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Freitag, 28. Oktober 2022

Matthias Beitl im Gespräch. Das Museum als geschützter, sozialer und demokratischer Ort

Wie oft hört man einen Museumsleiter (oder eine Leiterin) ausführlich (fast dreißig Minuten) über Sinn und Zweck des Musuems reden? Matthias Beitl, Leiter des Volkskundemuseums in Wien, wurde diese Möglichkeit von der Tageszeitung Der Standard eingeräumt. In Form eines Podcasts, den man unter dieser Adresse abrufen kann: https://www.derstandard.at/story/2000140341166/wie-das-museum-der-zukunft-aussehen-koennte

Matthias Beitl hat seine Zeit gut genutzt und über Digitalisierung informativ und eher skeptisch gesprochen. Auch in der Debatte um Auswirkungen der Klimakrise, der jüngsten Teuerungswelle etc. argumentiert er wohltuend aus der Praxis heraus.

In der „Königsdisziplin“ der Zukunftsprognose zeigt er sich trotz aller Krisenphänomene optimistisch, was den Geschützen und sozialen ebenso wie demokratischen Ort Museum betrifft.

Hörenswert als facettenreicher und klug argumentiertet Beitrag zu einer grundsätzlicheren und gründlichen Musuemsdenatte.

Montag, 3. Januar 2022

Museumsdebatte. Viel Platz für keine Ideen. Die Süddeutsche Zeitung eröffnet uns zum Jahresbeginn ihre Zukunftsvision der Museen


Die Süddeutsche Zeitung reserviert heute, am 3.1., eine ganze Seite für - wie es im Untertitel heißt -, „Ideen für das Museum der Zukunft“. Ich lese nicht nur den Text, ich überlege, was thematisiert wird und was nicht und wie diese Seite ausgemacht wird. 

Da ist zunächst einmal die Überschrift, „Portikus und Punktbelastung“. Das ist mal unverständlich und schrumpelt im elendslangen Untertitel auf ein Bündel von durcheinendergewürfelten Aspekten: „Museen sollen Mensch und Kunst zusammenbringen. Das Stadtmarketing setzt auf spektakuläre Fassade und teure Gastronomie. Dabei braucht die Kunst etwas ganz anderes“.

Damit noch nicht genug. Es gibt am Kopf der Seite noch eine Überschrift: „Welche Orte braucht die Kunst? Hier einige ganz besondere Museumsbauten - und Ideen für das Museum der Zukunft“.

Es geht also um DIE Kunst und IHREN ORT, um das MUSEUM und das MUSEUM DER ZUKUNFT, um DEN MENSCHEN aber auch ums STADTMARKETING, die MuseumsARCHITEKTUR, also auch den PORTIKUS, als ein typologisches Element von Museumsarchitektur (Aber was ist mit „Punktbelastung“ gemeint?)

So viel Überschrift, die so viele Fragen aufwirft für ganze vier Spalten Text, die bloß ein Drittel der Höhe Seite einnehmen. Eine Glosse, kaum mehr. Die restlichen Drittel der Seite gehören oben einer Zeichnung vom Portikus des Kasselerer Fridericianums und unten Miniporträts von wenigen Zeilen von sechs Museen, jeweils begleitet von einer Zeichnung.

„Museen sollen Menschen und Kunst zusammenbringen“. Der Teil des Überschriftendschungels enthält bereits mehr unaufgeklärte Fragen, als der kurz geratene Artikel beantworten kann. „Menschen“? Alle? Welche? Alle sollen? Ohne Unterschied? Warum? Kunst? Die Kunst oder welche? Alle Kunst für alle Menschen? Sind Museen per Definitionen nun Kunstmuseen oder kommt’s darauf nicht an? Das ist jetzt etwas haarspalterisch argumentiert, denn ist ja offensichtlich, daß dieAutorinnen des Artikels, Catrin Lorch und Laura Weissmüller, Kunstmuseen im Auge haben. Aber die notorische Gleichsetzung von Museum und Kunst/Kunstmuseum nervt.

Der Text beginnt mit einem kurzen Abschnitt zum Fridericianum in Kassel (deswegen die Grafik mit dessen Portikus), das Landgraf Friedrich II. „Als ein Zeichen … für Aufklärung und betont städtische Öffentlichkeit“ errichten ließ „als erstes Museum überhaupt auf dem europäischen Kontinent“.

Das Fridericianum gehört zu einer Reihe deutscher Fürstensammlungen, die eine für sie gebaute Architektur erhielten, wobei die reichen Quellen zur praktischen Nutzung des Museums wenig hergeben, als es im frühbürgerlichen Sinn als öffentlich zu bezeichnen. Die Nutzung unterlag diversen, sozial einschränkenden Regelungen. Diese Museen hatten indes nicht nur mehr fürstliche Repräsentation zum Zweck, sondern schon ein - vom Fürsten definiertes -Staatswohl. Das ist das Fortschrittliche an ihnen. Erst so an die zwanzig Jahre später entstand das, was wir bis heute „Museum“ nennen: die von der öffentlichen Hand getragene, steuerfinanzierte, dem Anspruch nach allen (in Realität bis heute eher wenigen) zugängliche Bildungseinrichtung mit „indirektem Staatznutzen“ (Hermann Lübbe). 

