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Donnerstag, 30. März 2023

Das Museum ist zu selbstverständlich


Vor Jahren stellte auf einer Tagung eine Kuratorin das Konzept eines Stadtmuseums für eine deutsche Großstadt vor. Zu meiner Verblüffung berichtete sie, daß das Museum von der Bevölkerung gar nicht gewünscht werde. Es wurde dennoch realisiert. Ein Schweizer Freund erzählte mit großem Bedauern, vom Verschwinden von kleinen Museen in der Region, in der er lebt, und daß er sich als Berater um deren Weiterbestand bemüht. Für ihn sieht es so aus, als würden andere kulturelle Betätigungen für die Bewohner attraktiver geworden sein. Auch aus Österreich mehren sich Beispiele dafür, daß vor allem ehrenamtlich getragene lokale Museen scheitern, weil sich niemand mehr findet, der sie betreiben will. Auch in solchen Fällen sieht sich die Politik oder private Initiativen oft veranlasst, zur „Rettung“ der bedrohten Institutionen einzugreifen indem man Beratungen, Tagungen und Weiterbildung organisiert und finanziell interveniert. 

 Allen Fällen ist gemeinsam, daß das Museum an und für sich erhaltenswert erscheint. Auch wenn das Desinteresse offensichtlich wird, soll es nicht untergehen. Das Museum gilt als fraglos anerkannter Wert. Man fragt erst gar nicht nach den Aufgaben des Museums, nach seinem aktuellen Sinn. Museen gelten als schützenswert, als wären sie eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Das Festhalten an einer Idee, deren Sinnhaftigkeit man nicht mehr hinterfragt, erspart einem einfache und naheliegende Fragen selbst angesichts drohender Abwicklung von Museen: Kann es nicht sein, daß sich die einschlägigen Konzepte, die gebotenen Inhalte, die konventionellen Erzählungen, die angesammelten Objektwelten überholt haben, keinen zeitgemäßen Bedürfnissen mehr entsprechen, die gegenwärtige Lebenswelt potentieller Besucherinnen nicht mehr abbilden und erreichen? Kann es nicht sein, daß das Museum sich allmählich abkoppelt von den immer dringlicher werdenden Gegenwartsfragen, den sozialen und politischen Konflikten, den Krisen, die mehr und mehr den Alltag der Menschen erreichen? 

Ist das nicht anders bei der Literatur, dem Kino, dem Theater, selbst bei der aufwändigen Kunstform Oper. Hier gibt es Debatten ums Grundsätzliche, kühne Projekte, radikale Transformation, rasches Reagieren auf die multiplen Krisen mit ihren vielen Ursachen. Den durch die Corona-Pandemie bedingten Problemen stellt man sich: Publikumsschwund, Desinteresse der jüngeren Generation, Veralten ästhetischer Haltungen uam. Diese selbstkritische Debatte bleibt nicht auf Fachzeitschriften und Wissenschaftszirkel begrenzt, sie reicht bis in die Feuilletons der Zeitungen, in die PR-Interviews mit Künstlern aber vor allem auch in die aktuelle Praxis. Die Zweifel an den Kunstformen werden offen thematisiert und in der Praxis erprobt man Alternativen und Auswege, sucht auch das riskante Experiment. 

Ist es nicht so, daß es in Literatur, Theater oder Kino weitaus mehr und radikalere Infragestellung der überkommenen Formen gibt, der gesellschaftlichen Aufgaben, der Produktionsbedingungen, der Förderungswege als beim Museum? Dabei gäbe es beim Museum genug Anlass zum reflexiven Innehalten. Nehmen wir ein Beispiel: Die nur dem Museum eigenen Restitutionsdebatten, sei es infolge des NS-Raubes oder der kolonialen Ausbeutung, hat das prinzipiell affirmative Verhältnis zum Museum nicht beschädigen können. Das Wissen um die Grundlage vieler Sammlungen in Enteignung, Raub, Diebstahl kratzt nicht am Image der hochkulturellen Institution, die vorgeblich das Kostbarste unseres materiellen Erbes bewahrt. Auch die neue Bewegung der Klimaaktivistinnen, die sich ja so öffentlichkeitswirksam gegen Kunstmuseen richtet, bewirkt eher eine Verteidigung der unverzichtbar scheinenden Institution. 

