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Sonntag, 9. Mai 2021

Anmerkungen zur Ausstellung des Haus der Geschichte Österreich „Nicht mehr verschüttet“

 Information 1

Im Frühjahr 2018 wurde im Zuge der geplanten Erweiterung der Schulen des jüdischen Vereins Machsike Hadass im zweiten Wiener Gemeindebezirk ein mit Schutt verfüllter Raum entdeckt. Im Abraum wurden Überbleibsel entdeckt, hunderte Objekte, die sowohl aus dem einstigen Schulbetrieb stammten als auch aus dem einstigen Jüdischen Museum, das zu diesem Zeitpunkt dort seinen Standort hatte.

Das Haus der Geschichte Österreich zeigte diese Funde bis 6.April 2021 in einer Ausstellung unter dem Titel „Nicht mehr verschüttet“.

Die Talmud-Thora-Schule in der Malzgasse wurde im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts eingerichtet, 1906 kam eine Synagoge dazu und 1913 übersiedelte das Wiener Jüdische Museum, das 1895 als erstes seiner Art weltweit eröffnet worden war, hierher.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Schule und Synagoge zerstört. Der nun vorgefundene Zustand geht auf die Zerstörungen dieser Nacht zurück.

Das Haus der Geschichte zeigt, unter Verantwortung der Kuratorin Birgit Johler, Fundstück aus der Malzgasse auf einem Tableau vor den Türen in der Neuen Burg, die zu jenem Altan führen, von dem Adolf Hitler 1938 zu einer auf dem Heldenplatz versammelten Menge sprach.

Die Nutzung des umgangssprachlich als „Hitler-Balkon“ bezeichneten Altan im Kontext des Geschichtsmuseums war schon im Zug der Museumsplanung unklar und als das Museum dann eingerichtet und eröffnet war, lobte das Haus der Geschichte einen Ideenwettbewerb aus. Das Arrangement der Fundsachen kann mithin als erster Versuch des Museums gelesen werden, diesen besonderen lieu de mémoire zu kontextualisieren. Die räumliche Konfrontation der Objekte mit dem Balkon rückt die Funde in einen expliziten Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und seine antisemitische Politik.

Die Bedeutung des Fundes liegt vor allem im überraschenden Auftauchen von Objekten aus dem einstigen Jüdischen Museum, das in der NS-Zeit beraubt wurde und das nach 1945 nur einen Bruchteil seiner Sammlung rekonstruieren konnte. Es wurden aber auch Teile der Ausstattung der Synagoge gefunden und Reste, die aus dem Alltagsbetrieb der Schule stammen.

Das Haus der Geschichte Österreich schreibt zu der Vorgeschichte und den Motiven seiner Ausstellung unter anderem auf seiner Webseite: “80 Jahre nach der Zerstörung dieses jüdischen Ortes ist durch das Auffinden der Räume und Gegenstände die Geschichte der Malzgasse 16 nun nicht mehr verschüttet. Die Funde wurden professionell gereinigt, zu einzelnen Objekten konnte bereits geforscht werden, viele Fragen bleiben bis auf weiteres offen: Weshalb wurden die Objekte, Bücher und Gebrauchsgegenstände mitverschüttet? Was verbirgt sich hinter der Ascheschicht? Der Schulverein und das Haus der Geschichte Österreich laden ein, in diesem Stadium des Projekts die Malzgasse 16 als einen vielschichtigen Ort jüdisch-österreichischer Geschichte, seine Gegenwart und auch seine Ideen für die Zukunft kennenzulernen.“


Information 2

So wie ich die Geschichte eben erzählt habe, scheint sie stimmig und rund. Ein überraschender Fund wird geborgen, konserviert, erforscht und ausgestellt.

Es gibt aber eine zweite Geschichte, die hinter der ersten liegt und die bislang öffentlich noch nicht erzählt wurde. Sie beginnt mit der naheliegender Frage: Warum hat das Haus der Geschichte eine Ausstellung mit den Funden ausgerichtet und nicht das Jüdische Museum der Stadt Wien?

Es ging doch um Reste der Sammlung des ersten Jüdischen Museums das sich doch für den Fund unbedingt verantwortlich fühlen und interessiert sein müsste. Nun, die entdeckten Dinge wurden dem Museum angeboten, und zwar nicht von den für die Entdeckung und Bergung Verantwortlichen selbst, sondern von der Kuratorin des HdGÖ, Birgit Johler.

