Die Initiative für dieses Museum wird bei dem auf afrikanische Kunst spezialisierten Kunsthändler Jacques Kerchache (1991 verstorben) zugeschrieben, der die Freundschaft des damaligen Bürgermeisters von Paris und späteren Staatspräsidenten, Jacques Chirac, gewann und zunächst eine einschlägige Abteilung unter dem von ihm geprägten Begriff Art premier im Louvre (Pavillon des Sessions, 120 Objekte) durchsetzen konnte.
2006 konnte dann das neuerbaute Museum am Quai Branly (Architekt: Jean Nouvel) eröffnet werden. Das Museum wurde aus den Sammlungen des Musée de l'Homme und des Musée National des Arts d'Afrique et d'Océanie gebildet, das heißt beide Museen wurden aufgelöst.
Das allein löste selbstverständlich Proteste und Widerstand aus, aber mehr noch das Konzept, das sich für das neue Museum abzuzeichnen begann und dessen politische Instrumentalisierung.
Die erwünschte ideologische Prämisse der Neuordnung der Beziehung Frankreichs zu den Kulturen und Völkern schien sich angemessen in einer ästhetisierenden Präsentation (wie man sie in völkerkundlichen Museen eigentlich schon für überwunden geglaubt hatte) am besten verwirklichen zu lassen. Weil dabei die andernfalls unvermeidliche Herkunft des Großteils der Sammlung aus der Kolonialzeit Frankreichs hätte thematisiert werden müssen.
Befürworter des Museums und das Museum selbst heben gerade diese Ästhetisierung als eigentliche Qualität hervor. Den Werken - indem man sie zu Kunst aufwertet - und damit ihren Erzeugern werde, Respekt, Würde und Anerkennung zuteil.
Einst war das ein avantgardistischer Protest: ‚primitive’ Objekte als Kunst aufzuwerten und damit die westliche Hochkunst zu attackieren und den gültigen, westlichen Wertekanon der Künste zu revidieren. Am Beginn des Jahrhunderts hatte Guillaume Appollinaire als erster genau das gefordert, was nun, noch vor der Errichtung des Museums, geschah: eine Auswahl von Werken in einer eigenen und neuen Abteilung des Louvre (Palais des Session) erweiterte das Spektrum der dort repräsentierten Kulturen und Epochen. (Offenbar nicht zur Begeisterung des Louvre selbst. Hinweis von Nina Gorgus. Die offizielle Webseite des Louvre erübrigt für diese Ausstellung nur ein paar Zeilen – als Verweis daß es sich um einen ‚Satteliten’ des Musée du quai Branly handelt).
Die Subversivität der avantgardistischen Beschäftigung mit den bis dahin kaum anerkannten und selten museumswürdigen Artefakten, glaubte man in das Museumskonzept implantieren zu können. Doch es erwies sich als naiv zu glauben, daß es, wie man zunächst vorschlug, heutzutage noch ein Museum mit einer den Art premiers huldigenden Namengebung geben könnte. Das lag schon phonetisch verdächtig nahe an der‚primitiven’ Kunst.
Das man sich schließlich für die ‚unschuldige’ Namensgebung für das Museum nach der Adresse entschlossen hat, ist ein Indiz dafür, daß auch das Konzept zu widersprüchlich ist, als daß sich ein signifikanter Namen finden ließe.
Was Wolf Lepenies anerkennend 2008 beschrieb, den Respekt, den das Museum den Werken erweist und die Würde, die ihnen gegeben wird, ist schon richtig. Der Eindruck, den ein unbedarfter Besucher wie ich hat, ist tief. Die Objekte die es hier zu sehen gibt, können auch jenseits aller historischen oder funktionalen Kontextualisierung enorm beeindrucken.
Lepenies hat aber auch die Kehrseite des Konzepts benannt. Die ästhetische Vereinzelung der Dinge, die dramatisierende Lichtregie, das akzentierte Hell-Dunkel der Raumflucht, aus der die Dinge magisch hervorleuchten, das alles tut den gewünschten Effekt. Man staune weniger und bewundere mehr, schrieb er. Staunen ist aber eine Quelle des Interesses und der Erkenntnis, bewundern aber eine affirmative Haltung, die fraglos akzeptiert. Und so konzediert auch Lepenis dem Museum, daß das Verstehenwollen in den Hintergrund tritt.
