Der ab 1946 an der Niederösterreichischen Landesnervenklinik in Klosterneuburg-Gugging tätige Psychiater Leo Navratil nutzte die diagnostische und therapeutische Bedeutung des Malens, Zeichnens und Schreibens seiner Patienten. Seine Anregungen und Erfahrungen führten zu einer öffentlichen Präsentation der entstandenen Arbeiten im Kunstkontext, wie in der Wiener Galerie nächst St. Stephan und schließlich zu deren Anerkennung als Kunst und der Patienten als Künstler.
Diese sogenannte zustandsgebundene Kunst (das ist der damals gebräuchliche Begriff) inspirierte viele bildende Künstler und erhielt große Anerkennung. Museen und Galerien kauften und stellten Werke der Künstler aus Gugging aus. 1981 war die Gründung des Zentrum für Kunst- und Psychotherapie (des Hauses der Künstler) ein konsequenter Schritt.
1994 wurde eine kommerzielle Galerie eingerichtet, die heute noch besteht, aber integriert in dem auf der Basis einer Privatstiftung agierenden art / brut centers (seit 2006), zu dem auch das Haus der Künstler und ein Museum gehören sowie ein offenes Atelier, Bibliothek etc. Mit der Gründung des Centers fand ein Wechsel der Verortung der Arbeiten der Gugginger Künstler statt, nämlich definitiv im Feld der Kunst, zu deren Spielart, Art Brut, sie einen der wesentlichen Beiträge geleistet hätten und noch leisten.
Das Museum zeigt wechselnde Ausstellungen, die aus den umfangreichen Sammlungsbeständen und Leihgaben bestritten werden aber auch eine stetige Präsentation einer Auswahl wichtiger Werke der namhaften Künstler.
Es gibt auch Kritik am Art / Brut Center, an seinem Kunstbegriff, an den Produktionsbedingungen und am therapeutischen Wert seiner Arbeit.
Andrerseits schien mir der Umgang mit den Künstlern in der ungemein beeindruckenden Eröffnungsausstellung sehr respektvoll und klug zu sein. Man vermied jede Charakterisierung der Personen über ihre Erkrankung und damit jede Interpretation im Sinn einer kausalen Beziehung von Krankheit und Kunst. Stattdessen gab es sehr liebevoll beobachtete und verfasste Texte zur Arbeitsweise der Künstler.
Sicher, was für Museen gemeinhin gilt, gilt hier besonders: das Museum in Gugging erlaubt einen gefahrlosen, distanzierten Blick auf das 'Andere', das auch uns Bedrohende und Gefährdende. Das Subversive dieser Kunst, mit der das Art / Brut Center argumentiert und wirbt, ist durch Musealisierung weitgehend entschärft. Das gilt allerdings auch für das Meiste an Moderner Kunst. Aber es bietet auch eine - ich spreche aus der eigenen Erfahrung vieler Besuche - tief bewegende Möglichkeit, sich diesem Anderen auszusetzen.
Abbildungen (G.F.): Raum im Museum des Art/Brut Centers mit Werken von August Walla und ein Werk von Rudolf Horacek, das das Center im Marketing einsetzt.
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