Glaubt hier wer an die Bedeutung des Museums?
Na, dann schauen wir mal.
Zum Beispiel war ich heute im Ladinischen Museum in St. Martin in Thurn.
Wenn man da von Bruneck hinfährt, bekommt man eine Ahnung, warum Menschen in langdauernder Abgeschlossenheit gelebt haben. Heute nutzt man eine kostspielige Straße, die eine Klamm mit vielen Tunnels und anderen Kunstbauten relativ bequem durchquerbar macht. Lange Zeit muß es hier unpassierbar gewesen sein. Auch die Straße nach Westen, in Richtung Brixen, ist kaum anders als modern vorstellbar. Vielleicht ein schmaler Weg, mehr nicht, früher.
Im Gasthaus im Zentrum des Dorfes höre ich viele Gäste eine fremdartige Sparche sprechen. Ich bin sofort bereit, das für ladinisch zu halten und daraus auf die Lebendigkeit dieser Sprache zu schließen. Der ladinischen Kultur überhaupt, grade bin ich am ladinischen Kulturzentrum vorbeigekommen, am Weg vom Parkplatz zum Ortszentrum.
Das Museum, das ich suche, liegt außerhalb.
Freunde haben es mir vor Jahren empfohlen. Es steht schon lange auf meiner Agenda, und jetzt, wo mich meine Urlaubswege in die Gegend führen, schaffe ichs endlich.
Das mit dem Außerhalb heißt einerseits, daß es sich um eine Burg handelt, wenn man das Museum sucht und besucht, andrerseits, daß das Museum eine Überraschung (für mich) darstellt, weil es über die Ladiner handelt (abhandelt), als sei das ein rätselhafter Stamm am Amazonas und nicht eine Bevölkerung nebenan.
Das hab ich nicht erwartet. Obwohl es wohl genauso zu erwarten war. Touristen brauchen Ziele, Verweildauer, Konsummargen. Nein, die Tourismusindustrie braucht das, die Touristen brauchen Zeitvertreib, leichte Kost, ein bissl Geschichtskultur, lokal, exotiosch, unikal.
So kommts, daß hier über die Ladiner, nicht mit ihnen und nicht durch sie gesprochen wird. Wir sind in einem ethnologischen Einheimischenmuseum für 'Fremde'.
Kein Zweifel, es gibt viel zu Lesen, viel, sich zu informieren. wer die Ladiner sind, woher sie kommen. Identitätsgeschichten, Herkunftsgeschichten. Nur: für wen jetzt? Für mich? Für die Ladiner?
immer, wenn ich eine Frage habe, sagt das Museum: ich hab da einen Bildschirm für Dich.
So komm ich auch weiter, Raum und Raum, und noch eine Ecke und noch ein Annex und noch eine Abzweigung.
Es gibt viel Holz, Stahl, grünes Mattglas, weißverkalkte Wände. Nichts davon hilft mir beim Verstehen. Aber alles sagt: ich bin ein Museum am neuesten Stand des Design.
Ständig stellt sich mir was in den Weg und sagt: ich bin eine Schautafel, ich bin ein Leitsystem, ich bin ein Raumtext.
Und jetzt lieber Leser sind Sie dran. Dieses Bombardement von sozialhistorischen Informationen, wie gehen Sie damit um. Ständig hat man z.B. die Bauern in die Pfanne gehauen, daß es nur so geklescht hat. Landesherren, Äbtissin, Söldner, Bischöfe, Burgherren, alle droschen auf die Bauern ein. Dann raffen die sich mal auf und drehen den Spieß um, mit List und Tücke töten sie über 40 Kriegsknechte, die man zum Eintreiben des Zehent geschickt hatte. Es nützt Ihnen nur nichts. Alles bleibt beim alten, die Mächtigen arrangieren sich und die Äbtissin des adeligen Damenstiftes darf weiter die Bauern nach Belieben fertigmachen.
So und jetzt Sie. Was machen Sie? Kriegen sie Kopfwut? Depressionen? Denken Sie sich "Warum ist immer alles so gekommen, wie es keiner wollte?" Oder gehen Sie auf einen Espresso ins Museumscafé?
Welche Art von Geschichtswissen brauchen wir. In welcher Form? Wozu?
Ich habe in einer Burg in wunderbarer Lage einen bequemen, mich nicht zu verstörenden Rundgang hinter mich gebracht, mit sanftem Bildungserlebnis und - tatsächlich - einem Besuch in der Cafeteria zum Abschluß.
Es ist immer alles so kompliziert. Und das Museum muß es einfach machen. Es hat nun mal nur bestimmte Objekte und nur bestimmten Raum für Text. Da geht es um die Identität der Ladiner, wie man mir sagt, also um ihre Sprache. Da wird die Galerie der Alphamänner vorgestellt, die sich im 19. Jahrhundert um diese sprachlich fundierte Identität sorgten. Da taucht plötzlich der Begriff der "Nation" auf. Der ladinischen? Blöd nur, daß es das Ladinische gar nicht gibt, sondern Varianten in den verschiedenen Tälern. Das könnte bedeuten, daß der Versuch, das Ladinische im 19. Jahrhundert zu formieren, um es zur Anerkennung zu bringen, gleichzeitig das Ladinische gefährdet = seine Vielfalt. Da könnte es also um (mindestens) zwei Identitätskonzepte gegangen sein. Um ein ständig shiftendes, sich entziehendes, und eines, das um der politisch-kulturellen Anerkennung willen ("Rettung"), eine neue, gewaltsame Einheitlickeit herstellen will.
Sowas überfordert ein Museum. Oder?
Ich bin ohne tieferen Eindruck weggefahren, ein wenig mißgelaunt ob der Diskrepanz von gestalterischer Gebärden einerseits und inhaltlichem Gehalt andrerseits.
Es liegt natürlich an mir, und nicht am Museum.
Museen haben ja immer recht.
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