Der ZEIT-Artikel von Hanno Rauterberg, auf den ich mich unlängst bezogen habe, ist nun online (hier). Es ging um die Erwähnung einer Untersuchung, derzufolge Museumsbesucher im Schnitt nur 11 Sekunden vor einem Werk verbringen. Ich habe mich gefragt (hier der Post), warum etwas berichtet wird, was seit (mindestens) 30 Jahren bekannt ist. Rauterberg greift voll in die Saiten: "Eine neue Studie könnte die Museumswelt schwer erschüttern." Auch die zweite 'erschütternde' Erkenntnis ist schon genauso lange bekannt, nämlich die, daß sich Besucher nicht so sehr viel merken und wenn, dann eher etwas, was durch die Umgebung (im weitesten Sinn) die Aufmerksamkeit angezogen hat.
So wenig neu derartige 'Erkenntnisse' sind, so wenig sollte man sie vorschnell, wie das schon seinerzeit geschehen ist, als Widerlegung des Potentials des Museums als 'Lernort' oder 'Gedächtnisort' auffassen. Die Methodik der empirischen Museumssoziologie steckt voller Fallstricke und die beobacht- und messbaren Daten erfassen nur Ausschnitte der sehr komplexen Museumserfahrung.
Im Kern bleibt aber die - vielfach erhärtete Tatsache (es gibt auch Messungen der Verweildauer auf Räume, Ausstellungen oder Museen bezogen) - daß sich Besucher viel zu kurz im Museum, vor Objekten (die Zahlen gelten in etwa auch für andere Musemstypen) aufhalten, als daß das unserer idealisierten Erwartung vom ausschöpfenden Bildungserlebnis entsprechen könnte.
Ich habe mich manchmal gefragt, warum diese ebenso simple und empirisch abgesicherte Beobachtung nie (? selten ?) in Museums- oder Vermittlungsdebatten ernsthaft aufgegriffen wurde oder wenn, ihnen mit Sozialtechnologien einer den Museumsdingen äußerlichen Aufmerksamkeitserzeugung begegnet wurde. Mit der Relativierung der methodischen Grenzen der Untersuchungen (die die tatsächlich provozierende Einsicht in ihrer Tragweite nicht mindern, aber die Akzente verschieben) allein, kann man das nicht erklären.
Ich habe eher das Gefühl, daß man der Herausforderung ausweicht, die in der gründlichen Reflexion der museumsspezifischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsbedingungen liegen und die (das wird in Rauterbergs Artikel ohnehin auch angedeutet) sich nicht bloß in der 'Begegnung' Besucher und 'Objekt/Werk' erschöpfen. Das Museum ist auch ein architektonischer und sozialer Raum, mit einem Kontext, der weit vor dem Museum beginnt (die Geschichte der Institution, die Weisen der Erzeugung von kulturellen Werten, die immer auch sozialen Erfahrungen und Riten, die einen Museumsbesuch ausmachen, das Performative des Museumsbesuchs' uvam.
Diese Komplexität ist fordernd und vielleicht auch vielfach überfordernd, so sehr ihre Gestaltbarkeit auch eine wunderbare Aufgabe für das 'Ausstellungs' (und Museums-)Machen wäre. Andrerseits gibt es eine tiefe Sehnsucht bei Kuratoren wie Vermittlern, nach festem Boden unter den Füßen, weswegen die Sehnsucht nach der empirisch abgesicherten (Lern)erfahrung so groß ist. Viele träumen von Methoden, die den gewünschten Effekt einer Deutungs- und Erzählabsicht sichern kann. Sicher, auch beim Film gibt es 'Testverfahren', aber, so viel ich sehe, werden die regelmäßig durch die Praxis beschämt. Diese Verfahren sind der Risikominimierung großer Kapitalien geschuldet und kaum der empirischen Austestung, ob der Film auch im Sinn der Intention 'ankommt'. Theater, Film, ein Konzert, die Lektüre, das sind offene Prozesse, aber nur beim Museum scheint die Offenheit ein Skandal zu sein und kein Stoff für risikoreiches Experimentieren. Nein, da leistet man sich lieber keine Verunsicherung, schon gar nicht die, daß im Museum gewissermaßen gar niemand hinkuckt.
Eine kleine Anektdote: Vor einigen Monaten habe ich das Kunsthistorische Museum in Wien besucht und war auch im Saal mit den Breugel-Gemälden. Ich stehe vor dem berühmten Winter-Bild, das unmittelbar rechts bei einem Saaleingang hängt. Ein älterer Herr kommt durch diese Tür herein, wendet sich sofort nach rechts, geht auf das Textkärtchen zu, wozu er sich ganz leicht bücken muß, um es zu lesen, richtet sich schnell wieder auf, wirft einen - aus seiner Position nur möglich Blick aus ganz schrägem Winkel auf das Bild, buchstäblich wenige Sekunden, "WONDERFUL", und geht weiter.
Mir ist die Szene lange durch den Kopf gegangen und ich habe mich gefragt, was da alles passiert ist in diesen, nun ja, 11 oder mehr Sekunden...
Danke für den Artikel von Rauschberg und mehr noch: für Deinen.
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