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Mittwoch, 24. Oktober 2018

Das Haus der Geschichte Österreich als politisches Instrument des Parlaments und Symptom der Dritten Republik

In zwei Beiträgen, die ich im Rahmen von Tagungen zum Haus der Geschichte Österreich zur Diskussion gestellt habe (Vortrag vor der Österreichischen Forschungsgemeinschaft und in der Akademie der Wissenschaften), war ich äußerst skeptisch gegenüber der engen Verzahnung von Politik und Projekt. Die ungewöhnliche Politisierung veranlasste mich schon seinerzeit, das Haus der Geschichte abzulehnen.

Jetzt kommts aber heftig.

Wie die APA heute berichtet, soll nun das Haus der Geschichte Österreich als Republikmuseum dem Parlament angegliedert werden. Denn "Wenn man Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht möglich", stellte Nationalratspräsident Sobotka "im Einklang mit Minister Blümel fest". Und im Einklang mit der Leiterin Monika Sommer, die sich "wirklich sehr freut" über eine derart "richtungweisende Pressekonferenz".

In welche Richtung wird da gewiesen und wer weist?

In eine sehr österreichische, was zunächst einmal die Organisation anbelangt, denn Minister Blümel verspricht Eigenständigkeit in einem Atemzug mit dem Versprechen, das Museum "ans Parlament anzubinden." Oder so: Wissenschaftlich sei das Museum unabhängig. Sehr schön. Aber warum nur wissenschaftlich? Keiner der Wissenschafter werde parteipolitisch bestellt. Na eh nicht. Das ist ja schon passiert.

Dieser organisatorischen Unabhängigkeit korrespondiert die inhaltliche, die - ganz unabhängig - vom ÖVP-Politiker Sobotka formuliert wird. Als jenes identitätspolitische Konzept, das dem Historiker Botz so abgegangen ist. Jetzt endlich gibt es eins, von Herrn Sobotka: "Sobotka" so berichtet uns die APA,  "denkt in diesem Zusammenhang auch an Wanderausstellungen in den Bundesländern, aber auch über die Staatsgrenzen hinaus. Mit dieser Arbeit beabsichtige man vor allem, die Identität Österreichs in allen Teilen zu stärken. (...) Sobotka unterstrich die Notwendigkeit der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Institution und wies unter anderem auf die unabhängige Tätigkeit etwa des Nationalfonds hin, der ebenfalls an das Parlament angebunden ist."

"Kein Historiker und keine Historikerin wird von einer Partei bestellt", stellte er klar." Wie das die ÖVP versteht und praktiziert, und wie man dort mit willfährigen HistorikerInnen (aller Lager) parteiideologische Ausstellungen macht, kann man beim unsäglichen Museum in St. Pölten sehen. Aber weiter im O-Ton Sobotka: "Der Nationalratspräsident rief in diesem Zusammenhang zu einem nationalen Schulterschluss auf und kündigte an, alle politischen Kräfte von Nationalrat und Bundesrat einzubinden. 'Die Verantwortung, sich der Geschichte der Republik zu stellen, hat in einem großen nationalen Bogen zu erfolgen'". 
Also eine Art von nationaler Einheitsgeschichte? 

Man könnte das alles auch großartig finden: Am zentralen Ort der Demokratie, asm Ort der Austragung von Debatten, Interessen und Konflikten, am Ort der repräsentativ den Willen des Volkes vertetenden und agierenden Gremiums, gibt es einen symmetrischen kulturellen Ort, ein Museum, das genealogisch und strukturell aus den Ideen von Demokratie und Aufklärung hervorgegangen ist und ihnen verpflichtet ist.

Da könnten wir uns ein bürgerschaftliches, partiztipatives Museum vorstellen, an dem der Demos selbst die Erzählung und Deutung seiner Geschichte selbst in die Hand nimmt. Ein Ort der permanenten Selbstauslegung, der immer wieder sich erneuernden Deutung der Vergangenheit und der Entwürfe wünschbarer und lebenswerter Zukünfte.

Stattdessen bekommen wir zwergenhaftes Denken und Handeln, kübelweise Oppurtpnismus und tonnenweise politische Ideologie.Denn das Parlament ist fest in den Händen der Parteien und die Machtverhältnisse zwischen Regierung und Parlament einerseits und Parlament und Wahlvolk nicht so ganz im Sinne der Verfassung.


Und die Direktorin, zwischen den zwei Rechtskonservativen freudig beim Pressekonferenz-Verkünden eingeklemmt, insistiert darauf, wie großartig und diskussionsfreudig das alles werden wird, etwas, was man nun seit Monaten gehört hat, was aber nie eingelöst wurde. Auf der Webseite wird nicht nur nicht diskutiert, es werden dort alle Debatten, die zum Projekt geführt wurden vollkommen ignoriert. Und die Diskussionskultur ist so exzellent, daß im Beirat hat zwei Mitglieder zum Austritt bewogen. 