Die Kehrseite der Verteidigung der „Heiligen Schatzbildung“ des Museums ist die Aggression die die Aktivistinnen trifft. Kaum jemand will sich eingestehen, daß die Attacken der Klimaktivistinnen nicht so sehr der Kunst gelten, als dem problematischen Unsterblichkeitsversprechen der Institution bei möglichst unverändertem Status. Der Aktivismus macht darauf aufmerksam, daß eben nichts und niemand in einer dystopisch geformten Zukunft „übrig“ bleibt. Das Verschwinden wird alles und alle treffen. Niemand will und kann sich das Museum anders als zeitlich unbegrenzt vorstellen. Aber No future gilt auch für das Museum und für die gesamte kulturelle Überlieferung, daran erinnern die Proteste. 

Es gibt schlechte Literatur, es gibt schlechte Filme und es gibt schlechtes Theater. Aber es gibt kein schlechtes Museum. Und daher auch keine Notwendigkeit, über das Museum grundsätzlich nachzudenken. Es existiert keine Museumskritik. Museen werden, wenn sie sich überholen, nicht geschlossen, sondern sie können sich jahrzehntelang irgendwie dahinschleppen, wie das Heeresgeschichtliche Museum in Wien zeigt, dessen Ausstellungen z.T. fast schon siebzig Jahre alt sind. Vor strukturellen Widersprüchen und Schwächen der Institution Museum verschließt man die Augen. 

Was ich damit meine, erläutere ich wiederum an einem Beispiel. Museen beschäftigen sich mehr denn je, sogenannte Nichtbesucher zu gewinnen. Es gibt Forschungen und Programme dazu. Aber die lang bekannte Tatsache, daß es soziale und bildungspolitische Gründe dafür gibt, daß sich etwa 50% der Bevölkerung dem Museum verweigern, wird weitgehend ignoriert. Die soziale Distinktion, die dem Museum zugrunde liegt und die vom Museum noch verstärkt wird, bleibt tabu. Ich kenne keine nachhaltig wirksamen Projekte, mit denen das Einbinden ausgeschlossener Gruppen gelungen wäre. Einzelfälle gibt es, strukturell bewegt sich nichts. 

Im Bemühen um Nichtbesucher steckt eine erstaunliche Blindheit: man unterschätzt die hegemoniale Funktion von Kultur. Deren Werte werden von eher schmalen Eliten aufrecht erhalten und tradiert. Nun möchte man auch von Nichtbesuchern verlangen und erwarten, daß sie diese Werte teilen. Wenn aber diese Werte offensichtlich für die Angesprochenen gar keinen Wert darstellen? Denn: Wer nicht durch Familie und Schule im Umgang mit Bildungsinstitutionen vertraut gemacht wurde, wird Museen kaum aufsuchen, weil er dort kaum seine Lebenswelt wiederfinden wird. Er ist doppelt ausgeschlossen, ihm fehlen die Werkzeuge und das Motiv. Dennoch hält man das Museum für eine derart bedeutende Einrichtung, daß sie für jedermann von Interesse sein soll und der Anspruch erhoben wird, daß jedermann jedefrau von ihm Gebrauch machen sollen. 

Die Anstrengungen, die man zum Anwerben von Nichtbesuchern unternimmt, ähneln den Methoden des Marketings und der Warenwerbung. Sie sollen den Kulturkonsum erleichtern und verbreitern – eine Marktstrategie -, aber sie bewirken so gut wie nichts. Das hält man dann auch noch für demokratisch. Während man ignoriert, wie undemokratisch die sozialen und bildungspolitischen Grundlagen des Konsums von Hochkultur sind, die einen so großen Teil der Bevölkerung davon fern halten. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, daß auch Museen ihre fragwürdigen Seiten haben, Menschen aktiv ausschließen, erst wenn man sich auf sowohl strukturelle als auch in der (Ausstellungs)Praxis wirksame Probleme einläßt, wird man imstande sein, Konzepte zu entwickeln. Konzepte, die die Kritik an der Institution aufnimmt und ihr gerecht wird. 

Museumskritik ist nötig und überfällig, um seine gesellschaftliche Rolle immer wieder zu befragen und zu justieren. Diese Kritik müsste in den Medien geleistet werden und sie müsste vor allem von den Museen selbst geleistet werden. Davon sind wir weit entfernt. Worauf warten Museen angesichts der drängenden und vielfachen Herausforderungen? 


Zwei Literaturhinweise zu Publikation, die Kritik am Museum leisten, wenngleich sich die Probleme seit deren erscheinen vertieft und vermehrt haben, denen sich Museen ausgesetzt sehen: Daniel Tyradellis: Müde Museen. 2014. Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. 2016 

Dieser Text ist eine überarbeite und erweiterte Fassung eines Beitrags der in der Zeitschrift des Museumsbundes erschienen ist. Neues Museum, März 2023, Heft ½ S.82/83

Samstag, 5. Juni 2021

Die Sache mit der "Quote"

Zeitungsmeldung: „Das Museum Altes Land hat im Schnitt 22.000 Besucher pro Jahr. Das sei ‚die beste Besucherquote eines Museums im gesamten Stader Landkreis’, gab Museumsleiter Dieter-Theodor Bohlmann auf der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Tourismus und Kultur bekannt.“ Besseres scheint man über ein Museum nicht sagen zu können, als es habe eine gute oder gar die beste Besucherquote. 

Nun bedeutet das Wort Quote aber nichts anderes als einen (prozentualen) Anteil an einer Gesamtmenge oder -anzahl. Das macht also in Bezug auf Museen gar keinen Sinn. Denn was wäre denn die Gesamtmenge an der eine Quote gemessen werden könnte? Alle Menschen einer Stadt als potentielle Besucher, alle einer Region, eines Staates...? 

„Sinn“ macht das Zählen von Besuchern vor allem im Vergleich der Museen untereinander. Jährlich veröffentlichte Statistiken werden gerne als Ranking gelesen, so wenig sinnvoll der Vergleich von Museen unterschiedlicher Größe, Sammlung oder Zahl an Ausstellungen auch ist. „Sinn“ macht das statistische Erfassen des Publikums auch im Vergleich mit anderen Ereignissen; so erfreut sich der von Museen mit Fußballspielen einer gewissen Beliebtheit. Museen überträfen, wenn man alles zusammenzählt, die Besuchszahlen der Fußballligen. 

Da geht es um die Legitimation der Institution, um die Unterstützung einer Argumentation, daß die Bildungsinstitution durchaus so attraktiv sein kann für ein großes Publikum wie ein Sportevent. Ganz besonders attraktiv ist die Quote aber als Wertmaßstab. Je größer die Zahl der Ausstellungsbesucher desto „bedeutender“, „besser“ ist die Ausstellung - so lautet die sehr schlichte Gleichung. Da es so etwas wie Ausstellungskritik kaum, Museumskritik so gut wie gar nicht gibt, füllt die „Quote“ die Leerstelle, die das Fehlen einer an Kriterien orientierten Kritik hätte. 

Es scheint mit abnehmender Bedeutung der herkömmlichen Bildungsaufgaben und der zunehmenden Bedeutung von Museen als touristischer Attraktoren und Freizeiteinrichtung, schwieriger zu werden, das Museum im herkömmlichen Sinn als Vermittler von Wissen und Bildung zu rechtfertigen und seine Sinnhaftigkeit zu begründen. In zunehmender Ökonomisierung des kulturellen Feldes, wird auch das Museum zudem mehr und mehr unter Beobachtung gestellt, ob es „rentabel“ ist. Das mißt man an einer anderen Quote, dem „Eigendeckungsgrad“. Das heißt, an jenen Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Zuwendungen von Sponsoren, gewinnen aus dem Merchandising u.a., die gegengerechnet werden mit der aus Steuern bestrittenen Finanzierung durch die sogenannte öffentliche Hand. 

Quoten stützen statistisch den Schein gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und es überrascht nicht, daß während der Coronakrise die Debatte um die Größenordnung des Publikumszuspruchs aufkochte. Die Lockdowns wurden den Museen mit der begleitenden Bescheinigung sie seien eben wenig „systemrelevant“ verordnet. Nun war durch diese Diskussion zu entdecken, daß gerade die am besten finanzierten und großen Museumsinstitutionen, die die meisten „Drittmittel“ einwarben, am schnellsten Probleme mit der Finanzierung ihrer Ausstellungen und des, wie man so sagt, laufenden Betriebs, bekamen. Denn der zur Finanzierung großer Ausstellungen, der berüchtigten Blockbuster, nötige Bedarf wird überproportional von Touristen bestritten. 

