Donnerstag, 2. September 2010
Reden im Traum - Das Kärntner Handwerksmuseum in Baldramsdorf
Wenn eine Museumssammlung, wenn ausgestellte Dinge nicht von den üblichen und erwartbaren Ordnungs- und Deutungsmustern zusammengehalten werden, kann man das 'Ausbrechen' der Exponate aus der musealen Disziplin beobachten. Die Semantik der Ausstellungsobjekte geht mit ihnen durch und entzieht sich jeder Kontrolle. Die Dinge schließen miteinander unerwartete Bündnisse, denken Geschichten aus und entwickeln ein chamäleonhaftes Eigenleben. Das Museum beginnt wie im Traum zu reden...
Nicht daß das Kärntner Handwerksmuseum in Baldramsdorf (ein kleines Dorf in der Nähe von Spittal an der Drau), nicht eine sehr disziplinierte Ordnung besäße: ziemlich säuberlich sind in rund 40 Räumen verschiedenste Handwerke präsent, Werkzeuge, Geräte, Dokumente, Maschinen, Produkte, Pläne, Fotografien, Arbeitsmaterial, Möbel, Erläuterungen, Zeugnisse, Urkunden, Zeichnungen usw. Aber diese Ordnung bildet den großen Rahmen und regiert nicht im Einzelnen und im Detail.
An allen Ecken und Enden beginnen die Dinge etwas auszuhecken, wie in jenen Grimmschen Märchen, wo die Verselbständigung der Dinge Unvorhersehbares, Unheimliches, Gewitztes auslöst.
Dabei ist das Museum nicht dilettantisch. Hier gibt es eine große Behutsamkeit den Dingen gegenüber und den Menschen, deren Arbeit dokumentiert wird. Es gibt nicht wenige Ensembles, die mit traumwandlerischer Sicherheit arrangiert zu sein scheinen - aber in der Regel weit weg von dem, was wir von 'gestalteten', 'inszenierten' Museen ansonst gewohnt sind. Dafür fehlt fast ganz jene didaktische Anmutung, die das Arrangement nur als Träger einer Information versteht. Hier geht es eher Bilder von Lebensspuren, um Arrangements, die nicht das Museum erfindet, sondern die die Routinen bestimmter Arbeiten, bestimmter Handgriffe, bestimmten nützlichen Zur-Hand-Seins bestimmen. Kaum ein Objekt fristet ein trostlos isoliertes Dasein, jedem wird eine mehr oder minder stimmige Geselligkeit gegönnt.
Bekanntlich sind wir fast zwanghaft veranlasst, Dinge, die wir nebeneinander wahrnehmen, in Beziehung zu setzen. Wenn nun Dinge, die nichts oder vermeintlich nichts miteinander zu tun haben, plötzlich in Nachbarschaft geraten? Dann werden wir ebenso zwangsläufig Assoziationen, Vermutungen, Geschichten mobilisieren; dasselbe geschieht, wenn Dinge ohne Beschriftung auftreten, aber weder funktional noch symbolisch sofort zuzuordnen sein. Wenn uns also alle Bojen fehlen, um ein Objekt im offenen Meer der Bedeutungen zu vertäuen. Wiederum werden wir phantasievoll und phantastisch reagieren müssen.
Wie nun, wenn dieses Vexierspiel auf die 'Logik' des Museums übergreift, uns die Tatsache, daß aberdutzende von Objekten ausgebreitet werden, aber nur eins davon beschriftet ist, auf der Metaebene den Boden unter den Füßen unserer Museumsgewissheiten wegzieht. Wenn authentische Berichte, Beschreibungen aber auch zeitgenössische Beschriftungen, wie verkehrt herum montierte Wegweiser uns immer wieder stören, wenigstens in unserem Kopf Ordnung zu machen.
Und diese schiere Fülle! Das ist mal ein Museum, wo es sich lohnt, auch auf den Boden zu schauen. Was da alles abgestellt ist, mal ostentativ, mal wie vergessen oder verräumt, halb versteckt. Mal reihen sich Bügelseisen auf Regalen, mal steht eine Schachtel mit Zeug auf einer Werkbank, als hätte nur jemand vergessen, sie wegzuräumen. Überschuhe stehen wie eben ausgezogen am Boden und in der Greißlerei hängen die Papiersackerln bereit, um gefüllt zu werden. Im Frisiersalon gibt es das Tischchen und den Thometstuhl, auf dem man wartet und Illustrierte liegen bereit, damit man sich die Zeit vertreiben kann. Von einer prangt Romy Schneider, von der anderen ein TEE vor dem Kölner Dom. Dabei sind solche Arrangements wie beiläufig und ohne eine aufdringliche Suche nach Authentizität gemacht. Auch ohne den gesuchten Effekt, als hätte eben nur für kurze Zeit den Raum verlassen.
Überall ragen Biografien herein, der "lachende Friseurmeister", der Fotograf, der Maler, der Lodenmacher, der Hufschmied, der selbst aufgeschrieben hat, was er wie gemacht hat. Und nun hängt das da, in Plastikfolie, zum Durchblättern, Handschrift und Zeichnungen...
Viele Objekte und Objektgruppen, einzelne Räume fungieren als Monumente, als Erinnerung an Personen, die entweder noch zu Lebzeiten Dinge dem Museum übergeben und dann übrigens meist zu ihnen 'zurückkehren', oder als Erinnerung von Nachkommen an Vorfahren und deren Leben und deren Arbeit.
Die individuellen Erinnerungsspuren werden sehr bewußt in die anerkannte Gedächtnismaschine 'Museum' eingewoben und sie wird benutzt, um dem gelebten Leben Anerkennung und Eingedenken zu gewähren.
1977 eröffnete das Museum. Getragen wird es von einem Verein und ehrenamtlichem Engagement. Es gibt eine starke Leiterpersönlichkeit, aber viele Personen, die das Museum hegen und pflegen. Ein kollektives Projekt.
Ich kenne das Museum seit vielen Jahren, habe es nun wieder besucht und war erstaunt, daß es trotz mancher Bereingungen und Retuschen noch immer die alten Qualitäten hat. Selbst seine Didaktisierung mit Hilfe einheitlicher Erläuterungstafeln mit Bildern und Texten, tut ihm nichts an. Man kann sie, wenn man will, ganz übersehen, und es schadet der Poesie der Arrangements nicht, wenn man sie liest.
Fotos geben selten eine Vorstellung einer Ausstellung. Sie können ihr Performatives nicht reproduzieren. Deshalb: hinfahren und anschauen. Aber Verantwortung kann ich nicht übernehmen - vielleicht werden sie es ganz anders sehen, unempfänglich oder überempfindlich sein, z. B. gegenüber der Betulichkeit mancher moralisierender Texte, der Bizzarheit und Beliebigkeit. Wer weiß, wie es Ihnen geht, mit den traumredenden Dingen...
Die Webseite des Museums leistet sich den Luxus, Räume in schwenkbaren Videoclip-Panoramen zu zeigen. Eine Möglichkeit, sich auf das Museum einzustellen. Außer (was ich tun würde), sie wollen sich überraschen lassen.
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