„Mein erstes Museum habe ich mit meiner Mutter besucht. Es war ein Provinzmuseum, stattlicher Stolz einer drittklassigen Stadt im Landesinnern, die es zierte. Man näherte sich ihm durch ein paradiesisches Grundstück mit geharkten Kieswegen, in humusreichen Boden gepflanzter exotischer Flora und Bäumen, die Etiketten trugen, als wären sie eben erst von Adam getauft. Der Inhalt des Museums war irritierend vielfältig, seine Vitrinen waren bestückt mit allen möglichen Scherben fremder Zivilisation, je nachdem, was ihm von den anmaßenden Vermögen der Stahl‑ und Textilbarone der Provinz zugefallen war. Ein zerfetztes Kajak teilte sich einen Raum mit einem Gestell voll polynesischer Paddel. Eine Mumie, deren Schädel als Halbmaske vergoldet war, lag in einem Vorzimmer, als handle es sich um nichts anderes als eine jener Trauerfeiern am offenen Sarg, wie sie in meiner Kindheit üblich waren. Mexikanische Miniaturdörfer leuchteten auf, wenn man einen Schalter drehte, und eine Pyramide wurde von verdrießlich aussehenden braunen Puppen erbaut, die ihren Pappmache‑Stein niemals auch nur den Bruchteil eines Zentimeters fortbewegten.“
Belletristische Texte gehören nicht zum Interessensbereich der Museologen. Da entgeht ihr aber etwas – und allen anderen, die sich für Museen interessieren oder in ihnen arbeiten auch. Die feinnervige Beschreibung, der Sinn für das leicht zu Übersehende, das Mehrdeutige und Unheimliche, das Überraschende, für all das haben Schriftsteller einen anderen Blick, oder überhaupt eine, wo ansonsten Museumssoziologie oder Inventartechniken vor sich hin dorren. Wo museologische Methoden nicht hinreichen, da kann ein literarischer Text etwas auf den Punkt bringen.
Einer meiner liebsten Texte ist eine Kurzgeschichte von John Updike, Museen und Musen. Auf irgendeinem Workshop hat mir zum Abschied jemand eines dieser Mini-Taschenbücher geschenkt, die es damals eine Zeit lang gab und die nicht viel größer waren als eine Hand. 2 DM, 15 S steht auf dem Rücken, also war das vor der Eurozeit.
So lernte ich den Schriftsteller Updike kennen und schätzen und das winzige Büchlein mit fünf oder sechs ausgesucht schgönen Geschichten hält in meinem Bücherregal tapfer seinen Platz neben Updikes dickleibigen Romanen.
Die Geschichte sammelt mehrere Museumsbesuche ein, die der Autor alle mit Frauen macht, mit seiner Mutter, der Geliebten eines Freundes... Die Beziehung zwischen den Personen und die zum Museum kommen in einer Weise wie selbstverständlich ins Spiel, wo museologisch erst in jüngerer Zeit die Komplexität der Museumserfahrung anerkannt und untersucht wird und nicht alles immer vor allem auf Betrachter und Objekt fokussiert bleibt. Aber es geht mir ja gar nicht darum, die beiden unterschiedlichen Erfahrungsweisen und Rhetoriken gegeneinander auszuspielen. Sie sollen selbstverständlich friedlich koexistieren dürfen.
Eingenommen speziell für diesen Text war ich mit den ersten Zeilen (die ich seither oft und gerne zitiert habe). Ich beschäftigte mich gerade mit der Etymologie des Wortes Museum, also in gewisser Weise auch mit seiner Genealogie.
Da mussten solche Formulierungen natürlich auf mich wirken: „Nebeneinander sehen die beiden Wörter fast gleich aus, durchsichtig scheinbar. Die M und die n, die ihre Struktur rahmen und richten, können zwar nicht verhindern, daß die identischen s in der Mitte die Akzente anders tragen, das eine Mal vor sich her, das andere Mal auf dem Rücken. Dennoch, von ihrem dunklen vokalischen Kern aus klingen beide Wörter. Beide suggerieren sie Aura und Antike, Geheimnis und Pflicht.“
Dem Klang eines Wortes nachspüren und auf Strukturen einer Instution stoßen, das fesselte mich sofort, und Updike war sofort als literarische Muse beim museologischen Basteln engagiert.
Foto: John Updike im Cincinnati Art Museum
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