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Freitag, 11. Februar 2022

Elsbeth Wallnöfer: Arsenikesser. Eine ungewöhnliche, eine feine Ausstellung von Simon Brugner im Volkskundemuseum des Universalmuseum Joanneum, Graz.


 

 

Simon Brugner, Künstler, Fotograf, Steirer, Kurator, veröffentlichte im Jahr 2018 ein Foto-Kunst-Buch mit dem Titel „The Arsenic Eaters“. (Brugner, Simon: The Arsenic Eaters. Erschienen bei The Eriskay Connection o.O. 2018)

Jetzt gibt es dazu auch eine Ausstellung. Gegenstand von Buch und Ausstellung ist die künstlerische Auseinandersetzung mit einem kaum beachteten Thema, den, in der Vergangenheit auch als Giftesser bekannten, Arsenik Essern seiner unmittelbaren Heimat. Arsenik, als psychoaktive Substanz (Droge), die seit der griechisch- und römischen Antike als solche bekannt und genutzt ist, entdeckten auch die Steirer und Tiroler für sich, nachdem sie Arsenik-Vorkommen vorfanden. In geringen Mengen zu sich genommen, geraucht oder geschleckt, zermahlen und pulverisiert wirkte es wie ein Schönheitsbooster. Pferdehändler verfütterten es dem Vieh, das es galt in naheliegender Zukunft zum Verkauf anzubieten. Dem Fell verlieh es Glanz und den Muskeln Spannung.

Könige vieler bekannten Reiche der Geschichte suchten sich mit gezielten, wohldosierten Portiönchen davon vor Giftanschlägen zu immunisieren, schönheitsbewusste Griechinnen nutzen einstmals das Mittel, um sich zu enthaaren.

 

Die kleine, exquiste und überschaubare Ausstellung von Simon Brugner ist jedoch keine Kulturgeschichte regionaler Drogen, sie ist eine Kunstausstellung. Seine Fotoarbeiten stellt Brugner von ihm ausgewählten Objekten aus dem Depot des Hauses gegenüber. Wer gewillt ist, sich auf eine künstlerische Präsentation, auf eine gewisse Art von Spiegelung einzulassen, der wird am Ende belohnt. Brugners Arbeiten, Auswahl und Zusammensetzung beruhen nämlich auf dem Prinzip eines (unbewussten?) Gestaltenwechsels. Seine, bereits in den Fotografien angelegte, vergleichende Morphologie liegt als Prinzip auch der Ausstellung zugrunde. Daher scheint es logisch und konsequent, Votivbilder und Strahlenkränze aus dem Bestand des Hauses in die Schau aufzunehmen, morphologische Ähnlichkeiten zu seinen Fotografien hin auf subtile Weise zu offenbaren. Weil es keinen umfassenden Raumtext zur Kulturgeschichte der Droge Arsenik gibt (was für Unwissende anzubieten eine hilfreiche Geste wäre), ist der Besucher mehr denn sonst gefordert, sich bedingungslos auf die gebotene Kunst samt „fremden“, irritierenden Objekten einzulassen. Wem dies gelingt, der vernimmt auch den sublimen erotischen Charme, der in den Dingen, Bildern, den religiösen Motiven, angelegt liegt.

 

Der idealerweise räumlich von der Ausstellung separierte Lesetisch mit seinen Textkopien wirkt leicht überfordernd bis tapsig hingestellt. Da wäre doch ein feiner, kulturhistorisch aufklärerischer Raumtext, der von der Mithradisation, dem Arsenik-Handel der Steirer, von der Praxis, es als Schönheitsmittel anzuwenden, wie grundsätzlich von der Faszination des Arsenik- Essens als Droge erzählt, eleganter und hilfreicher gewesen. So aber finden wir einen, im Charakter einer Kunstkritik gehaltenen, Text zur Arbeit des Fotografen vor, der etwas einbeinig daherkommt.

 

Wer sich davon unbeeinflusst auf die Ausstellung einlässt, zieht Genuss aus der kleinen chiasmatischen Kunstschau.

