Freitag, 31. März 2023

Preis für Felicitas Heimann-Jelinek

Die Moses-Mendelssohn-Medaille wurde in diesem Jahr an die ehemalige Chefkuratorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien, Felicitas Heimann-Jelinek, verliehen. Der Preis wurde in Berlin vom Vorstandsvorsitzenden der Moses-Mendelssohn-Stiftung, Julius H. Schoeps, verliehen.

Heimann-Jelinek bereite »seit Jahrzehnten in ganz besonderer Weise vielfältige Facetten der jüdischen Geschichte klug und museal hervorragend auf«, teilte Schoeps mit. Die promovierte Judaistin und Kunsthistorikerin engagiere sich »im Sinne und in der Tradition des Denkens von Moses Mendelssohn für Toleranz und Völkerverständigung und gegen Fremdenfeindlichkeit«. Dies stelle sie mit »ihrem Einsatz im Bereich der musealen Vermittlung jüdischer Themen in die Gesellschaft« unter Beweis.


Einladend (Texte im Museum 1130)

 


Literaturmuseum Marbach (gespendet von R.M.)

Donnerstag, 30. März 2023

Das Museum ist zu selbstverständlich


Vor Jahren stellte auf einer Tagung eine Kuratorin das Konzept eines Stadtmuseums für eine deutsche Großstadt vor. Zu meiner Verblüffung berichtete sie, daß das Museum von der Bevölkerung gar nicht gewünscht werde. Es wurde dennoch realisiert. Ein Schweizer Freund erzählte mit großem Bedauern, vom Verschwinden von kleinen Museen in der Region, in der er lebt, und daß er sich als Berater um deren Weiterbestand bemüht. Für ihn sieht es so aus, als würden andere kulturelle Betätigungen für die Bewohner attraktiver geworden sein. Auch aus Österreich mehren sich Beispiele dafür, daß vor allem ehrenamtlich getragene lokale Museen scheitern, weil sich niemand mehr findet, der sie betreiben will. Auch in solchen Fällen sieht sich die Politik oder private Initiativen oft veranlasst, zur „Rettung“ der bedrohten Institutionen einzugreifen indem man Beratungen, Tagungen und Weiterbildung organisiert und finanziell interveniert. 

 Allen Fällen ist gemeinsam, daß das Museum an und für sich erhaltenswert erscheint. Auch wenn das Desinteresse offensichtlich wird, soll es nicht untergehen. Das Museum gilt als fraglos anerkannter Wert. Man fragt erst gar nicht nach den Aufgaben des Museums, nach seinem aktuellen Sinn. Museen gelten als schützenswert, als wären sie eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Das Festhalten an einer Idee, deren Sinnhaftigkeit man nicht mehr hinterfragt, erspart einem einfache und naheliegende Fragen selbst angesichts drohender Abwicklung von Museen: Kann es nicht sein, daß sich die einschlägigen Konzepte, die gebotenen Inhalte, die konventionellen Erzählungen, die angesammelten Objektwelten überholt haben, keinen zeitgemäßen Bedürfnissen mehr entsprechen, die gegenwärtige Lebenswelt potentieller Besucherinnen nicht mehr abbilden und erreichen? Kann es nicht sein, daß das Museum sich allmählich abkoppelt von den immer dringlicher werdenden Gegenwartsfragen, den sozialen und politischen Konflikten, den Krisen, die mehr und mehr den Alltag der Menschen erreichen? 

Ist das nicht anders bei der Literatur, dem Kino, dem Theater, selbst bei der aufwändigen Kunstform Oper. Hier gibt es Debatten ums Grundsätzliche, kühne Projekte, radikale Transformation, rasches Reagieren auf die multiplen Krisen mit ihren vielen Ursachen. Den durch die Corona-Pandemie bedingten Problemen stellt man sich: Publikumsschwund, Desinteresse der jüngeren Generation, Veralten ästhetischer Haltungen uam. Diese selbstkritische Debatte bleibt nicht auf Fachzeitschriften und Wissenschaftszirkel begrenzt, sie reicht bis in die Feuilletons der Zeitungen, in die PR-Interviews mit Künstlern aber vor allem auch in die aktuelle Praxis. Die Zweifel an den Kunstformen werden offen thematisiert und in der Praxis erprobt man Alternativen und Auswege, sucht auch das riskante Experiment. 

Ist es nicht so, daß es in Literatur, Theater oder Kino weitaus mehr und radikalere Infragestellung der überkommenen Formen gibt, der gesellschaftlichen Aufgaben, der Produktionsbedingungen, der Förderungswege als beim Museum? Dabei gäbe es beim Museum genug Anlass zum reflexiven Innehalten. Nehmen wir ein Beispiel: Die nur dem Museum eigenen Restitutionsdebatten, sei es infolge des NS-Raubes oder der kolonialen Ausbeutung, hat das prinzipiell affirmative Verhältnis zum Museum nicht beschädigen können. Das Wissen um die Grundlage vieler Sammlungen in Enteignung, Raub, Diebstahl kratzt nicht am Image der hochkulturellen Institution, die vorgeblich das Kostbarste unseres materiellen Erbes bewahrt. Auch die neue Bewegung der Klimaaktivistinnen, die sich ja so öffentlichkeitswirksam gegen Kunstmuseen richtet, bewirkt eher eine Verteidigung der unverzichtbar scheinenden Institution. 

Die Kehrseite der Verteidigung der „Heiligen Schatzbildung“ des Museums ist die Aggression die die Aktivistinnen trifft. Kaum jemand will sich eingestehen, daß die Attacken der Klimaktivistinnen nicht so sehr der Kunst gelten, als dem problematischen Unsterblichkeitsversprechen der Institution bei möglichst unverändertem Status. Der Aktivismus macht darauf aufmerksam, daß eben nichts und niemand in einer dystopisch geformten Zukunft „übrig“ bleibt. Das Verschwinden wird alles und alle treffen. Niemand will und kann sich das Museum anders als zeitlich unbegrenzt vorstellen. Aber No future gilt auch für das Museum und für die gesamte kulturelle Überlieferung, daran erinnern die Proteste. 

Es gibt schlechte Literatur, es gibt schlechte Filme und es gibt schlechtes Theater. Aber es gibt kein schlechtes Museum. Und daher auch keine Notwendigkeit, über das Museum grundsätzlich nachzudenken. Es existiert keine Museumskritik. Museen werden, wenn sie sich überholen, nicht geschlossen, sondern sie können sich jahrzehntelang irgendwie dahinschleppen, wie das Heeresgeschichtliche Museum in Wien zeigt, dessen Ausstellungen z.T. fast schon siebzig Jahre alt sind. Vor strukturellen Widersprüchen und Schwächen der Institution Museum verschließt man die Augen. 

Was ich damit meine, erläutere ich wiederum an einem Beispiel. Museen beschäftigen sich mehr denn je, sogenannte Nichtbesucher zu gewinnen. Es gibt Forschungen und Programme dazu. Aber die lang bekannte Tatsache, daß es soziale und bildungspolitische Gründe dafür gibt, daß sich etwa 50% der Bevölkerung dem Museum verweigern, wird weitgehend ignoriert. Die soziale Distinktion, die dem Museum zugrunde liegt und die vom Museum noch verstärkt wird, bleibt tabu. Ich kenne keine nachhaltig wirksamen Projekte, mit denen das Einbinden ausgeschlossener Gruppen gelungen wäre. Einzelfälle gibt es, strukturell bewegt sich nichts. 

Im Bemühen um Nichtbesucher steckt eine erstaunliche Blindheit: man unterschätzt die hegemoniale Funktion von Kultur. Deren Werte werden von eher schmalen Eliten aufrecht erhalten und tradiert. Nun möchte man auch von Nichtbesuchern verlangen und erwarten, daß sie diese Werte teilen. Wenn aber diese Werte offensichtlich für die Angesprochenen gar keinen Wert darstellen? Denn: Wer nicht durch Familie und Schule im Umgang mit Bildungsinstitutionen vertraut gemacht wurde, wird Museen kaum aufsuchen, weil er dort kaum seine Lebenswelt wiederfinden wird. Er ist doppelt ausgeschlossen, ihm fehlen die Werkzeuge und das Motiv. Dennoch hält man das Museum für eine derart bedeutende Einrichtung, daß sie für jedermann von Interesse sein soll und der Anspruch erhoben wird, daß jedermann jedefrau von ihm Gebrauch machen sollen. 