Dort wurde etwa darüber befunden, daß man den Begriff Austrofaschismus besser nicht verwenden sollte (wiewohl er von Historikern verwendet wird und seine Verwendung begründet wird, etwa bei Emmerich Talos). Stattdessen wurde am Begriff Kanzlerdiktatur herumgebastelt, der wurde aber auch wieder verworfen, weil er sich für Schüler (?) als mißverständlich erwiesen habe. Angeblich soll die Lösung nun in der Begriffswahl Dollfuss-Schuschnigg-Dikatur bestehen. Die versprochene Diskussionsfreudigkeit besteht also darin, Schüler zu befragen, ob sie etwas im Sinne der KuratorInnen verstanden haben, und dann, wenn das nicht der Fall ist, die Diskussion im planenden Gremium zu beenden, statt die Frage im Museum zur Diskussion zu stellen. Es ist ja nicht weniger als die bis heute umstrittenste Phase der österreichischen Zeitgeschichte, an deren Deutung in aller erster Linie die ÖVP als entlastende "Eindeutigung" ein Interesse hat.

Doch das sozialdemokratisch durchwirkte Planungsteam, das das Museum in sozialdemokratischem Auftrag gebastelt hatte, ist jetzt genau dort, wo sich die Herren Ostermeyer und Drozda das Projekt nie vorstellen konnten und sie selbst auch nicht: Im Kraftfeld der politischen Hegemonie einer weit rechts stehenden Regierung. Sie wollten es nicht wahrhaben, aber so schnell kann es gehen. Jetzt haben sie die Höchststrafe und dürfen sich verbiegen bis zum Anschlag, um das Projket - als Budgetposten, nicht mehr -, zu "retten".

Allerdings:So wird es, eine symptomatische Lesart vorausgesetzt, ein wirkliches Republik-III-Museum. 
"Wenn man Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht möglich." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden "Wenn man Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht möglich." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden "Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich über dieses klare politische Commitment." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden"Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich über dieses klare politische Commitment." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden
"Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich über dieses klare politische Commitment." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden

Donnerstag, 6. September 2018

Sollen sie oder nicht? (Sokratische Frage 33)

Kinder vor Ingres Odaliske


Soll man mit Kindern ins Museum gehen, sie für das Museum interessieren, für die Sammlungen, Dinge, Ausstellungen... (man kann ja nicht früh genug beginnen, Kinder mit Kultur zu konfrontieren, sie einzuüben, ihnen das Vergnügen des Umgangs mit Kultur vermitteln...usw.)

Soll man Kinder von Museen abhalten (Museen vermitteln Erfahrungen, die Kinder nicht mitvollziehen können, nicht alles muß allen verständlich sein, Kulturvermittlung im Museum ist Einübung in hegemoniale Kultur...usw.)

Montag, 4. Juni 2018

Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen


Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen

Erweiterte Fassung des in Neues Museum erschienen Textes


01 Das Museum ist für alle da

Nein, ist es nicht. Ausgeschlossen sind alle, die auf Grund ihrer mangelnden Bildung und Ausbildung und ihres sozialen Status nicht nur keinen Zugang zum Museum haben sondern auch gar keinen suchen. Weil das, was sie in Museen vorfinden könnten, mit ihrer Lebenswelt nichts oder viel zu wenig zu tun hat. Sie verbinden mit Museen keinerlei Vorstellung eines Wertes oder Gewinns, in welcher Hinsicht auch immer. So um 50% einer Bevölkerung eines Landes sind keine Museumsbesucher und für einzelne Städte gibt es Statistiken die bis zu 80% ihrer Bewohner als Museumsverweigerer ausweisen. Es sind die Museen selbst, die die soziale Diskriminierung  erzeugen - gestützt auf ein Schul- und Bildungssystem, das soziale Unterscheidung früh wie etwas Naturgegebenes festlegt.


02 Das Museum sollte für alle da sein

Nur wenn Museen die Tatsache verdrängen, daß sie sozial und bildungspolitisch diskriminieren, ausschließen, können sie den Anspruch erheben für alle da und auch für alle verbindlich zu sein. Wissen und Interessen einer Minderheit werden als allgemein gültig ausgegeben. Deshalb sind Museen Produzenten kultureller Hegemonie. Sie tragen dazu beitragen, daß partikulare Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen wahrgenommen und durchzusetzbar werden. Kulturelle Hegemonie sichert politische Herrschaft, und das ohne Zwang. Die Forderung nach dem „Museum für alle“ ist daher eine politisch unreflektiert der Ruf nach Vertiefung und Ausweitung hegemonialer Praktiken.


03 Das Museum ist demokratisch

Da es normalerweise keinen formellen Ausschluß für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, da es also im Prinzip für jedermann zugänglich ist (so wie z.B. Verkehrsmittel, Gesundheitseinrichtungen, Parkanlagen oder Sportveranstultengen), gilt das Museum auch als demokratisch. Wir würden aber wohl kaum auf die Idee kommen, die staatliche Eisenbahn oder das öffentliche Gesundheitswesen allein deswegen als demokratisch bezeichnen, weil jedermann daraus Nutzen ziehen kann.
Das Museum wäre nur dann demokratisch, wenn es tatsächlich alle sozialen Schichten einer Gesellschaft ansprechen könnte und wollte und wenn es Verfahren der Teilhabe und der Kommunikation anbieten würde, die das Adjektiv demokratisch verdienten. Das wäre das anspruchsvolle Vorhaben eine egalitäre Beteiligung unter Achtung und Anerkennung der Interessen einer großen Zahl von Menschen herzustellen. Das Museum wäre dann eine Institution unter anderen, die eine vernünftige Teilhabe an „unseren“, das heißt den öffentlichen Angelegenheiten ermöglichte. Und insofern wäre es ein Ort des Politischen, wenn es dazu beitragen würde, „uns“ (die Staatsbürger“) so zu aktiven, daß wir uns als um das Gemeinwohl bemühte und besorgte Staatbürgern weiterentwickeln würden. In Zeiten gefährdeter Demokratie könnte das Museum eine wichtige informative und diskursive Rolle spielen. Dabei ginge es auch um entsprechende Inhalte, vor allem aber um Entwicklung unterschiedlicher Formen von Öffentlichkeit.


04 Das Museum ist eine wissenschaftliche Einrichtung

Museen gelten als wissenschaftlich, weil sie sich auf fachwissenschaftliche Forschung stützen, im Naturmuseum auf etwa Zoologie, Botanik, im Kunstmuseum Kunstgeschichte und Archäologie usw. Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit von Museen, die entsprechendes Personal und einschlägige Ressourcen haben. Und es ist die Frage, welchen Stellenwert Forschung für das Ausstellen oder das Sammeln hat, ob sie Wissen generiert, das Besuchern vermittelt wird oder in die alltägliche Arbeit des Museums eingeht.
Wissenschaftlich ist das Museum gerade dort nicht, wo es um seine essentielle Aufgabe geht - um die Vermittlung im weitesten Sinn. Denn das Medium Ausstellung, ein Hybrid aus vielen Medien wie Text, Objekt, Bild, Fotografie, Computer, Film usw., entzieht sich der Verwissenschaftlichung. Es ist eine von Fall zu Fall immer neu zu erfindende Mischform aus ästhetischer, fachwissenschaftlicher, museologischer, museumspraktischer oder auch sozialer Kompetenz. Last but not least: Das museologische Reflexionswissen ist sogar so gut wie gar nicht in den Museen angekommen.


05 Das Museum ist wichtig, ja es ist mehr als das - es ist unverzichtbar

Museen haben einen sehr guten Ruf, sie gelten als Leuchttürme der Kultiviertheit von Nationen und Gesellschaften, sie werden durch exquisite und aufwändige Architekturen zu Landmarks im urbanen Raum, sie sind wichtige touristische Destinationen und sie können in der Konkurrenz von Ländern untereinander zu symbolischen Spielmarken werden. Also sind sie wichtig. Sind sie das? Der US-Amerikanische Museumsleiter und Museologe Stephen Weil hat eine Reihe wunderbarer, kurzer Texte verfasst, mit denen wir unsere Urteile und Vorurteile übers Museum befragen und testen können. Eine seiner Parabeln fasse ich in einer einzigen Frage zusammen: Stellen Sie sich zwei Welten vor. Auf der einen gibt es Museen, auf der anderen nicht. Worin wird der Unterschied liegen? Oder sie stellen sich die Frage anders - in Form eines dystopischen Hollywood-Blockbusters: uns nicht sonderlich wohlgesonnene extraterrestrische und von der Lektüre des Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gründlich verdorbene Wesen lassen über Nacht die Museen verschwinden. Was passiert dann?


06 Die Daseinsberechtigung des Museum liegt in seinen Dingen

Museen pflegen häufig ein verdinglichtes und fetischisierendes Verhältnis zu den Dingen und auch dem Besucher scheint es selbstverständlich, daß er Objekten begegnet, deren „Blick“ er sucht. Aber Musealien sind als Medien interessant, als Ver/Mittler, als Trägerinnen von Bedeutungen, als Spuren, als Indizien, als Zeugnis, als identitätsbedeutsame also „gegenständige“ Dinge. Kurzum, sie weisen immer über sich hinaus, auf etwas, was nie restlos eingelöst, beantwortet werden kann und was unser Begehren nach ihnen aufrecht hält.
Museen die bloß die Materialität der Dinge und die Sorge um sie (das Depot, die Restaurierwerkstatt, die Konservierung) und nicht ihre Medialität interessieren, drohen ihre Adressaten aus dem Blick zu verlieren, die Besucher, das Publikum und damit ihre Bildungsaufgabe.


07 Das Museum benötigt Vermittler und Vermittlung

Seit es Sammlungen gibt, gibt es Personen, die Erläuterungen geben, Informationen anbieten, mit Besuchern über die Dinge und ihre Bedeutung sprechen. Das war zuerst der Sammler selbst oder eine von ihm beauftragte Person - ein Gelehrter, ein höfischer Bedienter, der Eigentümer einer Sammlung. Einen eigenen Namen „Vermittlung“ hatte das sehr lange Zeit nicht. Denn Vermittlung war integrierter Teil der repräsentativen oder wissenschaftlichen Funktion einer Sammlung. Die Ausdifferenzierung von etwas, was als pädagogische, lehrhafte Vermittlung gelten kann, scheint gegen Ende des 19.Jahrhunderts stattgefunden zu haben, um 1920 taucht dafür der Begriff Museumspädagogik auf, die (im deutschsprachigen Raum) seit den 1970er-Jahren zu einer eigenständigen auch institutionell-organisatorisch ausdifferenzierten Aufgabe mit einschlägigem Personal wird.
Die Notwendigkeit, eine Sammlung, Museumsexponate zu erklären, setzt aber früher ein, mit der Museumspraxis der Moderne. Denn es stellt sich ein neues Problem: Dinge, die ins Museum kommen, machen einen Bedeutungs- und Funktionswandel durch. Gegenstände verlieren ihren funktionalen und symbolischen Gebrauch. Sie werden tendenziell unverständlich, „fremd“ und daher interpretationsbedürftig.
Allerdings stellt das Museum durch seine Ordnungs- und Zeigetechniken neue Bedeutungen und damit neue Verständnisweisen her. Das Museum wendet sich, anders als die – fast ausnahmslos privaten - Sammlungen zuvor idealerweise in Bildungsabsicht an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das verschärft erst recht das Vermittlungsproblem und macht Texte, Labels, Kataloge, mündliche Erläuterungen, Raumbeschriftungen und anderes mehr notwendig. Anders gesagt: das Museum, genauer gesagt sein Medium, die Ausstellung ist ab jetzt Vermittlung. Es braucht eigentlich Vermittler und Vermittlung nicht auch noch zusätzlich, auch im Kino, vor dem Fernseher oder im Theater hilft uns niemand zu verstehen, was wir sehen und hören.


08 Das Museum hat es mit Vergangenheit und Erinnerung zu tun

Ein Gemeinplatz besagt, daß Dinge, die in eine Museumssammlung aufgenommen werden, ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion mehr oder weniger vollständig verlieren. Man sieht es daher als Aufgabe des Ausstellers an, den ehemaligen Kontext so weit es möglich ist zu rekonstruieren oder einen neuen herzustellen, der dem Objekt dann auch neue Bedeutungen verleiht und u.U. der Tatsache gerecht wird, daß einmal ihrer alten Bedeutungen entkleidete Dinge dann im der Museumsausstellung eine kaum noch überschaubare Vielfalt an Bedeutungen annehmen können.
Es gibt dabei einen praktischen und einen geschichtstheoretischen Aspekt. Praktisch stellt sich das unlösbare Problem, ehemalige Bedeutungen und Funktionen zu rekonstruieren, erst recht vollständig. Texte, die ein Gemälde umfassend erläutern oder ein technisches Gerät verständlich erklären, sind in aller Regel gar nicht denkbar und auch komplexere Anordnung unter Einbeziehung vieler Medien, reichen im Grunde nie.
Geschichtstheoretisch stellt die Entkontextualisierung der Dinge eine viel folgenreichere Frage: ist eine auch nur annähernde, teilweise „Rekonstruktion“ von Dingbedeutungen überhaupt denkbar?
Der Philosoph Joachim Ritter hat das Problem so zugespitzt, daß er Musealisierung als etwas Irreversibles auffasste, als einen Prozess, in dem es zu einem so grundlegenden Wandel der Dinge kommt, daß sie, wie er es formuliert, „ihr reales Nichtsein“ hinter sich lassen. Und damit gewissermaßen ihr eigenes Vergessen. In ihrer ursprünglichen Funktion verschwinden sie. Hätte er in aller Konsequenz recht, dann wären wir und das Museum, das diese Transformation ja mit erzeugt, vertieft und beschleunigt, von der Erinnerung abgeschnitten, was die Dinge einmal waren. Erinnerung wäre nur so weit möglich, als es uns gelänge, ursprüngliche Bedeutungen zu rekonstruieren. Anders formuliert: Im und durch das Museum wird wohl ebenso vergessen, wie erinnert wird.