 

„Erinnerungen an die steirischen Arsenikesser“. Volkskundemuseum des Universalmuseum Joanneum, Graz. Kurator: Simon Brugner. Co-Kuratorin: Birgit Johler. Die Ausstellung läuft noch bis 6. März 2022

 

 

 

Dienstag, 27. Juni 2017

Figurinen im Museum (106)

Museo della vita e delle tradizioni popolari sarde, Nuoro

Freitag, 11. September 2015

Dauerbaustelle Volksundemuseum

In fünf Jahren ist es zu Ende. Sagt der Leiter des Wiener Volskundemuseums.
Erst gestern dachte ich: Zu welchen (Wiener) Museen gibt es denn öffentliche Deabtten, zu keinem? Und dachte zum Beispiel an das Wien Museum, wo trotz des laufenden Architekturwettbewerbs keinerlei öffentliche Diskussion stattfindet, und an das Volkskundemuseum, das sich programmatisch ziemlich frisch zeigt in letzter Zeit.
Und dann steht es doch in der Zeitung. Aber mit welchem Satz.
Dauerbaustelle ist ein Euphemismus. Schön wärs. Denn der Zustand des Palais Schönborn ist ja die größte Hypothek, seine Sanierung kann der Trägerverein nicht aufbringen, konnte er nie und das ist schon lange bekannt. Also, sagt der Museumsleiter, werden wir in etwa fünf Jahren schließen müssen, weil es dann zu gefährlich wird.
Ein Rettungsanker: Kooperation oder gar Zusammenlegung mit dem Institut für Volkskunde.
Hier kann man's im Detail nachlesen: http://derstandard.at/2000022023051/Museumsdirektor-Matthias-Beitl-Volkskunde-mit-Punk

Samstag, 9. Mai 2015

Notruf (Volkskundemuseum Wien)


Nachdem das Volkskundemuseum Wien mit seiner großen europäischen Sammlung an Objekten und historischer Fotografie 2 Jahre lang Teil der Konzeption eines der größten Kulturmuseen Europas (Völkerkunde + Volkskunde) am Heldenplatz war, muss ich dazu etwas festhalten.

In der leider zunehmend schlechter werdenden Bausubstanz des Gartenpalais Schönborn, dem ersten Bau Lukas von Hildebrandt´s in Wien, findet unter sehr begrenzten finanziellen Bedingungen progressiver Kultur- und Museumsbetrieb statt. Weiters werden über 200.000 Objekte nicht nur verwaltet, sondern ständig in den eigenen und internationalen Ausstellungsbetrieb eingeschleift. Viele Kulturinitiativen rund um den Bereich der Kulturwissenschaften, Film und Kunst docken an diesem Haus an, das heuer unter dem Motto „Museum für Alle“ generell freien Eintritt gewährt. 

Es gibt Sponsoren, die es wichtig finden, das innovative Verständnis von Museum und Publikum, wie es hier gelebt wird, zu unterstützen und im gegebenen Fall den Eintritt nicht nur kompensieren sondern darüber hinaus zu fördern.
 

Außerdem gibt es spannende Entwicklungskonzepte für das Haus, die einerseits Kooperationen mit anderen Museen Wiens und der Universität Wien betreffen, andererseits die unmittelbare Umgebung aktiv einbeziehen. Alles zusammen ist – wie wir meinen – ein entsprechend positiver Beitrag zum Kulturstandort Wien.
 

Das kulturelle Erbe, das hier in den Sammlungen verwahrt wird, ist international nicht nur bedeutend sondern auch nachgefragt. Es fällt uns zunehmend schwer, diese Sammlungen entsprechend zu erhalten – geschweige zu erweitern – und unser breites Angebot für das Publikum umzusetzen. 

Über die Jahre kommen wir mit Budgets für den Vollbetrieb eines Museums aus, um das andere Häuser knapp eine Ausstellung verwirklichen. Wir arbeiten hart daran, sowohl in der Stadt- als auch in der Bundespolitik Bewusstsein für diese Situation zu schaffen. Wir wurden und werden zwar immer unterstützt, aber eben nur auf einem Niveau, das uns bald nicht mehr den Betrieb dieser prospektiven Kulturinstitution ermöglicht.