Die Anstrengungen, die man zum Anwerben von Nichtbesuchern unternimmt, ähneln den Methoden des Marketings und der Warenwerbung. Sie sollen den Kulturkonsum erleichtern und verbreitern – eine Marktstrategie -, aber sie bewirken so gut wie nichts. Das hält man dann auch noch für demokratisch. Während man ignoriert, wie undemokratisch die sozialen und bildungspolitischen Grundlagen des Konsums von Hochkultur sind, die einen so großen Teil der Bevölkerung davon fern halten. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, daß auch Museen ihre fragwürdigen Seiten haben, Menschen aktiv ausschließen, erst wenn man sich auf sowohl strukturelle als auch in der (Ausstellungs)Praxis wirksame Probleme einläßt, wird man imstande sein, Konzepte zu entwickeln. Konzepte, die die Kritik an der Institution aufnimmt und ihr gerecht wird. 

Museumskritik ist nötig und überfällig, um seine gesellschaftliche Rolle immer wieder zu befragen und zu justieren. Diese Kritik müsste in den Medien geleistet werden und sie müsste vor allem von den Museen selbst geleistet werden. Davon sind wir weit entfernt. Worauf warten Museen angesichts der drängenden und vielfachen Herausforderungen? 


Zwei Literaturhinweise zu Publikation, die Kritik am Museum leisten, wenngleich sich die Probleme seit deren erscheinen vertieft und vermehrt haben, denen sich Museen ausgesetzt sehen: Daniel Tyradellis: Müde Museen. 2014. Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. 2016 

Dieser Text ist eine überarbeite und erweiterte Fassung eines Beitrags der in der Zeitschrift des Museumsbundes erschienen ist. Neues Museum, März 2023, Heft ½ S.82/83

Sonntag, 19. März 2023

Volkes Stimme

 „Wolfsbär“ postet zu einem von Stefan Weiß im „Standard“ veröffentlichten Artikel zum „Postenschacher“ am Universalmuseum Joanneum: „ Leute aus der Wirtschaft im Museumsbereich sind leider eine Katastrophe. Leute aus der Wirtschaft glauben sie können einfach alles managen. Das erste was die machen ist einmal den Marketingbereich aufstocken und wissenschaftliche Mitarbeiter kürzen. Denn auf der WU lernt man doch auch wie man Ausstellungen macht und als Bankmensch weiss man natürlich welches Objekt "schön" ist und was "schiarch" ist und damit geignet oder ungeignet ist für die Sammlung. Den Politikern muss man sagen, wiel sie es selbst nicht kapieren: 1. Ein Museum funktioniert nicht so wie eine Bank. 2. In Museen ist kein Platz für politische Versorgungsposten. 3. Das gilt auf Landes- und Bundesebene.

Samstag, 18. März 2023

Schockierend: Menschen treffen sich im Museum

Während meiner Leitung der Tate Modern in London haben wir bei den Besuchern eine Umfrage gemacht, die uns schockierte. Klar, kamen die Besucher*innen, um sich zu inspirieren, um ästhetisches Erlebnis zu haben, um sich zu bilden, aber mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sie kommen, weil sie die Tate Modern für einen Ort halten, an dem sich Menschen begegnen. Chris Dercon

Montag, 13. März 2023

Noch ein Museum der sehr fernen Zukunft

 


The Crypt of Civilization is an impenetrable airtight chamber, built between 1937 and 1940, at the Oglethorpe University in Brookhaven, Georgia. The 2,000-cubic-foot (57 m3) repository is meant not to be opened before 8113 CE and contains numerous artifacts and sound recordings that illustrate civilization and human development to the 20th century. Classic literature and religious texts were also deposited, as well as items showing the extent of scientific progress to 1939.

Thornwell Jacobs, the initiator of the project, was inspired by the opening of Egyptian pyramids and wanted to create a repository of everyday 1930s objects and a record of human knowledge over the preceding 6000 years. The Guinness Book of Records declared the Crypt to be the first genuine attempt to permanently preserve a record of 20th century culture for people of thousands of years into the future.



Sonntag, 12. März 2023

Ein Museum der sehr fernen Zukunft

 

Preparing to cosign the Time Capsule to its 5,000 year resting place are A.W. Robertson, Westinghouse Electric Company’s chairman of the board (left) and Grover A. Whalen, president of the New York World’s Fair.

One of the first exhibits to receive attention at the New York World Fair 1939/40 was the Westinghouse Time Capsule, which was not to be opened for 5 millennia (the year 6939). The time capsule was a tube containing writings by Albert Einstein and Thomas Mann, copies of Life Magazine, a Mickey Mouse watch, a Gillette safety razor, a kewpie doll, a dollar in change, a pack of Camel cigarettes, millions of pages of text on microfilm, and much more. The capsule also contained seeds of foods in common use at the time: (alfalfa, barley, carrots, corn, cotton, flax, oats, rice, soy beans, sugar beets, tobacco, and wheat, all sealed in glass tubes). The time capsule is located at 40°44′34.089″N 73°50′43.842″W, at a depth of 50 feet (15 m). A small stone plaque marks the position.


