Dienstag, 24. April 2012

Aufbruch zum postdemokratischen Museum. Verweildauer III


Meine beiden Posts (hier und hier) mit dem Stichwort „Verweildauer“ haben überdurchschnittliches Interesse hervorgerufen. Worum geht es? Um eine alarmistische These einer Studie und eines Artikels. Museumsbesucher würden im Schnitt bloß 11 Sekunden vor einem Werk verbringen. Schlußfolgerung: Welche Kunsterfahrung soll das denn bitte noch sein?
Hanno Rauterberg fragt sich in DIE ZEIT (hier), ob Besucher „auch richtig hinsehen“ und gibt mit einer Studie von Martin Tröndle die Antwort. „Elf Sekunden, drei Atemzüge lang, verbringt der durchschnittliche Betrachter vor einem durchschnittlichen Kunstwerk.“
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß derartige Erkenntnisse nicht neu sind, daß es schon vor dreißig Jahren erste deutschsprachige museumssoziologische Untersuchungen gab, die ähnliche Zahlen brachten. Nun ist es ja nicht falsch, die ‚wiederzuentdecken’, aber es ist schon etwas befremdlich, wenn Erkenntnisse einer Studie als neu und bahnbrechend bezeichnet werden und ungleich differenziertere Schlussfolgerungen ignoriert werden. Schon in der Überschrift des Artikels heißt es: „Eine neue Studie könnte die Museumswelt schwer erschüttern.“
Der volle Titel weist auf das weitergehende, ambitionierte Ziel der Studie hin: „Wirkung von Kunst. Und die Herzen schlagen höher. Was geht in uns vor, wenn wir Kunst sehen?“ Das ist ein wenig tollkühn, Kunsterfahrung umfassend interpretieren zu wollen, also herausfinden zu wollen, wie wir Bilder sehen, was sie auslösen, wie die Beziehung von Kunst und Mensch beschaffen ist (Rauterberg), und das mit Befragung, Messung von Herzfrequenz, Hautleitfähigkeit und Bewegung im Raum.
Auch solche positivistischen, scheinbar naturwissenschaftlichen Untersuchungen hat es schon viele gegeben. Und alle kranken daran, daß ohne Federlesens, von physiologischen Daten auf komplexe kognitive, psychologische und affektive Prozesse rückgeschlossen wird. Das ist aber schlichtweg nicht möglich. Wenn jemand eine höhere Herzfrequenz bei Bild A als bei Bild B hat, dann sagt das genau – nichts aus.
„Zwar konnten sich viele Betrachter für eine klassische Venedig-Szene von Monet durchaus begeistern und bewerteten das Bild bei der Befragung als ästhetisch hochwertig. Doch Herz und Haut signalisierten eher gepflegte Langeweile. Wirklich erregt waren die Besucher hingegen von Günther Ueckers Antibild, aus dem lauter spitze Nägel ragen. Ob Jung oder Alt, ob Mann oder Frau – alle zeigten hohe Pegelwerten. (sic!)“.  Was für ein Unsinn. „Langeweile“ und „Erregung“ als Effekt ästhetischer Erfahrung lassen sich als psychosoziale Phänomene mit Datenhandschuh und Hautsensor weder bemessen noch bewerten noch auf eine bestimmte (unterstellte) ästhetische Qualität („Antibild“, „pieksiges Ding“) beziehen. Das ist wieder mal so eine im Grunde hanebüchene Vorgangsweise, in der als Resultat das herauskommt, was der Autor der Versuchsanordnung an Grundannahmen bereits voraussetzt ohne die zu reflektieren.

Unkontemplativer, abgelenkter (von Medien) aber doch irgendwie still in Betrachtung (akrobatisch) versunkener Museumsbesucher

Da in der Versuchsanordnung körperliche Phänomene gemessen wurden, legt uns die Studie - den Ausführungen Hanno Rauterbergs zufolge - nahe, die körperliche Kunsterfahrung gegen die kognitive, wissensbasierte auszuspielen. Ja selbst das durch Sozialisation und Bildung vermittelte Wissen, das uns nicht nur den ‚Gebrauch von Bildern’, sondern den der Institution Museum überhaupt erst möglich macht und sinnvoll erscheinen läßt, scheint weitgehend obsolet: „Man muss offenbar nicht unbedingt großes Vorwissen mitbringen, um mit zeitgenössischen Werken etwas anfangen zu können.“
Ins Museum geht aber nur, wer ein solches Bildungswissen schon erworben hat und dieses artikuliert sich auch nicht nur, worauf sich diese und einschlägige andere Studien meist konzentrieren, während der berühmt-berüchtigten “Verweildauer“. Jede museale Erfahrung hat nicht nur eine komplexe Vorgeschichte, sondern auch eine vielschichtige ‚Nachgeschichte’, in der das – in solchen Studien immer wieder untersuchte - ‚merken’ das geringste Problem ist. Es soll uns niederschmettern, daß "bei den allermeisten Befragten (die Kunst) schon nach sechs Wochen rückstandslos aus den Köpfen verschwunden war. Nur die wenigsten konnten sich noch an einzelne Werke erinnern.“ Was aber überhaupt nicht heißt, daß es Erfahrungen gibt, vielleicht entscheidende, die unmerklich, auch unbewußt (nach)wirken.
Die Behauptung, daß das Gespräch der Besucher untereinander, Rauterberg spricht ausdrücklich vom Räsonnement und Diskurs, die Kunsterfahrung stört, ist als generalisierende unhaltbar. Jeder, der Museen besucht, hat gegenteilige Erfahrungen. Spätestens da wird eine Stoßrichtung der Argumentation sichtbar, die möglicherweise so nicht der Studie geschuldet ist, sondern der Interpretation des Journalisten. „Denn wer sich ihr (der Kunst) ganz allein nähert, in der so oft verlachten stillen Einkehr, wird die Werke offener sehen und weit eindrücklicher erfahren.“ Also sind konsequenterweise auch „jede Art von zusätzlichem Reiz (...) Audioguides, Touchscreens, laute Videobeschallung aus dem Raum nebenan oder eben durch Mitbesucher“ etwas, was „ das ästhetische Erleben (...) mindert.“
Museen seien (man darf annehmen für das religiös-romantische Ideal „stiller Einkehr“) einfach zu groß, sie zeigten viel zu viel, zu viele Werke würden untereinander konkurrieren (kennt Hanno Rauterberg eigentlich Paul Valerys Essay und die Replik von Adorno?). Museen müssten kleiner werden, intimer, leerer, ja, auch das, privater: „Nur einige Privatmuseen scheren hin und wieder aus. Dort muss man sich anmelden, dort gibt es nur wenige Werke.“
Pierre Bourdieu hat, auch ebenfalls auf empirische Studien gestützt, aber theoretisch fundiert, den bildungspolitischen Elitismus der ‚Kunstbetrachtung’ und des Museums als gut abgeschottete, also als sozial distinktiv wirkende Enklaven für die „Eingeborenen der Bildungselite“ beschrieben, ebenso die Mechanismen des Ein- und Ausschlusses. Für solche Fragen interessiert sich Rauterberg nicht. Er bastelt am Hochziehen der Zäune, die das Eliteland besser abschotten.
Man könnte noch nachdenken, wie diese, auf eine derartig merkwürdige Studie gestützten Überlegungen in die Zeit wie diese passt.

Für Kommentare steht eine Kommentarfunktion am Ende dieses Posts zu Verfügung.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen