Uni Graz erfahren, seinerzeit in der Parteileitung der ÖVP entwickelt wurden. Wie auch die nach dem Beitritt Österreichs zur EU modernisierte Selbstdefinition als “Brücke”. „Brücken bauen", so ist denn auch der letzte Ausstellungsteil benannt.


Methodisch begehen die Ausstellungsmacher ausgetretene Pfade. Träger der Informationen sind überwiegend die Texte, Objekte erscheinen illustrativ, wie Alibis, aber werden ihrem ästhetischen Eigensinn kaum genutzt. Da leiht man sich eine zeitgenössische Darstellung der Menschenrechte vom Pariser Musée Carnavalet, aber versteckt sie regelrecht unter anderen Objekten, lässt diesen Gründungstext Europas unübersetzt und macht auch sonst nirgendwo klar, welche epochale Zäsur das Zeitalter der Aufklärung bedeutet.
Ausstellungen sollten Deutungsangebote sein, bei denen die Autorschaft und der Standpunkt der Autoren ausgewiesen ist. Nichts davon findet man hier, eine Anonymisierung der Sprecherposition - „was will das Haus der Geschichte?“ (Abschnitt 01) - das fragt uns eigentlich wer? Eine verdinglichte Sprache riegelt die Informationen und Aussagen weitgehend gegen Interpretation durch den Besucher ab. Vieles wird als abgeschlossene Tatsache, also als Sachwissen vermittelt, wo eigentlich Reflexionswissen gefragt wäre. Methodisch ist das folgenreich, denn diese positivistische Informativität über eine wie abgeschlossen erzählte Vergangenheit hindert den Besucher daran, Verknüpfungen zur Gegenwart zu finden. So stammt das jüngste Objekt zu „Überwachung“ aus den 30er-Jahren. Der naheliegende Anschluss mit der brisanten Gegenwartsentwicklung wird erst gar nicht versucht.

Dazu kommt, dass die Konzentration auf Niederösterreich in der Darstellung der Zweiten Republik, ein weiteres Hindernis ist, die vorhergehenden zeitlichen Etappen der mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und so über die Erfahrung von Zeitdifferenz Orientierungs- und Reflexionswissen zu gewinnen. Erst das machte Probleme der Gegenwart - Sozialabbau, Gefährdung demokratischer Errungenschaften, Rechtsradikalismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit u.a.m. verständlicher.
Denn wie könnte ein österreichisches Museum, ein “Nationalmuseum” gar?, uns denn anders gelegen kommen, wenn nicht als ein entschieden diskursiver, demokratischer, Gegenwart aufklärender Ort, an dem wir begreifen dass und wie Vergangenheit jetzt wirkt und wie wir vernünftig gesellschaftlich handeln können und wollen.

Das verweigert uns das Museum und auch die Antwort auf die Frage, warum immer alles so gekommen ist, wie es keiner wollte. Wozu braucht also wer dieses Museum?


Mittwoch, 25. Februar 2015

Oliver Rathkolbs Äußerungen zu seiner Aufgabe, ein "Haus der Geschichte" zu verwirklichen



Bei Vienna online ist am 26.01.2015 ein Bericht erschienen, der erstmals die Vorstellungen Oliver Rathkolbs wiedergibt, der von Minister Ostermayer zum Leiter des wissenschaftlichen Beirates des in der Hofburg geplanten Hauses der Geschichte ernannt wurde.

(Dieser link führt zum Text, auf den ich mich mit einigen Kommentaren beziehe: http://www.vienna.at/haus-der-geschichte-in-wien-wird-sicher-kein-braves-nationalmuseum/4217448)

Der Text beginnt mit der Überschrift „Haus der Geschichte in Wien wird sicher kein braves Nationalmuseum“, laut Zeitschrift eine wörtliche wiedergegebene Äußerung von Oliver Rathkolb.
Es ist ein verbreiteter Kunstgriff, etwas zu verneinen, was nicht verneint werden muss. Warum sollte ein Haus der Geschichte "brav" sein, warum sollte überhaupt ein Museum "brav" sein? So etwas behauptet ja niemand. Oliver Rathkolb will uns indirekt etwas sagen, was man vielelicht so "übersetzen könnte": Das Museum wird nicht im Konsens alle Widersprüche und Konflikte unkenntlich machen. Und: das Museum wird, ich, Oliver Rathkolb, werde mutig sein.

Aber warum sagt er das nicht gleich - und klar? Wenn der Mut nicht reicht, um zu sagen, daß das Museum den widersprüchlichen Deutungen nicht aus dem Weg gehen wird, daß es sie darstellen und zur Diskussion stellen wird, dann stweigt nicht gerade das Vertrauen in die Beteuerung, wie mutig nicht doch das Museum werden wird.

Rathkolb stolpert sozusagen in seinen Text. Und sagt uns dann, was das Haus der Geschichte nicht sein wird. Nicht mutig. Uns würde aber doch mehr interessieren, was das Museum sein soll, nicht, was es nicht sein soll. Das kann man doch von einem Konzept verlangen und von einem Projektleiter, daß er sagt, was er beabsichtigt und was wir von ihm zu erwarten haben.

Der Satz ist noch dazu semantisch zweideutig. Worauf liegt denn der Schwerpunkt dieses Ausschlusses mit dem kein? Wird es sicher kein braves oder wird es sicher kein Nationalmuseum?
Das wäre schon mal gewichtig, sich für oder gegen ein Nationalmuseum zu entscheiden. Doch deklariert er sich in diesem Punkt so wenig wie der auftraggebende Minister.

