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Donnerstag, 3. Juni 2021

Wolfgang Muchitsch: Heeresgeschichtliches Museum Wien. Wie könnte es weitergehen?

 Auf der von Elena Messner und Peter Pirker veranstaltete Tagung "Heeresgeschichtliches Museum neu" (20. und 21.Mai 2021, Literaturhaus Wien) war Wolfgang muchitsch zu Gast. Er ist Leiter des Universalmuseum Joanneum und des Österreichischen Musuemsbund. Als Leiter der Kommission, die das Heeresgeschichtliche Museum evaluiert hat, kennt er dessen Situation genau und hat auch Einflüß auf den weiteren Prozess der Entwicklung des Museums.

Ich habe ihn gebten, seine Sicht der Dinge nach der Tgaung darszustellen - hier ist der Text.

Martin Fritz hat mir vor wenigen Tagen sein klares Statement zu wünschbaren Optionen zur Verfügung gestellt. Auf der Tagung hat sich daraus eine kurze Kontroverse mit Wolfgang Muchitsch zum Leitbildprozess entwickelt. Hier der Link zum Statement von Martin Fritz. https://museologien.blogspot.com/2021/06/martin-fritz-ein-leitbildprozess-fur.html

 


Gottfried Fliedl

Wolfgang Muchitsch

Heeresgeschichtliches Museum Wien - Wie könnte es weitergehen?

 

Über die Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum Wien (HGM) wurde in den letzten Monaten vielfach in den Medien berichtet, wurden entsprechende Kommissionen zur Evaluierung eingesetzt und deren Ergebnisse veröffentlicht[1] sowie unter dem Titel #hgmneudenken öffentliche Diskussionen geführt.

Im Zuge dieses Prozesses hat die Kommission, der ich angehört habe und die erstmals ein österreichisches Museum in einer solchen Form überprüft hat, zu keinem Zeitpunkt die Existenz und Notwendigkeit des HGM in Frage gestellt und auch keine Hinweise auf antisemitische, rassistische oder rechtsextreme Inhalte gefunden, auch wenn fehlende Kontexte bei einigen Objektgruppen Interpretationsspielräume bieten.

Einzelne Bereiche wurden positiv hervorgehoben, wie die international bedeutenden Sammlungen, die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im Vergleich zu den übrigen Ausstellungsteilen sowie die engagierte Arbeit der Kulturvermittler*innen und die zahlreichen Angebote.

Gleichzeitig ist die vorgefundene Problemlage aber so vielschichtig, dass man diese nicht mit einzelnen kosmetischen Interventionen beheben kann, sondern nur mit einer Gesamtlösung, im Grund einer Neugründung des HGM.

 

Wo liegen die Probleme?

Zuallererst mangelt es an einem stringenten Gesamtkonzept, das die Haltung der Institution, seine Visionen und Ziele widerspiegelt und aus dem sich alle anderen Maßnahmen, Sammlungs- und Ausstellungspolitik, Zielgruppendefinition, Vermittlungskonzepte etc. bis hin zur Organisationsstruktur ableiten lassen. Da die im HGM zu verhandelnde Militärgeschichte untrennbar mit der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart verbunden ist, sollte ein solches Konzept naturgemäß auch mit anderen musealen Einrichtungen abgestimmt werden.

Das nächste „Problem“ ist die Hülle des HGM: das kulturhistorisch äußerst wertvolle Gebäude selbst und dessen Ausstattung, in dem ein inhaltliches und politisches Programm in Stein gegossen wurde – Glanz und Glorie der habsburgischen Armee und der Ruhm ihrer erfolgreichen Feldherren. Dieses politische Programm des Gebäudes mit seiner unkommentierten Feldherren- und Ruhmeshalle ist bis heute ungebrochen. Dementsprechend ist das Gebäude selbst das erste Museumsobjekt des HGM, dessen politischer Inhalt zu dechiffrieren ist. Dass das Gebäude einer umfassenden Sanierung und die räumlichen Funktionen einer Bereinigung bedürfen, ist ebenso offensichtlich wie der Investitionsrückstau in anderen Bereichen des HGM.

Ein weiteres „Problem“ sind die international bedeutenden Sammlungen des HGM, die in weiten Bereichen auf den Hinterlassenschaften von Offizieren, Feldherren und Mitgliedern des Hauses Habsburg aufbauen und daher die heute zurecht geforderte Multiperspektivität nicht in sich tragen. Die Perspektiven der einfachen Soldat*innen, der von Gewalt, Konflikten und Kriegen betroffenen Zivilbevölkerung oder die der Gegner fehlen dementsprechend.

Ein zusätzliches Problem, das auch vom Bundesrechnungshof aufgezeigt wurde, ist die Struktur, in der das HGM in das BMLV eingebettet ist. Ob das HGM innerhalb des BMLV überhaupt richtig angesiedelt ist oder ob es nicht eher in den Verband und damit die Kooperation der vom Bundesmuseen-Gesetz umfassten Bundesmuseen aufgenommen werden sollte, ist eine immer wiederkehrende Frage. Dass es sehr wohl möglich ist, auch innerhalb eines Verteidigungsressorts ein kritisches und selbstreflexives Militärmuseum zu führen, zeigt das immer wieder als Vorbild zitierte Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden. In welchem Ministerium es schlussendlich auch angesiedelt ist, das HGM braucht, neben den finanziellen Mitteln für die Umsetzung und den künftigen Betrieb einer neue Gesamtlösung, jedenfalls eine Struktur, die größere wirtschaftliche Freiheit und Kompetenzen beinhaltet, zumal dem HGM in § 31a (7) Forschungsorganisations-Gesetz inhaltliche Weisungsfreiheit und organisatorische Autonomie zuerkannt wird. Dementsprechend muss das bestehende Team breit aufgestellt und interdisziplinär erweitert werden, um neben den anerkannten militärhistorischen und waffentechnischen Expertisen auch andere Aspekte und Perspektiven der Geschichts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in sein Programm und seine Präsentationen einfließen lassen zu können.

Das bislang am intensivsten diskutierte Problem des HGM sind sicherlich dessen über die Jahrzehnte entstandenen ständigen Schausammlungen. Auch hier wird deutlich, dass ein Gesamtkonzept für das Haus und seine Ausstellungen fehlt. Kritisiert wird außerdem der Mangel an Multiperspektivität, die fehlenden Ansprüchen einer modernen Militärgeschichte, die fehlenden Kontextualisierungen sowie die im Vergleich zur gesamten Ausstellungsfläche von 7.300 m2 zu bescheidene Sonderausstellungsflächen von 115 m², was sehr viel über die Ausstellungspolitik eines Hauses aussagt. Die Schausammlungen erwecken den Anschein, von Fachwissenschafter*innen für ein Fachpublikum gemacht worden zu sein, haben vielfach den Charakter eines Schaudepots mit einer Überfülle an Objekten ohne nähere Erklärungen und Kontextualisierungen. Das HGM zeigt, wie Kriege vom österreichischen Feldherrnhügels aus geführt wurden, aber nicht warum sie entstanden sind, welche Auswirkungen und Folgen sie hatten und wie sie beendet wurden. Ruhm und Ehre des Hauses Habsburg und seiner Heerführer stehen im Mittelpunkt, Siege überstrahlen alles. Ursachen, Niederlagen und Gegner bleiben im Dunkeln, Beutestücke werden als Siegestrophäen präsentiert und bestehende Feinbilder weitertradiert.

 

Wie könnte es weitergehen?

Ausgelöst von den zivilgesellschaftlichen und medialen Debatten haben sowohl Bundesminister Thomas Starlinger (3. Juni 2019 bis 7. Jänner 2020) als auch Bundesministerin Klaudia Tanner (seit 7. Jänner 2020) den dringenden Handlungsbedarf erkannt und parallel zu einer laufenden Prüfung des Bundesrechnungshofs externe Kommissionen sowohl mit der Überprüfung des Museumsshop-Sortiments als auch der ständigen Schausammlungen beauftragt.

