Um zu verstehen, wie tiefgreifend sich in der Französischen Revolution das ändert, was das Wort Museum ab nun bezeichnet, genügt es zunächst, ein wenig Ereignisgeschichte zu erzählen. Mit dem Bildersturm in der ersten Phase der Revolution werden alle Zeichen und Spuren des Despotismus, des Ancien Regime attackiert. Ganze Bauten wie Kirchen werden demoliert oder profaniert, Denkmäler gestürzt, selbstverständlich die der Könige zuerst, Bibliotheken, Archive - im Grunde alles, was an die verhasste und gestürzte Herrschaft erinnern kann -, wird verkauft, versteigert oder zerstört.
Je umfassender dieser, teils gesteurte, teils anarchische Vandalismus wird, desto mehr wird eine Kehrseite des Bildersturms sichtbar und in den Diskussionen, auch der des Nationalkonvents, bemerkbar.
Sich aller Erinnerungsspuren zu entledigen, liefe in letzter Konsequenz auf eine totale Amnesie hinaus, auf eine Aufsprengung des zeitlichen und geschichtlichen Kontinuum, wie es ja in der Einführung einer neuen Zeitrechnung bewußt angestrebt wurde.
Zu derselben Zeit schärfte sich aber das Bewußtsein eben für dieses Kontinuum des geschichtlichen, zivilisatorischen Prozesses, für die Geschichte der Gattung, für eine Entwicklung, die sich als Gesamtheit in einem (als Singular) neuen Wort bildtete: (Die) Geschichte.
Die religiösen un die alten politisch-gesellschaftlichen Sinnstiftungen implodierten und mußten durch neue ersetzt werden, und eine dieser Legitimations- und Sinnstiftungsinstanzen konnte die (nationale) Geschichte sein. Das einigende Band der Gemeinschaft, der religiöse Glaube und der an seine weltliche Statthalterschaft des Königs gebundene politische mußten ersetzt werden.
Eine Gemeinschaft, die ihre Möglichkeiten, ihr Gemeinsames auszubilden, zu symbolisieren und anzuerkennen nicht nur verliert, sondern aktiv zerstört, gerät in eine tödliche Krise; der Höhepunkt dieser Krise ist in den Jahren 1793 und 1794 erreicht, wo der Bürgerkrieg zum Exzess wird, und der König auf die Guillotine geschickt wird.
Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Dieser Satz Batailles (siehe dazu den Post Das Museum lesen 10) trifft etwas Wesentliches:
Denn jetzt ist die Stunde einer neuen Idee, für die in den Debatten des Nationalkonvents, ein altes, aber mit neuem Inhalt gefülltes Wort auftaucht: Patrimoine. Erbe, väterliches Erbe. die Vorstellung eines Gesamt von ideellen und materiellen überlieferten Werten, auf die man sich in Narration und Symbolisierung beziehen kann. Und deshalb ist das auch die Stunde des Museums, auch ein altes Wort, das nun mit neuen Inhalten aufgeladen wird.
Man kann das langsame Kippen der Debatte um den Bildersturm genau verfolgen; vom frühen Enthusiasmus über erste Skepsis und Einwände bis zu den Anfängen einer Politik des Erbes, die in Maßnahmen zum Erhalt bedrohter Zeugnisse führen und schließlich zum Entschluß, Museen zu gründen.
Mit der Gründung mehrer großer Museen, beginnenden mit dem Museum im Louvre am 10. August 1793, schafft man ein Common Object an kulturell-geschichtlichen Objekten, um die sich die Gemeinschaft bilden und sammeln kann - buchstäblich und symbolisch.
Diese neuartige Identifizierung der Gemeinschaft findet in einer Verschränkung von Individuum und Gesellschaft statt. Die Eröffnung des Museums im königlichen Schloß, im Louvre – ich zitiere Andrew McClellan, den Historiker der Geschichte des Museums in der Revolutionszeit -, “was tied to the birth of a new nation. The investiture of the Louvre with the power of a revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.” (vgl. Die Idee des Museums in diesem Blog)
Wovon Mc Clellan spricht, ist ein Museum, das in so gut wie allem weit über das hinausgeht, was je einer Sammlung früher zugeschrieben werden konnte. Das Museum ist nicht nur nicht eine bloß zufällig-nebensächliche kulturpolitische Maßnahme, sondern steht im Zentrum der gesellschaftlichen Integration, ja mehr als das, sie konstituiert sie - mit anderen Ereignissen und Prozessen - mit.
Welch emphatische Bedeutung die Gründung des Museums im Louvre (also im annektierten Königsschloß) hatte und seine Eröffnung am 10. August 1793, dem ersten Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien, wird schlagartig klar, wenn man zwei weitere - bewußt synchronisierte - Ereignisse dieses Tages nennt: La fête de l'Unite, das Fest der Einheit, das man sich als eine Art Prozession vorstellen muß mit dem Höhepunkt einer Zeremonie, die auf den Trümmern der Bastille stattfand. Die Abgeordneten aller Departements Frankreichs tranken aus einem Pokal Wasser das den Brüsten einer ägyptisierenden Statue der weisheit Entsprang. Dies 'Kommunion' hatte ihre rechtliche Ergänzung in der feierlichen Deklaration der Verfassung, der ersten demokratisch-republikanischen, Frankreichs. (Daß sie aufgrund des Sturms der Ereignisse nie umgesetzt wurde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es geht um die - extrem verdichtete - Symbolik dieses Tages).
In dieser Verfassung war unter anderem das Recht auf Bildung für jedermann verankert und die Verpflichtung des Staates das zu garantieren.
