Montag, 4. Juni 2018

Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen


Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen

Erweiterte Fassung des in Neues Museum erschienen Textes


01 Das Museum ist für alle da

Nein, ist es nicht. Ausgeschlossen sind alle, die auf Grund ihrer mangelnden Bildung und Ausbildung und ihres sozialen Status nicht nur keinen Zugang zum Museum haben sondern auch gar keinen suchen. Weil das, was sie in Museen vorfinden könnten, mit ihrer Lebenswelt nichts oder viel zu wenig zu tun hat. Sie verbinden mit Museen keinerlei Vorstellung eines Wertes oder Gewinns, in welcher Hinsicht auch immer. So um 50% einer Bevölkerung eines Landes sind keine Museumsbesucher und für einzelne Städte gibt es Statistiken die bis zu 80% ihrer Bewohner als Museumsverweigerer ausweisen. Es sind die Museen selbst, die die soziale Diskriminierung  erzeugen - gestützt auf ein Schul- und Bildungssystem, das soziale Unterscheidung früh wie etwas Naturgegebenes festlegt.


02 Das Museum sollte für alle da sein

Nur wenn Museen die Tatsache verdrängen, daß sie sozial und bildungspolitisch diskriminieren, ausschließen, können sie den Anspruch erheben für alle da und auch für alle verbindlich zu sein. Wissen und Interessen einer Minderheit werden als allgemein gültig ausgegeben. Deshalb sind Museen Produzenten kultureller Hegemonie. Sie tragen dazu beitragen, daß partikulare Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen wahrgenommen und durchzusetzbar werden. Kulturelle Hegemonie sichert politische Herrschaft, und das ohne Zwang. Die Forderung nach dem „Museum für alle“ ist daher eine politisch unreflektiert der Ruf nach Vertiefung und Ausweitung hegemonialer Praktiken.


03 Das Museum ist demokratisch

Da es normalerweise keinen formellen Ausschluß für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, da es also im Prinzip für jedermann zugänglich ist (so wie z.B. Verkehrsmittel, Gesundheitseinrichtungen, Parkanlagen oder Sportveranstultengen), gilt das Museum auch als demokratisch. Wir würden aber wohl kaum auf die Idee kommen, die staatliche Eisenbahn oder das öffentliche Gesundheitswesen allein deswegen als demokratisch bezeichnen, weil jedermann daraus Nutzen ziehen kann.
Das Museum wäre nur dann demokratisch, wenn es tatsächlich alle sozialen Schichten einer Gesellschaft ansprechen könnte und wollte und wenn es Verfahren der Teilhabe und der Kommunikation anbieten würde, die das Adjektiv demokratisch verdienten. Das wäre das anspruchsvolle Vorhaben eine egalitäre Beteiligung unter Achtung und Anerkennung der Interessen einer großen Zahl von Menschen herzustellen. Das Museum wäre dann eine Institution unter anderen, die eine vernünftige Teilhabe an „unseren“, das heißt den öffentlichen Angelegenheiten ermöglichte. Und insofern wäre es ein Ort des Politischen, wenn es dazu beitragen würde, „uns“ (die Staatsbürger“) so zu aktiven, daß wir uns als um das Gemeinwohl bemühte und besorgte Staatbürgern weiterentwickeln würden. In Zeiten gefährdeter Demokratie könnte das Museum eine wichtige informative und diskursive Rolle spielen. Dabei ginge es auch um entsprechende Inhalte, vor allem aber um Entwicklung unterschiedlicher Formen von Öffentlichkeit.


04 Das Museum ist eine wissenschaftliche Einrichtung

Museen gelten als wissenschaftlich, weil sie sich auf fachwissenschaftliche Forschung stützen, im Naturmuseum auf etwa Zoologie, Botanik, im Kunstmuseum Kunstgeschichte und Archäologie usw. Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit von Museen, die entsprechendes Personal und einschlägige Ressourcen haben. Und es ist die Frage, welchen Stellenwert Forschung für das Ausstellen oder das Sammeln hat, ob sie Wissen generiert, das Besuchern vermittelt wird oder in die alltägliche Arbeit des Museums eingeht.
Wissenschaftlich ist das Museum gerade dort nicht, wo es um seine essentielle Aufgabe geht - um die Vermittlung im weitesten Sinn. Denn das Medium Ausstellung, ein Hybrid aus vielen Medien wie Text, Objekt, Bild, Fotografie, Computer, Film usw., entzieht sich der Verwissenschaftlichung. Es ist eine von Fall zu Fall immer neu zu erfindende Mischform aus ästhetischer, fachwissenschaftlicher, museologischer, museumspraktischer oder auch sozialer Kompetenz. Last but not least: Das museologische Reflexionswissen ist sogar so gut wie gar nicht in den Museen angekommen.


05 Das Museum ist wichtig, ja es ist mehr als das - es ist unverzichtbar

Museen haben einen sehr guten Ruf, sie gelten als Leuchttürme der Kultiviertheit von Nationen und Gesellschaften, sie werden durch exquisite und aufwändige Architekturen zu Landmarks im urbanen Raum, sie sind wichtige touristische Destinationen und sie können in der Konkurrenz von Ländern untereinander zu symbolischen Spielmarken werden. Also sind sie wichtig. Sind sie das? Der US-Amerikanische Museumsleiter und Museologe Stephen Weil hat eine Reihe wunderbarer, kurzer Texte verfasst, mit denen wir unsere Urteile und Vorurteile übers Museum befragen und testen können. Eine seiner Parabeln fasse ich in einer einzigen Frage zusammen: Stellen Sie sich zwei Welten vor. Auf der einen gibt es Museen, auf der anderen nicht. Worin wird der Unterschied liegen? Oder sie stellen sich die Frage anders - in Form eines dystopischen Hollywood-Blockbusters: uns nicht sonderlich wohlgesonnene extraterrestrische und von der Lektüre des Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gründlich verdorbene Wesen lassen über Nacht die Museen verschwinden. Was passiert dann?


06 Die Daseinsberechtigung des Museum liegt in seinen Dingen

Museen pflegen häufig ein verdinglichtes und fetischisierendes Verhältnis zu den Dingen und auch dem Besucher scheint es selbstverständlich, daß er Objekten begegnet, deren „Blick“ er sucht. Aber Musealien sind als Medien interessant, als Ver/Mittler, als Trägerinnen von Bedeutungen, als Spuren, als Indizien, als Zeugnis, als identitätsbedeutsame also „gegenständige“ Dinge. Kurzum, sie weisen immer über sich hinaus, auf etwas, was nie restlos eingelöst, beantwortet werden kann und was unser Begehren nach ihnen aufrecht hält.
Museen die bloß die Materialität der Dinge und die Sorge um sie (das Depot, die Restaurierwerkstatt, die Konservierung) und nicht ihre Medialität interessieren, drohen ihre Adressaten aus dem Blick zu verlieren, die Besucher, das Publikum und damit ihre Bildungsaufgabe.


07 Das Museum benötigt Vermittler und Vermittlung

Seit es Sammlungen gibt, gibt es Personen, die Erläuterungen geben, Informationen anbieten, mit Besuchern über die Dinge und ihre Bedeutung sprechen. Das war zuerst der Sammler selbst oder eine von ihm beauftragte Person - ein Gelehrter, ein höfischer Bedienter, der Eigentümer einer Sammlung. Einen eigenen Namen „Vermittlung“ hatte das sehr lange Zeit nicht. Denn Vermittlung war integrierter Teil der repräsentativen oder wissenschaftlichen Funktion einer Sammlung. Die Ausdifferenzierung von etwas, was als pädagogische, lehrhafte Vermittlung gelten kann, scheint gegen Ende des 19.Jahrhunderts stattgefunden zu haben, um 1920 taucht dafür der Begriff Museumspädagogik auf, die (im deutschsprachigen Raum) seit den 1970er-Jahren zu einer eigenständigen auch institutionell-organisatorisch ausdifferenzierten Aufgabe mit einschlägigem Personal wird.
Die Notwendigkeit, eine Sammlung, Museumsexponate zu erklären, setzt aber früher ein, mit der Museumspraxis der Moderne. Denn es stellt sich ein neues Problem: Dinge, die ins Museum kommen, machen einen Bedeutungs- und Funktionswandel durch. Gegenstände verlieren ihren funktionalen und symbolischen Gebrauch. Sie werden tendenziell unverständlich, „fremd“ und daher interpretationsbedürftig.
Allerdings stellt das Museum durch seine Ordnungs- und Zeigetechniken neue Bedeutungen und damit neue Verständnisweisen her. Das Museum wendet sich, anders als die – fast ausnahmslos privaten - Sammlungen zuvor idealerweise in Bildungsabsicht an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das verschärft erst recht das Vermittlungsproblem und macht Texte, Labels, Kataloge, mündliche Erläuterungen, Raumbeschriftungen und anderes mehr notwendig. Anders gesagt: das Museum, genauer gesagt sein Medium, die Ausstellung ist ab jetzt Vermittlung. Es braucht eigentlich Vermittler und Vermittlung nicht auch noch zusätzlich, auch im Kino, vor dem Fernseher oder im Theater hilft uns niemand zu verstehen, was wir sehen und hören.


08 Das Museum hat es mit Vergangenheit und Erinnerung zu tun

Ein Gemeinplatz besagt, daß Dinge, die in eine Museumssammlung aufgenommen werden, ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion mehr oder weniger vollständig verlieren. Man sieht es daher als Aufgabe des Ausstellers an, den ehemaligen Kontext so weit es möglich ist zu rekonstruieren oder einen neuen herzustellen, der dem Objekt dann auch neue Bedeutungen verleiht und u.U. der Tatsache gerecht wird, daß einmal ihrer alten Bedeutungen entkleidete Dinge dann im der Museumsausstellung eine kaum noch überschaubare Vielfalt an Bedeutungen annehmen können.
Es gibt dabei einen praktischen und einen geschichtstheoretischen Aspekt. Praktisch stellt sich das unlösbare Problem, ehemalige Bedeutungen und Funktionen zu rekonstruieren, erst recht vollständig. Texte, die ein Gemälde umfassend erläutern oder ein technisches Gerät verständlich erklären, sind in aller Regel gar nicht denkbar und auch komplexere Anordnung unter Einbeziehung vieler Medien, reichen im Grunde nie.
Geschichtstheoretisch stellt die Entkontextualisierung der Dinge eine viel folgenreichere Frage: ist eine auch nur annähernde, teilweise „Rekonstruktion“ von Dingbedeutungen überhaupt denkbar?
Der Philosoph Joachim Ritter hat das Problem so zugespitzt, daß er Musealisierung als etwas Irreversibles auffasste, als einen Prozess, in dem es zu einem so grundlegenden Wandel der Dinge kommt, daß sie, wie er es formuliert, „ihr reales Nichtsein“ hinter sich lassen. Und damit gewissermaßen ihr eigenes Vergessen. In ihrer ursprünglichen Funktion verschwinden sie. Hätte er in aller Konsequenz recht, dann wären wir und das Museum, das diese Transformation ja mit erzeugt, vertieft und beschleunigt, von der Erinnerung abgeschnitten, was die Dinge einmal waren. Erinnerung wäre nur so weit möglich, als es uns gelänge, ursprüngliche Bedeutungen zu rekonstruieren. Anders formuliert: Im und durch das Museum wird wohl ebenso vergessen, wie erinnert wird.


09 Das Museum stiftet Identität

Wenig hört man so oft wie daß Museen Identität stiften. Namentlich in der Museumspädagogik oder -vermittlung ist es eines der höchsten Ziele, dazu beizutragen, Identität zu verschaffen, herzustellen, zu „bringen“. Identität wird dabei oft als etwas Feststellbares, als einmal vermeintlich gelungen dann auch Unverwechselbares und Unveränderbares verstanden. Dem scheint das Museum mit der scheinbar unveränderlichen Materialität der Dinge entgegenzukommen. Objekte scheinen Objektivität zu verbürgen, denn sind sie in ihrer präsenten Materialität nicht, was sie sind?
Doch Identität ist immer etwas, was ein Gegenüber benötigt, ein Anderes, ein Spiel des Ab- und Ausgegrenzens. Erst an dem - wie immer beschaffenen - „Gegenüber“ kann sich ein Ich oder Wir erst bilden. Identität ist reflexiv, sie ist eine Erfahrung von Differenz, sie ist im Fluß, sie ist gefährdet, fragwürdig, vorläufig, nie sicher.
Museen, Dinge, stiften nicht Identität aber sie sind identitätsbedeutsam. Sie ermöglichen z.B. eine angstfreie, gefahrlose Konfrontation mit dem Anderen. Insofern haben sie es tatsächlich mit Identität zu tun. Aber das nie als etwas Endgültig, Abgeschlossenes.
Identität kann nicht gestiftet oder beigebracht werden, denn sie vollzieht sich als Prozess, als "fortlaufendes Aushandeln einer Selbstdefinition" (Jörn Rüsen). Das Museum könnte die eminent politische Aufgabe wahrnehmen, Identität in Form "narrativer Kompetenz" (Jörn Rüsen), als Inbegriff historischer Lernfähigkeit auszubilden, die die Wechselbeziehung von Ich, Gruppe (Gesellschaft, Nation) und Vergangenheit zum Thema hat.


10 Das Museum ist öffentlich

Zu den beliebten Adjektiven, die man dem Wort Museum hinzufügt, gehört „öffentlich“. Gemeint ist damit sehr oft, daß es zugänglich ist, daß man es ohne besondere Umstände nutzen kann. Aber was heißt schon zugänglich? Wenn zwei oder wenn hundert oder alle etwas betreten, aufsuchen, nutzen können? Und was ist warum nicht zugänglich?
Sinnvoller ist da eine andere Unterscheidung, nämlich die von privat und öffentlich. Das Sammeln kulturell als bedeutungsvoll eingeschätzter Dinge, das im mediterranen Raum im 15.Jahrhundert einsetzt, ist strikt privat. Und Sammeln und Sammlungen bleiben das auch bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts exklusiv. Ab dann steht das von der „öffentlichen Hand“ (Staat, Land, Region, Gemeinde) finanziell und verwaltungstechnisch getragene und verwaltete Museum neben den weiterhin privaten Sammlungen.
War es bei privaten Sammlungen der Besitzer, der entschied ob er Besucher zuließ oder nicht, so sind staatliche Sammlungen und Museen in dem Sinn öffentlich, weil sie Einrichtungen des Wohlfahrtstaates sind und niemand vom Nutzen und Genuß einer solchen Institution ausgeschlossen werden darf. Daß das dennoch der Fall ist, habe ich schon erwähnt. Zugänglichkeit ist also kein Selbstzweck, sondern, noch dazu als uneingeschränkt gedachte, ein Mittel die Ziele des Museums zu erreichen. Dazu bedarf es aber noch einer anderen Öffentlichkeit, nämlich eines Diskurses, an dem im Prinzip alle beteiligt sein sollten, gleichberechtigt und sich wechselseitig anerkennend, in Freiheit sich austauschen könnend. Das wird aber nicht durch bloße Zugänglichkeit hergestellt, sondern im Museum durch eine Arbeit, die ihre Besucher und Benutzer als auch politische Subjekte anerkennt, die ihre Interessen unter anderem im Medium Museum ausbilden und artikulieren. Über die Qualität dieser Öffentlichkeit entscheidet nicht die Zahl der Besuche(r), eine Zahl, die so gut wie nichts über die Qualität eines Museums aussagt, sondern allein die Qualität des Diskurses.

11 Museen sind professionell

Man neigt oft dazu Museen in (große) professionelle und (kleinere) nichtprofessienelle zu unterscheiden. Diese grobe Unterscheidung hat viel mit der fachwissenschaftlichen Basis zu tun. Große Institutionen haben fachlich ausgebildetes Personal zur Verfügung (Kuratoren, Restauratoren, Personen, die bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing ausgebildet sind u.a.m. Gestalterische Kompetenz, können sich sehr viele Museen schlicht nicht leisten.
Eine brauchbare Unterscheidungsmöglichkeit ist das nicht, denn den meisten Museen fehlt es an  Professionalität. Denn der Schlüsselberuf des Kurators kennt so gut wie keine berufliche Ausbildung. Wenngleich in erster Linie für KunstkuratorInnen inzwischen viele Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen, gilt auch für diesen Museumstyp und noch viel mehr für (kultur)historische Museen, daß es an einer Ausbildung als Kriterium der Anstellung (in vielen Ländern) fehlt. Meist genügt die fachlich-akademische Ausbildung für den Schlüsselberuf des Museums: Kurator.
Ich erläutere das an einem Beispiel: Ein Hautarzt, der zum Leiter eines großen Spitals ernannt wird, besitzt wohl kaum sofort Leitungskompetenzen (Finanzierung, Organisation, Personalpolitik usw.). Aber er hat in seinem Fachgebiet eine lange Ausbildung hinter sich, ohne die er nicht angestellt worden wäre. Ein Kurator für provinzialrömische Archäologie, der Museumsleiter wird, hat, wie der Arzt, wohl kaum einschlägige Erfahrung mit der Leitung einer Organisation. Aber er hat normalerweise überhaupt keine Ausbildung für die Kernkompetenzen seiner Museumsarbeit. Für das Ausstellen, Projektmanagement, Texte verfassen, Vermittlungskonzepte erstellen, den Einsatz neuer Medien u.v.a.m. hilft ihm seine fachwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nichts. Es gibt kaum einen Beruf, bei dem die spezifische Qualifikation dermaßen vernachläßigbar zu sein scheint. Noch dazu genau in den Rollen - Leitung und Kuratoren -, wo diese Kompetenz am wichtigsten wäre.

12 Museen sind fraglos anerkannt

Ja, das sind sie. Und das ist erstaunlich. Wir treffen doch immer eine qualitative Unterscheidung, egal ob wir uns einen Film ansehen, ein Buch lesen, ein Restaurant besuchen usw. Nur Museen sind alle „gut“? Das ist schon erstaunlich und eigentlich ein Indiz einer fast unglaublichen Erfolgsgeschichte. Wenn im nationalen Maßstab freier Eintritt gewährt wird oder, wie in Österreich, Jugendlichen, dann hat das eine selbstverständliche und uneingeschränkte Wertschätzung zur Voraussetzung.
Nur in der Alltagssprache bekommt diese Wertschätzung Risse. Dass etwas museal sei ist kein schwacher Vorwurf und Adornos Wort Erbbegräbnis für Museum ist nicht viel freundlicher. Hat je jemand versucht ein Museum zu besetzen oder niederzubrennen? Selten. Aber in der Pariser Commune wurde es versucht, Ziel wurden dann „nur“ die Tuilerien. Aber angedacht wurde de Brandstiftung schon zuvor, als Attacke auf eine überholte Institution im Namen der Avantgarde. Den museoklastischen Akt wiederholten dann die Italienischen Futuristen – auf dem Papier. Heute scheinen alle Avantgarden erfolgreich eingemeindet und es ist auffallend, daß selbst die rabiatesten TheoretikerInnen des radikalen, postkolonialen usw. Museums sich nicht von Namen und Institution verabschieden wollen.
Der intakte „gute Ruf“ des Museums hat vor allem mit dem Mangel an Vorstellungsvermögen und Kritikfähigkeit zu tun, vielleicht auch mit der in diesem Feld noch intakten kulturellen Hegemonie der „Eingeborenen der Bildungselite“ (Bourdieu). Keine Frage, daß es „schlechte“ Museen gibt. Das interessiert nur kaum jemand. Museumskritik wird jenseits der Wahrnehmung von Museen betrieben, sie erreicht die Institution kaum. Vielleicht erleben wir ja grade einen Wandel angesichts der Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Da wird das koloniale Erbe so sehr zum Problem, daß die Gewaltförmigkeit des Erbens und die triumphalistische eurozentristische, partiell neokoloniale und rassistische Politik vieler Museen plötzlich zum Gegenstand breiter öffentlicher Diskussionen. Und das weit über Deutschland hinaus und so nachhaltig, daß der Französiche Präsident pauschal die Rückgabe allen Unrechtsbesitzes ankündigt.   
Könnte es sein, daß der oft zitierte Satz Walter Benjamins nun auch in die Aufmerksamkeit der Museen und der Museumsbesucher rückt? „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“ Das muß nicht das Ende des Museums bedeuten. Vielleicht ist es der zweite Anfang.


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