Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Allerdings war bereits das Ende des 17. Jahrhunderts gegründete, zur Universität Oxford gehörende Ashmolean Museum eine öffentliche Sammlung.
Die weitere Entwicklung des Museums hat selbst die kühnsten Hoffnungen seiner Gründer noch übertroffen. Zum einen stellt heute die Gesamtheit aller Museen der Welt eine ungeheure Ansammlung von Reichtümern dar. Vor allem aber liefert die Gesamtheit aller Museumsbesucher der Welt das zweifellos großartigste Beispiel für die Befreiung der Menschheit von materiellen Sorgen und die Hinwendung zur Kontemplation.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Räume und Kunstgegenstände in einem Museum nicht mehr sind als ein Gefäß: Den Inhalt bilden die Besucher, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Museum von der Privatsammlung. Ein Museum ist wie die Lunge einer Großstadt: Die Besucherschar strömt wie Blut jeden Sonntag ins Museum hinein und kommt gereinigt und erfrischt wieder heraus. Die Bilder sind nichts anderes als leblose Oberflächen, und nur in der Menge der Betrachter vollzieht sich jenes Spiel von Lichteffekten und Reflexen, dessen technische Details von den Kritikern beschrieben worden sind. Es ist immer wieder interessant, mit Bewunderung zur Kenntnis zu nehmen, wie die am Sonntag um fünf Uhr zur Ausgangstür des Louvre herausströmenden Besucher sichtbar von dem Wunsch beseelt sind, ganz jenen göttlichen Geschöpfen zu gleichen, die sie, wie ihre leuchtenden Augen zeigen, so hinreißend finden.
Granville hat über die Beziehungen zwischen Gefäß und Inhalt, die sich in den Museen beobachten lassen, ein Schema aufgestellt, in dem die vorübergehend zwischen Besuchten und Besuchern entstehenden Bindungen (so scheint es zumindest) bewußt übertrieben werden. Es ist wie bei einem Eingeborenen von der Elfenbeinküste, der polierte Steinäxte aus der Steinzeit in eine mit Wasser gefüllte Wanne legt, ein Bad darin nimmt und dem, was er für Donnergestein hält (da es bei einem Gewitter vom Himmel gefallen ist), ein Hühneropfer darbringt: Er nimmt die von großer Begeisterung und einem Gefühl tiefer Verbundenheit geprägte Einstellung zu den Gegenständen vorweg, die auch für den modernen Museumsbesucher charakteristisch ist.
Das Museum ist ein gigantischer Spiegel, der es dem Menschen ermöglicht, sich endlich von allen Seiten zu betrachten und zu bewundern und sich jener Extase hinzugeben, die in allen Kunstzeitschriften zum Ausdruck gebracht wird.
Georges Bataille, Lemma ‘Museum’ aus: Documents – Dochtrines Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie (1929-39), hier zit. n.: Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit. Bonn 1994, S.99
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