Ein Nationalmuseum jetzt? Unter den jetzigen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen? Das sollte man sich doch vorher überlegen und nicht einfach irgendetwas einrichten. Da gäbs dann auch Diskussionsbedarf, oder? Oder genügt da ein Expertenteam und ein Gründungs-Minister?
 
Da es so viele Vorstudien gegeben habe, könne man auf einer "unglaublich breiten Basis" aufsetzen. Zwar sagt Rathkolb weder, welche Studien und Konzepte er da meint, noch welche ihm besonders plausibel und stimmig erscheinen. Es bleibt auch offen, ob diejenigen Unterlagen, die unter Verschluss gehalten wurden, wie das Konzept von Claudia Haas, endlich veröffentlicht werden. Aber er sagt, auf die Breite kann man aufbauen. Also auf den vielen Ideen, die es schon gibt.
Mir scheint, „Breite“ läßt sich verführerisch gut mit Summe der Ideen, also im Sinn von Konsens übersetzen. Wenn man bedenkt, aus welchen Lagern, Ideologien, Generationen und Seilschaften bisher einschlägige Forderungen nach einem „Republikmuseum“ bzw. einem „Haus der Geschichte“ gekommen sind, kann man sich fragen, ob tatsächlich alles in ein neues Konzept integriert werden kann. Von "Breite" zu reden, heißt das nicht, genau das zu versprechen? Es doch allen irgendwie recht zu machen, also, seien wir mal konziliant, pliural. Oder kehrt hier nicht die Mutfrage zurück? Was muss man zurückweisen, wovon muss man sich abgrenzen, wie nachdrücklich beziehe ich eine eigene, erkennbare Position?. 

Ein Museum der jüngeren österreichischen Geschichte ist ein Minenfeld. Und zwar nicht so sehr, weil in den Fachwissenschaften so konfliktreich debattiert würde (Gerhard Botz hat kürzlich den Austrofaschismus gewissermaßen zur befriedeten Forschungszone erklärt), sondern weil in den politischen und medialen Ritualen der Beschäftigung mit der Zeitgeschichte die ideologischen Nerven so schnell blank liegen.

Neu für mich war, daß es es offenbar einen zwingenden Eröffnungstermin gibt. Das Jahr 2018. Ein Gedenkjahr, das zwar eine „extrem enge“ zeitliche Vorgabe (Rathkolb) sei, aber: "Wir leben einfach in dieser jubiläengetriebenen Auseinandersetzung mit Geschichte." Der Termin kommt wohl von der Politik, also von Minister Ostermayer und obwohl er eine Hypothek für die Realisierung des Projekts darstellt, wird er nicht infrage gestellt, sondern  mit einer Floskel gerechtfertigt. Oliver Rathkolb kennt vermutlich die Texte seines Kollegen Michael Mitterauer, der sich in Zeiten der Großausstellungen mit Sinn und Unsinn ritualisierter, auf Jubiläen bezogener Veranstaltungen beschäftigt und damit auch kritisch distanziert hat. Darauf gestützt könnte man gegen klug und stimmig gegen die „jubiläengetriebenen Auseinandersetzung mit Geschichte“ argumentieren.

Auch die beiden nächsten Aspekte des Textes, wo es um Organisationsform und räumliche Gegebenheiten geht, werden seltsam unscharf und widersprüchlich vorgestellt. Die "administrativ-organisatorische Hülle" für das Haus der Geschichte, so lesen wir, werde die Österreichische Nationalbibliothek in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv stellen. Wie hat man sich das vorzustellen? Ähnlich der Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum, also mit der Superiorität der Leiter der ÖNB und des Staatsarchivs? Mit deren Budgethoheit? Mit Eingriffsrechten der beiden Organisationen? Mit deren Personalhoheit? Ist das Museum dann eine Art nachgeordneter Dienststelle, eine Abteilung einer der beiden Institutionen? Ist es dann überhaupt ein Bundesmuseum? Das wohl kaum, denn dann müsste es in das einschlägige Gesetz aufgenommen werden. Das sind sehr viele offene und gewichtige Fragen.

Der architektonische Aufwand halte sich in Grenzen, versichert man, weil es ja um eine Unterbringung in einem bestehenden Gebäude, der Hofburg, geht. Damit ist die praktische Adaption für den Ausstellungszweck gemeint. Aber daran entzündet sich ja nicht die Skepsis der Gegner, sondern an der Übercodierung des Gebäudes und Ortes. Dazu räumt auch Oliver Rathkolb ein: "Diese imperialen Räume haben eine unglaubliche Deutungsmacht." Also, es wird doch noch einige Gestaltungs-Intelligenz und damit möglicherweise auch finanziell aufwändige Umbauten geben müssen. Auch unter nur pragmatischen Gesichtspunkten ist die neue Hofburg ein schwieriger Ausstellungsort, wie man bei Besuchen in den dort untergebrachten Museen schnell merken kann. Claudia Haas, wie erwähnt Autorin einer Studie zu einem Haus der Geschichte, hat erst kürzlich den Ort für ein Haus der Geschichte denkbar ungeeignet genannt. Wie wird sie die wichtigste Beraterin im Team Rathkolbs mit musenlogischer Kompetenz damit umgehen?