Insofern ist die Bezeichnung als „erstes Museum“ irreführend, der Zusatz vom „ersten Museum überhaupt auf dem Kontinent“ schlicht unsinnig, weil die Institution Museum in Europa entsteht und von dort aus, 1810ff. rasch auf alle Kontinente, z.T. als ein Effekt von Kolonialisierung, „exportiert“wird.

Noch im selben Aufsatz lenken die Autorinnen die Aufmerksamkeit der Leser auf die Architektur des Fridericianum, genauer gesagt auf den Portikus, der die antike Tempelfassade zitiert, mit Giebel, Säulen, Treppe. Diese Typologie mache das Fridericianum „zum Vorbild schlechthin für Museen in der westlichen Welt“. Allerdings gehört dieser architektonische Topos auch zum fürstlichen Schlossbau. Eine Überlegung, warum ausgerechnet der antike Sakralbau zum Vorbild der frühen Museumsarchitektur wird, folgt hier nicht. Ich beckmessere jetzt kein zweites Mal und vertiefe mich daher nicht in die etwas komplexere Geschichte der sich entwickelnden Museumsarchitektur, und die diversen architektonischen Lösungen, die für diese Zeit entwickelt wurden, sondern mache mit den Autorinnen den Kopfsprung in den zweiten Absatz mit, der vom Tempel (als bauliches Zitat) zur Metapher des Kunsttempels überleitet. Halsbrecherisch.

Denn: „Die Kulturwelt“ hat „den Kunsttempeln den Kampf angesagt, gelten sie doch als zu elitär“. Ist das so? Hat sich der „Tempel“ nicht wie von selbst im von Museen selbst vorangetrieben Konsumationen Selbstverständnis aufgelöst. Bedurfte es da noch der Kritik? Die Kritik gibt es, ja - aber es gibt auch das Festhalten an einem elitistischen Selbstverständnis von Museen und ihre Verteidiger. Als elitär und als faktisch abweisend erweise sich sowohl die Architektur als auch, etwas überraschend, die hochpreisige Gastronomie in den Museen, „die seit einigen Jahren zum festen Bestandteil jedes neu eröffneten Museum gehört“. Der Elitismus der Museen gründet aber wohl kaum in abweisender Architektur oder hohen Konsumationskosten. Sondern in der sozialen Zugehörigkeit von Menschen. Sie entscheidet über den formalen Bildungsgrad und der wiederum über die Nutzung oder eben Nichtnutzung hoch-kultureller Einrichtungen wie sie auch Museen nun mal sind.

Das Verschweigen dieses Umstandes ist ein „interessiertes Schweigen“ (Pierre Bourdieu) und eines, das nicht nur verschweigt, daß materielle Bedingungen über den Genuss und Bildungswerte in Museen entscheiden, sondern daß diese Werte selbst (der Kanon der Kunstwerke, der Kanon der wertbesetzten kulturellen Güter…) sich elitistischer Wahl verdanken, aber als allgemeine gültig und verbindlich gelten. Deshalb läßt sich ganz in diesem Sinne von den Autorinnen in ihrem Text sagen: „MENSCH und KUNST“ sollen zusammengebracht werden.

Warum? „Wem muß das Museum dienen?“ fragen uns die Autorinnen. Die Antwort ist ein Ausweichen auf eine ganz spezielle, wenn auch wirklich nicht unwichtige Frage. An Gehrys Museum in Bilbao wird das Scheitern einer vom Stadtmarketing gesteuerten Entwicklung dargestellt. Es sei zur Gentrifizierung gekommen und es seien keine neuen Jobs entstanden. Und was wenn das Stadtmarketing solches gar nie im Sinn gehabt hätte. Wenn die Gentrifierung auch anderswo durch Museumsbauten vorangetrieben worden wäre, etwa in London mit der Tate Modern, die dann unter den sechs vorbildlichen Museen genannt wird? Das Stadtmarketing ist ja nicht die Ursache einer Entwicklung sondern ein Werkszeug und Symptom städtebaulicher Entwicklung, die von - in der Regel - anonymen Investoren gesteuert und getrieben wird.

Hier wird schon wieder das Thema gewechselt. Was denn nun mit dem Publikum ist, oder wohin denn die durch Gentrifizierung vertriebenen Menschen gehen, ist weniger interessant, als die Sorge um die Kunst, die in den „gebauten Spektakeln“ schlecht untergebracht sind. „Wie viel Schutz die Kunst braucht“ fragen sich und uns die Autorinnen, „Wie viel Licht?“ oder „welche Grundrisse?“ „Wäre nicht viel mehr die technische Ausstattung in Zeiten von Installations- und Medienkunst wichtig? Die CO2-Bilanz oder eine hauseigene Cloud?“ Und das senkt die zitierte „Schwellenangst“, das macht die Zukunft des Museums aus?