Matthias Beitl, Leiter des Volkskundemuseums, via orf.at, im Mai 2015

Freitag, 8. März 2013

Verpackungskünste. Das Grazer Volkskundemuseum übt den Ausbruch

Der Trachtensaal, wie er bis vor kurzem aussah
In der Ausstellung des Grazer Volkskundemuseums "Dirndl, Jeans und Seidenstrumpf" gibt es einen Text mit der Überschrift "Abschied von der Tracht." Was in der Ausstellung bloß theoretische Reflexion über aktuelle Entwicklungen ist, hat man im Obergeschoss der Dauerausstellung in Form einer zeitlich begrenzten Intervention in die Praxis umgesetzt.
;Man hat sich verabschiedet, durch wegpacken. Die Vitrinen mit den Trachtenfigurinen der 30er-Jahre sind - nahezu - verschwunden, hinter - Trachtenstoffen. Ein paar Fenster geben den Blick frei auf Bruchstücke, einige von ihnen mit applizierten Zitaten aus höchst unterschiedlichen Zeiten und aus ebenso unterschiedlichen ideologischen Kontexten.

Der verhüllte Trachtensaal

Beim ersten Anblick des so überraschenden Raumeindrucks wirkte das wie eine Befreiung. Die klobigen, ungeschlachten, buchstäblich und metaphorisch 'hölzernen' Figuren mit ihrer oft groben Kleidung, die dicht gestellten Vitrinen, in denen sich die Figuren zusammendrängen mussten, das allein wirkte schon immer unangenehm.
Dazu musste man noch nicht einmal wissen, daß dieser sogenannte Trachtensaal eine genuine Schöpfung staändestaatlicher Ästhetik und Wissenschaft ist. Protegiert vom damaligen Landeshauptmann Karl Maria Stepan, der seit 1934 Bundesleiter der Vaterländischen Front war, konnte der mit ihm persönlich befreundete, deutschnational-katholische Leiter des Volkskundemuseums, Viktor von Geramb, sich einen Traum erfüllen.
Was im aktuellen Begleittext im Museum als "neue Sachlichkeit" bezeichnet wird ist nichts weniger als das, es Ausdruck eines von Geramb immer wieder auffallend bellizistisch vorgetragenen pädagogischen Sendungsbewußtseins.
Im kleinen Musuemsführer von 1931 schreibt er unter anderem: "...für die Heimat und ihre Kultur zu leben, muß nun unsere heiligste Pflicht sein. In der Wahrung des guten Geistes der Heimat und ihrer gesunden Eigenart, in der Förderung, Verwertung und Vermittlung heimischer Sitten, Trachten und heimatlicher Kunst, in der liebevollen Pflege aller bodenständigen Werte und im heißen Kampfe gegen das Eindringen zerstörender, volksfremder Gifte wird wohl die ersten und wichtigste Aufgabe unserer Zeit zu sehen sein.“

Dem allem einfach etwas überzustülpen hat schon Witz und man kann es wohlwollend als ersten Probelauf deuten, sich von der Hypothek einer das Museum stark prägenden Geschichte langsam zu entlasten. Auch die erwähnte kleine Ausstellung hat manche Züge einer solchen befreienden Fingerübung.
Viktor Geramb im Kreis seiner Schülerinnen, wie die einschlägige Beschriftung festhält

Verhüllen ist noch nicht bearbeiten, aufarbeiten, und wenn der Stoff wieder von den Vtrinen gezogen wird, dann bleibt ein bislang merkwürdig heimlich-unheimliches Erbe zurück, dem man bis jetzt glaubte treu bleiben zu müssen. 
Doch die Geste ist stark und witzig, und mit Witz kann man mich immer überrumpeln, und auch optimistisch stimmen, daß etwas in Bewegung geraten ist...

