Unlängst habe ich im Grazer Stadtmuseum Mutter Theresa getroffen. War ein bisschen überraschend. Aber noch überraschender war, daß sie af einem Kanaldeckel festgeschraubt oder -geschweißt war. Damit sie nicht umfällt. Ich glaube, es war Bronze, aus der man sie lebensgroß gebildhauert und akkurat bemalt hatte. Ein wenig abgenutzt sah sie aus. Das kommt vielleicht vom ständigen Hin- und Herschleppen. Denn die metallene Heilige ist in Graz auf Wanderschaft und soll dem Wunsch einer Gruppe albanisch sprechender Immigranten folgend möglichst im Zentrum aufgestellt werden. Warum nicht. Da steht ja auch schon Erzherzog Johann.
Das hätte sie ja nun geschafft, schließlich liegt das Stadtmuseum in der Sporgasse und zentraler geht fast nicht. Aber hier hat sie Asyl nur auf Zeit, denn man darf nicht erwarten, daß das Stadtmuseum sie ankauft und vor die Tür stellt, in die Sporgasse.
In naher Nachbarschaft zur Mutter Theresa türmten sich Karteikästen, eye catcher einer Stadtteilinitiative, bei der, wenn ichs recht verstanden habe, alles passieren darf, wenn es nur auf der Idee des Tausches beruht, Tausch von Ideen, Dingen, Dienstleistungen, Räumen, was auch immer. Motto: "Teilen schafft Überfluß". In den Schubladen purzelten, wenn sie nicht leer waren, Playmobilmännchen rum.
In unmittelbarer museumsräumlicher Benachbartheit dokumentierte eine Lehrer-Schüler-Initiative eine mit großem und phantasivollem Aufwand betriebene Kampagne gegen eine gefährliche Verkehrssituation vor ihrer Schule. Autos gegen Schüler, keine Chance. Bis jetzt hat der Verkehr gesiegt. Sie werden weitermalen, -fotografieren, -ausstellen, was auch immer.
Ein Verein, der Migrantinnen mit Deutsch- und Bildungskursen hilft, zeigt Dinge, die unter dem oft Wenigen, was Flüchtlinge mitnehmen konnten, ihren Besitzerinnen besonders wertvoll sind.
Das Theater im Bahnhof unterlegt ein gesprochenes Tagebuch mit einem Videoloop mit den Abbrucharbeiten, die das Theater zum erneuten Umzug gezwungen haben. Ein Schaufelbagger müht sich redlich, einen Baum umzureissen und in Stücken zu verstauen. Angewandte Immobilienkunde.
Die Stadtbibliothek stellt in einem Regal Lesestoff bereit. Zum Annenviertel.
"Annenviertel", das ist die Überschrift, die alles, was ich bisher aufgezählt habe, zusammenhält.
Es geht um ein Quartier in Graz, dem Veränderungen bevorstehen. Die Annenstraße soll 'aufgewertet' werden, umgebaut, verschönert, nutzbarer. Die Annenstraße ist eine nahezu schnurgerade Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof und dem (Alt)Stadtzentrum, viel befahren, von Autos, von Straßenbahnen. Der Autoverkehr wird kurz vor dem Stadtzentrum, das fast ganz für Autos gesperrt ist, abgelenkt, um das historische Zentrum herum. Dort wird flaniert ud konsumiert. In der Annenstraße eher nicht. Dort ist man nur, wenn man aus einem bestimmten Geschäft etwas braucht. Oder ins Kino will. Etwa in der Mitte der Straße liegt eins der Großkinos von Graz.
Sehenswürdigkeiten gibts hier keine, ein Hotel, die Arbeiterkammer, Banken, das erwähnte Kino, vermutlich der frequentierteste Punkt an der Straße, Supermärkte, sonst viel Kleingewerbe, Cafés.
Das Annenviertel ist ein 'minderer' Stadtteil von Graz, vom besseren, der Altstadt durch die Mur getrennt.
An vielen Geschäftsauslagen kleben Infos zur Aufgabe des Geschäfts. Das geht schon länger so, jetzt scheint es mir stärker geworden zu sein - vielleicht schon ein Effekt der künftigen 'Sanierung'? Nein, versichert man mir.
Das Stadtmuseum sagt auf seiner Webseite: "An der Ausstellung (…) nehmen Initiativen und Organisationen aus dem Annenviertel teil, die hartnäckig an Visionen des guten Zusammenlebens, der Stärkung von Eigenverantwortung, des Mitspracherechts der Menschen im Viertel und der freien Nutzung des öffentlichen Raums arbeiten. Zahlreiche künstlerische Beiträge eröffnen darüber hinaus alternative Sichtweisen auf das Annenviertel."