09 Das Museum stiftet Identität

Wenig hört man so oft wie daß Museen Identität stiften. Namentlich in der Museumspädagogik oder -vermittlung ist es eines der höchsten Ziele, dazu beizutragen, Identität zu verschaffen, herzustellen, zu „bringen“. Identität wird dabei oft als etwas Feststellbares, als einmal vermeintlich gelungen dann auch Unverwechselbares und Unveränderbares verstanden. Dem scheint das Museum mit der scheinbar unveränderlichen Materialität der Dinge entgegenzukommen. Objekte scheinen Objektivität zu verbürgen, denn sind sie in ihrer präsenten Materialität nicht, was sie sind?
Doch Identität ist immer etwas, was ein Gegenüber benötigt, ein Anderes, ein Spiel des Ab- und Ausgegrenzens. Erst an dem - wie immer beschaffenen - „Gegenüber“ kann sich ein Ich oder Wir erst bilden. Identität ist reflexiv, sie ist eine Erfahrung von Differenz, sie ist im Fluß, sie ist gefährdet, fragwürdig, vorläufig, nie sicher.
Museen, Dinge, stiften nicht Identität aber sie sind identitätsbedeutsam. Sie ermöglichen z.B. eine angstfreie, gefahrlose Konfrontation mit dem Anderen. Insofern haben sie es tatsächlich mit Identität zu tun. Aber das nie als etwas Endgültig, Abgeschlossenes.
Identität kann nicht gestiftet oder beigebracht werden, denn sie vollzieht sich als Prozess, als "fortlaufendes Aushandeln einer Selbstdefinition" (Jörn Rüsen). Das Museum könnte die eminent politische Aufgabe wahrnehmen, Identität in Form "narrativer Kompetenz" (Jörn Rüsen), als Inbegriff historischer Lernfähigkeit auszubilden, die die Wechselbeziehung von Ich, Gruppe (Gesellschaft, Nation) und Vergangenheit zum Thema hat.


10 Das Museum ist öffentlich

Zu den beliebten Adjektiven, die man dem Wort Museum hinzufügt, gehört „öffentlich“. Gemeint ist damit sehr oft, daß es zugänglich ist, daß man es ohne besondere Umstände nutzen kann. Aber was heißt schon zugänglich? Wenn zwei oder wenn hundert oder alle etwas betreten, aufsuchen, nutzen können? Und was ist warum nicht zugänglich?
Sinnvoller ist da eine andere Unterscheidung, nämlich die von privat und öffentlich. Das Sammeln kulturell als bedeutungsvoll eingeschätzter Dinge, das im mediterranen Raum im 15.Jahrhundert einsetzt, ist strikt privat. Und Sammeln und Sammlungen bleiben das auch bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts exklusiv. Ab dann steht das von der „öffentlichen Hand“ (Staat, Land, Region, Gemeinde) finanziell und verwaltungstechnisch getragene und verwaltete Museum neben den weiterhin privaten Sammlungen.
War es bei privaten Sammlungen der Besitzer, der entschied ob er Besucher zuließ oder nicht, so sind staatliche Sammlungen und Museen in dem Sinn öffentlich, weil sie Einrichtungen des Wohlfahrtstaates sind und niemand vom Nutzen und Genuß einer solchen Institution ausgeschlossen werden darf. Daß das dennoch der Fall ist, habe ich schon erwähnt. Zugänglichkeit ist also kein Selbstzweck, sondern, noch dazu als uneingeschränkt gedachte, ein Mittel die Ziele des Museums zu erreichen. Dazu bedarf es aber noch einer anderen Öffentlichkeit, nämlich eines Diskurses, an dem im Prinzip alle beteiligt sein sollten, gleichberechtigt und sich wechselseitig anerkennend, in Freiheit sich austauschen könnend. Das wird aber nicht durch bloße Zugänglichkeit hergestellt, sondern im Museum durch eine Arbeit, die ihre Besucher und Benutzer als auch politische Subjekte anerkennt, die ihre Interessen unter anderem im Medium Museum ausbilden und artikulieren. Über die Qualität dieser Öffentlichkeit entscheidet nicht die Zahl der Besuche(r), eine Zahl, die so gut wie nichts über die Qualität eines Museums aussagt, sondern allein die Qualität des Diskurses.

11 Museen sind professionell

Man neigt oft dazu Museen in (große) professionelle und (kleinere) nichtprofessienelle zu unterscheiden. Diese grobe Unterscheidung hat viel mit der fachwissenschaftlichen Basis zu tun. Große Institutionen haben fachlich ausgebildetes Personal zur Verfügung (Kuratoren, Restauratoren, Personen, die bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing ausgebildet sind u.a.m. Gestalterische Kompetenz, können sich sehr viele Museen schlicht nicht leisten.
Eine brauchbare Unterscheidungsmöglichkeit ist das nicht, denn den meisten Museen fehlt es an  Professionalität. Denn der Schlüsselberuf des Kurators kennt so gut wie keine berufliche Ausbildung. Wenngleich in erster Linie für KunstkuratorInnen inzwischen viele Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen, gilt auch für diesen Museumstyp und noch viel mehr für (kultur)historische Museen, daß es an einer Ausbildung als Kriterium der Anstellung (in vielen Ländern) fehlt. Meist genügt die fachlich-akademische Ausbildung für den Schlüsselberuf des Museums: Kurator.
Ich erläutere das an einem Beispiel: Ein Hautarzt, der zum Leiter eines großen Spitals ernannt wird, besitzt wohl kaum sofort Leitungskompetenzen (Finanzierung, Organisation, Personalpolitik usw.). Aber er hat in seinem Fachgebiet eine lange Ausbildung hinter sich, ohne die er nicht angestellt worden wäre. Ein Kurator für provinzialrömische Archäologie, der Museumsleiter wird, hat, wie der Arzt, wohl kaum einschlägige Erfahrung mit der Leitung einer Organisation. Aber er hat normalerweise überhaupt keine Ausbildung für die Kernkompetenzen seiner Museumsarbeit. Für das Ausstellen, Projektmanagement, Texte verfassen, Vermittlungskonzepte erstellen, den Einsatz neuer Medien u.v.a.m. hilft ihm seine fachwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nichts. Es gibt kaum einen Beruf, bei dem die spezifische Qualifikation dermaßen vernachläßigbar zu sein scheint. Noch dazu genau in den Rollen - Leitung und Kuratoren -, wo diese Kompetenz am wichtigsten wäre.

12 Museen sind fraglos anerkannt

Ja, das sind sie. Und das ist erstaunlich. Wir treffen doch immer eine qualitative Unterscheidung, egal ob wir uns einen Film ansehen, ein Buch lesen, ein Restaurant besuchen usw. Nur Museen sind alle „gut“? Das ist schon erstaunlich und eigentlich ein Indiz einer fast unglaublichen Erfolgsgeschichte. Wenn im nationalen Maßstab freier Eintritt gewährt wird oder, wie in Österreich, Jugendlichen, dann hat das eine selbstverständliche und uneingeschränkte Wertschätzung zur Voraussetzung.
Nur in der Alltagssprache bekommt diese Wertschätzung Risse. Dass etwas museal sei ist kein schwacher Vorwurf und Adornos Wort Erbbegräbnis für Museum ist nicht viel freundlicher. Hat je jemand versucht ein Museum zu besetzen oder niederzubrennen? Selten. Aber in der Pariser Commune wurde es versucht, Ziel wurden dann „nur“ die Tuilerien. Aber angedacht wurde de Brandstiftung schon zuvor, als Attacke auf eine überholte Institution im Namen der Avantgarde. Den museoklastischen Akt wiederholten dann die Italienischen Futuristen – auf dem Papier. Heute scheinen alle Avantgarden erfolgreich eingemeindet und es ist auffallend, daß selbst die rabiatesten TheoretikerInnen des radikalen, postkolonialen usw. Museums sich nicht von Namen und Institution verabschieden wollen.
Der intakte „gute Ruf“ des Museums hat vor allem mit dem Mangel an Vorstellungsvermögen und Kritikfähigkeit zu tun, vielleicht auch mit der in diesem Feld noch intakten kulturellen Hegemonie der „Eingeborenen der Bildungselite“ (Bourdieu). Keine Frage, daß es „schlechte“ Museen gibt. Das interessiert nur kaum jemand. Museumskritik wird jenseits der Wahrnehmung von Museen betrieben, sie erreicht die Institution kaum. Vielleicht erleben wir ja grade einen Wandel angesichts der Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Da wird das koloniale Erbe so sehr zum Problem, daß die Gewaltförmigkeit des Erbens und die triumphalistische eurozentristische, partiell neokoloniale und rassistische Politik vieler Museen plötzlich zum Gegenstand breiter öffentlicher Diskussionen. Und das weit über Deutschland hinaus und so nachhaltig, daß der Französiche Präsident pauschal die Rückgabe allen Unrechtsbesitzes ankündigt.   
Könnte es sein, daß der oft zitierte Satz Walter Benjamins nun auch in die Aufmerksamkeit der Museen und der Museumsbesucher rückt? „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“ Das muß nicht das Ende des Museums bedeuten. Vielleicht ist es der zweite Anfang.


Mittwoch, 24. Januar 2018

Geschichtsschreibung auf Niederösterreichisch. Das "Haus der Geschichte" in St. Pölten

Vor einer Woche erschien im FALTER  (Nr.3/18 vom 17.3.2018)mein Text zum "Haus der Geschichte" in St. Pölten, unter dem Titel "Gulasch ohne Saft" - ein Zitat eines niederösterreichischen Landeshauptmannes aus der Ausstellung. Ich stelle den Text nun hier, ergänzt um einige Bilder, online.