Die Direktorin des JMW lehnte die Annahme der Objekte ab. Und das HdGÖ beschloss daraufhin, selbst eine Ausstellung zu machen.

Das ist die eine Merkwürdigkeit. Die andere die: Das Haus der Geschichte Österreich nahmen keinen Kontakt auf mit den besten Kennern der Materie und der Geschichte und Sammlung des ersten jüdischen Museums, Bernhard Purin, heute Direktor des Jüdischen Museums München und Felicitas Heimann-Jelinek, ehemalige Chefkuratorin des JMW,.

Beide hatten einschlägige Forschungsarbeiten geleistet und gelten als die besten Kenner der Sammlung und Sammlungsgeschichte. Sie hätten Fundobjekte schon allein mit Hilfe von Fotos und erst recht als Originale sofort und ohne jede Recherche identifizieren können.

Warum haben die Leiterin des HdGÖ, Monika Sommer und auch nicht die Kuratorin Birgit Johler (sie ist inzwischen Kuratorin am Volkskundemuseum des Joanneum in Graz) Kontakt mit den beiden Experten aufgenommen? Felicitas Heimann-Jelinek und Bernhard Purin, erstaunt über die Vorgänge, haben ihrerseits Kontakt mit den Museen und ihren Leiterinnen aufgenommen. Die entsprechenden an das HdGÖ adressierten Mails blieben z.T. vage oder gar nicht beantwortet.

Wenn das HdGÖ auf seiner Webseite schreibt, „zu einzelnen Objekten konnte bereits geforscht werden“ muß man das so verstehen, daß es sich um Forschungen des HdGÖ selbst handelt und daß es mithin selbst ausreichende Expertise für sich beansprucht.

Kommentar

Warum wurde vorhandene, hilfreiche Expertise nicht gesucht und nicht angenommen?

Das Museum ist unter fragwürdigen politischen Bedingungen gegründet worden, es hatte alles andere als einen guten Start und es leidet sowohl unter der komplexen Organisationsstruktur wie auch an nicht ausreichenden Ressourcen und ebenso am Mangel an politischer Unterstützung. Das Museum arbeitet schon lange so gut wie ohne Zukunftsperspektive. Wollte das Museum also schnell und von niemanden abgelenkt rasch etwas für seine Reputation bewerkstelligen?

Kritikwürdig ist aber vor allem der erklärungsbedürftige Umgang mit vorhandenem Wissen und Forschungsressourcen. Die, wie Bernhard Purin schreibt, nicht ohne Folgen gewesen sein muß.

Bernhard Purin: “Besonders ärgerlich sind die Beschreibungstexte zu den einzelnen Objekten, die einerseits von großer Unkenntnis, andererseits vom untauglichen Versuch, banale Alltagsobjekte zu ‚judaisieren‘ geprägt sind: Da gibt es eklatante Fehlzuschreibungen, wenn etwa bei Zugketten von WC-Spülkästen über die Möglichkeit, es könnte sich um Ketten von Tora-Schilder handeln, spekuliert wird. Ein völlig verrosteter Henkelbecher soll ein ‚Ritualbecher‘ (für welches Ritual auch immer) sein und Säulenprofile von Gründerzeitmöbeln werden zu Mesusot, den Kapseln für den Türsegen an jüdischen Häusern, erhoben. Bei sammlungsgeschichtlich spannenden Funden wird deren Bedeutung nicht erkannt. Einige Scherben, die schlicht mit ‚Teile eines Keramiktellers für das Pessach-Fest‘ bezeichnet wurden, sind die traurigen Reste einer Trouvaile des Jüdischen Museums in der Malzgasse, eines Majolika-Seder-Tellers, der damals in das 17. Jahrhundert datiert wurde. Eine illustrierende Fotografie zum Bereichstext über die Geschichte des Jüdischen Museums hätte das bei genauer Prüfung erkennen lassen: Jakob Bronner, langjähriger Direktor des Museums bis 1938, ließ sich neben ihm porträtieren. Solche Beispiele ließen sich weiter fortführen. So gesehen ist die Schau auch ein unverantwortlicher Rückschlag im Bemühen, sich ernsthaft und verantwortungsvoll den Sachzeugnissen jüdischer Geschichte und Kultur vor 1938 zuzuwenden und lässt mich mit den Gefühlen von Empörung und Traurigkeit zurück."