Was macht denn nun ein Museum aus, das auf seine Zukunft weist? Dazu gibt es sechs Beispiele, die „ nicht als Kunst-Kulissen geplant“ wurden und wo die „Räume“ ihre „Wirkung im Wechselspiel mit der Kunst - und ihrer Zeit - entfalten.“

Am Kunstmuseum in São Paulo sind es nicht die Ausstellungsräume, die interessieren, sondern der Platz unter dem Museum, wo Märkte, Konzerte, Demonstrationen stattfinden. An der Tate Modern interessiert allein die gigantische Halle, für die jährlich ein Werk konzipiert wird. Ist das nicht gerade der Spektakel, den die Autorinnen kritisieren? Die zum Museum umgebaute Brauerei Wiels in Brüssel überzeugt durch den „Charme der unprätentiösen Ausstellungsräume“, wo, leider bloß als Behauptung und nicht weiter erläutert gerühmt wird. dort „dürfe“ sich „eines der spannendsten Programme der zeitgenössischen Kunst überhaupt“ entfalten. Das zu beurteilen (mit welchen Argumenten?) ist den „Eingeborenen der Bildungselite“ (noch einmal Pierre Bourdieu) vorbehalten. Der Louvre Lens hat wiederum eine zentrale Eigenschaft, die die Autorinnen doch eben kritisiert hatten: „Etwas Spektakuläres“ habe die stützendes Halle. Doch die eigentliche Qualität liegt in der Galerie der Zeit, einer Sammlung von zweihundert Objekten aus 5000 Jahren, der „vergleichendes Sehen“ ermögliche, das „die Kunst der Stunde“ sei. 

Ist das vergleichende Sehen eine allen gegebene optische Ausstattung oder nicht doch eine höchst ungleich verteilte kulturell vermittelte Begabung? Das eben eröffnete, zugängliche Depot des Boymans-Museums in Rotterdam hat viel Aufmerksamkeit in den Medien auf sich gezogen. Aber etwas anderes als ein zugängliches Depot ist es eben nicht - mit der Möglichkeit, Techniken der Konservierung, Deponierung und auch Restaurierung kennenzulernen. Warum nicht? Aber welchen anderen Zugang zur Sammlung bietet so ein Schaudepot? (Als das es nicht neu ist). Angesichts fehlender Deutung und Kontextualisierung bietet sich als Veredelung des Ortes der schlichten Aufbewahrung die Metapher des Schatzes an. Nein, mehr als das, der „Schätze der Welt“, vom „Bruegel-Gemälde über Keramik aus Asien bis zum Alu-Rennrad“. Muß sich diese Metaphorik vom Museum als Schatzhaus - noch dazu „der Welt“ -, nicht langsam auflösen unter dem Druck postkolonialen Debatten, wo die Praktiken der „Schatzbildung“ mehr und mehr fragwürdig werden? 

Beim letzten genannten Museum, dem New Yorker Guggenheim, wird noch einmal das „Spektakuläre“, das uns doch weiter oben als Fehlentwicklung verleidet werden sollte, gerühmt und selbst das im Argumentationsgang der Autorinnen eigentlich als verheerend einzustufende Urteil der Künstler, der „aufregende Bau“ stehle „der Kunst die Schau“, wird erwähnt. „Allerdings“ - 2011 hat Maurizio Cattelan alle seine Skulpturen unter die Kuppel gehängt. Als frei schwebendes Mobile.

Ja dann! 






Freitag, 25. Juni 2021

"museumdenken" - Was wir vorhaben


Was haben wir vor? Wir, das sind Hanno Loewy (Leiter des Jüdischen Museum Hohenems), Anika Reichwald (Kuratorin am selben Museum) und ich, Gottfried Fliedl, Museologe. 

Wir haben ein Netzwerk von Personen und Institutionen geknüpft, die unsere Vorstellungen teilen und unterstützen. In wenigen Tagen kommt es zum ersten Treffen mit MuseumsmitarbeiterInnen, MuseologInnen, WissenschafterInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. In der kick-off-Veranstaltung wird es um Die Festlegung von Zielen gehen und um Formen der Kooperation. Aber auch um gemeinsame Veranstaltungen.

Seit Wochen ist eine Webseite in Ausarbeitung, die seit wenigen Tagen online ist. www.museumdenken.eu

Auf dieser Webseite gibt es Essays - zunächst zur zentralen Frage einer wünschbaren Zukunft von Museen, einen Blog und ein Glossar mit bereits über einhundert Einträgen. Die Webseite soll eine Plattform der Debatte und der Information werden.

Worum es uns grundsätzlich geht, haben wir in einem "mission statement" zusammengefasst.

Wer mit uns Kontakt aufnehmen will und an Mitarbeit interessiert ist, findet hier die Mailadressen, mit denen man uns erreicht: https://www.museumdenken.eu/post/kontakt


"museumdenken" - Eine neue Initiative für eine breite und diverse Museumsdiskussion. Zur Zukunft der Museen angesichts vielfacher Krisen

museumdenken ist eine Initiative für eine breite und diverse Debatte zur Zukunft der Museen

Der unmittelbare Anlass ist die Krise der gesellschaftlichen Bewertung der Museen. Weltweit sind tausende Museen von der Pandemie betroffen, in Lockdowns geschickt, zu Sparmaßnahmen gezwungen, von endgültiger Schließung bedroht. Schwer wiegt, dass die Bedeutung der Museen als vernachlässigter eingeschätzt wird. Sie gelten als kaum systemrelevant. Das symbolische Kapital, das sich die Institution Museum seit ihrer Entstehung erworben hat, scheint erstmals nachhaltig beschädigt.


Die Folgen der Corona-Pandemie für Museen werfen viele Fragen auf. Weitermachen wie bisher, scheint nicht mehr möglich. In den letzten Jahren und Monaten sind noch andere Probleme auf die Museen zugekommen: der demografische Wandel, die Forderung vieler marginalisierter Gruppen nach Berücksichtigung, der soziale Elitismus der Institution und der Mangel an demokratischer Haltung, die fortschreitende Ökonomisierung, die Frage kolonialer Beute in Museumssammlungen u.a.m.

museumdenken ist als Plattform für Debatten und den Austausch von Information gedacht – für all jene, die wie wir an einer Diskussion über die wünschbare Zukunft der Museen und ihrer gesellschaftlichen Relevanz interessiert sind. Als virtuelle Plattform steht die Webseite www.museumdenken.eu zur Verfügung, für den praktischen Austausch unterschiedliche Debattenforen, deren Gestaltung durch die Teilnehmer:innen erfolgt.

museumsdenken hat sich als loser Zusammenschluss von Personen und Museen gebildet, als Netzwerk, in dem Expert:innen aus Museen und anderen Kultursektoren verschiedener Länder eingebunden sind. Wir sind an Debatten interessiert, die nicht ausschließlich in der Sprache und in den fachlichen Denkbahnen der Insider geführt werden.

Wir halten eine breite Museumsdebatte für nötig und überfällig.

Wir glauben, dass das aufklärerische und demokratische Potential von Museen noch lange nicht voll ausgeschöpft ist.

Gottfried Fliedl, Hanno Loewy, Anika Reichwald

Samstag, 12. Dezember 2020

Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden

Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich hier: https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


Marcel Broothaers buddelt einen Museumsgrundriß in den belgischen Meeresstrand. Vielleicht spült die Flut alles schon weg, ehe die Arbeit vollbracht ist...


Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden


Meine erste Reaktion auf Krzysztof Pomians in der FAZ veröffentlichten Text hat mir den Vorwurf des "Wiener Pessimismus" (Helmut Bien) eingetragen. Damit kann ich provisorisch gut leben, mit der Einschränkung, daß ich kein Wiener bin. Was meinen angeblichen Pessimismus betrifft, da denke ich, dass es ein Missverständnis gibt, die möglicherweise durch mangelnde Genauigkeit in meinem ersten Text verursacht wurde. 


Ich habe gesagt, daß ich Pomians Pessimismus nicht viel entgegenhalten kann. Das heißt aber nicht, daß ich ihn teile. Ich stelle mir eine einfache Frage: Ist es eher erwartbar, daß ein umfassender globaler Lernprozess einsetzt, der den Klimawandel stoppt und katastrophische Folgen abwendet oder eher daß ein solcher rechtzeitiger Wandel nicht zustandekommt und die verschiedenen düsteren Prognosen sich in unbestimmbarer, aber vielleicht nicht so ferner Zukunft bewahrheiten? 


Ich weiß es nicht. Den einen Tag lese ich, daß die unbedingt notwendige Begrenzung der Erwärmung um 2 Grad sicher nicht erreicht wird, den anderen Tage erreicht mich die Nachricht, daß die EU einschneidende klimapolitische Ziele vereinbart hat.


Anders als Pomian räume ich dem Museum die Möglichkeit ein, sich auf unterschiedliche Zukünfte einzustellen und sich nicht bloß mit der Prophezeiung ihres Untergangs abzufinden. Das muß, wenn man dem Ernst der Situation gerecht werden will, nicht weniger eine Art "Neuerfindung" des Museums voraussetzt - ein unglaublich einschneidender „Turn“ auf allen Ebenen. 


Hier stelle ich eine ähnliche Frage, wie zum Klimawandel: Ist es wahrscheinlicher, daß die Museen nachhaltig und konsequent eine andere Politik, eine eine andere Geschichts- und Erinnerungskultur entwickeln, neue organisatorische, mediale, inhaltliche usw. Wege einzuschlagen oder ist es wahrscheinlicher, daß es weitgehend so bleibt wie bisher? 


Ein Beispiel: Ein grosses österreichisches Naturmuseum vernetzt sich mit verschiedenen Organisationen und ruft dazu auf, an einem bestimmten Datum, Kerzen als Warnung vor dem Klimawandel in die Fenster zu stellen. Warum nicht kann man fragen? Es wirbt mit eindrucksvollen Texten auf Facebook. Das Museum reagiert und wird aktiv, es geht buchstäblich und symbolisch über seine Grenzen. Man kann aber auch einwenden, dass eine solche schon vielfach für unterschiedlichste Zwecke gebrachte „Lichter-Mahnwache“ bereits zu abgenutzt ist, um noch weitere Besetzungen mit neuen Bedeutungen auszuhalten. (Nahezu gleichzeitig wird dieselbe „Mahnpraxis“ für Opfer der Pandemie organisiert). Und welchen Impuls gibt so eine Aktion über das Symbolische hinaus ins praktische Handeln?


Dasselbe Museum lädt, wiederum via Facebook, dazu ein, sich mit der Mineraliensammlung zu beschäftigen, im Internet, um dort einschlägiges Wissen abzuholen. Wiederum kann man sagen, warum nicht? Das Museum nutzt, was derzeit von überall her empfohlen wird, das Internet, um in Zeiten der Schliessung der Museen, Bildung zu vermitteln. Von Naturmuseen weiss man außerdem, dass es eine bestimmte Klientel von Hobbysammlern und Kennern gibt, die als Gruppe wichtig für solche Museen sind und im wechselseitigen Interesse auch untereinander vernetzt sind. Sie sind eine Zielgruppe für eine derartige Idee. Aber über diese Gruppe hinaus - was ist von der „Mineralienkunde“ gegenüber einem grossen Publikum zu erwarten. Sehr spezielles Bildungswissen zu erwerben? Und genügt die gute Absicht der Wissensvermittlung noch oder sind nicht längst Angebote nötig, die sowohl partizipativ wie reflexiv sein müssen und die über die Vermittlung von museumsspezifischem Sachwissen weit hinausgehen?


Jetzt noch mal zurück zum Pesssimismus: Ich teile den von Pomian nicht, einfach deshalb, weil ich keine sichere Prognose habe. Mich interessiert aber, wie bei Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“, die Radikalität der Provokation, die darin steckt das Museum von seinem Ende her zu denken. Man kann derlei Texte gewissermaßen therapeutisch lesen, als Anregungen, sich einer Krise zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen.


Pomian übertrifft den Schock, den die politische und praktisch folgenreiche Einschätzung der Museen durch die Politik als zur Unterhaltungsindustrie gehörig ausgelöst hat. Ihnen „Systemrelevanz“ abzusprechen (ich übergehe mal die Frage, „welches System“ eigentlich?) stellt ja auch ihre Existenz in Frage. Pomians Text schneidet indes weitaus tiefer als jede politisch verordnete Maßnahme in das historische Selbstverständnis des Museums als gattungsgeschichtliches Archiv und Gedächtnis (ihn interessiert merkwürdigerweise eher nur das Archiv). Es droht in seiner Perspektive die Möglichkeit als solches endgültig verloren zu gehen, was uns alle, die Gattung als Ganzes einer zukünftigen vollkommen Erinnerungslosigkeit ausliefern würde.


Schon durch den Holocaust wurde, wie Alain Finkielkraut zeigte, etwas Grundlegendes zerstört - das Vertrauen in einen alle Katastrophen, Opfer und Verheerungen aufwiegenden und integrierenden humanen und unabschliessbaren Fortschritt. Jetzt ist aber nicht einfach die Idee des Fortschritts beschädigt, jetzt scheint es ein Datum für dessen unausweichliches Ende zu geben. Nur der Zeitpunkt steht noch nicht fest.


Diese Kränkung ist so ultimativ, daß es schwer fällt, sich auch nur intellektuell, abstrakt, distanziert, probehalber damit zu beschäftigen und schon gar nicht dann, wenn man sich mitten in der Praxis um die Vitalität der Institution inmitten bedrohlicher Krisen sorgen soll. 


Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“ war ein „sokratischer“ Text, der zur Reflexion anleiten sollte ohne den Hintergrund einer empirisch drohenden Katastrophe. Man konnte spielerisch mit ihm umgehen und verschiedenste Szenarien erproben, die fern jeder Wirklichkeit schienen. Aber schon die Texte waren, sooft ich ihn sie in Diskussionsrunden einbrachte, meist überfordernd. Wie erst der Pomians!


Es geht doch darum, im Bewusstsein aller dieser extremen Herausforderungen, praktisch und theoretisch am Neuentwurf der Institution zu arbeiten. Einen Aufbruch kann es geben, wenn Museen bereit sind, sich offensiv und reflektiert mit dieser „Bedrohung" auseinanderzusetzen (die noch komplexer ist als es Pomian, den es kommen ja noch andere Herausforderungen hinzu, wie etwa die Frage des Umgangs mit dem Kolonialismus) und diese Auseinandersetzung zum Ausgangspunkt ihrer "Erneuerung" machen.


Vom wem wird diese Erneuerung kommen, von den Museen (allein)? Von der Politik? Vom Publikum, von der Zivilgesellschaft? Helmut Bien ist gegenüber neuen Eliten skeptisch, deren rabiate Kritik, etwa an der Kolonial-Frage, letztlich in einen Museoklasmus mündet. Er schreibt: „Wir erleben im Augenblick einen ikonoklastischen Rigorosismus, der vieles Altes aus der Perspektive der aktuellen Moral verantwortlich macht und beseitigen möchte.“


Einspruch. Sehen wir uns die Kolonialismusdebatte an. Ist sie bloß eine Angelegenheit rigoroser elitistischer Moral? Da gab es doch schon zeitgenössisch eine moralische Haltung, die sich mit den Verhältnissen nicht abfand und eine Bürgerbewegung, die etwa den belgischen König dazu zwang, seinen entsetzlichen „Privatkolonialismus“ aufzugeben und dann auch den Belgischen Staat erfolgreich drängte, sich von der Kolonialisierung zu verabschieden. Die europäische Kolonialgeschichte wurde schon zeitgenössich als grauenhaft und unerträglich empfunden, und nicht erst im Licht des heutigen Moralismus von Eliten.


Kolonialismus, als Problem für Museen erst mit der Gründung des Humboldt-Forums aufgebrochen, ist aber nur eine unter mehreren jüngsten Entwicklungen (die Restitutionsdebatte um in der NS-Zeit als zeitlich und territorial ungleich eingegrenzteres Phänomen, geht dem voran). An ihr ist Gewaltförmigkeit und Rechtsbrüchigkeit als strukturelle Grundlage des Museums sichtbar geworden sind. Die gerade anlaufende Debatte über den kolonialen Ursprung des British Museum (wiederum nur eine Facette von mehreren in der Kontaminierung dieses Museums mit Kolonialismus), ist nur eins unter zahllosen Museen, wo man auf ähnliche gewaltförmige Bedingungen ihrer Gründung stossen kann. Da sind so illustre Museen drunter, wie das Metropolitan Museum, der Louvre oder die Tate Gallery.