Plötzlich bekam der Glanz der großen Zahl unschöne Flecken. Die hätten die jährlich als Erfolgsgeschichte verkündeten Zahlenkonvolute, die suggerierten, die Museen zögen immer mehr Besucher an, schon früher bekommen können. Und zwar aus einem nie wirklich beachteten Grund: Das Zustandekommen der Zahlen unterliegt keiner Kontrolle, methodische Fragwürdigkeiten – wie das Verwechseln von Besucherzahlen mit Besuchszahlen - und massive Manipulationen, wie das mehrfache Zählen von Besuchern, die in ein- und demselben Haus mehrere Ausstellungen oder Veranstaltungen besuchen -, verfälschen die Statistiken erheblich. Auch hier gilt das Bonmot Trau keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast. 

Die allerwichtigste Funktion der „Quote“ ist aber, die demokratische Qualität des Museums per se zu untermauern. Hohe Zahlen, die bei einzelnen (österreichischen) Museen die Millionengrenze übersteigen können, bei Ausstellungen in die Hunderttausender (was nicht sechsstellig ist, ist inzwischen nicht mehr erwähnenswert), sollen belegen, daß das Museum „jedermann“ („öffentlich“ heißt es in der ICOM-Definition) zugänglich ist. Spätestens um 1900 wird diese Zugänglichkeit als Nachweis dafür ins Treffen geführt, daß das Museum die „demokratischeste aller Bildungsinstitutionen ist“ (Gustav Pauli) und zwar deshalb, weil sie „jedermann“ offen stünde. 

Empirisch ist das längst widerlegt. Im Schnitt kommen etwa 50% einer Bevölkerung (eines Landes, einer Stadt usw.) nie in „ihre“ Museen. Das hat zwei Gründe: der soziale Status, altmodischer gesagt, die Klassenzugehörigkeit einerseits und die damit determinierten Bildungschancen andrerseits schließen Menschen vom Gebrauch und Genuß dieser Institution aus. Museen wirken sozial distinktiv und kulturell hegemonial. 

Die Quote verschleiert das. 

Obwohl es seit langem sehr differenzierte Untersuchungen zur Zusammensetzung, zur Herkunft, zu den Motiven des Publikums gibt, „verschluckt“ die Quote gerade dieses entscheidende strukturelle Merkmal von Museen und Museumspolitik. Davon „sprechen“ die veröffentlichten Zahlen einfach nicht und inzwischen werden umfassende Untersuchungen gemacht, wo auf Erhebungen der sozialen Bedingungen des Museumsbesuchs – oder seiner Vermeidung – einfach verzichtet wird. Mal sehen, ob die Debatten, die die Corona-Krise ausgelöst hat, etwas am Umgang mit der „Quote“ andern oder gar dazu führen, was Museumsleiter:innen ja vereinzelt schon vorgeschlagen haben, auf die Erhebung und Veröffentlichung zu verzichten.

Dienstag, 19. Juli 2016

Wer will das noch wissen, das mit den Museumsbesuchern?

Da ich grade wieder mal Zahlen aus der Besucherforschung brauchen könnte, aber die gesuchten nicht finde, suche ich Hilfe im eben erschienenen "Handbuch Museum" (siehe hier). Immerhin erfahre ich im Beitrag von Bernd Lindner, "Soziodemographie des Museumspublikums" (Seite 323ff. im Handbuch), warum ich nicht fündig werde. Eine Besucherforschung, die Aufschluß über das aktuelle Museumspublikum der Bundesrepublik Deutschland geben könnte, gibt es nicht. Weil keine einschlägigen umfassenden Untersuchungen gemacht werden.

Lindner referiert ältere Daten zur BRD und DDR und das, was es zur Zeit nach der sogenannten Wiedervereinigung an Untersuchungsmaterial gibt. Das erlaubt - in sehr engen Grenzen - gewisse Rückschlüsse im Vergleich der beiden Staaten, Informationen über quantitative Veränderungen über längere Zeiträume hinweg und solche über das aktuelle "Wachstum" der Museumsbesuche (analog zum Museumswachstum und dem Boom an Ausstellungen - man schätzt, daß in Deutschland etwa 30.000 Museumsausstellungen pro Jahr stattfinden).

Allerdings konzentriert sich Lindner auf die soziale Zusammensetzung des Publikums, also berufliche Herkunft und Ausbildungsstand sowie regionale Herkunft (Land, Stadt, Großstadt...), die Geschlechterverteilung, beschäftigt sich aber nicht mit Motiven und kaum mit Milieus und ausdrücklich nicht mit Evaluationen.

Trotz vieler Zahlen und einiger Statistikgraphiken bleibt sein Bericht eigentümlich vage. Hier zeigt sich einmal mehr, daß der Rückzug auf Fakten und der Verzicht auf gewichtende und wertende Schlußfolgerungen nur scheinbar zu Objektivität führt. Das nach Museumstypen zwar stark variierende aber dominante Vorherrschen von Personen mit  hoher Schul- und Universitätsbildung beim Museumsbesuch wird zwar abgebildet, bleibt aber gänzlich unkommentiert. Ob nun die wachsende Zahl an Museumsbesuchen Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums gebracht hat, bleibt offen.

So bleibt letztlich auch unklar, wozu Besucherforschung überhaupt gemacht werden soll. Was will man denn wissen, und wozu? Geht es nur noch um Grundlagen für sozialtechnolgische Adaptionen, Marketingstrategien, Tourismusmaßnahmen, Hiule bei der Ausstellungsplanung?

Kein einziges Mal fällt das Wort "Nichtbesucher". Es gibt keine Angaben zu jenem Bevölkerungsanteil, der nie in ein Museum geht. Und der ist bekanntlich exorbitant hoch, liegt im nationalen Schnitt bei etwa 50% und bei einzelnen (großstädtischen Museen) bei 80% der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Umstände nicht zu benennen scheint mir  gerade bei einem Handbuchartikel mit dem Anspruch auf Basisinformation unverzeihbar. Alle Folgefragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bleiben unerörtert.

Was die - von Lindner - genannten "Nestoren" der deutschen Besucherforschung, Klein und Treinen, seinerzeit an auf ihre empirischen Untersuchungen aufbauenden Schlußfolgerungen aufgebaut haben, hier wird das nicht mehr referiert. Alles was etwa Heiner Treinen zum "Museum als Massenmedium" oder "kulturellen Vermittlungsort" einmal zu sagen hatte, das findet sich hier nicht mehr wieder.

Soll man diesen klaren Rückschritt als Zwang zur verknappten Darstellung eines Handbuchbeitrags entschuldigen? Oder sich fragen, ob das "Vernachläßigen" älterer - unaktuell gewordener? - Forschungsfragen und -ergebnisse sich nicht komplementär verhält zum erstaunlichen Desinteresse am Museumsbesucher? Haben die bei Medien, Politikern und Museen gleichermaßen beliebten Statistikschlachten mit den Zahlen der Museumsbesuche komplett jede Frage nach der sozialen Zusammensetzung ersetzt?

Trotz (oder gerade wegen?) des Redens über "Inklusion", "Museum für alle" oder "Partizipation", niemand wirft mehr die "soziale Frage" auf, wen Museen erreichen und wen nicht. Niemand will dort mehr eine offene Frage orten, niemand, so scheints, will sich mit der mühseligen Frage nach der sozialen Bedeutung und Funktion von Museen beschäftigen. Kein Wunder, daß das Wort "Hegemonie" im Index des "Handbuch Museum" nicht vorkommt.

Montag, 29. Februar 2016

Der undurchschaute Museumsbesucher

Odoardo Borrani
Incontro agli Uffizi
Einem Zeitungsartikel entnehme ich, daß eine Untersuchung zum Publikum des Victoria and Albert-Museum zweimal wiederholt wurde, weil man nicht glauben wollte, daß so viele Besucher angaben, nicht der Kunst wegen, sondern um der Geselligkeit Willen gekommen waren. - Wo hatten die Museumssoziologen bloß ihre Augen?