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Dienstag, 27. August 2019

Was ist (k)ein Museum. Roman Sandgruber wirft Fragen nach der Kritisierbarkeit von Ausstellungen und Museen auf


Roman Sandgrubers (Wirtschaftshistoriker; Präsident des Oberösterreichischen Musuemsverbandes) schöner, prägnanter Text „KTM und seine Motohall“ (hier nachzulesen) enthält eine negative Definition des Museums. Indem er der Motohall des Zweiradherstellers KTM den Status des Museums abspricht (der war Grundlage für eine äußerst fragwürdige und hohe Subvention durch das Land OÖ), nennt er zwangsläufig Kriterien für das was seiner Meinung nach ein Museum ist.

So wird paradoxerweise ein Nicht-Museum zum Objekt einer Definition „des Museums“. Gut - aber gibts nicht schon die ICOM-Definition? Die besteht aber eher in der Aufzählung von Funktionen, die das Museum von anderen kulturellen Praktiken und Institutionen unterscheidbar machen und ist kaum als Definition brauchbar. Also ist es sinnvoll, sich um eine Definition zu bemühen.

Sandgruber: „Nein! Ein Museum oder auch nur ein Technisches Museum ist die KTM-Motohall nicht. Was für den kulturellen Anspruch von Kunst- und Science-Museen entscheidend ist, ist die kulturelle und kritische Perspektive. Diese gibt es bei KTM nirgendwo: keine alternativen Meinungen, keine firmenfremden Produkte, schon gar keine umweltpolitische oder künstlerische Ansage, wenn man das Design einmal beiseite lässt. Die klassischen Museen, seien es nun Kunst-, Heimat-, Technik oder Naturmuseen, präsentieren und diskutieren die Vielfalt dieser Welt.“

Da filtern wir mal raus: „Kritische Perspektive“ (auf das jeweils gezeigte Thema) und „kulturelle Perspektive“. Das nun ist ja etwas sehr schwammig, wie immer wenn das Megawort „Kultur“ ins Spiel kommt. Dann: „Keine künstlerische Aussage.“ Muß ein Museum eine künstlerische Aussage haben, etwa ein technisches, und das genau so wie ein kunsthistorisches? Die „klassischen Museen“ (Das sind welche? Die, die (z.U. der Motohall „wirklich“ Museen sind?) „präsentieren und diskutieren die Welt.“ Also da steckt drinnen der Anspruch des Museums auf Repräsentation und auf Diskussion.

Und jetzt kommen noch dazu „die „gesellschaftliche und soziale Verankerung“, die Sandgruber trotz des Umstandes, daß das in einem Konzept von KTM selbst angekündigt wird, in der Motohall-Schau fehlt. Und was auch fehlt, sind „die Querverbindungen zur Geschichte des Landes oder die angekündigten pädagogischen Unterstützungsmaterialien für Schulen.“ Anders gesagt, Sandgruber geht hier sowohl die historische Kontextualisierung ab, als auch die aktive Bildungstätigkeit (etwa in ihrer speziellen Form „Museumspädagogik“).

Ein Museum wäre demnach etwas, das zwar zeigt, repräsentiert, darstellt, aber das immer (selbst)kritisch und diskursiv und verankert in einem Bezug zur Gegenwart und der Lebenswelt der Besucher („Querverbindung zur Geschichte des Landes“). Nicht ausdrücklich erwähnt wird die Notwendigkeit einer deutenden Erzählung, also auch nicht die Wahl einer Visualisierungsmethodik, die das Genannte trägt aber auch mit erzeugt. Nur die Wendung von der „künstlerischen Aussage“ streift dieses Problem.

Wenn man die Wendung von der „kulturellen Perspektive“ über das vermutlich von Sandgruber Gemeinte hinaus als gesellschaftlich-politischen Kontext deutet und dem Ganzen noch den Mühlstein des geschichtstheoretisch-didaktischen Anspruchs der sinnstiftenden Erzählung (wozu betreiben wir denn überhaupt Museen?) umhängt (Jörn Rüsen), dann hätten wir ja schon einen ganz brauchbaren Ansatz für eine Definition. Man kann nämlich nicht die „Geschichte des Landes“ via Ausstellung ohne Erzählung/Narration zeigen, also nicht ohne zeitliches Verknüpfen und folgerichtiges Reihen von Tatsachen und Ereignissen sowie Perspektivieren auf ein (handlungsanleitendes oder bloß deutendes) Ziel hin? Und das in der dem Museum eigentümlichen Hybridität von Zeigen, (Auf)Schreiben, Sprechen zugleich. Daß dies implizit immer Auswahl, Fragmentieren usw. bedeutet, also niemals nur Wahrheitsgeschichte ist, sondern einen (auch auf Wissenschaftlichkeit - wo blieb die eigentlich?) Wahrheitsanspruch erhebt, dessen Bedingungen (Regeln seiner Erzeugung; Autorschaft) und Grenzen immer auch selbstreflexiv im Museum sichtbar sein müssen - das ist eine praktisch schwierige, anspruchsvolle Arbeit.

Aber dorthin reichen die sandgruberschen Argumente auch nicht mehr ganz hin und: sie würden auch an der gelebten Museums- und Ausstellungspraxis zerschellen. Schon die im Text mehr oder minder klar formulierten Kriterien erfüllen viele Museen nicht, auch Museen, an deren „Museumshaftigkeit“ niemand zweifelt und denen ihr Status als Museum offiziell und würdigend bestätigt wird. Es sind eben auch bloß - kaum anders als die Motohall - Dinglager, archivarische Ansammlungen, Schaudepots, Warenhäuser. Wenn sich Roman Sandgruber in die durch ihn als Verbandspräsident repräsentierte oberösterreichische Museumslandschaft begibt, und unbestechlich bleibt, wird er so manches entdecken, was seinen eigenen Kriterien nicht standhält (und nicht anders ist es in anderen Bundesländern).

Ja mehr noch: er könnte entdecken, daß so manches durch Gütesigel oder Museumspreise durch „seinen“ Verband ausgezeichnete Museum eben nur ein „Museum“ a la Motohall ist und daß die Praxis der diversen Verbände (nicht nur des oberösterreichischen) - aus Gründen, die ich hier nicht diskutieren möchte -, Museen ermutigt, sich als Museen zu fühlen.

Wie ich dazu komme? Ich kenne sowohl kleine Museen als auch große, namhafte, die den Kriterien Sandgrubers zufolge nicht Museum genannt werden dürften. Übrigens: schon lange gibt es innerhalb der Museumscommunities einen Distiktionsstreit Museum/Nichtmuseum und immer wieder Versuche, Museumsdefinitionen gleichsam bindend wie auf dem Verordnungs- oder Gesetzeswerk durchzusetzen, anders gesagt Ausschlußverfahren zu entwickeln. Das hat aber bislang nicht dazu geführt, daß etwa Museen mit ansonsten gesellschaftlich geächteten Inhalten (etwa affirmativer Umgang mit NS-Relikten) je von einem der Repräsentanten des Museumswesens geächtet oder auch nur kritisiert worden wäre. Und auch da gilt: das trifft nicht nur kleine, versteckte, unbekannte und belanglose Sammlungen, sondern auch politisch gestützte und forcierte Projekte. Auf Wunsch nenne ich gerne Beispiele und mehr gibts dann dazu zu lesen, wenn ich mein neues Ranking „Die besten und die schlechtesten Museen Österreichs“ (hier der Link zum ersten Ranking) veröffentlichen werde.

Die vom oberösterreichischen Museumsverband ausgehende Einschätzung der Motohall, die Sandgruber einerseits bloß eine Formalie und unzulässig von einem Mitarbeiter weitergereichte Einschätzung nennt, ist ja ein Knackpunkt der ganzen KTM-Affaire. Die Politik hatte sich am Museumsverband abzuputzen versucht und ihm unterstellt, er hätte das Projekt als förderwürdig eingestuft. (So nebenbei lernen wir etwas über Politik: Ein gewesener Landeshauptmann hievt einen Beschluss am Landtag vorbei, ermöglicht damit eine Subvention in der Höhe von über sechs Millionen Euro an einen Konzern der hochprofitabel ist, der sich nun wiederum mit einer sechsstelligen Summe bei der Partei des Landeshauptmannes per Spende einstellt. Honi soit qui mal y pense.

Seit Jahr und Tag reden viele Freunde und Kollegen und auch ich vom Fehlen der Ausstellungskritik und erst recht der kritischen Auseinandersetzung. Geführt werden müßte sie von und in den Medien, von den einschlägigen, museumsaffinen Wissenschaften, namentlich der Historikerzunft und last but not least von den Museen und MuseumsmitarbeiterInnen selbst. Meine lange Berufserfahrung sagt dazu: Never. Vergleichsweise etwa zur Literatur-, Theater- oder gar Filmkritik ist Ausstellungs(Museumsk)kritik quantitativ und qualitativ völlig unterentwickelt, die Historikerzunft ist abwesend und - schlimmer noch -, erklärt sich angesichts einer innerwissenschftlichen Kultur des Konsenses und der Mauschelei wie der institutionellen und politischen Abhängigkeiten eingestandenermaßen für nicht willens tätig zu werden. Und in den Museen gilt Kritik von Außen als empörend und störend und von Innen als eine Art von Landesverrat. Museen, genauer gesagt LeiterInnen von Museen, ahnen nicht, welche enorme Ressource (Selbst)Kritik-Fähigkeit ist!

Deshalb ist Roman Sandgrubers Ansatz, Kriterien der Museums- und Ausstellungskritik zu entwickeln, sehr verdienstvoll. Sein Text ist umfassend, am Beispiel sehr schön entwickelt, einleuchtend und scharf. Von so etwas braucht es mehr, viel, viel mehr. Ist das jetzt ein Anfang? Wird der Oberösterreichische Museumsbund unter seinem Präsidenten Roman Sandgruber (etwa mit Diskussionsveranstaltungen, Coaching, Tagungen, Forschungen und Forschungaufträgen etc. etc.) aktiv, oder gar, nicht auszudenken, gar der Österreichische Museumsverband oder ICOM Österreich in dieser Frage aktiv. Das wäre wunderbar!