Als kürzlich Franz Fischler in einem Zeitungsartikel für ein Ernstnehmen des Wiener Hauses der Geschichte Österreich argumentierte und dessen Emanzipation aus einem fragilen Provisorium forderte, erwähnte er mit keinem Wort das bereits existierende Museum in St. Pölten.
Dabei beansprucht dieses, die Geschichte Niederösterreichs eingebettet in die Österreichs und Zentraleuropas darzustellen, während man sich Wien erst einmal mit einer Ausstellung von der Republikgründung 1918 bis zur Gegenwart begnügen muss. In St.Pölten kokettiert man mit dem Adjektiv „erstes Geschichtsmuseum Österreichs“.
Ein erster, sehr ausführlicher Besuch zeigt, dass der Anspruch auf Repräsentation der Geschichte des ganzen Landes schon auf Grund der auf Niederösterreich zugeschnittenen Sammlung nicht eingelöst wird. Die Ausstellung bleibt am Anfang sehr kursorisch und wird in viele Themen aufgesplittert, die als einzelne durchaus interessant gewählt sein können, aber es dem Besucher erschweren, Strukturen herauszulesen. Erst mit der Aufklärung setzt eine Verdichtung ein, die im Abschnitt zum eher knapp abgehandelten Ersten und breit dargestellten Zweiten Weltkrieg zu einer überproportional breiten Darstellung wird.


Überaus befremdlich ist dort das Motto „Gleichschritt“, das nicht als Kennzeichnung einer militärischen Marschordnung dient, sondern als Gleichsetzung des NS-Terrorsystems mit dem der stalinistischen Sowjetunion benutzt wird. Mehrere Texte behaupten diese Identität und eine riesige Grafik an der Wand versammelt in ein- und demselben Rot markiert alle nur erdenklichen Lager. Die Botschaft ist klar: es gab nur einen Terror.
Was in den Wissenschaften verantwortungsbewusst und differenziert diskutiert wird, tritt hier als Tatsache auf. Es bleibt überdies unklar, was diese fragwürdige Gleichsetzung zur Erhellung der (Nieder)Österreichischen Geschichte beiträgt? Oder geht es nur um die Relativierung des Nationalsozialismus?

Mit dem Weltkrieg und einem kurzen Exkurs zu unmittelbaren Nachkriegszeit bricht die Ausstellung überraschend ab, um in einen ganz anderen Modus zu wechseln. Den der unverblümten (partei)politischen Sicht auf die Zeit nach 1955. Auf das Trauma der Weltkriege folgt der Triumph der Moderne, aber in exquisiter niederösterreichischer Tracht. Der in den Landesfarben blau-gelb gehaltene Saal - unter demTitel „Niederösterreich im Wandel“ - würdigt in Wort und Text die Heroen der Österreichischen Volkspartei, so sie aus Niederösterreich kamen. Leopold Figl und Julius Raab gleich in einer Art von Triumphallee doppelt, jeweils in Gemälden und Skulpturen und einander gegenüber platziert, so dass ein Fluchtpunkt mit dem Gemälde der Unterzeichnung des Staatsvertrags gebildet wird. Später werden wir Alois Mock begegnen, in Form  profaner Reliquien (seinem Mantel und dem Hebelschneider vom Durchtrennen des Grenzzauns zu Ungarn). Erwin Pröll überlebensgroß und, als jüngstem Schaustück, noch einmal auf einem Foto mit der jetzigen Landeshauptfrau bei der Machtübergabe. Über allem schweben Politikersätze anderer Landeshauptleute in Leuchtschrift wie: „Ein Land ohne Hauptstadt, ist wie ein Gulasch ohne Saft“ (Siegfried Ludwig).

Die parteipolitische Penetranz, die hier regiert, ist in der Gründung des Museums verankert. Die lange Jahre dauernde Debatte über ein Republikmuseum nützte Erwin Pröll geschickt, um das Projekt nach Niederösterreich zu holen und die “Verantwortung” für Österreichs erstes Geschichtsmuseum an sich zu ziehen. Die parteipolitische Färbung findet sich nicht bloß im erwähnten Abschnitt, sie bildet eine subkutane Struktur des Museums, insofern mit der Erinnerung an die vermeintliche “Bollwerkfunktion” des “Kernlandes” Niederösterreich an ideologische Versatzstücke erinnert werden, die, und das habe ich in einer Diskussion des Ausstellungsteams an der Uni Graz erfahren, seinerzeit in der Parteileitung der ÖVP entwickelt wurden. Wie auch die nach dem Beitritt Österreichs zur EU modernisierte Selbstdefinition als “Brücke”. „Brücken bauen", so ist denn auch der letzte Ausstellungsteil benannt.