Mit der Anmerkung zur Deutungsmacht der Räume berührt Rathkolb einen zentralen und m.M. nach wunden Punkt der gesamten bisherigen Debatte. Die Idee eines Republikmuseums bzw. Hauses der Geschichte wurde von Anfang an einen Ort gebunden, der, eben frei geworden und wie man so sagt „geschichtsträchtig“, als idealer Standort angeboten wurde. Das Palais Epstein schien fraglos geeignet zu sein, weil es bereits ein „historischer Ort“ war. Hier sollte sich also Geschichte wie von selbst vermitteln noch ehe auch nur ein Objekt ausgestellt wurde. Doch für historische Orte gilt dasselbe wie für Ausstellungsobjekte. Erst durch Benennung, Zuschreibungen, Gedächtnispolitik und -rituale usw. werden sie zu dem, was man in ihnen sieht - zu mit Geschichte gleichsam kontaminierten Räumen und Sachen. Da ist aber eher magisches Denken im Spiel, das dann wirkt, wenn man „vergisst“, was an Deutung, Forschung und Diskurs schon vorher stattgefunden haben muß. Sicher, Hitler stand auf dem Balkon der Hofburg, aber für den, der diese durch Fotografien, Dokumente oder auch mündliche Überlieferung gesicherte Tatsache nicht „weiß“ ist es ein Balkon und sonst nichts. Selbst die Aura, die solche historischen Orte ausstrahlen, sind keine materielle Eigenschaft, sondern eine mediale, zu der die genannten Zuschreibenden genau so gehören, wie auch alle späteren Überschreibungen, Durchkreuzungen, Aktualisierungen usw. Wer informiert und interessiert ist, kenn diesen berüchtigten Balkon nicht nur von 1938, sondern auch von 1988, von Thomas Bernhards Theaterstück „Heldenplatz“.

Aber jetzt ist die immer gewünschte geschichtliche Anmutungsqualität, folgt man Oliver Rathkolb, plötzlich eine Hypothek, unmittelbar nachdem gerade mit diesem Argument die Entscheidung für den Standort Hofburg gefallen ist. Die „unglaubliche“ Deutungsmacht gilt, so Rathkolb, aber auch für den Heldenplatz mit seinen Denkmälern. Der sei „extrem“ aufgeladen.

Es folgen Formulierungen, die schon ziemlich klar den Auftrag an das Arbeitsteam und ans Museum umreissen. Das Museum solle langen Weg zur Demokratie thematisieren sowie „…der riesige Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie, als auch Österreich mit seinen acht Millionen Einwohnern im Komplex der Europäischen Union Platz finden.“
Es geht um ein klares Narrativ, das als Erfolgsgeschichte mit einem doppelten Resultat im status quo bestimmt ist: Österreich ist sowohl der Weg in die Demokratie wie in die Europäische Union gelungen. Eine  tendentiell affirmative Nationalgeschichte schließt nicht aus, daß in ihrer Erzählung Versäumnisse und Traumata, Konflikte und Krisen, Verbrechen und Erfolge vorkommen. Seit den 1980er-Jahren ist es möglich (ich kann nur vom deutschsprachigen Museumswesen sprechen), daß Geschichtenerzählungen in Dauer- oder Sonderausstellungen sich auch den negativen Seiten der (National)geschichte offensiv stellen. Man kann das, wie es auch hier zweifellos zu erwarten ist,  fachlich untadelig und sorgfältig tun. Aber über den Effekt einer Erzählung entscheidet in einer Ausstellung die Art und Weise der Darstellung. Gehen die traumatischen Ereignisse und Erfahrungen als notwendige Etappen bis hin zu einer sich selbst affirmierenden Gegenwart in diesen „Schlussapplaus“ als überwunden und erledigt ein? Als eben eine in letztlich den Gang der Geschichte ermöglichende, interpunktierende, gelegentlich unterbrechende (wie sich Rathkolb zu 1918 äußert) Ereignisse, die aber insofern nicht mehr als offene in die Genwart ragen, weil sie durch das Ziel der Erzählung - das (glücklich-geglückte Ankommen) in der (nun vollendeten?) Demokratie - ihre Funktion ausgefüllt und abgeschlossen haben.

"Es soll ein Museum im 21. Jahrhundert sein, das den langen Weg (meine Hervorhebung) in die Demokratie thematisiert.“ Das ist ganz klassisch ein nationalstaatliches Narrativ, ein Angebot, die Geschichte als ein Zu-Sich-Kommen der Gesellschaft zu einem stabilen Wir nachzuvollziehen und als gelungen zu genießen. Ist das gewollt? Soll ein (solches) Nationalmuseum errichtet werden? Wer genau will ein solches Museum, außer Herr Minister Ostermayer, Oliver Rathkolb oder der Journalist Thomas Trenkler.

„Es soll ein Museum im 21. Jahrhundert sein“, sagt Oliver Rathkolb. aber, lehrt uns dieses junge Jahrhundert nicht gerade das Fürchten - das Fürchten was Erosion der Demokratie betrifft, den Zerfall des Politischen, in der Staaten in Märkte, und die EU in Märkte und nicht umgekehrt Märkte und die EU und in Staaten eingebettet sind (Hauke Brinkhorst)? Zerstört nicht im Augenblick die Finanzpolitik den Zusammenhalt von Gesellschaften und Staaten, wird nicht gezielt der Sozialstaat angegriffen und eine Politik der massenhaften Verarmung wie Verelendung betrieben? Kann man also 2015 ein Historisches Museum wie 1970 oder 1980 konzipieren?

Wie steht es mit der Vertrautheit Oliver Rathkolbs mit aktuellen gesellschaftspolitischen und museologischen Debatten und Entwicklungen, wenn er uns allen ernstes den völlig abgelutschten Knochen hinwirft, es ginge darum, einen kritischen Blick auf die Geschichte werfen und als Beispiel für neue Zugänge die Migrationsgeschichte Österreichs nennt. Verräterisch ist, daß er eine schon mindestens zehn Jahre laufende Debatte nennt, in der sich Museen stark engagiert haben und die auch zur Gründung einschlägiger Museen geführt hat. Das ist schon ziemlich gegessen und auch nicht taufrisch angesichts der dramatischen Verschiebung der Probleme mit Flucht, Vertreibung, Migration und einer in ihren Effekten grauenhaften EU-Politik. Meint er das? Will er diese Frage am aktuellsten Stand ins Museum integrieren? Ich fürchte: nein.

Auch an einer anderen klassischen museologischen Frage, zeigt sich, daß hier jemand nicht merkt, wie hanebüchen seine Ideen gemessen an einer ungleich komplexeren und innovativeren Museumspraxis sind. Statt der - noch einmal - eben nicht „braven“ Geschichte, wolle er „einen lebendigen Interaktions- und Veranstaltungsort schaffen, an dem auch Gesprächsreihen oder Diskussionsrunden stattfinden“ sollen. Abgesehen davon, daß die bürgerliche Museumsidee einer der genuinen Orte bürgerlicher und aufklärerischer Öffentlichkeit ursprünglich war, und sie daher keiner Verlebendigung ex post bedarf, sondern lebendige Öffentlichkeit i s t und herstellt, sind die Vorschläge rührend. Kaum ein Museum hat so etwas nicht und alle haben es seit langen Zeiten.

Dann stellt sich im Verlauf des Textes noch heraus, daß die so wünschenswerte Organisationsform einen Pferdefuß an unerwarteter Stelle hat. Es war ja immer schon für so eine Tabula Rasa-Gründung wie ein Haus der Geschichte, die Frage, woher denn die Sammlung kommen soll. Als das Deutsche Historische Museum gegründet wurde, konnte man auf die Sammlung des aufgelösten Geschichtsmuseums der DDR zurückgreifen und gleichzeitig wurde das Museum zum Unmut anderer historischer Museen mit einem so hohen Ankaufsetat ausgestattet, womit es zum konkurrenzlosen Akteur am einschlägigen Markt wurde.
Bei der Wiener Museumsgründung war von einem Ankaufsetat aber nie die Rede. Woher kommen dann die Objekte? Vermutlich deswegen ist man auf die Nationalbibliothek und das Staatsarchiv gekommen, weil die in gewissem Umfang, Objekte zur Verfügung stellen können. Aber entsprechend dem Charakter der Institutionen und ihrer Aufgaben nur bestimmte, fürs Ausstellen nicht so attraktive Mediensorten. Wie es der Ausstellungsmacher-Jargon nennt, „Flachware“, also Akten, Flugblätter, Fotos, Plakate, Briefe, Bücher und anderes mehr. Also überwiegend Medien, die nicht besonders sexy sind und überdies auch noch aufwändig erklärungsbedürftig. Oliver Rathkolbs Antwort zur Medienfrage: “Wenn man genau gräbt,“ sagt er, „dann haben beide Institutionen auch viele andere spannende Objekte.“ So verfüge das Bildarchiv der ÖNB über die weitaus größte Bild- und Plakatdokumentation Österreichs, auch das ORF-Archiv, das Filmarchiv, das Filmmuseum bzw. private Sammlungen sollen eingebunden werden.  Das klingt nach Pfeifen im Wald.

Ein bisschen verzweifelt klingt es auch, wenn selbst mit dem (geplanten) Tiefspeicher der Nationalbibliothek Synergieffekte beschworen werden. Das Weltmuseum, dessen Erweiterung und Erneuerung ja wegen der Installierung des Hauses der Geschichte nicht im geplanten Umfang möglich sein wird, und das ja „Nachbar“ ist, bietet auch - nun was? Nein, keine Synergieeffekte. Sondern „konkrete Synergieeffekte“. Und dann, als ob dieses Nullwort Synergieeffekte nicht schon reichte, wird noch so ein Gemeinplatz hinterhergeschoben, und damit eine negative Definition dessen, was entstehen soll:„“Es ist wichtig, nicht einfach irgendein Sammelsurium zusammenzustellen." Interessanter wäre es, zu erfahren, was denn an Stelle des Sammelsuriums wichtig wäre.
Und noch ein Synergieeffekt: „Auch die Neugestaltung des Äußeren Burgtors und des Heldendenkmals (soll) gleich mitgedacht werden.“ Ich dachte, diese Neugestaltung sei mit dem Vorschlag von Oliver Rathkolbs Historiker-Kollegin Heidemarie Uhl abgeschlossen. Aber gut, warum nicht. „Mitdenken“ - wer will dagegen etwas haben?

Ich nehme an, Oliver Rathkolb kannte und kennt das Jüdische Museum Hoehmes und hat von den Projekten gehört, die im öffentlichen Raum, mit und für die Ortsbewohner stattfanden; er kennt möglicherweise, die intelligente Öffentlichkeitsarbeit, die die Gründungsdirektorin gemeinsam mit den türkischen Textilarbeiterinnen und -arbeitern entwickelt hat; er hat sicher Gelegenheit gehabt, das relativ neue Vorarlbergmuseum zu besuchen; er muß die erste, inzwischen abgebrochene Dauerausstellung des Jüdischen Museum der Stadt Wien gesehen haben, die ihn wegen ihre geschichtstheoretischen und museologischen Implikationen sehr interessiert haben muß - gar nicht zu reden von den historischen Ausstellungen (etwa die der Eröffnung), die die damalige Chefkuratorin im Jüdischen Museum gemacht hat; er war wohl in der Ausstellung, die das Wien Museum mit NGOs zu Gastarbeit gemacht hat. Und wahrscheinlich war er ja außerhalb der Landesgrenzen auch in Museen, in denen ungewöhnliche, witzige, experimentelle Wege bestritten werden. Vermutlich kennt er die Südtiroler Geschichtsmuseen und -ausstellungen, die mit Witz und Mut kontroversere Fragen aufarbeiten.
Nur, wenn er das alles kennt, warum läßt er es sich in seinen Überlegungen so gar nicht anmerken. Warum ragen seine Äußerungen an wirklich keinem einzigen Punkt über die wohlvermessenen, langweilig-bekannten, abgegrasten Museumsvorstellung nirgends hinaus? Kein einziges pfiffiges Wort, kein frischer neuer Begriff, keine einzige Idee, die ein bisschen funkelt oder irritiert.
Wenn das Museum so gar nicht brav werden soll, warum ist dann der Text so brav. Ein graues bürokratisches Schriftstück, wie gemacht für Schubladisierung. Kein Papier für eine lebendige zivilgesellschaftliche Debatte über die Frage: welches Museum wollen wir?