Samstag, 16. Oktober 2010

Der Rücktritt des Direktors des Völkerkundemuseums. Eine Museumskrise der besonderen Art.

Nur einen Tag lang hielt sich die Meldung über den Rücktritt des Direktors des Völkerkundemuseums Wien, Christian Feest, in den Medien. Sein Vertrag sei „wegen Differenzen bezüglich der Zukunft des Museums einvernehmlich aufgelöst“ worden.
Der Rücktritt steht sicher in Zusammenhang mit der Entwicklung des Museums während der letzten Jahre. Unter dem Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums Wilfried Seipel wurde das Museum in das KHM eingegliedert (2001). Offiziell, weil es Einsparungspotential und Synergien gebe. Inofiziell wurde die Eingliederung als persönlicher Wunsch des KHM Generaldirektors gehandelt.
Das Völkerkundemuseum war jedenfalls nicht in der Lage, eine neue Dauerausstellung zu etablieren, nur eine Art Preview auf mehreren hundert Quadratmetern existiert. Die Highlights des Museums provisorisch zu zeigen, sei, so hört man aus dem Völkerkundemuseum, aus finanziellen Gründen vom KHM nicht genehmigt worden.
Inzwischen läuft ein Planungsprozess, der die Zusammenlegung des Völkerkundemuseums mit dem Volkskundemuseum vorsieht. Die Hypothek dieses Vorhabens ist, daß es nicht als strategische Erneuerung initiiert wurde, sondern aus einer fast ausweglos scheinenden Notlage des Volkskundemuseums. Der Bund zierte sich, das Museum zu retten, weil die Verantwortung bei einem Trägerverein liege. Selbstverständlich weiß jeder, daß das den Verein überfordert. Sich ganz aus der bisherigen Verantwortung zu ziehen, wäre blamabel gewesen, also kam man auf die Idee mit der Zusammenlegung.
Die Arbeitsgruppe, in der auch das KHM vertreten war, erarbeitete ein Konzept unter der weitgehend unbestrittenen Annahme, daß die fusionierten Museen wieder zu einem eigenständigen Bundesmuseum werden würden.
Im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Feest versicherte die zuständige Ministerin sofort, daß - ich zitiere aus den Medien - ein neues Bundesmuseum nicht infrage käme. Nun ist aber das Völkerkundemuseum kein neues Museum, sondern eines, das vor einigen Jahren seine Selbständigkeit ohne zwingenden Grund verloren hat. Mir ist nicht bekannt, daß die Zusammenlegung je auf ihre - vor allem finanzielle Effizienz - hin evaluiert worden wäre. Es ist auch schwer vorstellbar, worin eigentlich Synergien zwischen dem Kunst- und dem Völkerkundemuseum in Hinblick auf Sammlung, Ausstellungen oder Forschung liegen sollen.
Die Haltung des Ministeriums, keinerlei zusätzliche Kosten in die Neuorientierung des Museums zu investieren und dem Museum seine ursprüngliche Selbständigkeit zurückzugeben, ist wohl der Anlass für Feests Demission - die in einigen Medien nicht als einvernehmlich, sondern als Schritt der Resignation oder des Protestes kolportiert wird.
Zuletzt hatten die beiden Direktoren Feest und Schindler (Volkskundemuseum) unmißverständlich gegen die sich abzeichnende Entwicklung protestiert: "Unter den vorgeschlagenen Rahmenbedingungen sind die angepeilten Ziele und die hohen Ansprüche (...) nicht zu erreichen (…) Es wäre unverantwortlich, der Öffentlichkeit ein ,Museum Neu' vorzuspiegeln, wo doch nur an die möglichst kostenneutrale ,Abwicklung' des ,Problems Volks- und Völkerkundemuseum' gedacht ist."
Der Rücktritt Feests bedroht vor allem das Volkskundemuseum, dessen Zukunft nun wieder ungewisser geworden ist. Betroffen ist damit ein unterschätztes Museum, dessen Dauerausstellung noch immer zum museologisch innovativsten gehört, was es in Museen in Wien zu sehen gibt und das eine ganze Reihe von thematisch, konzeptionell und gestalterisch bemerkenswerten Ausstellungen gemacht hat. Ausgerechnet ein Museum gering zu schätzen und auszuhungern, das aktiv an einer Neuorientierung schon lange gearbeitet hat, ist sehr bedauerlich.
Kompliziert wird die Situation dadurch, daß das Museum im Vergleich zu manch anderen europäischen Völkerkundemuseen und vor allem im Vergleich zur ethnologischen universitären Forschung einen - freundlich gesagt - konservativen Kurs hielt. Das Völkerkundemuseum geriet anlässlich mehrerer Ausstellungen in die Kritik, wobei immer wieder der Mangel an Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit neuen Prinzipien und Paradigmen der Ethnologie im Zentrum stand. Während etwa das Tropenmuseum in Amsterdam schon in den 60er-Jahren seine koloniale Vergangenheit abstreifte, und in einem ständigen Prozess auf der Suche nach zeitgemäßen Formen des Umgangs mit dem Fremden und dem und den Anderen ist, reagiert das Wiener Museum kaum auf solche Entwicklungen.
Bereits unter dem Vorgänger von Christian Feest betrieb das Museum eine Politik, z.B. im Zusammenhang mit den Rückgabeforderungen die sogenannte Federkrone Montezumas betreffend, die äußerst befremdlich war. Bei der großen Benin-Ausstellung wurde wohl die Grundlage des Vorhandenseins von Sammlungen in europäischen Museen dokumentiert, also die koloniale blutige Unterdrückungs- und Zerstörungspolitik und der dadurch mögliche Raubzug. Aber bezüglich der museologischen Implikationen der gewaltförmigen Herkunft der Sammlung zeigte sich das Museum ebenso ungeschickt wie im diplomatischen Umgang mit den heutigen afrikanischen Interessen.
Man muß deswegen auch skeptisch sein, daß vor dem Hintergrund dieser Ereignisse ausgerechnet das Völkerkundemuseum - im Verein mit dem Volkskundemuseum - Träger und Moderator einer neuen Museumsidee und eines neuen Museumstyps werden kann. Das in Diskussion befindliche Konzept ist zwar voll guter Absichten, die auf geduldigem Papier ausgebreitet werden, aber letztlich läuft es darauf hinaus, die Identität beider Häuser zu bewahren und eine Schnittstelle zwischen beiden Sammlungen zu schaffen.
Die Direktion des Völkerkundemuseums soll rasch ausgeschrieben werden und das unter der Regie des KHM. Wie soll jemand bereit sein unter derartigen Umständen und mit derartigen Vorgaben das Museum zu übernehmen, wie will man jemanden unter diesen Bedingungen finden, der dem Völkerkundemuseum und dem neuen Konstrukt eines Verbundmuseums neue Perspektiven eröffnet - ohne Budget, ohne Eigenständigkeit und ohne politischen Willen?
Wahrscheinlich will man das auch gar nicht.
"Museumskrise". Zum ersten Mal habe ich das Wort in einer österreichischen Zeitung entdeckt. Sogar als Überschrift einer Glosse. Zur Krise gehört aber auch die Kurzatmigkeit der Medien und die notorische Personalisierung ebenso, wie jene strukturellen Fragen, die darunter nicht mehr sichtbar werden. Seit ich mich mit einschlägigen Fragen beschäftige, ist immer "der Minister" das Zentrum an das appelliert wird oder das attackiert wird. Man übersieht, daß der Staat auch Museumspolitik nur treuhänderisch macht, aber schwerlich im gesellschaftlich luftleeren Raum agieren kann. Wenn weder die Museen selbst substantielle Diskurse zustandebringen, noch eine analoge zivilgesellschaftliche Debatte entsteht, bleibt nur das paternalistische Agieren des "Ministers". Museumspolitik kann letztlich nur allgemeine Rahmenbedingungen schaffen, aber mit Sinn und Inhalt gefüllt werden muss sie von den Museen selbst und den Communities, von denen sie getragen und unterstützt werden. 
Ein Blick nach Hamburg: die dort vom Senat beschlossen Schließung eines Museum mit etwa 70 Mitarbeitern, 300.000 Objekten und einer Geschichte von etwa 150 Jahren hat tausende Menschen auf die Straße gebracht, ist täglich Gegenstand auch überregionaler Medien, solidarisierte diverse Kulturinstitutionen in der Stadt und mobilisierte namhafte Persönlichkeiten, wie Jürgen Flimm, Werner Hofmann oder Helmut Schmidt, die sich als Bürger zu Wort melden. Zentraler Kritikpunkt: der Senat habe ohne jede Bürgerbeteiligung gehandelt.
Nichts, aber wirklich nichts davon, in Wien. Wo aber solche Öffentlichkeit komplett fehlt, hat die ministerielle Politik und haben auch sehr idiosynkratische Direktoren freie Bahn. Das Pochen von Museumsleitern auf Autonomie, legt diese Autonomie ziemlich mißverständlich aus, wenn man glaubt, damit auch das Publikum negieren zu können.
Das Völkerkundemuseum z.B. kommuniziert die Tatsache, daß die Schausammlung bis auf kleine Teile nicht zu sehen ist (seit Jahren) praktisch nicht. Das Besucherbuch ist voll von langen, gewichtigen Einträgen von enttäuschten, verärgerten oder empörten Besuchern. Bei Besuchen des Museums bin ich mehrmals zufälliger Zeuge von Szenen geworden, wo weitgereiste Besucher fassungslos nach der Sammlung fragten und ebenso fassungslos ein " das wissen wir nicht" zu hören bekamen, das sie auf die Frage, wann denn die Sammlungen wieder zu sehen sein würden, bekamen.
Auf der Internetseite kann ich keinerlei Hinweis auf diesen Umstand finden. Im Gegenteil, unter Sammlungen werden diese und ihre Highlights im Präsens gewürdigt und die Erwartung bedient, adß sie zu sehen sind. Man kann Infos über Preise, Schließzeiten zu Feiertagen, behindertengerechte Besuchsmöglichkeiten etc. finden, so viel ich sehe, keinen über den Umstand, daß es die Sammlungen fast ganz abgeräumt sind. 
Als mir das aufgefallen ist, habe ich zweimal ein höflich-fragendes Mail an die einschlägige für Besucher gedachte Adresse geschickt. Eine Reaktion gab es nicht.
Den Museen könnte eine solche Haltung noch einmal auf den Kopf fallen. So gewinnt mein keine Besucher und vor allem keine, die im Krisenfall zum Haus stehen und es unterstützen.

