Mittwoch, 16. Februar 2011

Die Bedeutung der Hologramme des Jüdischen Museums Wien. Ein Kommentar


Anmerkungen zu den Repliken der Museumsleitung des JMW auf die Kritik einer museologisch-wissenschaftlichen Museums-Öffentlichkeit

Heidrun Zettelbauer

Seitdem die Hologramme der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Wien (JMW) zerstört wurden, hat ein breiter (inzwischen auch internationaler) Kreis an MuseologInnen, DirektorInnen jüdischer Museen und WissenschaftlerInnen Kritik am Vorgehen der Museumsleitung des JMW geäußert – nicht nur Kritik am Akt der Zerstörung der Hologramme, sondern auch am Verzicht auf fachlich fundierte museologische Vorgehensweisen, die eine Archivierung der Hologramme und eine Dokumentation des Prozesses geboten hätten. In ihrer Antwort auf die geäußerte Kritik führte Museumsleiterin Spera vor allem „technische Notwendigkeiten“ als Motiv für die Zerstörung der Hologramme an und ortete in der Kritik daran nicht zuletzt eine gegen ihre Person abzielende „Kampagne“.
Auffällig erscheint, dass Frau Dr. Spera bislang so gut wie überhaupt nicht auf die inhaltlichen Argumente ihrer KritikerInnen eingegangen ist und tunlichst jegliche entsprechende Positionierung vermeidet, nicht zuletzt auch in der medialen Diskussion scheint diese Frage die große Leerstelle zu sein.
Die eingeschlagene Strategie von Seiten der aktuell Verantwortlichen des JMW scheint sich darin zu erschöpfen, die Bedeutung der Hologramme herunterzuspielen. Zuletzt hat dies Roswitha Muttenthaler äußerst erhellend in ihrem Kommentar dargelegt, in dem sie auf Strategien der Museumsleitung hinweist, die Bedeutung der Hologramme möglichst klein zu reden (und sie zur „Schautafel“ zu degradieren), um davon ausgehend, die Verantwortung für deren Zerstörung abzuschwächen bzw. um der grundsätzlichen Frage nach der „Wertigkeit“ der zerstörten Hologramme zu entgehen. Anknüpfend daran, erscheint mir ein weiterer Punkt, der in der bisherigen Debatte kaum eine Rolle gespielt hat, relevant, nämlich die Frage der zentralen Bedeutung der Hologramme als Maßstab für die bisherige, aktuelle und zukünftige Selbst/Positionierung des JMW im Umgang mit einer (kritischen) Museums-Öffentlichkeit.

Seit den 1990er Jahren steht/stand das JMW – und dafür waren die Hologramme mit ihren komplexen Bedeutungsebenen zugleich Symbol und Ausdruck – für ein hohes Maß an Reflexion über das eigene Tun. Das JMW ist mit seinen Projekten und Ausstellungen eine maßgebliche Stimme in der öffentlichen Rede darüber, wie jüdische Geschichte nach der Shoah erzählt bzw. nicht erzählt werden kann und darüber hinaus ganz grundsätzlich, wie Geschichte überhaupt museal inszeniert werden kann. Was das JMW in den vergangenen Jahren mit vielen Projekten, Ausstellungen und vor allem auch der Dauerausstellung – den Hologrammen wie auch ihrem Gegenstück, dem Schaudepot – so interessant machte, war nicht zuletzt der Umstand, dass das Museum neben konkreten historischen Interpretationsangeboten, immer auch eine Metaebene musealer Re/Präsentation thematisierte: nämlich die Frage, welche Position/ierung das Museum in der Erzählung jüdischer Geschichte und Gegenwart einnehmen kann und will.
In seinen Projekten entzog sich das JMW häufig ganz bewusst vereindeutigenden und vereinfachenden historischen Narrativen, kein „Wohlfühl“-Museum bot sich den BesucherInnen, sondern ein Ort der Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte als Geschichte des Verlusts, der Zerstörung und Vernichtung. Zugleich wird in den bisherigen Ausstellungen jüdische Geschichte als Beziehungsgeflecht zur nicht-jüdischen Bevölkerung sichtbar, BesucherInnen konnten keine passiv-betrachtende und rezipierende Haltung einnehmen, sondern fanden sich oftmals mitten in einem Prozess des sich-positionieren-Müssens, der Verunsicherung, des Provoziert-Werdens oder der Konfrontation mit unliebsamen Befunden der österreichischen (Zeit)Geschichte. Das JMW positionierte sich mit seinen bisherigen Projekten – und darin liegt wohl auch ein zentraler Faktor für seine internationale und innovative Strahlkraft – als Ort der Auseinandersetzung und des Diskurses über gesellschaftlich relevante Fragen (nicht zuletzt zum österreichischen Gedächtnis). Das JMW stellt sich mit seinen Ausstellungen der letzten Jahre als unbequemes Museum dar, das (historische) Konflikte gerade nicht harmonisierte und das seine BesucherInnen mitunter durchaus irritiert, unbehaglich und oftmals mit mehr Fragen im Gepäck zurückließ als vor dem Museumsbesuch. Ein Museum, das mögliche Erwartungen von BesucherInnen gerade nicht einfach nur „bediente“, sondern diese mitunter radikal zum Diskurs und zur Stellungnahme aufforderte.
Neben vielen bereits an anderer Stelle genannten Bedeutungsschichten, erschloss sich beim Betrachten der Hologramme ein weiterer wesentlicher Aspekt: sie ermöglichten den BesucherInnen nicht nur das Wahrnehmen einer sich mit dem Blickwinkel verändernden Perspektive auf jüdische Geschichte als Geschichte des Verlusts und der Zerstörung, sondern sie forderten das Einnehmen einer solchen Position dazu geradezu ein. Implizit verdeutlichten die Hologramme damit, dass in einer „Tätergesellschaft“ niemand keine Position hat, sondern jede/r im Spektrum differenzierter historischer Befunde verankert ist – im Rahmen von Primärerfahrung oder durch eine kollektive Erinnerungskultur, im Rahmen von Familiengeschichte/n und/oder regionalen Kontexten, näher oder weiter entfernt, aber immer in je spezifischer Art und Weise involviert in die Geschichte der Vernichtung und Zerstörung jüdischer Kultur durch den Nationalsozialismus.

Die neue Dauerausstellung des JMW wird laut aktueller Homepage des Museums bereits im Juli 2011 eröffnet. Entgegen aller Kritik an der Zerstörung der Hologramme, könnte das JMW die aktuelle Debatte dazu nutzen, um ihr neues Konzept darzulegen und auszuführen, was an die Stelle der zerstörten Hologramme treten soll. Was jedoch an den aktuellen Repliken der neuen Museumsleitung irritiert zurücklässt, ist gerade das Fehlen einer solchen Positionierung im Hinblick auf die skizzierten Fragestellungen: Intendiert das JMW auch einen „Neuanfang“ hinsichtlich seiner gesellschaftliche Positionierung? Gehört demnach auch die Auffassung vom Museum als Ort der Auseinandersetzung und des Diskurses mit der Zerschlagung der Hologramme der Vergangenheit an? Der bisherigen Museumsleitung ging es offenkundig auch um die Schaffung einer kritischen Öffentlichkeit, gilt dies – und wenn ja, in welchem Ausmaß – auch noch für das neue JMW? Welches museologische Konzept und welche kuratorische Selbstpositionierung intendiert die neue Leiterin dabei? Wie verhält sich das neue Dauerausstellungskonzept zu jenen Fragestellungen, die international im Hinblick auf die gesellschaftlichen Aufgaben und Zielsetzungen (jüdischer) Museen diskutiert werden? Bislang hat das JMW, gerade was die Frage des Verhältnisses zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit betrifft, mit seiner Dauerausstellung und seinen Projekten eine Vorreiterrolle in diesen Debatten eingenommen – angesichts der aktuellen Vorgänge scheint die Frage berechtigt, wie sich das JMW in dieser Frage selbst positioniert und welche Rolle dabei den BesucherInnen und einer (kritischen) Öffentlichkeit zugedacht wird?

Univ.-Ass. Dr. Heidrun Zettelbauer / Graz
Karl-Franzens-Universität Graz – Institut für Geschichte

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