Die Frage hat uns (wir danken herzlich) der Herr Minister schon abgenommen, mit seiner Invaliden ex-kathedra-Entscheidung.
Und dafür zeigt sich auch Oliver Rathkolb dankbar. Die Entscheidung über die Realisierung eines Hauses der Geschichte, sei gefallen, weil „zum ersten Mal (…) alle Kompetenzen in einem Ministerium vereint“ seien und „zudem interessiere sich der in Schattendorf geborene Ostermayer auch persönlich für das Thema.“
Da ist die Welt noch ganz in Ordnung, wo ein Minister über eine Museumsgründung, den Ort der Unterbringung und den Leiter eines Beirates bestimmt. Bei einem Projekt, das wie wenige andere der Einbindung in eine breite Öffentlichkeit bedürften, wird also mit maximal paternalistisch verfahren. Man kann verstehen, daß unter pragmatischen Gesichtspunkten, ein Politiker das Projekt von den Konflikten abschotten will, das ansonst unweigerlich zwischen ideologischen, historischen Lagern und medialen Interessen zerrieben würde. Das soll es ja schon gegeben haben. Vielleicht hat gerade deshalb der Minster das hohe Tempo angeschlagen und die autoritative Geste gewählt, die unter anderem darin zum Ausdruck kommt, daß er Expertise in gut und schlecht unterscheidet. Die gute, Zustimmung produzierende Expertise darf in den Beirat, die skeptische wird beiseitegeschoben. Wie die, die der Österreichische Museumsbund und ICOM Österreich gegen die sogenannte Redimsionierung des Weltmuseums und damit indirekt gegen ein Haus der Geschichte an diesem Standort Widerspruch einlegten.

Aber gerade weil es Konflikte gibt, weil es glücklicherweise über bestimmte Teile der Geschichte Österreichs keine vollkommen herrschende Deutungsmacht gibt, gehören diese Konflikte nicht vor die Tür verbannt. Sie gehören (genau deswegen) in das Museum und das geht nur, indem man Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft miteinbezieht. Wenn nicht andere, diese Museum muß ein agonistisches werden, das heißt eines, in und mit dem Konflikte ausgetragen, konkurrierende Deutungen entwickelt und abgearbeitet gehören. Und das nicht, um sie zu „erledigen“, sondern im zivilisierenden Ritualraum (Carol Duncan; Sabine Offe) demokratische Öffentlichkeit herzustellen. Dafür bedürfte es aber speziell entwickelter Methoden und alles, was Museum ausmacht, die Architektur, die Gestaltung, das Design, die Texte usw. müssten danach ausgerichtet sein und das Museum müsste „aus dem Häuschen geraten“ dürfen, es muß buchstäblich und metaphorisch seine Grenzen überschreiten dürfen.

Liest sich danach Oliver Rathkolbs Text?
Immerhin kündigt er an, rund 25 Experten „um sich (zu) versammeln“, einige Namen hat er genannt und „mindestens 15 Diskussionsgruppen zusammenstellen, die inhaltlichen Input liefern sollen.“ Wenn er offen für Ideen und Rat ist und das so weit, daß er eigene Vorgaben, wie wir sie in dem vorliegenden Text finden, infrage stellen kann, dann könnte das enge Korsett, in dem noch alles steckt, vielleicht gelockert werden.
Ich denke, daß aber der Druck von Außen groß sein wird. Wenn das Naturhistorische Museum seine Dauerausstellung schrittweise erneuert, weckt das keine, jedenfalls keine mediale Öffentlichkeit aus dem Schlummer. Das wird beim Haus der Geschichte ganz anders sein. Die Historikerzunft, die Politik, die Trittbrettfahrer und Adabeis, die Medien, die Experten werden mit Argusaugen auf das Projekt schauen und auf jeden Fehlgriff aufmerksam machen. Der opake Minimalismus des Textes von Oliver Rathkolb ist wohl als Igelhaltung zu verstehen, die sich gegen alle möglichen Einwände abschottet - wo möglichst wenig gesagt, möglichst wenig Oberfläche gebildet wird, ist kaum etwas verletzbar.