Donnerstag, 1. April 2010

Besuchen Sie es, so lange es noch steht: Das Wiener Volkskundemuseum

Vergangenen Sonntag habe ich das Volkskundemuseum in Wien besucht, nach langer Pause wieder einmal. Und mit dem Wissen, daß es möglicherweise ein letzter Besuch sein könnte.
Das Volkskundemuseum ist ein von einem Verein getragenes Museum, das in den letzten Jahren deswegen besonders unter Druck geriet. Es war nicht im Genuss der relativen Sicherheit der staatlich finanzierten Bundesmuseen und hatte zusätzlich auch um die Unterstützung der Stadt Wien zu kämpfen.
Das einzige was in letzter Zeit klar war: der Verein konnte aus eigener Kraft das Museum nicht betreiben und die fällige Gebäudesanierung finanzieren.

Der Gang durchs Museum war auch eine Erinnerung, eine Erinnerung an die letzte große Erneuerung der ständigen Ausstellung 1994. Ich erinnere mich noch an das Entsetzten eines Teiles des Vereines. Konzept und Design brachen entschieden mit den alten Gemütlichkeiten. Auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der Neueröffnung brachte ich meinen Respekt zum Ausdruck, daß der Museumsstab einen derartigen 'museologischen Mentalitätswechsel' geschafft hatte. Noch heute ist das Wiener Museum entschiedener und klarer in seiner Reflexion der eigenen Geschichte und des Faches, als die später entstandenen Dauerausstellungen des Grazer und des Innsbrucker Museums.