Keine andere kulturelle Institution oder Praktik hat eine derart verborgene und verborgen gehaltene Tiefenstruktur und zusammen mit der Funktion von Museen als hegemoniale ideologische „Staatsapparate“ bietet allein schon diese beiden Strukturmerkmale erste und dringlich der Bearbeitung harrende  Ansatzpunkte und Angriffsflächen für einen „reflexiven Neustart“.


Allerdings frage ich mich, ob alle diese Phantasien vom Neuanfang, vom Museum 2.0, vom demokratischen Museum oder gar radikaldemokratischen Museum, nicht unvermeidlich darauf hinauslaufen, eine vielfach fragwürdige Institution bloss reformerisch am Leben zu erhalten wie einen im Koma liegenden Patienten durch Apparate. Warum nicht loslassen? Warum nicht verabschieden? Nicht um einen revoltierenden Museoklasmus herbeizuführen, sondern um die Ideen zu bewahren, die mit dem Museum einmal verknüpft waren.


Warum nicht alle jene hehren Ziele, die in bester Absicht das Museum neu zu denken formuliert wurden, anders und anderswo zu verwirklichen. Wozu der mühsame Prozess, widerstrebende Praktiken zu verändern (aus Macrons Ankündigung der umfassenden Restitution bleiben zwei Jahre danach eine Handvoll noch nicht mal zur Gänze restituierter Objekte), wozu der lange Marsch durch Institutionen, die es nicht anders haben wollen als es ohnehin ihrem unbeirrbaren Selbstbild nach immer gut ist? Wozu die Hoffnung auf dem (Um)Weg der Instrumentalisierung einer womöglich komplett ungeeigneten Institution, die nötigen Entwicklungs- und Lernprozesse anzustossen?


Der Wechsel von Eliten, geht der ohne jeglichen Wechsel der Perspektiven vor sich oder gar hin zum Schlechteren, oder kann man nicht auch Hoffnung in neue Interessenten setzen, die ihre Verantwortung entdecken?


Ein Beispiel: Es gibt seit Mitte des Vorjahres Kritik an einem der absonderlichsten Museen, die es in Österreich gibt, am Heeresgeschichtlichen in Wien. Die Kritik begann nicht mit einer an den Ausstellungen, sondern an rechtsradikalen Mitarbeitern und einschlägigen Veranstaltung und dem Angebot des Museumsshop mit einschlägigen Tendenzen. Diese Kritik kam von zwei Bloggern, wurde dann von Tageszeitungen aufgenommen und führte zur Einsetzung mehrerer Untersuchungskommissionen. Inzwischen formierte sich eine Gruppe von LiteratInnen und KünstlerInnen, die eine Tagung auf die Beine stellten, die wiederum medial aufmerksam rezipiert, dazu führte, dass das Thema auf der Tagesordnung blieb. 


Die Kritik weitete sich nun auf die Ausstellungen aus, auf deren Ideologie und auf die Sinnhaftigkeit eines nostalgisch-retrospektiven Armeemuseums. Die Kommissionen, nicht alle haben ihre Arbeit abgeschlossen, bestätigten im Kern die Kritik und ein Rechnungshofbericht listete Mängel auf, die alles bisher Bekannte bei weitem übertrafen. Eine weitere Tagung ist geplant, von derselben Gruppe, die es geschafft hat, das Thema nun über langen Zeitraum in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. Ob das politisch erfolgreich werden wird und in welchem Umfang, das ist völlig offen.


Es ist meiner Beobachtung das erste Mal, daß es so etwas wie eine umfassende Kritik an einem Museum (in Österreich) überhaupt gibt und dass es eine zivilgesellschaftliche Initiative ist, die Museen als wesentliche Akteure der Geschichtspolitik kritisiert. Eine Elite? Prinzipiell ja, aber es ist eine Elite, die gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt und nicht ihre partikularen Interessen. Und das in einer Weise, wie sie dem Museum seit der Aufklärung und bürgerlichen Revolution eingeschrieben ist. Das Museum war ein Ort, in dem Staatsbürger in ihrem und im gesellschaftlichen Interesse handelten und zu Res Publica formierten und das Wohl des gesellschaftlichen Ganzen aushandelten. 


Die genannte Initiative ist jedenfalls der seltene Fall, daß sich im Macht- oder Entscheidungsdreieck Politik - Institution - Gesellschaft, die strukturell Ausgeschlossenen, das Publikum, die Bürgerschaft, zu Wort melden. Es ist wie im Gesundheitssystem. PatientInnen haben keine Stimme, keine Handlungsmacht im Verhältnis zu Politik, Industrie und organisierter Ärzteschaft.


Diese Entwicklung beobachte ich mit Interesse und Sympathie. Wer weiss, was da zustandekommt. Ob es bei einem Reförmchen des Heeresgeschichtlichen Museums bleibt, das das Versagen der Politik und das Agieren des Museums kaschiert oder ob es zu einer grundlegenden Erneuerung kommt, nach der vielleicht ein ganz anderes Museum realisiert werden wird, das wird sich zeigen. Es muß am Ende ja nicht ein (neues, weiteres) Museum sein, sondern vielleicht etwas, woran wir jetzt noch gar nicht denken. Etwas, das weitere Museen inspiriert, ganz neue Wege zu gehen.


Vielleicht muß man das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden?


Die erwähnten Texte:


Krzysztof Pomian: Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 24.11.2020, S.12

Stephen Weil: The Museum at the End of the Time. In: ders.: Making Museums Matter. Washington. Smithsonian Institution 2002

Gottfried Fliedl: Am Ende. Das Museum. In: Museologien (Blog). 

https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


12.12.2020


Sonntag, 5. Oktober 2014

Im "Neuen Museum" läßt der Museumsbund Österreich über die Zukunft der Museen nachdenken

Die Zeitschrift des Museumsbundes Österreich „neues museum“ hat sich unter neuer Leitung des Verbandes und neuer Redaktion zum Besseren entwickelt. Es gibt klarere Schwerpunktsetzungen, eine klarere Gliederung des Hefts, mehr Essays zu Grundsatzfragen und ein übersichtlicheres Layout. Zum 25-jährigen Jubiläum des Verbandes leistet man sich einen Schwerpunkt „Das Museum in 25 Jahren“ mit sechs Essays.

Angela Janelli, Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt wünscht sich eine Zukunft mit mehr „wilden Museen“.  Damit sind (in Anlehnung an Levi Strauss’ Terminus vom wilden Denken) Museen gemeint, die vielfältig sind, deren „Design gesprengt“ wird, „so wie Löwenzahn den Aspahlt“ sprengt, die eher Produktionsorte denn Schauhäuser sind, die daher viele Formen der Beteiligung ihres Publikums kennen dessen Erfahrungen und Geschichten gleichwertig neben dem kuratorischen  Wissen steht. Kurzum, wilde Museen sind solche, wo mehrere Formen von Wissen nebeneinander stehen, in friedlicher Koexistenz. Die wilden Museen grenzen sich von den domestizierten ab (die sie vielleicht ablösen werden?). Dies sind die „schönen, solide recherchierten“, die mit Shop und Café, die, die sich weltweit gleichen, „gleich schön, gleich angenehm, gleich vorhersehbar“.

Janellis Zukunftstraum, der mir rundum symphatisch ist, weil ich das Riskante und Experimentelle am Museum sehr vermisse, hat viele Zugeständnisse an alte Museumsvorstellungen und manchen Kompromiss im Repertoire, während Daniel Tyradellis Traum noch wilder gerät und er aus diesem dementsprechend „schweißgebadet“ aufwacht. Kein Wunder, gleich zu Beginn werden die Vertreter des alten Museums pensioniert oder entlassen um einem Museum Platz zu machen, das „Menschen zum Denken anregt oder gar nötigt“.  Im wilden Träumen wird bei Tyradellis (Kurator, Philosoph) mit der Dingfixierung, Begriffen wie Aura und Echtheit, den kanonischen Hierachisierungen, der „betäubenden“ Szenografie und vielem anderen abgerechnet um sich dem „Hauptinhalt jedes Museums“ zuwenden zu können, „den Beziehungen“, den Dinge in einem experimentellen Denken im Raum herstellen können, untereinander und mit den Besuchern.

Heftige Kritik an liebgewonnenen und unhinterfragten Topoi der Museumspraxis und der Museologie gibt es auch im Beitrag von Markus Walz (Museologe), der als Stanislav Lem der Museologie erfolgreich eine Science Fiction Story aus diversen zeitgenössischen und zeitgeistigen Trends extrapoliert. Der Witz dieser Zukunftsvision ist der, daß sie wie eine hochrealistische Beschreibung der Zukunft des Museums daherkommt, bei dem einem gleichzeitig das Grausen und das Lachen kommen kann. Die Zuspitzung der ökonomischen Rationalisierung, die organisatorische Effizienz, die Verfeinerung und Extensivierung des Quotenwahns, die exzessive Privatisierung - die chinesische IBC Bank übernimmt Guggenheim - und vieles andere mehr werden so glaubhaft geschildert, wie es sich für gute Science Fiction gehört.  Und in guter Tradition utopischer Literatur ist sie eine Form, in der Kritik am Alten geleistet werden kann, hier an manchen Heiligen Kühen der Museologie.

Ganz und gar auf dem Boden der sogenannten Tatsachen steht der ehemalige Direktor der Museums Association des United Kingdom, Mark Taylor. Zukunft ist hier konkret, geplant, vom englischen Museumsbund vorauschauend bewirtschaftet und gebündelt in einem Projekt Museums Change Lives. Ganz im Ernst!? Das Museum verändert das Leben. Aller?!
So etwas lese ich völlig gespalten. Einmal mit Bewunderung für die gedankliche und logistische Rationalität, mit der der große und einflussreiche Verband so etwas vorbereitet, lanciert und, daran besteht kein Zweifel, umsetzen wird. Programmatisches, zielorientiertes Handeln ist etwas, was ich von den deutschsprachigen Verbänden so sicher nicht kenne. Aber.
Ich lese es nicht nur mit gewisser Bewunderung, sondern zugleich mit Staunen und einiger Bestürzung, wenn etwa an manchen Stellen die nackte Sozialtechnologie und kulturelle Hegemonisierung blank liegt: Museums „can help disaffected people and those from marginalised sections of the community gain a sense of citizenship and belonging to society and broaden horizons, which can otherwise seem narrow and uninviting.“

Solche tief in die Lebenswelt eingreifenden Museumsphantasien hat in England seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts Tradition, vor allem als „Erziehung der Arbeiterklasse“. Jetzt scheint das als eine Reaktion auf postmoderne Ohnmacht gegenüber den ökonomischen und politischen Verhältnissen wiederzukehren. Als "classism", als paternalistisches Kalmierungsprogramm, als eine Strategie, Identifikation mit dem Staat vermeintlich gewaltfrei herstellen zu können - ausgerechnet übers Museum und nicht über Politik und demokratische Teilhabe.

