Donnerstag, 6. Mai 2010
Ein Museumsraum (Museumsphysiognomien 4)
Ein Raum in einem Kunstmuseum. Genauer gesagt, nur ein Ausschnitt eines Raumes. - Ein seltsames Bild. Warum wurde es aufgenommen? Zu dokumentarischen Zwecken? Die streng symmetrische, fast pedantische Komposition könnte auch auf eine künstlerische Absicht deuten.
Was zeigt das Foto? Zunächst einmal einen schon etwas angejahrten Raum, mit verfärbten oder gar schmutzigen Tapeten und einer Vorrichtung zur Befestigung von Bildern - sichtbare Leiste, sichtbare Drähte -, wie sie aus der Mode gekommen sind. Aufweniger Parkettboden mit breiten Sesselleisten. Die Bilder sorgfältig arrangiert, wie man das in einer Kunstgalerie erwartet, also Balance von groß und klein, Abwechslung, an einer gedachten Horizontalen (Augenhöhe?) ausgerichtet.
Auf diesen Raum scheint noch immer jene Beschreibung zu passen, mit der Goethe in "Dichtung und Wahrheit" die Dresdner Gemäldegalerie charakterisierte: "Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie verguldet wurden...". Die Pracht ist schon etwas schäbig, aber still, geradezu leblos ist der Raum. Wir sehen ja keinen Betrachter.
Was könnte "Reinlichkeit" zu Goethes Zeit bedeutet haben? Warum erschien sie ihm so bemerkenswert, daß er noch einmal darauf zu sprechen kommt? "...der gebohnte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Räume...". Aha, darum könnte es gehen: Kunstgenuß als etwas, das jemandem möglich ist, der nicht arbeitet, oder Kunstgenuß als Nicht-Arbeit. Und Räume, die nicht an Arbeit erinnern, an Spuren dessen, was Draußen ist, des Gesellschftlichen? Räume, die "ein Gefühl von Feierlichkeit" vermitteln, "einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manches Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt erschien...". Hier kommt also auch die Genealogie des Museums als Tempel und (Tempel)schatz ins Spiel.
Auf unserem Bild vermittelt sich das wohl kaum noch. Eher Wohnzimmer, als Tempel. Das Museum, die bürgerliche Idee der musealen Kunstbeflissenheit, scheint selbst museal, schal geworden zu sein, ein wenig abgenutzt, ein wenig angestaubt, ein wenig langweilg.
Und der Stuhl? Im Zentrum des Bildes. Es ist ein stilistisch auffallender Stuhl, er könnte auch schon als Museumsobjekt durchgehen, doch kein Schild, keine Kordel hindert uns daran, Platz zu nehmen.
Würden wir das tun? Ermüdet ja. Aber sonst wohl kaum. Wir würden in eine reichlich ungünstige Position geraten, eher dem Raum und seinen - hoffentlich doch anwesenden - Besuchern zugewandt, weniger den Bildern. Die Gemälde in unserer Nachbarschaft könnten wir überhaupt nicht sehen.
Also ist das auch kein Rastplatz für Besucher.
Hier wird wohl ein Aufseher oder eine Aufseherin Platz nehmen, wenn sie ihren Rundgang unterbrechen. Denn hier ist die ideale Beobachter-, nein: Überwachungsposition. Hier hat man alle und alles im Raum im Blick. Es gibt Museumskonzepte des 19. Jahrhunderts, wo sich Kustoden ihr Büro am Ende einer Raumflucht aus dem Grund wünschten, um jederzeit den Besucher im Auge zu haben.
Es geht nicht nur um eine Ordnung der Dinge, sondern auch um ein geordnetes Ritual, (das Besucher ohnehin internalisiert haben). Trotzdem, man kann nie wissen. Keine bürgerliche Gesellschaft, auch nicht im Museum, ohne Polizei.
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