Vorgetragen wurde der 'Turn' gegeüber der altenDauerausstellung auf zwei Ebenen: auf der der Betextung, und auf der der Gestaltung. Die Texte nahmen knapp und entschieden eine konstruktivistische Position ein. Nicht nur die zentralen Themen eines Volkskundemuseum haben einen zeitlichen Index, das Museum selbst und seine Bezugswissenschaft unterliegen einem Wandel. Und schließlich würde auch der Besucher, sein Blick und sein Interesse, immer neue Fragen an das Museum richten. Die verschiedenen Schlüsselbegriffe wie Heimat oder Volk wurden hier nicht wie essentielle Botschaften und unhinterfragbare Wahrheiten behandelt, sondern als wandelbare Begriffe für sich wandelnde Vorstellungen.

Anspruchsvoller kann man kaum an seine Klientel herantreten: man mutet dem Museumsgast zu, sich in einem gleitenden System von Relationen zu orientieren und sich stets der Relativität seines Standpunktes und des des Museums gewiss zu sein.
Noch heute muß ich mich über die Texte wundern und amüsieren, die die Hauptlast dieser driftenden und relationalen Verortung des Wissens tragen. Selbst als abgebrühter Akademiker, gleitet mir der Fachjargon nicht reibungslos durch die grauen Zellen. Und die sind mit dem Text weit heftiger beschäftigt, als der Augensinn. Denn visuell wird die zentrale Ambition des Museums kaum unterstützt. Vereinzelte oder thematisch gruppierte Objekte folgen den nicht so überraschenden Konventionen der Volkskunde. Da gibt es zwar Überraschungen und Eye-Catcher, aber kaum ein Narrativ und für Vertiefung des ein oder anderen Themas fehlt es an Platz oder vielleicht auch an Sammlungsobjekten.
Die kleinteilige Raumstruktur erzwingt eine Kleinteiligkeit der Präsentation der Sammlung und so entwickelt sich manch interessante Frage nur auf kleinstem Raum und kurzatmig.

Und das war das zweite Besondere am Museum: Die Gestaltung durch die Architektin Elsa Prochazka. Während wir normalerweise im Museum alles aus unserer Wahrnehmung ausblenden, was nicht Exponat ist, wird uns das hier nicht erlaubt. Ostentativ zeigen ihre Möbel sich selbst und die Museumsobjekte. Das 'Gestell' ist aufwendig, geradezu aufdringlich, aber sorgfältig gestaltet. Die durch die Texte vermittelte reflexive Distanz zu 'Museum' und 'Exponat' wird durch die Zeigemöbel unterstrichen und unterstützt. Selten war ein Museum so sehr als "Schaubühne" erfahrbar. In einem Verständnis vom Museum als performativen Raum, spielt alles 'eine Rolle', das Licht, die hüllende Architektur, die Exponate, die Texte, die Zeigemöbel und natürlich der Besucher selbst. Hier wird das überdeutlich gemacht. Dinge im Museum sind nicht bloß da, sie werden gezeigt, sagen uns die nach Kräften gestikulierenden Eisenstützen und ausladenden Podeste.

Heute, so lange nach der Eröffnung, verstehe ich an diesem Sonntag, wie groß das Dilemma des Museums ein muß. Eine nachholende Verarbeitung neuer, vor allem urbaner Themen war nie möglich und wäre überhaupt nur mit einer neuerlichen kompletten Neukonzeption zu bekommen. Was sich in einschlägiger Forschung theoretisch wie praktisch gewandelt hat, das findet nicht hier statt.
Dezentral gelegen, in einem von Außen schon sehr desolat wirkenden Gebäude, kann sich das Museum nicht gegen die medial gehätschelten Großmuseen des Stadtzentrums behaupten.