Ich habe zu dem „Jubiläumsheft“ eine skeptische Einschätzung beigetragen, daß aus dem Museum selbst Einsicht, Kritik und Revision der eingeschliffenen Praktiken kommen könnte. Sie stellen der Tendenz zu Ökonomisierung und Privatisierung entgegen, was man Öl ins Feuer gießen nennen könnte. Stattdessen: Marketing, Eventisierung, Instrumentalisierung des Publikums statt Beteiligung oder gar, Gott behüte, Demokratisierung der Organisation.

Ich denke wirklich nicht, daß sich am hegemonialen, patrimonialen Zuschnitt des Museums etwas ändern wird. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß sich die Museen überhaupt nur annähernd der gesellschaftspolitischen Probleme bewußt sind und bewußt sein wollen, die auch zu ihren Rahmenbedingungen gehören.

Meine eigene Utopie geht diametral in die Gegenrichtung dieses Mainstreams. Statt der konsensuellen Abfeier der kanonisierten Kulturgüter sollte eine Radikalisierung der diskursiven Öffentlichkeit im Museum treten. Das nenne ich „agonistisches Museum“.  Das Museum gedacht als einen Ort der zivilen, respektvollen Austragung eines Streits der Interessen, die in diesem Modell nicht verschleiert, geleugnet oder ideologisch weggezaubert würden. Mein Traum ist das Museum als zivilgesellschaftlicher Raum, wo ein Diskurs im Rückgriff auf Objekte als Medien ästhetischer und historischer Erfahrung in einem kollektiven Erfahrungsprozess ihren Platz haben. Wie gesagt: ein Traum. Nicht für die nächsten 25 oder 50 Jahre, ja, das kann ich mir selber auch sagen, wie unrealistisch das ist.

Ein Beitrag fällt aus der Sammlung von Texten zur Zukunft des Museums heraus. Andrea Bina, Leiterin des Linzer Stadtmuseums, beschäftigt sich nicht mit der Zukunft der Museen. Sie stellt „ihr“ Haus vor, und das leider unter Verwendung ziemlich vieler, zu vieler guter (und abgegriffenner, verschlissenen) Vorhaben. So ein Artikel kann mich nicht mal von Graz aus nach Linz locken. Warum lernen Museumsleute nicht endlich, daß ein Publikum ganz anders angesprochen werden muß als in schülerhafter Bravheit oder, so würde es Angela Janelli sagen, „Domestiziertheit“?
Der Aufsatz gehörte in den Abschnitt „Schauplätze“ des neuen museum, der traditionellerweise der Selbstdarstellung von  Museen vorbehalten ist.

Dieser Teil der Museumszeitschrift hat mich selten interessiert. Es ist der vorhersehbarste Teil. Selbstverständlich wollen sich Museen und Museumsleiter ins Schaufenster stellen und selbstverständlich werden sie nur ihre Schokoladenseite zeigen. Aber aus diesen Beiträgen lernt man nichts. Diese „Werbeeinschaltungen“ kommen klarerweise meist ohne jede Relativierung, geschweige denn Kritik aus und spiegeln eine Schwäche beider österreichischen Museumsverbände, des Museumsbundes und ICOM. Beide sind als Interessenvertretung vom Bedürfnis der Selbstbehauptung und -darstellung ihrer Mitglieder betroffen, von einer beruflich-fachlichen Innensicht, die als Beharren, Verteidigen und Feiern des Ist-Zustands kein Potential der Veränderung bietet und auch meist scharf abgegrenzt ist nach allem was „Aussen“ ist, was "nicht zu uns" gehört und was herausfordern könnte. Eins der größten Defizite der Zeitschrift ist die Vernachläßigung der internationalen Entwicklung, des Vergleichs, der Konfrontation. Ich gebe zu, daß das den Produktions- und Redaktionsaufwand vergrößern würde. Aber warum gibt es nicht so etwas wie "Auslandskorrespondenten" oder "Gastauftritte"? Kolleginnen und Kollegen, die regelmäßig über die Entwicklung von den hot spots der Museumsentwicklung berichten.

Um so erfreulicher ist, daß das neue museum schon seit eineigen Heften Luft hereinlässt ins abgeschottete Reich der Funktionärskaste, neue Themen lanciert, interessante Autoren und neue Formate sucht. So heterogen die hier kurz vorgestellten Beiträge sind, die Qualität des Schwerpunkts liegt genau darin, daß hier sehr unterschiedliche Erfahrungen und Auffassungen nebeneinander stehen. Ihren Thesen, Widersprüchen, Reibungsflächen nachzuspüren könnte ein ganzes museologisches Seminar füllen, Ausgangspunkt vieler Debatten über das Museum sein, über seinen Istzustand und seine wünschenswerte Entwicklung.

Ich wünsche mir von der Leitung des Museumsbundes, nicht nachzulassen im Fördern dieser offenen und kritischen Haltung. Nichts brauchen die Museen mehr!