Methodisch begehen die Ausstellungsmacher ausgetretene Pfade. Träger der Informationen sind überwiegend die Texte, Objekte erscheinen illustrativ, wie Alibis, aber werden ihrem ästhetischen Eigensinn kaum genutzt. Da leiht man sich eine zeitgenössische Darstellung der Menschenrechte vom Pariser Musée Carnavalet, aber versteckt sie regelrecht unter anderen Objekten, lässt diesen Gründungstext Europas unübersetzt und macht auch sonst nirgendwo klar, welche epochale Zäsur das Zeitalter der Aufklärung bedeutet.
Ausstellungen sollten Deutungsangebote sein, bei denen die Autorschaft und der Standpunkt der Autoren ausgewiesen ist. Nichts davon findet man hier, eine Anonymisierung der Sprecherposition - „was will das Haus der Geschichte?“ (Abschnitt 01) - das fragt uns eigentlich wer? Eine verdinglichte Sprache riegelt die Informationen und Aussagen weitgehend gegen Interpretation durch den Besucher ab. Vieles wird als abgeschlossene Tatsache, also als Sachwissen vermittelt, wo eigentlich Reflexionswissen gefragt wäre. Methodisch ist das folgenreich, denn diese positivistische Informativität über eine wie abgeschlossen erzählte Vergangenheit hindert den Besucher daran, Verknüpfungen zur Gegenwart zu finden. So stammt das jüngste Objekt zu „Überwachung“ aus den 30er-Jahren. Der naheliegende Anschluss mit der brisanten Gegenwartsentwicklung wird erst gar nicht versucht.

Dazu kommt, dass die Konzentration auf Niederösterreich in der Darstellung der Zweiten Republik, ein weiteres Hindernis ist, die vorhergehenden zeitlichen Etappen der mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und so über die Erfahrung von Zeitdifferenz Orientierungs- und Reflexionswissen zu gewinnen. Erst das machte Probleme der Gegenwart - Sozialabbau, Gefährdung demokratischer Errungenschaften, Rechtsradikalismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit u.a.m. verständlicher.
Denn wie könnte ein österreichisches Museum, ein “Nationalmuseum” gar?, uns denn anders gelegen kommen, wenn nicht als ein entschieden diskursiver, demokratischer, Gegenwart aufklärender Ort, an dem wir begreifen dass und wie Vergangenheit jetzt wirkt und wie wir vernünftig gesellschaftlich handeln können und wollen.

Das verweigert uns das Museum und auch die Antwort auf die Frage, warum immer alles so gekommen ist, wie es keiner wollte. Wozu braucht also wer dieses Museum?


Samstag, 19. April 2014

Ottomanisches Revival oder: Das Museum als nationale Bundeslade








Das Panorama schien ein Medium des 19. Jahrhunderts zu sein, aber in vielen, vor allem jungen gationalstaaten, hat man es als Medium der Selbstdarstellung und Identifizierung wiederentdeckt. Ein Beispiel dafür ist das erst 2009 eröffnete "Panorama 1453 Historisches Museum" in Istanbul. Das in beachtlich illusionistischer Qualität gemalte Rundgemälde stellt die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmet II. dar, also den welthistorischen Augenblick des Falls des Byzantinischen Reiches unter dem Ansturm ottomanischer Truppen. Das Gemälde zeigt den turning point des Angriffs - den Einbruch der Angreifer durch die mit Hilfe riesiger Kanonen Sturmtief geschossene Befestigung. 
Es ist das erste Rundgemälde, das ich gesehen habe, das mit martialischen Kampfegeräuschen untermalt ist, mit Militärmusik, Geschrei, Zischen, Krachen und dem Wummern der schweren Kanonen. Anders als fragmentierte Museumsszeneroen bietet ein Panorama ein buchstäblich immersives Erlebnis, eine Art "Totalerfahrung", bei der die relative Primitivität des Mediums keine Rolle zu spielen scheint, deren pädagogischer Mehrwert aber um so mehr. Der Großteil der Besucher des 1453-Panorams waren denn auch Kinder und Jugendliche, in Gruppen, vermutlich Schulklassen. Wobei ich nicht so sicher bin, ob der ideologische Zweck hier wirklich durchschlagend ist. Der Modus, in dem die Kids das historisch-gloriose Getümmel wahrnehmen, ist der Handy-Snapshot, bei dem das staatstragenden Ereignis zum Hintergrund wird für Freund oder Freundin.
Ministerpräsident Erdogan betreibt eine historisierende Retropolitik, womit er im Gezipark eine mittlere Staatskrise ausgelöst hat. Zu dieser Politik gehört wohl auch dieses sonderbare "patriotische" Museum.