Das musste in Sonderausstellungen ausgelagert werden. Die waren, trotz karger Budgets und spartanischer materieller Ausstattung, das Beste, was man - neben den Ausstellungen des Jüdischen Museums - in Wien in den letzten Jahren an (kultur)historischen Ausstellungen zu sehen bekam. Hier wurde immer wieder vorgemacht, daß es beim Ausstellen auf eine präzise Idee ankommt und dann auf eine angemessene, durchdachte Umsetzung, so banal wie offenbar schwierig kann Austtellungmachen sein.
Wolfgang Kos würdigte in einer wunderbaren Rezension 1995 in der Stadtzeitung Falter die Ausstellung "Schönes Österreich" an die ich mich lebhaft erinnere, weil hier mal mit der bis zum Abwinken zerredeten "Identität" fröhlich, ironisch, anschaulich hantiert wurde - eine Labsal im Vergleich mit den bleischweren und verschwitzten Staatsausstellungen zu 'Österreich'. Nation Building wurde in einer Sympomatologie der Alltagskultur witzig, pfiffig und visuell argumentierend dechiffriert.
Lebhaft erinner ich mich "an an/sammlung an/denken" von 2005, wo ein 'Sachenfund', den mehrere Generationen in einem Haus gehörtet hatten, zu einer wunderbar subtil präsentierten Etude über Dinge, ihre Ästhetik, ihren Gebrauch, ihre Erinnerung wurde.

Und noch etwas ist mir bei meinem Sonntagsbesuch aufgefallen: wo in anderen Museumsshops der Nippes regiert - wie die Teddybären mit Klimtdesign im Belvedere (nicht daß ich nicht auch eine Schwäche für so etwas hätte!) -, gibt es davon im Volkskundemuseum wenig. Dafür ein üppg mit Fachliteratur bestücktes Bücherbord, wo man beim Stöbern nicht nur manch altbackenes Bändchen von annodazumal entdecken kann, sondern avancierte Forschung, z.B. zur Ethnopsychoanalyse oder zu kulturwissenschaftlichen Fragen. Hier hält das Museum Schritt mit der Entwicklung des Fachs und weist sich auch als eine 'wissenschaftliche Anstalt' aus. ich betone das, weil die Bundesmuseen de jure als Wissenschaftsanstalten verwaltet werden und Wissenschaftlichkeit immer noch die zentrale Legitimation der Museen ist. Während die anderswo längst unter dem Druck der Ereignishaftigkeit der Museumsarbeit sich bis an den Rand des Verschwindens verdünnt hat - man sehe sich mal das Bookshop der Albertina an -, wird hier offensichtlich auf Grundlagenforschung Wert gelegt.

Es wird nichts nützen. Es gibt die Idee, das Museum durch Zusammenlegung mit dem Völkerkundemuseum zu 'retten'. Dem kann man was abgewinnen, wenn beide Museen einen Paradigmenwechsel zu modernen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen hin vollzögen und sich avancierter museologischer Entwicklungen stellten. Ein Konzept soll ausgearbeitet sein, noch nicht wirklich entscheidungsreif, wie man hört. Doch das Budget, das für die Bundesmuseen bereitsteht, scheint nicht auch noch für ein neues Projekt zu reichen. Außerdem müsste die Sinnhaftigkeit der vor Jahren erfolgten Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum überprüft und wohl revidiert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Eingliederung ist nie evaluiert worden und das Völkerkundemuseum wünscht offenbar, wieder selbständig zu werden.

Vor einigen Jahren habe ich für eine Museumszeitschrift ein Essay zur Entwicklung der Wiener Museumslandschaft geschrieben. Mit dem Hinweis auf drei sehr besondere Museen mündete das in einer positiven Bilanz: Museum für Angewandte Kunst, Jüdisches Museum der Stadt Wien und das Volkskundemuseum waren und sind für mich drei Museen, die - in sehr unterschiedlicher Hinsicht - auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche und inspirierende 'Modelle' dessen sind, was Museen sein können. Möglicherweise wird es zwei dieser drei Museen bald nur noch dem Namen nach geben.