Weltausstellung 1939/40 New York (Entrée)

 


Verstehe wer will? (Sokratische Fragen)

Woher weiß ein Ausstellungskurator, daß seine Fragen angenommen, seine Erzählung nachvollziehbar, seine Thesen verstanden werden.

Oder muß das gar nicht sein?

Vermeer, digital (Sokratische Frage)

Die Vermeer-Ausstellung in Amsterdam ist komplett ausgebucht. Interessierten wird als Trost eine Internet-Ausstellung angeboten.

Digitalisierung ist eine überwiegend positiv bewertete Strategie, was die Zukunft von Museen anbelangt.

Würden Sie sich mit dem Internet-Vermeer begnügen. Oder ist das ein absolutes no-go?

Samstag, 4. März 2023

Mittwoch, 1. März 2023

Was ist eine barocke Statue schon im Vergleich zu einem Führungstreffpunkt? (Texte im Museum 1126)




 

Das Mission Statement des Heeresgeschichtlichen Museums (Texte im Museum 1125)

Wer derzeit das Heeresgeschichtliche Museum besucht, findet dort noch diesen Grundsatztext, der zwischen Marketing, Mission Statement und Aufgabenbeschreibung einordenbar ist.

Er läßt zunächst keinen Zweifel an der Bedeutung des Museums aufkommen - als ältester Museumsbau Wiens und mit einem herausragendem internationalen Ruf ausgestattet.

Die Charakterisierung als Imageträger und Repräsentationsort des österreichischen Bundesheeres engt die tatsächliche Funktion des Museums auf ein Berufs-Museum ein und unterschlägt die Rolle als historisches Museum, das sich mit österreichischer Geschichte befasst. In dieser Verengung deckt sich der Text überhaupt nicht mit dem, was man in der Ausstellung vorfindet. Da nimmt das Bundesherr (im Haupthaus) eine verschwindend kleine Rolle ein. Was man hier erwarten würde, die Rolle des Museums innerhalb der geistigen Landesverteidigung, fehlt erstaunlicherweise. Welche Beziehung zwischen der Geschichte der kaiserlichen Armee und dem österreichischen Bundesheer besteht, bleibt ungeklärt.

Als Hauptaufgabe wird denn auch die Darstellung der Geschichte des österreichischen Soldaten genannt. Noch dazu mit dem Adjektiv objektiv, einer völlig unhaltbaren scheinneutralen Position, die im krassen Widerspruch zur von vielerlei Ideologien (Patriotismus, Heldentum, Opfermut, Kaisertreue uam.) durchdrungenen Präsentation im Museum steht. Auch die versprochene Konzentration auf den Soldaten wird vom Museumskonzept völlig konterkariert, das Feldherren, Schlachten, Waffen usw. ins Zentrum rückt und den Soldaten weithin als bloße Staffagefiguren zur Vorführung von Uniformen instrumentalisiert. Es ist gerade der Verzicht bemerkenswert über Themen wie Rekrutierung, Einberufung, Motivation oder Erfahrung mit Angst, Verletzungen, Traumatisierung, Tod, Widerstand, Flucht zu sprechen.

Der Rest des Textes führt Quantitatives vor: die schiere Sammeltätigkeit, das hohe Alter der Institution, die Besucherzahl, den Umfang der Sammlung. Qualitativ kann sich das Museum überhaupt nicht selbst beschreiben.

Eine Formulierung einer gesellschaftspolitischen Zielsetzung fehlt vollkommen wie auch eine Positionierung innerhalb der Geschichtspolitik Österreichs. Außer statistisch kommt auch der Ansprechpartner des Museums, der Besucher, nicht vor.

Der Text ist so etwas wie ein Grundsatztext, der die Besucher vor dem Betreten der Ausstellungen über die Haltung des Museums und seine Bedeutung informiert. Mit seinen eben benannten fragwürdigen Formulierung ist es ein Text, der wie ein Symptom einer Erkrankung auf die Gebrechen der Museumsausstellung hinweist. Vieles, was in den vergangenen vier Jahren kritisiert wurde, findet sich, gleichsam spiegelverkehrt, wieder.



Verwandtschaftsbeziehungen (Texte im Museum 1124)