Zeitungsmeldung: „Das Museum Altes Land hat im Schnitt 22.000 Besucher pro Jahr. Das sei ‚die beste Besucherquote eines Museums im gesamten Stader Landkreis’, gab Museumsleiter Dieter-Theodor Bohlmann auf der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Tourismus und Kultur bekannt.“ Besseres scheint man über ein Museum nicht sagen zu können, als es habe eine gute oder gar die beste Besucherquote.
Nun bedeutet das Wort Quote aber nichts anderes als einen (prozentualen) Anteil an einer Gesamtmenge oder -anzahl. Das macht also in Bezug auf Museen gar keinen Sinn. Denn was wäre denn die Gesamtmenge an der eine Quote gemessen werden könnte? Alle Menschen einer Stadt als potentielle Besucher, alle einer Region, eines Staates...?
„Sinn“ macht das Zählen von Besuchern vor allem im Vergleich der Museen untereinander. Jährlich veröffentlichte Statistiken werden gerne als Ranking gelesen, so wenig sinnvoll der Vergleich von Museen unterschiedlicher Größe, Sammlung oder Zahl an Ausstellungen auch ist. „Sinn“ macht das statistische Erfassen des Publikums auch im Vergleich mit anderen Ereignissen; so erfreut sich der von Museen mit Fußballspielen einer gewissen Beliebtheit. Museen überträfen, wenn man alles zusammenzählt, die Besuchszahlen der Fußballligen.
Da geht es um die Legitimation der Institution, um die Unterstützung einer Argumentation, daß die Bildungsinstitution durchaus so attraktiv sein kann für ein großes Publikum wie ein Sportevent. Ganz besonders attraktiv ist die Quote aber als Wertmaßstab. Je größer die Zahl der Ausstellungsbesucher desto „bedeutender“, „besser“ ist die Ausstellung - so lautet die sehr schlichte Gleichung. Da es so etwas wie Ausstellungskritik kaum, Museumskritik so gut wie gar nicht gibt, füllt die „Quote“ die Leerstelle, die das Fehlen einer an Kriterien orientierten Kritik hätte.
Es scheint mit abnehmender Bedeutung der herkömmlichen Bildungsaufgaben und der zunehmenden Bedeutung von Museen als touristischer Attraktoren und Freizeiteinrichtung, schwieriger zu werden, das Museum im herkömmlichen Sinn als Vermittler von Wissen und Bildung zu rechtfertigen und seine Sinnhaftigkeit zu begründen. In zunehmender Ökonomisierung des kulturellen Feldes, wird auch das Museum zudem mehr und mehr unter Beobachtung gestellt, ob es „rentabel“ ist. Das mißt man an einer anderen Quote, dem „Eigendeckungsgrad“. Das heißt, an jenen Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Zuwendungen von Sponsoren, gewinnen aus dem Merchandising u.a., die gegengerechnet werden mit der aus Steuern bestrittenen Finanzierung durch die sogenannte öffentliche Hand.
Quoten stützen statistisch den Schein gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und es überrascht nicht, daß während der Coronakrise die Debatte um die Größenordnung des Publikumszuspruchs aufkochte. Die Lockdowns wurden den Museen mit der begleitenden Bescheinigung sie seien eben wenig „systemrelevant“ verordnet. Nun war durch diese Diskussion zu entdecken, daß gerade die am besten finanzierten und großen Museumsinstitutionen, die die meisten „Drittmittel“ einwarben, am schnellsten Probleme mit der Finanzierung ihrer Ausstellungen und des, wie man so sagt, laufenden Betriebs, bekamen. Denn der zur Finanzierung großer Ausstellungen, der berüchtigten Blockbuster, nötige Bedarf wird überproportional von Touristen bestritten.
Plötzlich bekam der Glanz der großen Zahl unschöne Flecken. Die hätten die jährlich als Erfolgsgeschichte verkündeten Zahlenkonvolute, die suggerierten, die Museen zögen immer mehr Besucher an, schon früher bekommen können. Und zwar aus einem nie wirklich beachteten Grund: Das Zustandekommen der Zahlen unterliegt keiner Kontrolle, methodische Fragwürdigkeiten – wie das Verwechseln von Besucherzahlen mit Besuchszahlen - und massive Manipulationen, wie das mehrfache Zählen von Besuchern, die in ein- und demselben Haus mehrere Ausstellungen oder Veranstaltungen besuchen -, verfälschen die Statistiken erheblich. Auch hier gilt das Bonmot Trau keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.
Die allerwichtigste Funktion der „Quote“ ist aber, die demokratische Qualität des Museums per se zu untermauern. Hohe Zahlen, die bei einzelnen (österreichischen) Museen die Millionengrenze übersteigen können, bei Ausstellungen in die Hunderttausender (was nicht sechsstellig ist, ist inzwischen nicht mehr erwähnenswert), sollen belegen, daß das Museum „jedermann“ („öffentlich“ heißt es in der ICOM-Definition) zugänglich ist. Spätestens um 1900 wird diese Zugänglichkeit als Nachweis dafür ins Treffen geführt, daß das Museum die „demokratischeste aller Bildungsinstitutionen ist“ (Gustav Pauli) und zwar deshalb, weil sie „jedermann“ offen stünde.
Empirisch ist das längst widerlegt. Im Schnitt kommen etwa 50% einer Bevölkerung (eines Landes, einer Stadt usw.) nie in „ihre“ Museen. Das hat zwei Gründe: der soziale Status, altmodischer gesagt, die Klassenzugehörigkeit einerseits und die damit determinierten Bildungschancen andrerseits schließen Menschen vom Gebrauch und Genuß dieser Institution aus. Museen wirken sozial distinktiv und kulturell hegemonial.
Die Quote verschleiert das.
Obwohl es seit langem sehr differenzierte Untersuchungen zur Zusammensetzung, zur Herkunft, zu den Motiven des Publikums gibt, „verschluckt“ die Quote gerade dieses entscheidende strukturelle Merkmal von Museen und Museumspolitik. Davon „sprechen“ die veröffentlichten Zahlen einfach nicht und inzwischen werden umfassende Untersuchungen gemacht, wo auf Erhebungen der sozialen Bedingungen des Museumsbesuchs – oder seiner Vermeidung – einfach verzichtet wird. Mal sehen, ob die Debatten, die die Corona-Krise ausgelöst hat, etwas am Umgang mit der „Quote“ andern oder gar dazu führen, was Museumsleiter:innen ja vereinzelt schon vorgeschlagen haben, auf die Erhebung und Veröffentlichung zu verzichten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen