Dienstag, 12. Juni 2018
Arbeit ist unsichtbar. Die neue Ausstellung im Museum Arbeitswelt Steyr. Fragen eines kritischen Besuchers
Vor einigen Wochen habe ich meinen Bruder gefragt, ob er mich nach Steyr begleitet, um die neue Ausstellung „Arbeit ist unsichtbar“ anzusehen. Wir hatten einen schönen Tag in Steyr und einen vielstündigen Ausstellungsbesuch, unterbrochen nur von einem Mittagessen im schönen Gastgarten des ausgezeichneten Gasthauses Knapp, das neben dem Museum liegt.
Am Abend überraschte mich mein Bruder mit einem Text, den er direkt an die Leiterin des Museums gerichtet hatte. Sozusagen ein Leserbrief, bemerkenswert, weil sich Besucher normalerweise nicht so ausführlich und schriftlich äußern. Sieht man mal vom „Sehr interessante Ausstellung“ oder anderen aufschlussreichen Kurzmitteilungen in einem Besucherbuch ab.
Mein Bruder hat einen ganz anderen beruflichen Hintergrund als ich und das macht den Text besonders. Ich habe ihn gefragt ob ich ihn, aus diesem Grund, weil man so etwas normalerweise nicht zu lesen bekommt, veröffentlichen darf.
Morgen werde ich den Text in den Blog stellen, den ich geschrieben habe. Dann ist das eine Premiere - die erste „Familienkritik“, die erste „Doppelconference“ (hier der inzwischen veröffentlichte Text von mir) in der Geschichte der Museumskritik. Und nun sein Text:
Das Foyer empfängt den Besucher geräumig einladend mit Glas und Licht; eine gelungene Anbindung an die Industriearchitektur aus dem 19. Jahrhundert. Eine freundlich aktiv Auskunft gebende Dame an der Kassa verstärkt das Willkommen. Eine große Tafel mit den Namen all jenen vielen Personen, die diese neue Dauerausstellung mitgestaltet haben zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Ich finde das wirklich nett, dass da nicht nur die Chefs angeführt sind.
Weiter, und hinein in die weißen Sessel, Einstimmung auf das Kommende. Ein lichtloser Raum. Eine wunderbare Idee, die Sinne des Besuchers zu konzentrieren. Ich spüre unebenes Weich unter meinen Füßen. E c h t e kongolesische Bergwerkserde, erfahre ich. Whow! Und? Nichts und. Von den Stimmen dreier Bergleute erfahre ich, dass sie hart, sehr hart arbeiten um gerade mal das Essen für ihre Kinder zu verdienen. Für etwas anderes geht es sich in diesem ihrem Leben nicht aus. WARUM ist das so, frägt sich der Besucher. Ich bin gespannt. Im nächsten Raum lerne ich, dass es früher bei uns auch so war. Und WARUM jetzt nicht mehr?
Und noch etwas lerne ich: Den Ausstellungskuratoren dürfte die einschläfernde Wirkung mancher Museen auf Besucher bewusst gewesen sein, sodass sie diese Herausforderung progressiv lösten:
Die Körper der Besucher werden zu zusätzlichen Bewegungen durch Truhen mit dem Nachlass früherer Arbeitswelten animiert, auf deren offenen Deckeln in etwa Kniehöhe Erläuterungen und Fotos mit kleinen Figuren angebracht sind. Ich gehe mehrmals in die Knie um zu sehen worum es hier geht, bis ich bemerke, dass von den sieben Besucherinnen, die sich durch den Raum bewegen, nur ein Mann sich zu so einer schlecht beleuchteten Schrifttafel hinunterbeugt um sich nach wenigen Sekunden wieder aufzurichten und die Kisten keines Blickes mehr zu würdigen. Alle anderen nehmen nicht einmal Notiz von diesen für sie vielleicht wichtigen Informationen.
Oder vielleicht sind sie gar nicht wichtig? Sondern nur die Taktik der Didaktik damit sich die Besucher nicht zu sehr ins Detail verlieren? Das Maschinengewehr sieht man auch ohne sich zu bücken und das Waffenrad das nichts mit Waffen zu tun hat, auch. Anhand z.B. auch dieser Objekte kann ich erfahren, dass die „Werndler“ und deren Hilfsarbeiter in präziser Arbeit hochwertige Produkte herstellten, was auch ein k.u.k. Soldat in seinem Tagebuch bestätigt, als er erlebt, wie solch eine „Tötungsmaschine“ fliehenden Russen nachfeuert.
Langsam werde ich nachdenklich. WAS will dieses Museum eigentlich über Arbeit vermitteln? Über welche Arbeit? Neugierig wandere ich weiter.
Am „Spieltisch“ auf dem Erhellendes auszuprobieren wäre, gehen die Besucher nach einem kurzen Blick darauf achtlos vorbei. Warum eigentlich? Selber schuld, wenn sie`s nicht checken.
Mein Blick fällt irgendwann auf ein Plakat aus der 2. Hälfte des 19. Jhdts. Ein Arbeitgeber teilt darauf seinen Arbeitern mit, dass er morgen die Bude dicht macht, wenn sie für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Er würde erst wieder aufsperren, wenn sie für die bisherigen Bedingungen wieder arbeiten wollten. Aha, denke ich, wir kommen doch noch zu Ursachen und Wirkungen.
Und übrigens, warum hängt nicht ein zeitnaheres Dokument zu diesem Thema daneben? Z.B. die Worte des Heros von Steyer aus der 2. Hälfte des 20. Jhdts.: Uncle Frank from Canada trat vor die versammelten Arbeiter der heruntergewirtschafteten Staatsbetriebe in Steyer und sagte: Alle die wollen und anständig bei mir arbeiten, können kommen. Ich werde sie auch anständig bezahlen.
Was er nicht sagte, aber alle verstanden, war: Und WAS anständig ist, bestimme ich. – Eigentlich ein Knackpunkt des Arbeitslebens, der im Museum nicht weiter vorkommt.
Als drittes könnte ein Beispiel aus dem 21. Jhdt. daneben hängen: Als Mitarbeiter des Servus TV einen Betriebsrat gründen wollte sagte dessen allseits beliebter Eigentümer Didi Mateschitz: Ich brauch den Sender eh nicht, ich sperr ihn zu. Heißt auf deutsch, 300 Leute auf der Straße. Minuten später schwor die Gewerkschaft nie, nie, nie sei es Absicht gewesen eine …
Wieder kehrte ich zu meinen bisher unbeantworteten Fragen zurück.
WARUM arbeiten Menschen, obwohl sie dabei kaum das Leben verdienen
WARUM gibt es horizontale Arbeitsteilung weltweit
WARUM gibt es vertikale Arbeitsteilung
WARUM Lohnunterschiede?
Ich war auch einmal im Naturhistorischen Museum in Wien. Dort lernte ich, dass es Berge gibt, die Feuer speien. Vulkane. Ich lernte aber auch, dass es diese nicht nur in Italien gibt sondern weltweit, und eine anschauliche Weltkarte der Vulkane zeigte dies. Es wurde auch ausreichend und verständlich erklärt WARUM der Vulkan Feuer speit. Hier im Museum der Arbeit gibt es keine Weltkarte der durchschnittlichen Lohnniveaus. Und es ist nicht erfahrbar, WARUM es diese Lohnunterschiede gibt.
Nun wissen beide Kuratoren mit Sicherheit, dass die Frage WARUM das Tor zu Wissen und Erkenntnis ist: WARUM ist der Himmel blau. WARUM heißt die Vogelspinne Vogelspinne. Sie kann ja gar nicht fliegen – außer sie vergisst sich anzuhalten, dann fliegt sie hinunter. Und Papa, WARUM schaust Du jetzt bös? Weil ich gerade ein e-mail an das Museum der Arbeit schreibe, Du ewiges WARUM!
Also kann es nur die selbst auferlegte Beschränkung der Kuratoren auf das Anregen zum Denken sein?
Weiter. In den wunderbar stillen weißen Raum. Verschiedene Stimmen, verschiedene Satzteile. Eine Frauenstimme: …natürlich antworte ich meinem Kollegen, aber dann fällt mir auf, ich arbeite jetzt in meiner Freizeit … Eine junge Männerstimme: ….die Arbeit gibt mir Sinn ….
Worum geht es dem Museum, was will es vermitteln?
Weiter. Als ich auch den Raum der Jetztzeit Zukunft durchwandert und die wunderbar sprechenden Handbewegungen des kleinen Roboters bewundert hatte, fragte ich mich, aus einem der grünen Liegestühle auf die Freuden der Freizeit blickend, was ich aus diesen vergangenen Stunden als Handlungsimpuls für mein eigenes Leben mitgenommen habe. . .
. . .
Ein bisschen verwundert trete ich nochmals vor die Tafel mit den vielen Mitarbeitern an dieser Ausstellung. Toll, wie viele da drauf sind! Da fällt mir auf, dass die Namen der Tischlerinnen für die Vitrinen fehlen und auch die der Elektrikerinnen, die die Kabel verlegten, fehlen. Und wer hat die gelbe Farbe aufgetragen, die Vorhänge genäht, die Objektstücke transportiert . . . aber eh klar, ALLE kann man hier nicht nennen! WARUM aber hat man von einer solchen überlangen Liste das untere Drittel weggelassen und nicht das obere? Ist doch ein Museum der Arbeit? Sei´s geistig oder manuell. Es ist klar: die geistig an der Ausstellung arbeitenden, DIE hätte man keinesfalls wegfallen lassen können! Die beiden Kuratoren sind renommierte Wissenschaftler mit anerkannt gutem Ruf in ihren Kreisen. Und niemand kann wissen, ob z.B. die Putzfrauen, die wöchentlich durch´s Museum fegen, in ihren Kreisen den gleich guten Ruf haben.
Das Museum hat alle meine WARUM Fragen nicht beantwortet. WARUM also haben die beiden Kuratoren einen so guten Ruf? Auch diese Frage beantwortet die Ausstellung nicht.
Liebe Frau Direktor Auer!
Es war gut, dass ich dieses einzige Museum für Arbeit in Österreich besucht habe.
Es hat zwar meine Fragen nicht beantwortet, aber viele neue aufgeworfen. Und ein besseres Ergebnis, glaub ich, kann ein Museum gar nicht leisten.
Ich danke Ihnen und allen Beteiligten für die hier gewonnenen Einsichten.
Wolfhard Fliedl
Die Leiterin des Museums, Katrin Auer, hat auf das an sie gerichtete Schreiben mit einer Korrektur geantwortet: Bitte erlauben Sie mir aber die Anmerkung, dass auf der Namenstafel wirklich alle Mitwirkenden, von den Putzmännern und -frauen, bis zu den Tischlern, MalerInnen, ElektrikerInnen, Bodenleger, Vorhangnäherinnen usw. genannt sind, und mit der Mitteilung, daß sie den Text an das Ausstellungsteam weitergegeben hat.
Eine Antwort ist ausständig.
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