Der vorgelegte Bericht zu den Schausammlungen hat Bundesministerin Tanner sowie die Verantwortlichen im BMLV mittlerweile aus meiner Sicht und Wahrnehmung ernsthaft dazu bewogen, eine „große“ Lösung für das HGM anzustreben und anzugehen, die sowohl eine Reform der Struktur, eine Erweiterung des Teams, eine Generalsanierung der Liegenschaft als auch eine inhaltliche Neuorientierung und darauf aufbauend Neuaufstellung des Museums beinhaltet.

Sosehr ich dem von Martin Fritz in der letzten Diskussion vorgeschlagenen Prozess einer zivilgesellschaftlichen Neugründung einiges abgewinnen kann, bin ich doch angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen und des im Augenblick gegebenen window of opportunity im Sinne einer realistischen Lösung der Verfechter eines eher pragmatischen Zugangs.

Erste Schritte dazu sind neben der internen Reform der Struktur, die mehr Autonomie und wirtschaftliche Spielräume eröffnet, die Einsetzung eines breit aufgestellten internationalen Beirates, der der Ministerin sowie vor allem der Leitung des HGM bei der weiteren Entwicklung kollegial und konstruktiv kritisch beratend zur Seite stehen soll. Aufbauend auf einer internationalen Ausschreibung des BMLV im Herbst, die den Willen zu einer Neuorientierung bzw. Neugründung des HGM klar zum Ausdruck bringen müsste und von potenziellen Bewerber*innen als Entscheidungsgrundlage für eine Bestellung Konzepte für die mögliche Entwicklung des HGM einfordert, sollte eine neue Leitung des HGM bestellt werden, der man in weiterer Folge auch unbedingt die Möglichkeit geben muss, zwei bis drei Schlüsselposition mit Personen ihres Vertrauens zu besetzen. Dieses neue Leitungsteam wäre gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen des HGM gefordert, in einem ersten Schritt unter der Einbindung möglichst vieler Stakeholder und Initiativen sowie des Beirates ein Gesamtkonzept für das „HGM Neu“ zu entwickeln, aus dem heraus sich alle weiteren Ziele und Maßnahmen ableiten. Inwieweit – bis zur tatsächlichen Umsetzung eines neuen Konzeptes, die schlussendlich einige Jahre benötigen wird – in bestehende Ausstellungsbereiche interveniert wird bzw. Teile geschlossen werden, sollte in der Entscheidung der künftigen Leitung liegen. Sinnvoll wäre es jedenfalls, die vom BMLV bereits zusätzlich in Aussicht gestellten Mittel nicht in einzelne kleine Reparaturmaßnahmen, sondern in die sorgsame Planung und Vorbereitung eines „HGM Neu“ einfließen zu lassen. Zugleich muss sich das BMLV bewusst sein, dass es sich dabei nicht nur um das spannendste, sondern wohl auch finanziell größte Museumsprojekt des Bundes in den kommenden Jahren handeln wird. Ein Vergleichswert wäre die nunmehr beginnende Neuaufstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, für die bei einer ähnlichen Dimension, aber bei weiten vielfach besseren baulichen Infrastruktur über EUR 46 Mio. veranschlagt sind. Es bleibt zu hoffen, dass die zur Umsetzung des Konzepts erforderlichen Budgetmittel langfristig abgesichert zur Verfügung stehen und der politische Wille dafür in den kommenden Jahren nicht verloren geht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] Bericht über die Überprüfung der Dauerausstellungen des Heeresgeschichtlichen Museums Wien (exkl. Des Zeitabschnitts 1918 bis 1945/46 Republik und Diktatur), 11. 1. 2021, Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV), https://www.bundesheer.at/download_archiv/pdfs/bericht_hgm_01022021.pdf [11.3.2021]