Das ist unter anderem der Architektur geschuldet, die, eingebettet in einen ‚Heiligem Hain’ (Jean Nouvel), mit ihrer bewachsenen Fassade und dem überpointiert liminalen Weg zur Schausammlung genau jene exotisierende und naturhafte Zeitlosigkeit suggerierende Kontextualisierung schafft, die man in der Dauerausstellung - so das Museum - weitgehend zu vermeiden versucht habe.
Tatsächlich vermittelten z. B. die in kleinen Kabinetten gezeigten Filme – so erinnere ich mich an meinen Besuch -, erstaunliche und exotisierendes Klischee von Schönheit und Natur, Brauchtum und Farbigkeit, Ursprünglichkeit und Vitalität. Die Machart der Filme hätte sie allesamt als Werbung einer Tourismusmesse durchgehen lassen – sie sind aberwitzig weit von jeglicher Wirklichkeit z.B. Afrikas entfernt.
Die vom Ausstellungskonzept und –design wie von der Architektur betriebene Ästhetisierung schwächt oder ersetzt eine kultur- und sozialgeschichtliche Kontextualisierung der Objekte. Das war einer der Skandale der Gründung, weil damit auch mit einer Tradition gerade der weltberühmten französichen Ethnologie, die das Musée d l’Homme für sich reklamierte, brach.
Statt diesen Kontext als museologische und konzeptuelle Herausforderung anzunehmen, evoziert besonders die Architektur, allerdings auch die andeutungsweise ambientale Einbettung der Objekte und Vitrinen (‚Lehm’mauern; erdige Farbigkeit, organizistische Formensprache), altbackene Vorstellungen und Projektionen.
Einen Sakralbau für mysteriöse Objekte, Träger geheimer Überzeugungen sowie einen Ort gekennzeichnet durch die Symbole des Waldes, des Flusses und die Obsessionen von Tod und Vergessen, nennt Jean Novel seinen Entwurf. Und die Sammlung Zeugen zugleich alter, wie lebendiger Zivilisationen.
Man mag es drehen und wenden wie man will: was man im Musée du Quai Branly zu sehen bekommt, all die über 3000 Objekte aus Afrika, Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika, werden als scheinbar ursprüngliche, autochthone Kunstwerke einer versunkenen, frühen Zeit präsentiert.
Der politische Effekt ist, daß die Geschichte der ihrer Herstellung, ihres Gebrauchs, ihrer Rezeption, ihrer Überlieferung ausgeblendet bleiben. Vor allem auch die Gewaltförmigkeit der – intellektuellen wie materiellen – Aneignung dieser Objekte durch die Museen und Sammler, kurzum die gesamte französische und nicht nur französische sondern europäische koloniale und neokoloniale Politik.
Das ist wirklich eine Leistung. Aber mehr als das: bei meinem Besuch fand ich fast nur zufällig einen kurzen Text dazu, (siehe Post Texte im Museum 07) ziemlich fern der Objekte an einer Wand. Der Text nennt nicht nur nicht die Dinge beim Namen, er verleugnet selbst bekannteste Tatsachen.
Zur Zeit der Gründung des Musée du Quai Branly, als der Umzug der Museumssammlungen im Gange waren, konnte man noch etwas von der musealen Repräsentanz der kolonialen Vergangenheit Frankreischs mitbekommen, etwa wenn man das bereits fast leergeräumte Musée National des Arts d'Afrique et d'Océanie besuchte. Noch vermittelten dort Möbel, Wandgemälde im Inneren und Skulturen wie Inschriften am Außenbau jenen nationalbewußten und militanten Kolonialismus, dem dieses Museum seine Existenz verdankte (Kolonialausstellung 1931). Inzwischen ist dort die, auch unter Jacques Chirac eröffnete Cité nationale de l'histoire de l'immigration (2007 eröffnet) entstanden, das aber öffentlch-medial dem Branly-Museum weit nachsteht. Man kann darin eine Strategie der Spaltung sehen, ein auflösen der Beziehungen und ein Verschleiern von Zusammenhängen, eine der Trennung in affirmative und kritische Haltung.
Ethnologische Museen stehen auf dem Prüfstand. Das spektakuläre Pariser Museum ist in Vielem neuartig und sehenswert – aber, was es dem eigenen Bekunden nach sein sollte - ein Durchbruch für ein Neudenken des völkerkundlichen Museums – als das gilt es den Kritikern des Museums (derzeit) nicht.
Fotos: Gottfried Fliedl, 2007
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