„Es wird keine politische Farbenlehre geben“, diese Äußerung Rathkolbs ist ein Turm im Verteidigungswall gegen befürchtete Zumutungen. Sondern „eine solide wissenschaftliche Basis“.  Als ob sich die österreichische Geschichtswissenschaft nicht personell, methodisch und inhaltlich entlang der Farbenlehre ordnen ließe. Ein Blick auf die Karriere des Sechzigjährigen verrät seine nähe zu sozialdemokratischen Institutionen und Wikipedia weiß, daß „Rathkolb (…) als SPÖ-nah gilt ; laut Armin Turnher ist er „in der Kreisky-Ära geprägter Sozialdemokrat“.
Das ist kein Vorwurf. Es legt nur - zusammen mit anderen, ähnlichen Konstellationen und Erfahrungen nahe, daß „die politische Farbenlehre“ nicht erst beginnt, nachdem man das Haus der Geschichte betreten hat, sie beginnt weit vorher, mit dem Entschluss eines sozialdemokratischen Minister, ein Museum zu gründen und einen sozialdemokratisch sozialisierten Historiker zum Leiter des planenden Beirates zu machen. Daran ist ja nicht im geringsten Anstoß zu nehmen. Aber an der tendenziellen Verleugnung, die in der Beteuerung liegt, es werde keine „politische Farbenlehre“ geben. Auch und gerade der Standpunkt des „Autors“ eines Museums (anders als bei Filmen oder Theaterstücken usw. bleibt die Autorschaft bei Museen und selbst Ausstellungen meist verschwiegen und mit ihr die Sichtweise, die mit ihr vertreten wird) gehört deklariert und thematisiert. Er gehört, wie schon gesagt, zusammen mit der historiographischen und politischen Konflikt- und Deutungsgeschichte i n das Museum integriert.
Und noch in anderer Hinsicht ist die Verneinung politischer Farbenlehre irreführend. Monate bevor das Haus der Geschichte in der Hofburg angekündigt wurde, hatte der Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Kröll, Pläne für ein programmatisch identisches Projekt für die Landeshauptstadt St.Pölten angekündigt. Auch hier hatte ein Politiker einen Parteilinien Historiker, Stefan Karner, mit der Konzeption bestellt, einen Historiker, der unter der Regierung Schüssel-Haider seinen Aufstieg begonnen hat.
Es scheint undenkbar, daß in Österreich ein einschlägiges Projekt entwickelt wird, ohne daß das politische Farbenspiel zu schillern beginnt. Und gerade deshalb gehören alle Auffassungsunterschiede und Deutungskonflikte in das Museum.

Zum Schluß: Was den Aussagen Rathkolbs, aber auch des Ministers vollkommen fehlt, ist die Beschreibung einer Aufgabe, der Funktion des „Hauses der Geschichte“, eines Ziels der Großerzählung „Zeitgeschichte Österreich“. Soll es eine „nationale Bundeslade“ (Beat Wyss über das Museum als Institution) werden, aus der sich „die Österreicher“ ihre Identität reproduzieren. Ist es ein Lehrmittelparcours für geschichtsbeflissene Lehrer und Schüler, ist es ein populäres Info-Entertainment für touristische Bedürfnis, ist eine Visualisierung  wissenschaftlicher Geschichtsschreibung? Oder ist alles und nichts von allem.

Samstag, 31. Januar 2015

Christian Ortner im Gespräch - nicht alles was hinkt ist ein Vergleich.

Ich finde das interessant: Wenn man heute sagt, dass man sich militärhistorisch mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigt, wird das akzeptiert. Sagt man aber, dass man sich mit den beiden Weltkriegen beschäftigt, wird man schief angesehen und das, obwohl prozentuell betrachtet der Dreißigjährige Krieg noch blutiger war.

DIE PRESSE interviewt den Direktor des Heeresgeschichjtlichen Museums Wien, Christian M. Ortner (13.09.2014)

Donnerstag, 30. Mai 2013

"Tyrol goes Austria". Landespatriotismus auf vorgestrig

"Tyrol goes Austria. 650 Jahre Tirol bei Österreich." Eine Ausstellung des Landesmuseum Ferdiandem Innsbruck, gezeigt im Zeughaus, 2013.
Eine "Jubiläumsausstellung", die sich auf das Datum des "Erbfalls" bezieht, mit dem Tirol von der nachkommenlosen Margarete 'Maultasch' an die Habsburger fiel.
Eigentlich Anlass für eine historische Großausttellung, oder?
Und was macht das Museum damit?


Zunächst mal einen Korridor aus mehr oder minder bunt bestrichenen Holz, der einen Parcours entlang chronologisch gereihter, meist vereinzelter Objekte bildet. Ästhetisch ist alles auf Sparen getrimmt, ein verbauter, karger, wenig ansprechender Raum, ein Gang, einmal geteilt, einmal auf- und abgehen.
Die Erläuterungen sind bis auf kurz gehaltene Objektbeschriftungen und einige Texttafeln in ein iPad ausgelagert, das man sich an der Kassa ausborgen kann.
Die Erzählung hat einen roten Faden - die Kaiser- und Habsburgertreue "der Tiroler".
Aller Tiroler? Offenbar.
Immer wieder wird dies hervorgehoben und durch Objekte "belegt", als ob es sich bei den Ausstellungsobjekten um Indizien im kriminologisch-forensischen Sinn und nicht um interpretationsbedürftige Artfekate handelte um bei der "Kaisertreue" um eine unbestreitbare Tatsache, die es zu würdigen gilt, und nicht um ein ein wandelbares ideologisch-historisches Konstrukt.
Die Hisorienmalerei, die Flugblätter, die gedruckten Aufrufe, die Plakate, die Fotografien werden als per se wahrheitsverbürgend vorgeführt, als selbstevidente Zeugnisse eines merkwürdig unzeitgemäßen Patriotismus. - Ist das wirklich eine Ausstellung von 2013?Wozu wird uns diese kaiserliche Loyalität versichert?

"Allzeitgetreue Tiroler"

Die Auswahl der Objekte bleibt rätselhaft, hier eine Kanone, dort eine Schützenscheibe -, und sie ist auf Anekdotisches fokussiert - Kaiser Franz Josef besucht den Bergisel, Kaiser Franz Josef trifft "überraschend" (sic!) in Innsbruck ein, Tiroler Studenten verlassen Wien, um ihre "Heimat zu verteidigen", das "Allzeitgetreue Volk" jubelt, und das " um 1870", aber warum in aller Welt? Erzherzog Ludwig Victor trägt die Uniform der Wiltener Schützen usw.


Zwei "Hulkdigungstexte" von 1813, pardon 2013

Der Ausstellungsparcour endet überraschend. Mit dem Jahr 1921.
Der "Rest" der 650 Jahre von "Tyrol goes Austria" wird in Filmausschnitten in einer wie provisorisch hingebastelteten Sitzecke "abgehandelt".
1921? Wieso 1921?
Man steht also vor dem letzten Objekt der Ausstellung, vor einem Plakat mit dem Apell "Wir wollen!".

Ein nackter, muskulöser Mann stemmt einen Bauteil einer Brücke um offenbar eine Verbindung von Österreich und Tirol einerseits und Bayern und Deutschland andrerseits herzustellen.
Das Plakat verschleiert doppelt die Absicht der Abstimmung. Keine Brücke sollte errichtet werden, sondern die Brücken sollten abgebrochen werden und nicht Österreich und Deutschland, sondern Tirol und Deutschland sollten verbunden werden.
Das Plakat rief einst zur Volksabstimmung auf, mit der sich "die Tiroler" 1921 mit 99,3% der Stimmen für den Anschluss an Deutschland entschieden hatten, also für das Austreten aus der Republik Österreich.
Nach dem Scheitern der Wiederherstellung der Regentschaft der Habsburger durch Karl I. im  April 1921 wollte man schon wenige Wochen danach aus Österreich "austreten".
Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges verhinderten das. Einen "Anschluß" gab es erst 1938, dann aber von ganz Österreich...

Mit diesem Plakat entlässt uns die Ausstellung - abgesehen vom Audioguide - kommentarlos.
No comment.
Die Ausstellung führt die reaktionären Aspekte der Landesgeschichte als nicht erläuterswürdige scheinbar neutrale Fakten vor und codiert ausgerechnet die antidemokratische "Volsabstimmung" durch ihre Platzierung im Rundgang als Schlüsselmoment.

Was nicht alles eine Ausstellung ist!?

P.S.: Wer sehen will, wie Museen und Ausstellungen eine etwas avanciertere Form der Geschichtskultur pflegen, der ist mit einigen Orten in Südtirol (Schloß Tirol; Andreas Hofer Museum) weitaus besser bedient.

PPS.: Wenn man das Pech hat und meint, an einem Pfingsmontag werde man die Jubiläumsausstellung des Landes doch besuchen können, steht vor verschlossenen Toren und darf nicht damit rechnen, daß er irgendwo einen Hinweis darauf findet, wann denn dem Publikum der Zutritt zum Zeughaus-Museum erlaubt ist...




Donnerstag, 8. November 2012

Das Herzl-Museum in Jerusalem

Im August 1949 wurde der 1904 verstorbene und auf dem Döblinger Friedhof in Wien bestattete Theodor Herzl nach Israel überführt und in Jerusalem auf einem nach ihm benannten Hügel beerdigt. Etwas mehr als ein Jahr nach der Gründung des Staates Israel wurde dieser "Founding Father" der Israelischen Nation im Zentrum des jungen Staates beerdigt (gemeinsam mit Golda Meir und Ytzhak Rabin, inmitten eines Militärfriedhofs) und monumental gewürdigt, mit einer öffentlichen Grabanlage in einem Park von dem aus man auf die Stadt sieht. Herzl war nicht der einzige und nicht der erste, der die Idee eines jüdischen Staates propagierte, aber er verfolgte die Idee erfolgreich und hartnäckig, trotz unzähliger diplomatischer Abfuhren. Und so gilt er als der Vater des Zionismus. Denn er löste eine Bewegung aus, die die Idee mit ihm trug und wirkungsvoll verbreitete - bis die Gründung eines Staates Israel tatsächlich 1948 gelang.

Am Fuß des Hügels und am Rand des Parks, in dem Herzl bestattet ist, liegt ein kleines, in dieser Form 2005 errichtetes Museum, das ihm und seinem Lebenswerk gewidmet ist. Es besteht aus einer Abfolge Lebensstationen Herzls szenisch andeutender Räume, die man nacheinander betritt und die chronologisch die Biografie der Person und der Idee "erzählen". In jedem dieser Räume sitzt man wie in einem Kino oder Theater, z.B. inmitten von Teilnehmern des ersten Zionistischen Kongresses, der in Basel stattfand, in einem im Architekturstil des späten 19. Jahrhunderts angedeuteten Raum mit sichtlich fiktionalem Personal - die stummen Zeitzeugen, unter die man sich gesellt, des Kongresses sind aus von innen erleuchtetem Kunststoff.




Die dreidimensionale Geschichtskulisse, die, wie gesagt, nicht abbildungsrealistisch Authentizität erzeugt oder gar die illisionistische (und gespenstische "Lebens-Echtheit" eines Wachsfigurenkabinetts anstrebt, sondern ihr Theatralisches klar zu erkennen gibt, ist tatsächlich Bühne. Aufgeführt werden für das auf Stühlen sitzendem "Museums"Publikum Theater und Film. Genauer gesagt, ein Film, der die Vorbereitung und dann die Aufführung (ausschnittsweise, versteht sich) eines Theaterstückes zeigt, in dem Herzl auftritt. Ein Regisseur, der Herzl-Darsteller und eine Herzl-Expertin diskutieren über ihn, seine Idee und sein Leben, über die Darstellbarkeit seiner Lebensgeschichte, über die theatralische Umsetzung seiner Idee. Die Darstellung springt immer wieder zwischen Probe und Diskussion hin und her um schließlich zur tatsächlichen Aufführung zu kommen.