Die Ausstellung überrascht. Man bekommt Räume, Menschen, Tätigkeiten zusehen, die dem Flaneur verborgen bleiben. Hinterhäuser, wie absichtlich versteckte Läden, Geschäfte und Dienstleistungen, die man nie zu brauchen glaubt oder von denen man nicht vermutet, daß es sie überhaupt gibt.
Öffentlich / Nichtöffentlich.
Und darum geht es ja auch. Öffentlichkeit herzustellen, der nicht unbedingt ist und nicht sichtbar sein muss. Da wäre zum Beispiel Radio Helsinki, einst ein 'Schwarzsender', jetzt ein offenbar ziemlich basisdemokratisches Stadtradio. Ein riesiges Farbfoto zeigt eine ziemlich große bunte Gruppe - die 'RadiomacherInnen'. Da geht gegen die veranstaltete staatliche oder privatisierte Stadtöffentlichkeit. Wir machen das jetzt mal selber. Jeder kann kommen und etwas vorschlagen und mitmachen.
Im Erdgeschoss des Museums erinnert uns erst mal eine Installation an die vielfältigen Gebrauchsweisen des öffentlichen Raums: Spielen, Essen, Rumsitzen, Handeln, Sporteln, Reden, Malen, Demonstrieren, Ankündigen, Kochen und und und.
Vieles davon ist verschwunden, geduldet, verboten, wenig davon findet auf der Straße statt.
Man kann rasch mal durchgehen, was in einer Annenstraße alles nicht möglich ist. Z.B. dürfte man dort keine Heilige Theresa aufstellen, nicht Langlaufen wenn Schnee liegt, keine chinesische Garküche betreiben, nicht Fußballspielen (fällt mir ein, weil das mal mit Freunden und italienischen Ragazzi vor Jahren am Hauptplatz in Bologna, vor San Petronio, gemacht habe, und keiner hat uns gestört. Doch. Ein Straßenkehrer, aber auch das nur kurz).
Betteln darf man auch nicht. Das darf man in Graz seit einiger Zeit sowieso nicht, nicht nur hier.
Wo sich Öffentlichkeit im Stadtraum auffallend bildet, geht es praktisch immer um veranstaltete und kommerzialisierte Öffentlichkeit. Firmen, Medien machen Events, Weihnachtsmärkte, Ostermärkte sind erweiterte Geschäftsmeilen, Marathons haben Großsponsoren usw.
'Staatlich' unerwünschte Öffentlichkeit wird mit symbolischer und faktischer Gewalt behindert oder verdrängt. Bettler sollen hier nicht vorkommen dürfen. Und sogenannte Punkts auf den Treppen der Erzherzog-Johann-Statue, das soll auch nicht sein dürfen. Sagt der Bürgermeister der Stadt.
Gentrifizierung
Also, sage ich mir, ist das Museum jetzt auch mal ein öffentlicher Raum und das ist so ziemlich das beste, was ein (Stad)Museum machen kann. Gut. Es sieht hier ein wenig nach Bastelstunde im Seniorenheim, nach Volkshochschule und Pfarrflohmarkt aus. Aber es ermöglicht den verschiedenen Initiativen sich über ihre Community hinaus sichtbar zu machen, für sich zu werben, über ihr Tun zu informieren.
Aber etwas fehlt. Und das hat mich dann doch gewundert. Die Stadt. Von ihr geht doch die Planung zur Erneuerung des Annenviertels aus, also warum hat die Stadt nicht auch einen Infostand? Damit fehlt eine wichtige Information: was für Pläne gibt es? Und: sind die diversen Initiativen, die man kennenlernt, damit befasst, gibt es Mitsprache, Mitwirkung, echte Partizipation, also eine, wo die Machtfrage gestellt wird?
Davon leider nichts.
Es war Sonntag. Ich bin durch die Annenstraße spaziert und sie war fast leer und döste traumlos vor sich hin.
Man wird sehen, was mit ihr passiert.
An dem Tag war sie für mich eine Großausstellung mit den unglaublichsten Ausstellungs-, pardon: Auslagengestaltungen. Hier gibts noch Arrangements fast aus der Steinzeit der Auslagenwerbung.
Kurzum: Es lohnt sich, nicht immer nur ins Museum zu gehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen