Samstag, 9. Januar 2010

Musée des Mondes Perdu

Der Zufall eines Wolkenbruches trieb mich eines Herbsttages für einige Augenblicke ins naturwissenschaftliche Museum. Dort verweilte ich aber eine Stunde, zwei Stunden, drei, vielleicht. Monate sind seit diesem unvorhergesehenen Besuch vergangen, doch vergesse ich nicht so bald diese Augenhöhlen, die einen beharrlicher als Augen anblicken, diesen Jahrmarkt der Schädel, dieses mechanische Grinsen auf allen Ebenen der Zoologie. Ich weiß keinen Ort, wo Vergangenheit gegenwärtiger wäre.

Gut möglich, daß sich diese Zeilen E. M. Ciorans auf einen der ungewöhnlichsten und in gewisser Weise auch morbidesten Sammlungsorte weltweit beziehen, auf eine um 1900 entstandene - baulich selbständige(Architekt: Frederic Dutert) - Erweiterung des Pariser Naturmuseums.
Die Galerie de paléontologie et d’anatomie comparée gehört zum Muséum national d’ Histoire Naturelle in Paris. Diese ungewöhnliche Sammlung befindet sich in einem ebenso ungewöhnlichen – im Jardin des Plantes gelegenen - Gebäude das im Zusammenhang mit der Weltausstellung von 1900 errichtet aber bereits zwei Jahre zuvor eröffnet wurde.
Diese Sammlung, für sich schon und erst in dieser wissenschaftlichen Paradigmen der Zeit folgende Aufstellung einzigartig und bizarr, erhält durch ihre architektonische Rahmung eine zusätzliche Anmutungsqualität, für die man auch als Nichtexperte empfänglich ist.

Im zweigeschoßige Gebäude, dessen Stahl-Glaskonstruktion mit ihrem Belle Epoque-Dekor zu den Exponaten einen merkwürdigen Gegensatz bildet. sind mehrere ‚Galerien’ untergebracht: Die paläontologische Galerie beherbergt eine Sammlung fossiler Wirbeltiere und wirbelloser Tiere, eine Sammlung, die über 600 Millionen Jahre biologische Geschichte visualisiert, die Galerie der vergleichenden Anatomie eine riesige Skelettsammlung von etwa 10.000 Objekten, die klassifiziert und geordnet zwischen umlaufenden Schaukästen frei aufgestellt einen einzigartigen Zug der toten Lebewesen bildet.

Während wir von Naturmuseum gewohnt sind, daß uns eine kunstvolle technische Lazarisierung über die Abwesenheit von Natur täuscht, wird uns hier in schroffer und direkter Konfrontation die Tatasache bewußt, daß gerade im Naturmuseum die Bedingung der Musealisierung der Tod der Dinge ist, in diesem Fall und genauer, der Tod, der das organische Leben zu Exponaten tauglich macht.

Lassen wir Leon-Paul Fargue das letzte Wort, der diese Galerien als Musée des Mondes Perdues beschreibt:
...Diese drei kleinen farblosen Flaumfedern, denen ähnlich, die sich, wie wir glauben, von den Tauben gelöst haben und im Frühling in den Spinngeweben der Sonne schweben, welche ehrfürchtige Hand hat sie eingerahmt, welche sonderbare Einbildungskraft »Dinornisfedern« getauft? Besaß nicht der Herzog von Berry, der Bruder von Charles v., in seinen Sammlungen eine Feder des Engels der Verkündigung?...
Es ist hier, in diesen Galerien, daß die Kraft und der Charme der ‘Schöpfung’ auf die seltsamste Weise zum Ausdruck kommen, durch die ergreifende und geheimnisvolle Poesie des unendlich Großen und des unendlich Kleinen, aber in einer Art Beklemmung und Zweifel. Wo und wie wird eines Tages die seltsame Gestalt dieses unkenntlichen Tieres zum Vorschein kommen, das so langsam über den verborgenen Grund des Planeten dahinwandert?...

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