Während der Beginn der Raumabfolge mit seiner klischeehaften Darstellung eines Café- und Operetten-Wien - man sitzt auf Kaffehausstühlen an den typischen runden Tischchen mit anderen "Gästen" (aus Plastik) -  läppisch wirkte, wurde mit dem Auftakt der (dann alle Räume wie ein roter Faden durchziehend) Filmzuspielung die trickreich gebrochene Repräsentationstechnik immer deutlicher. Die schöne Idee, das Museum einmal wirklich als Theater zu begreifen, womit das Gemachte der Geschichte und die Protagonisten und Autoren der Erzählung sichtbar wurden, allein ist schon sehr intelligent. Theater im Film, noch einmal gespalten in Probe und Aufführung und vorgeführt in "historischen Schauplätzen", auf denen man in der Rolle des Theaterzuschauers und Teilnehmers am Ereignis ebenfalls "doppelt anwesend" war, machen das Herzl-Museum zu einem trickreichen Spiegelkabinett. Damit nicht genug. Einige Feingriffe spitzten das Spiel der oszillierenden Repräsentationesebenen noch zu. Es wurde die Rolle der Bühnentechnik bei der Erzeugung von Bildern, Affekten und Illusionen eingebaut, die "Spaltung" des Schauspielers, der plötzlich aus der ernsthaften Rolle heraustrat, um sich über seinen kratzenden Kunstbart zu beschweren oder die Erzeugung von ethnischen und sozialen Konventionen, als das Leading Team nach einer Szene sich auf den Tausch eines viel zu klischeehaften Darstellers zu einigen.

Dabei war das alles auch noch ziemlich informativ - für mich, sage ich gleich, der sehr wenig über Herzl wusste - und alles andere als hagiografisch. Von Personalmuseen erwartet man die Würdigung einer Person. Über Tote nichts Schlechtes ist das Motto all dieser Stätten. Mit Aufwand hat man den Geburts-oder Sterbeort, den Ort der Entstehung eines bedeutenden Werkes, Ereignisses etc. ja nur deswegen erhalten und mit einer einschlägigen Tafel "Hier...!" versehen, weil der Verblichene längst ins patriotische Pantheon einer Nation eingegangen war, und ein Museum diese Würdigung verpflichtend machen und aufrecht erhalten kann. Doch hier, an der Herzl-Weihestätte, seinem Grabhügel in Jerusalem, der Hauptstadt einer Nation, war der Ton respektvoll und anerkenned aber der Text ließ auch sich auch klar über Widersprüche der Idee und Schwächen der Person aus. Auch im allerletzten Teil, wo das moderne Israel, also der Staat wie er sich seit 1949 entwickelt hat, vor dem gleichsam personifizierten Geist Herzls zur Prüfung antreten muss, wurden nicht nur die Glanzlichter der modernen Gesellschaft angesteckt (in einem extrem schnellen Bilderrap, der manchmal nur die Qualität eines touristischen Werbefilms hatte), sondern klar die geschichtlich ererbten und weitergeschleppten Widersprüche artikuliert, mit dem Tenor: Israel ist ein unvollendetes und - noch - unvollkommenes Projekt. Schade nur, daß dem Film eine jener breiig-wabernden Pathosmusiken unterlegt war, wie ich sie vor allem aus patriotischen Hollywood-Historienfilmen kenne. Das verpickte und verkleisterte wie zäher Honig, was ohne diese immersiv-verblödende Klangwatte schärfer und kontrastreicher gewirkt hätte.


 Das ist aber doch kein Museum, wird mancher einwenden. Dochdochdoch! Die Authentizitätsfetischisten kommen schon nicht zu kurz. Zwei Räume waren mit "echten" Versatzstücken aus Herzls Nachlass, ebenfalls ambiental, gestaltet, mit einigen technisch dezenteren Videoeinspielungen, ansonst aber ganz und gar den Museumskonventionen entsprechend. Ich glaube mich zu erinnern, daß das niemanden dort zur Anbetung einer durch Dinge vermittelten Epiphanie des großen Herzls verleitet hat aber auch nicht, daß man entsetzt sein konnte über eine entwertende Relativierung der Exponate zwischen so viel "Fiction". Die gute alte "Konträrfaszination", sie wirkt wirklich, auch hier, aber in beide Richtungen. Die musealen Räume waren wie Ruhepole Orte der Konzentration und des Eingedenkens  - mit ihren einerseits beliebigen (Schreibzeug, Wanduhr, Schreibtisch, Brille...) andrerseits die Spur der Person anrührend bewahrende Reliquien.

Der "Regisseur"

 Wer oder was spricht hier? Bis zuletzt ließ einen das Setting nicht aus seinem Spiegelkabinett, bis man mit der offenen Frage nach Herzls Lebenslauf als "märchenhaft" noch einmal auf die (mindestens) Zweideutigkeit von Geschichte, Geschichten, Erzählung und Erzähler gestossen und - entlassen wurde.

Das Herzl-Museum werde ich als inspirierend und gewitzt sich an Popularisierung versuchenden Ort in Erinnerung behalten, der sich und seine Besucher nicht als Dumm verkauft und nationales Identitätspathos in einem irisierenden Spiel der Relativierungen auflöst und verdaulich macht.



Alle Fotos (bis auf das Grabmal): G. Fliedl, 2012