Bildung ist das Bedürfnis aller. Die Gesellschaft muß ihre ganze Kraft daran setzen, die Fortschritte der allgemeinen Vernunft zu begünstigen und allen Bürgern Bildung zugänglich zu machen.
Diese staatliche Garantie macht den Kern des wohlfahrtsstaatlichen Verständnisses von Politik, auch von Kulturpolitik also auch von Museumspolitik aus. Und dasselbe wohlfahrtsstaatliche Konzept begründet demokratische Öffentlichkeit, das eben nur unter der Bedingung denkbar ist, daß im Idealfall alle an ihr teilhaben können und es auch sollen.
Wir verstehen wie dürr und irreführend ein Verständnis von Museum und Öffentlichkeit ist, das darunter nur Zugänglichkeit versteht. Öffentlichkeit ist das, worin sich das wohlfahrtsstaatliche Konzept realisieren kann und eine unverzichtbare Bedingung demokratischer Vergesellschaftung - auch in der Sphäre der Kultur.
Öffentlichkeit, also auch die, die im Museum stattfindet, aber nicht nur stattfindet, sondern dort auch hergestellt wird, ist notwendigerweise diskursiv, analytisch und kritisch, denn nur so kann das permanente Aushandeln stattfinden, mit der sich der Bürger mit der Gemeinschaft und diese in sich selbst 'bilden' kann. Wenn Carol Ducan und Sabine Offe von der zivilisatorischen Rolle des Museums sprechen und sie analysieren, dann ist im Kern dieser Prozeß gemeint. In der genannten Verfassung ist das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung unüberbietbar formuliert; lakonisch heißt es im Artikel 1: „Ziel der Gesellschaft das allgemeine Glück“.
In dem, was wir heute mit dem Wort Bildung transportieren, wird kaum noch erahnbar, was es im Kontext von Aufklärung und Revolution bedeutete.
Der Mythos der Aufklärung beruht auf der Vorstellung der Wissbarkeit, Darstellbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt und ihrer Beherrschbarkeit durch menschliche Vernunft. Der Bildungsort Museum stellte die Hoffnungen und Illusionen aus, die mit der Engführung von abendländischem Zivilisationsprozess und langfristigen Veränderungen menschlicher Verhaltens- und Empfindensstandards einhergingen. Potentiell alle Museen waren gedacht als Orte, an denen das Publikum sich ein Bild machen konnte von der Ordnung der Welt durch die Anschauung von Objekten aus Natur und Kunst und von der Ordnung der Geschichte in Artefakten, deren vergangene Bedeutung richtungweisend schien für Aufgaben der zeitgenössischen Gegenwart und Zukunft. (Sabine Offe)
Weder ist das Museum ausschließlich retrospektiv und bloß archivalisch gedacht (als ein Ort des behüteten und geschützten Schlafs der Dinge, wie es ein weitverbreitetes kuratorisches Rollenbild glaubt), noch ist es eine Agentur des Wissens, das pädagogisch Lehren erteilt.
Das Museum ist ein Ort der Selbstbeschreibung und Selbstauslegung und es kann das in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht sein. Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.
Aber dabei bleibt es nicht, darin erschöpft sich die Funktion des Museums nicht. Unbeachtet bleibt hingegen das diesen Ritualen eigene ambivalente Verhältnis zur gelebten Alltagswirklichkeit. Sie haben eine latente Funktion, die in der „Zivilisierung" nicht aufgeht. Als solche stellen sie ein Wunschbild der bürgerlichen Gesellschaft dar, die sich darin nicht, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte oder sich sehen wollte, spiegelt. Aber „zivilisierende" Rituale im Museum schaffen - wie alle Rituale - Gegenbilder, die nicht nur auf gesellschaftliche Werte und Normen, sondern auch auf ganz andere reale gesellschaftliche Erfahrungen verweisen. Sie thematisieren Verborgenes in entstellter Form. Sie bezeugen nicht nur explizit die Wunsch-, sondern auch implizit die Schreckensbilder der Zivilisation. Denn Museen, alle Museen, repräsentieren nicht nur, was zu sehen ist, sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden soll oder verborgen bleibt, eine Geschichte gesellschaftlicher Gewalt. (Sabine Offe)
Ich breche hier - vorläufig - ab, denn von hier aus sind weitere Differenzierungen möglich und nötig. Was hier (auch) sichtbar wird, in der Ambivalenz des Museums, ist eine Ambivalenz des Umgangs mit dem Museum. Hier öffnet sich nicht nur ein Blick auf die 'abschließende' oder 'verschließende' Arbeit des Museums, das uns auf Distanz halten und uns 'Unschuldskomödien' vorspielen kann.
Hier öffnet sich aber auch das Museum, das ein Potential zu einer institutionell selbstreflexiven Praxis hat, das sich und sein Publikum über sich selbst aufklären könnte, das das Entstellte und Verborgene sichtbar, lesbar und besprechbar machen könnte. Sichtbar wird aber schließlich auch eine instrumentelle, manipulative und hegemoniale Funktion des Museums, die schon Carol Duncan beschrieben hat. Museen sind auch (und das hat man in der Französischen Revolution schon gewusst und genutzt) „sites that publicly represent beliefs about the order of the world, its past and present, and the individual's place within it. [...] To control a museum means precisely to control the representation of a community and its highest values and truths."
Also: Reichlich was an Aufgaben wartet, bei der weiteren Beantwortung der Frage: Was ist ein Museum? Aber auch bei der: Was ist ein Museum in einer postdemokratischen Gesellschaft und angesichts des Zerfalls der Idee des Wohlfahrtsstaates?
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