Freitag, 4. Juni 2021
Peter Melichar: Fragen, die bleiben. Zur Tagung zum Heeresgeschichtlichen Museum
Die Tagung am 20. und 21. Mai im Wiener Literaturhaus brachte ein paar überraschende Erkenntnisse: Die gesamte Historikerzunft ist reumütig, weil man das HGM in den vergangenen Jahrzehnten nicht grundlegend kritisierte. Aber auch von allen anderen Vertretern sämtlicher Disziplinen, aber auch von Soziologinnen, Intellektuellen, Pfarrerinnen und Priestern hätte Kritik kommen können. Immerhin: Die Schriftstellerinnen Marlene Haushofer und Ingeborg Bachmann thematisierten das Museum schon um 1970 unnachahmlich in ihren Texten „Die Mansarde“ (Haushofer) und „Malina“ (Bachmann).
Der Rest der Bevölkerung schwieg: Vermutlich lag das schlicht daran, dass es nur von kleinen Buben mit ihren Grossvätern besucht wurde. Da sich nun die Erkenntnis eingestellt hat, dass es so nicht geht, kamen überraschende Vorschläge: Dirk Rupnow sprach sich für eine Sprengung aus (zumindest als rhetorisches Manöver). Weil einer der Teilnehmer den Einsatz eines Fieseler Storches nicht verstand, den Manfried Rauchensteiner aus schwedischem Besitz erwerben und zum Kriegsflugzeug umfärben ließ, verlangte er, dass ihm dieser die Bedeutung dieses deutschen Militärflugzeuges für die österreichische Geschichte erklären solle (Peter Melichar). Andere fragten, ob es überhaupt ein Heeresgeschichtliches Museum in Österreich brauche und sprachen sich für eine Neugründung als Demokratiemuseum aus (Gottfried Fliedl), wieder andere plädierten für eine temporäre Schliessung und völlige Neurorientierung. Was tatsächlich kommen wird, wusste der Leiter der HGM-Kommission, Wolfgang Muchitsch: Eine neue Direktorin bzw. ein neuer Direktor, der ein Team mit zwei oder drei Mitarbeiterinnen mitbringen darf und von einem kompetenten Beirat begleitet wird. Doch weder wird an der Einbettung des Museums in das bürokratische Gefüge des Verteidigungsministeriums etwas verändert noch an der Verwendung des Museums im Sinne der Traditionspflege.
Das überraschendste überhaupt: Dass es einer zivilbürgerlichen Initiative gelungen ist, innerhalb einiger Monate Bewegung in die Sache zu bringen. Erstaunlich auch, dass es der Leitung des Ministeriums sowie des Heeresgeschichtlichen Museums selbst so völlig am Kampfeswillen mangelt. Nur noch ein paar matte Ablenkungsmanöver brachte man zustande. Das peinlichste darunter ist folgendes: Eine seit 2016 durch Österreich wandernde Ausstellung der Historiker Michael John und Albert Lichtblau, entstanden im Auftrag der Freunde von Yad Vashem, mit dem Titel „Gerechte“ wird seit kurzem im Eingangsbereich, in der sog. Ruhmeshalle und im Ersten Stock gezeigt. Diese Ausstellung thematisiert mutige Menschen, die Verfolgte während der NS-Zeit zu schützen und zu retten versuchten. Man fragt sich: Was hat diese Ausstellung mit dem HGM zu tun? Sie beantwortet keine der in diesem Zusammenhang dringlichen Fragen:
- Haben österreichische Heeresverbände irgendwelche „Gerechte“ hervorgebracht?
- Wie viele ehemals österreichische Militärs haben wie viele Verfolgte geschützt und gerettet oder es zumindest versucht?
- Wie viele Kriegsverbrecher waren österreichischer Herkunft und wie viele waren in ehemals österreichischen Heeresverbänden und Militärschulen ausgebildet und sozialisiert?
Welche Rolle spielten österreichische Armeeangehörige bei den Verbrechen der Wehrmacht?
- Wie viele österreichische Soldaten (bzw. Soldaten österreichischer Herkunft) wurden als Mitglieder des Widerstandes aus anderen Gründen verfolgt?
Zumindest die Direktion des Heeresgeschichtlichen Museums hätte sich diese oder ähnliche Fragen stellen und beantworten müssen, wenigstens den Versuch dazu wagen. Warum sie das nicht getan hat kann sie nur selbst beantworten. Feigheit vor dem Feind?
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen